Kapitel 2-4

Kurz entschlossen entsicherte sie ihr Gewehr und stellte die Munition vorsorglich auf gefrorenen Sauerstoff um. Angeblich die beste Methode die Lilim auszuschalten. Blieb zu hoffen, dass sie auf keine treffen würden.

Das Innere der Höhle erwies sich als ein Gewirr aus Gängen. Das Licht ihres Helms reichte nicht aus, um die nach hinten immer größer werdenden Gebilde völlig auszuleuchten. Bibi schien sich beeilt zu haben, denn von ihm war keine Spur zu sehen. Also musste sie wohl oder übel tiefer in die Höhle des Löwen. Die ständigen Ultraschallgeräusche hier unten brachten sie durcheinander. In diesem Moment verfluchte sie ihre Biologie, die es ihr ermöglichte, diesen Frequenzbereich zu hören, aber nicht, ihn zu überhören. Durch die vielen Reflexionen an den Wänden entstand kein sinnvolles Bild vor ihrem geistigen Auge. Einzig die Wahl des richtigen Gangs wurde ihr dadurch erleichtert.

Je tiefer sie in das Gebiet eindrang, desto unebener wurde der Boden. Wie ein umgepflügter Acker war die Erde aufgeworfen und nicht immer trittfest. Unbehaglich überprüfte sie regelmäßig die Wände, die mit Rissen unterschiedlicher Größe durchsetzt waren. Sie erinnerten eher an Krallenspuren, denn an natürlichen Verfall.

Namis Herz schlug vor Aufregung immer schneller. Das Gefühl von Gefahr schlug ihr regelrecht entgegen und vermischte sich mit der Wut auf Bibi. Es war so dumm hier zu sein. War da ein Geräusch? Ruckartig wandte sie sich um, ihr Finger übte leichten Druck auf den Abzug des Gewehrs aus. Aber da war nichts. Zögerlich ging sie weiter. Das Gefühl beobachtet zu werden begleitete sie, aber das war wohl eher ein Hirngespinst denn Realität. Der Chip hätte sie beruhigt, ihre Gefühle gedrosselt und Platz für Rationalität geschaffen. Nun wusste sie, wie sich die Gewöhnlichen allzu oft fühlen mussten. Eine scheinbare Ewigkeit später entdeckte sie Licht aus der Öffnung eines weiteren Tunnels. Mittlerweile hatte sie derartig viele Höhlen und Gänge passiert, dass sie fürchtete, nicht mehr zurückzufinden. Den Rest des Weges rannte sie. Unter ihren Füßen bemerkte sie etwas Glitschiges. Angewidert zog sie die klebrige Masse von ihrem Stiefel und betrachtete sie im Schein ihrer Kopfleuchte. Sie erinnerte an rohes, jedoch durchscheinendes Fleisch. Dem Geruch nach könnte es direkt von Bibis Achselbereich stammen. Sie ließ den Klumpen achtlos wieder fallen und setzte ihren Weg fort, stets darauf bedacht, weiteren davon auszuweichen. Dann sah sie ihn endlich vor sich. Er hockte inmitten eines Raums, der nahezu kreisförmig und mehrere Schritt breit war. Beim Eintreten bemerkte sie, dass dieser sich viele Meter weit nach oben hin hochschraubte. Ihre Lampe reichte nicht aus, um die Größe gänzlich zu ermessen. An den Wänden entdeckte sie ähnliche fleischige Gebilde wie auf dem Gang. Nur formten diese hier eine Art Netzwerk. Bildete sie sich das nur ein, oder pulsierte die Masse?

