Kapitel 7-2
„Also hatte deine Mutter Recht."
Namis Kopf fühlte sich wie betäubt an. Die Informationen hatten sie überfordert. Sie wünschte sich, nachdenken zu können. Sie schaltete das Display ab und drehte sich zu ihrem unerwarteten Besucher um.
„Was tust du hier?"
Er langte nach dem Beatmungsgerät und setzte es auf. „Dachtest du, es fällt mir nicht auf, wenn du ein nicht identifiziertes Programm im System lädst?"
„Es wurde von alleine geöffnet, als ich den Text von dem Puzzle gelesen habe."
„Der da wäre?"
„Karli."
Prof lachte auf und setzte sich neben sie auf das Bett. „Das war also die Eselsbrücke, von der deine Mutter gesprochen hatte."
„Ich verstehe nicht."
Prof warf einen deutlichen Blick zur Decke. Nami wusste, dass der Großteil der Station unter ständiger Bewachung stand. Zwar wurden die Kameraaufnahmen normalerweise nicht aktiv betrachtet, konnten aber im Nachhinein zu ihren Lasten genutzt werden.
„Gehen wir eine Runde in mein Labor."
Sie folgte ihm ohne Widerworte. Auf dem Gang kamen ihnen Bibi und Viktor entgegen. Bibi warf ihr einen fragenden Blick zu.
„Was ist mit Ihrem Kopf passiert?" Bevor sich Bibi diesen genauer ansehen konnte, ging Prof beherzt dazwischen und legte Bibi beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Eine Verletzung bei ihren täglichen Übungen. Ich bringe sie schon zur Krankenstation."
„Was Ernstes?"
Prof schüttelte nachsichtig den Kopf. „Es gibt keinen Grund zur Sorge. Sie haben doch sicher noch einiges zu tun?"
Bibis Gesichtsausdruck spiegelte das Gegenteil wieder, jedoch nickte er auf Profs ernsten Blick hin. „Dann lassen Sie sich hiervon nicht aufhalten", fuhr er fort und schob Nami weiter.
„Halt deine Hand an deinen Hinterkopf", meinte er harsch, nachdem sie außer Hörweite waren. „Deine Haare nehmen das Blut nicht auf, vergiss das nicht."
Sie griff sich an die Stelle, wo früher der Chip gesessen hatte. Ein Loch, als hätte man aus der Stelle einen Zahn gezogen. Als sie die Hand zurückzog, klebte Blut daran. Über die Schulter sah sie, dass sich kleine Blutstropfen aus ihrem Haar lösten und zu Boden troffen.
Prof öffnete die Türen zu dem Laboratorium mit seiner Magnetkarte. Nun nicht mehr unter Beobachtung irgendwelcher Kameras, liefen sie hektisch in das Innere.
„Brauchst du etwas zum Verbinden?"
Nami schüttelte den Kopf. „Es wird schon wieder besser." Sie ärgerte sich über sich selbst. Offensichtlich war ihr Wundverschluss nicht gründlich genug gewesen. Dieses Mal verband sie die umliegenden Hautteile gewaltsam mittels ihrer Kräfte. Ihre Kopfhaut spannte dadurch, aber es war besser, als das ganze Labor zu besudeln.
„Ich muss zugeben, ich bin ein wenig enttäuscht von dir", sagte Prof, während er gebannt in seinen Bildschirm starrte.
„Ich weiß, du hättest mich daran gehindert dieses Teil zu entfernen."
„Damit hatte ich gerechnet." Er drückte einen Knopf auf seiner verstaubten Tastatur, worauf sein Computer in der Wand verschwand. Zum Vorschein kam ein wesentlich neuzeitlicheres Gegenstück, das seiner bisherigen Sympathie für überholte EDV-Geräte Hohn sprach.
„Wieso? Kommt das öfter vor?", fragte sie gereizt.
„In deiner Familie schon. Aber deine Mutter ist da intelligenter vorgegangen. Sie hat den Chip mittels einer Psi-Barriere abgeschottet. Deiner wird innerhalb weniger Tage keinen Saft mehr haben. Dann werden die dahinter kommen, was du getan hast und dich liquidieren." Er tippte ungerührt weiter auf seiner Tastatur, worauf ihr letztes Missionsbriefing angezeigt wurde. Der Befehl, die Ultrasonics auszuschalten, gewissermaßen die Herrschaft zu übernehmen, erfüllte den Raum. „Ich hätte erwartet, dass du mich hierüber informierst. Diese Aufgabe lässt darauf schließen, dass hier in Kürze eine Säuberung von allem stattfinden soll, was nicht psionischer Natur ist."
„Du glaubst, die wollen dich auch umbringen?"