Bibis Blick war starr auf einen besonders großen Klumpen vor sich gerichtet. Sein Gesicht drückte sonst schon nicht besonders viel Intelligenz aus, aber im Moment wirkte er fast stoisch. Sein Gebaren ließ ihre Wut für einen Moment verschwinden und machte einem befremdlichen Gefühl von Interesse Platz. Sie trat neben ihn und stellte erschrocken fest, was ihn derartig fesselte:

Er hatte das verschwundene Team entdeckt. Sie befanden sich inmitten der fleischigen Masse. Der erste lag seltsam verkrümmt da. Ein roter Nebel umwölkte ihn – wahrscheinlich sein eigenes Blut. Der Blick der rot geränderten Pupillen drückte blankes Entsetzen aus. Viel interessanter war jedoch der Ultrasonic. Er schien tatsächlich noch zu leben. Üble Galle stieg in Namis Hals auf, als sie sah, was mit ihm passierte: Er war nicht alleine in der Masse. Um ihn herum wimmelte eine Unzahl von Käfern, die einen Tunnel in seinen Hinterkopf gefressen hatten. Suchten sie sich den Weg zu dem Chip? Sie griff sich an den Hinterkopf, wo wenige Zentimeter unter der Haut die Elektronikkomponente eingepflanzt war. Ihre Haut begann zu kribbeln, als würde ein kalter Hauch darüber streichen. Eine böse Vorahnung überkam sie. War es möglich, dass er fremdgesteuert wurde? Waren sie bewusst hierher gelockt geworden?

„Achtung Bibi, das ist eine Fa ..." Sie brachte den Satz nicht zu Ende, denn schon wurde sie von den Beinen gerissen. Eine klauenbewehrte Hand griff aus der Erde nach ihrem Bein und riss sie mit sich.

Bibi verließ seine starre Haltung blitzschnell. Mit einem flinken Hieb einer seiner Klingen trennte er das Glied des Angreifers vom restlichen Körper ab. Ein Geruch nach verbranntem Fleisch drang in ihre Nase.

Er riss sie auf die Beine und prallte zurück. Eine Art biologisches Geschoss aus Horn hatte ihn getroffen und sein Visier durchdrungen, doch knapp vor seinem Gesicht war es abgebremst worden.

„Nicht rausziehen!", wollte Nami ihn noch warnen, aber es war zu spät. Ruckartig entfernte er den Dorn und setzte sich somit der Atmosphäre Namic III's aus. Im Gegensatz zu Nami war er nicht ausreichend an den hohen Sauerstoffgehalt angepasst.

Eine Salve weiterer Geschosse folgte aus den Tiefen des Tunnels. Mit einem beherzten Stoß beförderte Nami ihren Begleiter und sich aus der Schussbahn. Sie beeilte sich, ihr Beatmungsgerät aus dem Anzug zu nehmen. Bibi begann bereits zu hyperventilieren.

„Versuchen Sie nicht zu atmen. Sie fügen ihrem Gehirn irreparable Schäden zu!"

„Das aus Ihren Mund", keuchte er neben ihr, „hätte nicht gedacht, dass sie mich für behirnt halten."

Er grinste schwach. Nami stellte die Sauerstoffkonzentration in ihrem Gerät auf ein erträgliches Maß herunter und presste es ihm auf den Mund.

„Einatmen!"

Ein Hieb, ähnlich eines Presslufthammers, warf sie zur Seite. Bibi zögerte nicht lange und schoss auf das Wesen, das aus dem Erdreich ragte. Es erinnerte an eine übergroße Gottesanbeterin mit einem braunen Chitinpanzer. Offensichtlich war der Lilim nicht begeistert darüber, dass Bibi ihm eben den Arm abgehackt hatte.

Der Kugelhagel war kaum in der Lage seinen mächtigen Panzer zu durchdringen, stieß ihn aber ein Stück zurück. Nami griff nach ihrem Gewehr, das ihr zu Boden gefallen war und zielte auf die, mit gewaltigen Reißzähnen ausgestattete, Fratze. Sie feuerte ihre Munition mit gefrorenem Sauerstoff flächig auf das Gesicht, in der Hoffnung, seine Atemwege zu blockieren. Offensichtlich mit Erfolg, denn gleich darauf stürzte das Wesen nach hinten und versuchte verzweifelt seine Atemorgane zu befreien. Es würde tot sein, bevor es erfolgreich war. Nami sprang auf, stellte Bibis Waffe mit einem mahnenden Blick auf Sauerstoffmunition um und eilte voran.

„Wir müssen hier raus!"