„Tu nicht so, als hättest du dieses System nicht dein ganzes Leben lang schon gelebt." Er verschränkte die Arme.
„Was hat das alles zu bedeuten? Warum hast du Zugriff auf gesicherte Daten? Und was ..."
„Fragen über Fragen." Prof stieß einen tiefen Seufzer aus. „Der Nachteil des menschlichen Verstandes. Man muss alles erklären. Es wäre so viel einfacher, es dir zu senden. Aber dafür hast du ja nun kein Medium mehr."
Sie trat an ihn heran und griff ihn grob an den Schultern. „Ich habe genug von deinem Gerede! Nun sag mir schon, was hier los ist!"
Profs Miene wurde schlagartig ernst. „Diese ganze Mission hier ist eine Farce. Der Wirkungsgrad des Magnesiums, welches ihr in die Luft schießt, ist bedeutungslos gering. Der Großteils reagiert bereits mit der Schwefelsäure, bevor es auch nur ein Kohlenstoffdioxid Molekül sieht."
„Aber wir sind doch hier, um diese Wesen auszulöschen."
„Ja, in dem Glauben ist Admiral Lee auch. Tatsache ist, dass es gar nicht notwendig ist. Die Pflanzen auf diesem Planeten mutieren ähnlich schnell, wie die Lilim selbst. Du hattest Angst, dass die, die du entdeckt hast ein Anzeichen dafür ist, dass genügend Kohlendioxid in der Atmosphäre ist. Meine Untersuchungen haben gezeigt, dass das gefundene Exemplar Sauerstoff atmet."
„Aber das würde ja bedeuten ..."
„... dass sich der Kreislauf wieder geschlossen hat", beendete Prof ihren Satz, „Das Leben hat seinen Weg gefunden. Dieser Planet wird sich wieder erholen. Es besteht also kein Grund mehr für die Lilim, zur Erde auszuwandern. Persönliche Rachepläne ausgenommen – sofern diese Wesen soweit denken können."
„Dann haben wir versagt."
„Nein, wir haben gefunden, was wir gesucht haben."
„Ihr habt dieses Conscientum abbauen können?", fragte Nami.
„Das Bewusstseinsmolekül, ja."
„Warum weißt du von alldem?"
„Weil ich eingeweiht wurde", antwortete Prof lapidar.
„Du hättest mir etwas sagen können."
„Und von deinem Chip als Verräter identifiziert werden."
„Und jetzt, wo ich davon befreit bin, weihst du mich ein? Ich hätte doch früh genug von dem glorreichen Sieg der Roboter gehört."
„Selbst wenn sie dich nicht ohnehin auslöschen, werden wir alle nichts davon erfahren", sagte Prof mit einer wegwischenden Geste.
„Warum?"
„Weil sie uns alle vorher umbringen werden."
„Über tausend Jahre Züchtung wollen sie zerstören?" Nami lachte hohl auf. „Ich glaube, du fantasierst."
Prof stand auf, griff nach einer Flasche und sog mittels einer Spritze etwas daraus hervor. Das entnommene Gas füllte er in einen Schlauch nebst seinem Computer. Als er wieder sprach, klang seine Stimme wie von ganz weit weg. „Nami, wofür wurde das Projekt der Kinder des Ares erschaffen?"
Nami blinzelte verwirrt. Was sollte das? Wollte er ihr nun Nachhilfeunterricht in Sachen Geschichte geben?
„Um eine neue Generation Menschen zu erschaffen – eine bessere", antwortete sie gelangweilt.
„Das ist nicht alles. Nur ein Idealist würde so viel Geld ausgeben, um eine weiterentwickelte Form des Menschen zu erschaffen. Leon Apart ist kein Idealist."
„Wir sollten unter anderem an die Gegebenheiten anderer Planetensysteme angepasst sein. Höhere Strahlungsresistenz, die Fähigkeit sich irgendwann über Photosynthese vollständig zu ernähren ..."
„Dafür fördert man Wesen, die mittels Telekinetik in den Geist andrer Wesen eindringen können? Die Gegenstände durch den Raum schweben lassen können?!", unterbrach Prof sie harsch. „Denk nach, was steckt hinter KDA?!"
„Wir sind die perfekte Kriegsmaschinerie. Jeglichem Waffensystem überlegen und durch ein computergestütztes System unter Kontrolle."
„Das klingt schon eher nach menschlichem Ermessen!" Ein Lächeln schlich sich auf Profs Lippen. Erregt marschierte er an seinen Versuchsapparaturen entlang. „Was denkst du, warum wurde der Fokus unserer Bemühungen auf die Weiterentwicklung der Psionik gesetzt?"