„Was ist mit dem Ultrasonic?"

„Dem kann keiner mehr helfen."

Die bisherige Ruhe in den Gängen war einem steten Schab- und Wühlgeräusch gewichen. Ein Wesen ähnlich einer gigantischen Schabe landete vor ihren Füßen. Bibi fackelte nicht lange und trat den Lilim, der fast so groß wie er selbst war, nach hinten. Mit einer ganzen Salve aus seiner Schusswaffe beendete er jeden weiteren Widerstand.

„Sparen Sie sich ihre Munition. Die sterben auch ohne, dass sie sie in Eisklötze verwandeln."

Bibi nickte ihr zu. „Kennen Sie den Weg hier raus?"

„Mehr schlecht als recht. Kommen Sie!"

Nami versuchte sich krampfhaft zu erinnern. Aber das wenige Licht ihrer Kopflampen reichte für eine ordentliche Orientierung einfach nicht aus. Die Geräusche um sie herum machten sie zusätzlich nervös. Es klang, als würde gleich eine ganze Armee dieser Monstrositäten über sie herfallen.

Ein Geschoss, das sich in ihr Bein bohrte, ließ sie innehalten. Einen derartigen Schmerz hatte sie schon lange nicht mehr gespürt. Instinktiv sank sie zusammen und presste ihre Hand auf die Wunde. Von dem Angreifer war jedoch keine Spur. Ein Aufblitzen vor ihrem Gesichtsfeld verriet ihr einen weiteren Angriff. Sie konnte gerade noch rechtzeitig reagieren und das hornige Projektil in der Luft aufhalten. Mit einem Wischen der Hand ließ sie es zu Boden fallen. Jetzt wünschte sie sich, sie wäre ihren Übungen ernsthafter nachgegangen.

Die bisherigen Angriffe schienen eher probeweise gewesen zu sein, denn nun kamen in regelmäßigen Abständen weitere der harpunenähnlichen Attacken. Bibi versuchte sie so gut es ging mit seinem Körper zu schützen. Die Einschläge brachten ihn nur dazu, das Gesicht zu verziehen. Er schien Schmerzen gewohnt zu sein.

„Können Sie laufen?", fragte er gepresst.

„Muss ich wohl."

„Ich kann Sie auch tragen."

„So viel Romantik hätte ich Ihnen gar nicht zugetr ... Aufpassen!"

Sie konnte gerade noch so ein Geschoss davon abhalten, sich in Bibis Hinterkopf zu bohren. Es vibrierte, gehalten durch ihre psychokinetischen Kräfte, knapp hinter ihm, bis sie es zu Boden fallen ließ. Und nun sah sie auch für einen Moment den Verursacher: Sie ähnelten Würmern mit breiten, bezahnten Mäulern. Ihre Größe war unmöglich abzuschätzen, da sie nur kurz mit dem Kopf aus dem Boden, der Decke oder gar den Wänden kamen, um ihre Ladung abzufeuern.

Nami unterdrückte den Schmerz so gut es ging und lief los. Vor ihnen machte sie zwei Durchgänge aus. Aus dem Rechten quoll eine ganze Horde der Lilim hervor, darum wählte sie den Linken.

Aber abschütteln konnte sie die Masse an Feinden nicht. Sie bewegten sich zwar auffällig langsam, kamen aber unaufhaltsam hinter ihnen her. Das Klicken ihrer Scheren und das scharfe Reißen ihrer Klauen über den Boden tönten wie ein Crescendo in ihren Ohren wieder.

Vor ihnen fielen weitere der Lilim zu Boden. Sie bewegten sich derartig langsam, dass Nami versucht war an ihnen vorbeizuhuschen. Wahrscheinlich litten sie unter dem Mangel an Kohlendioxid. Die schiere Menge der Wesen blockierte den Weg völlig. Bis sie die alle erledigt hatten, wären ihnen ihre Verfolger schon zu nahe. Und ihr Bein würde nicht mehr lange mitmachen. Bibi handelte instinktiv und zog eine Granate von seinem Gürtel ab.