Nami schluckte schwer. Es war ihr unbekannt, Hemmungen davor zu haben, etwas auszusprechen. „Wir könnten die Gewöhnlichen unter unsere Kontrolle bringen ..."
„Das wäre doch eine gelungene Demokratie, nicht wahr? Die Bevölkerung tut genau das, was die Machthabenden wollen. Ein Meinungsmonopol einiger weniger, eine Oligarchie."
„Aber warum sollten sie uns dann ausschalten wollen? Das ergibt doch keinen Sinn!"
„Hast du dich nicht gefragt, warum wir diesen Krieg nicht einfach mittels eurer Kräfte gewinnen?" Er sah sie mit einem geradezu fanatischen Blick an, der sie schaudern ließ.
„Dazu reichen unsere Fähigkeiten nicht."
„Weil der Chip sie begrenzt und euch die Übung fehlt. Deine Mutter war in der Lage, ganze Städte einzureißen, nachdem sie sich von seinem Einfluss befreit hatte. Aber sie hat einen entscheidenden Fehler gemacht."
„Sie hat sich unerlaubt mit einem Gewöhnlichen vereinigt."
Profs Gesichtszüge gefroren zu einer Maske der Bestürzung. Für einen Moment schien er seine Fassung zu verlieren, aber schließlich lächelte er wieder. Sein Grinsen erinnerte sie an die widerspenstige Fratze eines Lilim.
„Das wäre ihr wohl verziehen geworden. Soviel Potenzial hätte niemand verschwendet. Aber sie hat sich gegen das System gewendet. Wahrscheinlich hat ihr ihr Freund diese patriotischen Gedanken eingeflößt. Der Mann war ganz anders, als die restliche Bevölkerung der Gewöhnlichen Edens. Passte nicht ins System." Er winkte ab, wie um einen lästigen Gedanken loszuwerden. „Sie fürchtete die möglichen Pläne Aparts und wollte sich Gewissheit verschaffen. Indem sie zwei weitere Psioniker von dem Einfluss des Computers befreite und überzeugen konnte, bildete sie eine Gruppe namens Karli. Sie drangen in das System ein und entwendeten sensible Daten."
„Und sie ist damit davongekommen?"
„Ich habe ihr geholfen, ihr Gedächtnis gelöscht. Man konnte ihr nichts mehr nachweisen. Die anderen beiden hatten nicht so viel Glück. Aber wie man sieht, hat sie sich eine Rückversicherung geschaffen, um dich und womöglich sich selbst zu erinnern. Ich schätze dein technisches Verständnis hast du von ihr."
„Was hat es mit Karli auf sich?"
Er fuhr sich mit dem Finger über die Schläfe, als ärgerte ihn ihr Unwissen.
„2350", sagte Prof und machte eine bedeutsame Pause, „wurde mit Hilfe einer grandiosen Erfindung von DDr. Jean Lavie der erste bewusstseinsgesteuerte Roboter erschaffen. Sein Erfinder gab ihm spaßhaft den Namen Karli."
„Der Erste? Das klingt, als hätte es einen zweiten auch gegeben."
„Nein, den gab es niemals. Karlis persönliche Freiheit, seine Menschlichkeit brachte ihn auf den Gedanken, dass er es nicht nötig hatte, auf die Befehle seines Erbauers zu hören. Binnen kürzester Zeit schaffte er es, sich in nahezu jeglichen Computer der Welt einzuhacken. Er war wie ein Virus, der sich nicht installieren musste, ein Virus außerhalb des Computers. Dieses Ereignis war damals so erschütternd, dass es sogar die Bedeutung des indisch-chinesischen Kriegs schwinden ließ."
„Und wie hat man das Problem gelöst?"
„Karli war glücklicherweise so menschlich, dass er keine weiteren Programme erzeugte, sondern nur Kraft seines eigenen Speichers Veränderungen hervorrief. Man zerstörte ihn und der Spuk war beendet."
„Darum sagtest du früher manchmal, wenn du dich über deinen Computer geärgert hast, dass wahrscheinlich Karli wieder am Werk ist."
„Tatsächlich hat sich das Gerücht bis heute gehalten, dass ein Teil von ihm noch immer in unseren Computern lebt. Ich wage aber zu zweifeln. Es ist nur so eine Redensart."
„Und meine Mutter hat Karli wieder aufleben lassen."
„Ja, vielleicht hat sie diese Leute unbewusst auf die Idee gebracht, dass das Verbot künstlichen Bewusstseins von 2356 ignoriert werden sollte."
„Die waren enttäuscht von uns, was?"
Prof nickte tief. „Sie mussten feststellen, dass intelligente menschliche Wesen, wie die Psioniker, niemals völlig kontrolliert werden können. Plötzlich ward ihr eher eine Gefahr, denn die Erfüllung all ihrer Pläne."