„Verdammt, nein!", schrie Nami, doch er hörte nicht auf sie und löste den Ring des Sprengkörpers.

„Fresst das ihr Bastarde!" Er warf sie mitten unter die Lilim, fiel dann selbst mit Nami zu Boden und bedeckte sie mit seinem Körper. Die gewaltige Detonation überanspruchte ihre Ohren dermaßen, dass sie seinen üblen Geruch nicht einmal wahrnahm. Stattdessen hörte sie ein stetes Piepen, gemischt mit einem brennenden Gefühl in den Ohrmuscheln.

Vor ihnen gab das marode Gestein unter der Explosion nach und dicke Brocken lösten sich von der Decke. Binnen weniger Sekunden war der Gang völlig blockiert.

„Bravo, Sie haben es diesen Biester abgenommen uns einzukesseln", fluchte Nami, während sie ihn von sich schob. Die Umgebung um sie schien hin- und herzuwackeln. Nur schwerfällig schaffte sie es, auf den Füßen stehen zu bleiben.

„Sie können das doch sicher wegräumen, mit ihrem Psychodingens", drang Bibis Stimme in ihr Bewusstsein.

Tatsächlich war ihr derselbe Gedanke gekommen, aber das Gewicht überstieg ihre Fähigkeiten. Bisher hatte sie vorwiegend mit kleineren Gegenständen geübt, die sie auch selbst zu heben in der Lage war. Diese Steine, großteils voluminöser als ihr Kopf, stellten ein unüberwindbares Hindernis für sie dar. Davon abgesehen war sie damit beschäftigt, sich nicht zu übergeben. Entschieden schüttelte sie den Kopf und sank auf die Knie.

„Das war's dann wohl."

Hinter sich nahmen die Geräusche zu. Die Entfernung konnte sie kaum noch einschätzen. Alles wirkte so unwirklich. Wahrscheinlich blieben nur noch wenige Augenblicke, dann würden sie ihren Verfolgern zum Opfer fallen. Vielleicht sollten sie sich vorher selbst richten, bevor sie wie der Ultrasonic endeten.

„Halten Sie mir den Rücken frei."

Nami sah ihn perplex an. Sie strengte sich an, den Nebel um ihren Verstand zu lichten. Er trat an die Felsbrocken heran. Wollte er sie heben? Dafür bräuchte es sicher mindestens drei oder vier Männer seiner Körperkraft.

Beinahe hätte sie vor Erstaunen aufgeschrien. Mit einer Kraft, die sie nicht einmal ihm zugetraut hätte, hob er einen der Brocken an und warf ihn zur Seite. Allerdings wurde die Lücke sofort wieder von weiteren Steinen von weiter oben gefüllt. Es würde jedoch reichen, so viele zur Seite zu bringen, dass sie oben drüber klettern konnten. Neuer Mut stieg in ihr auf. Vielleicht konnten sie es tatsächlich schaffen. Nami griff sich ihr Gewehr und wandte sich nach hinten.

Kaum waren die Lilim heran, feuerte sie zielgenau auf einen nach dem anderen. Ihre Übungen im Raumschiff waren zwar schon eine Weile her, aber darunter hatte ihre Fähigkeit nicht gelitten. Unter den Angreifenden befanden sich die verschiedensten Gestalten. Manche gingen auf zwei, andere auf vier und wenige sogar auf acht Beinen. Aber alle hatten sie gemein, dass sie sich in einem überschaubaren Tempo bewegten. Nami hatte Videos gesehen, in denen eben das nicht der Fall war. Darstellungen, in denen die Lilim blitzschnell aus der Erde schossen, ihr Opfer töteten und genauso schnell wieder verschwanden. Szenarien, in denen die menschliche Reaktionsfähigkeit an ihre Grenzen gebracht wurde. Hier würde höchstens ihre Waffe an deren Grenzen gebracht. Nami spürte schnell, wie die Halterung immer heißer wurde. Das Gerät kam nicht damit nach, den Sauerstoff tief genug abzukühlen. Zwischenzeitlich feuerte sie immer mal wieder mit Ladung, die die Lilim vielleicht kurzzeitig ablenkte, aber nicht zu töten vermochte.