„Darum wollen sie uns gegen Maschinen ersetzen?"
„Sie wollen die gesamte Menschheit gegen Maschinen austauschen."
Nami fuhr sich mit der Hand über die Schläfe. Sie hatte wahrlich genug Probleme. Was interessierte es sie, wenn man den Rest der Menschheit ausrottete? Da unten kannte sie ohnehin niemanden.
„Wenn du all das weißt, warum bist du dann zu dieser Mission mitgekommen?", fragte Nami.
„Ich wollte deine Mutter schützen. Sie war ... mein interessantestes Projekt. Ich verhinderte erfolgreich, dass man ihre Linie weiterspann, um ihr Leben zu retten. Aber dann hat sie sich in diesen Gewöhnlichen verliebt. Daher schlug ich sie und mich hierfür vor, um dem Unheil vorzubeugen."
„Du meinst mich?"
Prof schwieg betroffen und begann mit einer der Phiolen auf dem Tisch zu spielen.
„Aber sie war bereits schwanger, deine hehres Ziel ist fehlgeschlagen", sagte Nami verbittert.
„Ja und sie ließen deine Mutter ihren Zorn spüren. Töteten sie nicht einfach über ihr Armband, still und schmerzlos ..." Er presste die Hand zur Faust zusammen.
„Ich durfte das erledigen." Nami hob Kraft ihrer Gedanken eine der Glasapparate vom Tisch an. Ihre aufkeimende Wut zeigte sich in Rissen, die sich wie Spinnennetze über deren Oberfläche woben. „Also hast du ihr das bisschen Zeit, das sie mit ihrem Geliebten haben hätte können, genommen."
„Du sagst es – mit einem Gewöhnlichen! Er war ihrer unwürdig."
„Darum ging es dir doch gar nicht." In Nami keimte ein unguter Verdacht auf. Sie ging auf Prof zu, konzentrierte sich auf seinen Geist.
„Nami, hör sofort auf damit – raus aus meinem Kopf!" Er presste die Hände auf die Ohren. Dabei musste er doch selbst wissen, dass das nichts brachte.
Bilder aus Profs Erinnerung wogten an Namis geistigem Auge vorbei. Eine unerfüllte Liebe, die Absage auf dem Raumschiff. Aber da war noch mehr, Hunderte von Jahren in der Vergangenheit. Sie konnte die Eindrücke nicht sammeln, sich nicht fokussieren. Noch nie war sie in einen so weit zurückblickenden Geist eingedrungen.
„Schluss jetzt!" Es war, als katapultiere er sie aus seinem Inneren heraus. Nami prallte zurück, das eben noch gehobene Glas fiel in feinen Splittern zu Boden.
„Du hast sie ihm nicht gegönnt – darum ging es dir!", brüllte sie. Ihrer Stimme wurde durch die aus ihr brechende psychokinetische Kraft noch verstärkt, brachte die Umgebung zum Erzittern.
„Sie hatte etwas Besseres verdient!"
„Etwas Besseres als Liebe? Ein Funken Normalität?!"
„Was verstehst du schon von Liebe? So etwas gibt es hier nicht. Dein Leben lang hast du die Weisungen eines äußerst rational denkenden Computers befolgt!"
„Du hast ja keine Ahnung!" Sie wusste, was Liebe war oder glaubte es zumindest. Das Gefühl, sich an einen Menschen schmiegen zu wollen, eins mit ihm zu sein. Das leidenschaftliche Verlangen sich mit ihm zu vereinigen.
„Geh mir aus dem Weg", sagte sie mit bebender Stimme.
„Lass uns noch einmal darüber reden. Es gibt da noch etwas ..."
Gegen die immense Kraft, die die riesigen Tore zuhielt, drückte Nami sie auseinander. Das Geräusch aneinander reibenden Metalls erfüllte quietschend den Raum. Sie musste sich beherrschen, um nicht die Hände auf ihre empfindlichen Ohren zu halten. Sie ignorierte die jämmerliche Gestalt, die sich furchtvoll zu Boden gekauert hatte und verließ das Labor.
„Es ist nie zu spät für eine zweite Chance", murmelte Prof ihr hinterher. Er ging hinüber zu seinem Computer, gab einen Befehl ein, worauf sich die Wand rechts von ihm verschob. Die Ansammlung von Gerätschaften verschwand und zum Vorschein kam ein gut zwei Meter großer Behälter voller Flüssigkeit. In ihrem Inneren schwamm die gut erhaltene ältere Version von Nami. Prof legte die Stirn an das kühle Glas.
„Nur noch ein wenig mehr Conscientum ..."
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