Hinter sich arbeitete Bibi mit einer Ausdauer, die jeglicher menschlicher Erschöpfung Hohn sprach, aber ihnen lief die Zeit davon.

„Legen Sie 'nen Zahn zu!", fluchte sie und feuerte eine Kugel ab, die das Ziel nur kurz zum Wanken brachte.

„Ich lass mir 'ne dritte Hand wachsen!"

Dann war es soweit: Die vordersten ihrer Feinde waren vielleicht noch zehn Meter entfernt und ihr Gewehr war mittlerweile so brennend heiß, dass sie es aus der Hand nehmen musste.

Bibis Gewehr, das nutzlos am Boden lag, könnte sie niemals heben. Ihr blieben nicht mehr viele Möglichkeiten, wenn sie sich ihnen nicht im Faustkampf stellen wollte.

Nami legte den Helm ab und ging in die Knie. Ihr Haar stellte sich wie elektrisch geladen auf und richtete sich den Anrückenden entgegen.

Sie hatte es oft genug mit ihrer Mutter geübt, in einen fremden Geist einzudringen. Aber nie gegen dessen Willen. Hinzukam, dass der der Lilim ein völlig anderer war, als der eines Humanoiden. Sie fokussierte sich auf ein zweibeiniges Wesen mit übergroßem Kopf. Ihr Geist drang in den des Lilim ein. Eine Woge aus vermischten Gefühlen drang ihr entgegen. Hass, Angst, unbändigende Entschlossenheit. All dies angetrieben durch den emsig arbeitenden Verstand des Wesens. Aber da war noch mehr. Als wäre da eine darüberstehende Instanz, ähnlich des Chips in ihrem Kopf, die dieses Wesen beeinflusste.

Es kostete sie viel Willenskraft, aber schlussendlich gelang es ihr. Gewaltsam trennte sie die Verbindung zu diesem übergeordneten Sein, ehe sie versuchte den Verstand des nun autark handelnden Lilim zu korrumpieren.

Es war wie eine Bedienungsanleitung für eine komplizierte Maschinerie zu lesen, nur weniger deutlich. Als fühle sie mit den Fingern in einer warmen Masse, um irgendetwas daraus blind herauszufischen. Sekunden vergingen, die ihr wie Minuten vorkamen. Dann endlich hatte sie die Kontrolle über einige seiner Körperfunktionen. Das musste reichen.

Sie zwang ihn, seine Muskeln aufs Äußerste anzuspannen und nicht mehr zu erschlaffen. Er würde unfähig sein zu atmen. Der Geist des Wesens verdunkelte sich vor ihr, bis es endgültig starb. Mit einem gierigen Lächeln wandte sie sich dem nächsten zu.

Ihr Haar gleißte hell auf und ließ das Dunkel um sie herum aufleuchten. Mit jedem Lichtblitz starb ein weiterer Lilim. Röchelnd sanken sie in sich zusammen, ihres Lebens grausam beraubt. Nami suhlte sich in dem Gefühl der Macht. Sie genoss es Herr über diese erbärmlichen Gestalten zu sein. Doch ihr Tun forderte seinen Tribut. Mit jedem Mal fiel es ihr schwerer, in das Bewusstsein der Lilim einzudringen. Ihre Gedanken klebten wie zäher Schleim auf ihrem Geist. Die Zeit schien zu gefrieren. Nur noch langsam fielen sie zu Boden, während der Nachschub unaufhaltsam nach vorne rückte.

Ihr Blick verdunkelte sich und ein stechender Schmerz breitete sich in ihrem Kopf aus. Es fühlte sich an, als würde Bibi eine weitere Granate zünden. Direkt in ihrem Schädel. Sie presste die Hände an ihren Kopf. Durchhalten, weitermachen. Ihre Lider flatterten und das Bild vor ihren Augen verschwamm. Die blitzenden Haare schienen außer Kontrolle und schlängelten umher. Aufs Geratewohl trieb sie ihren Geist voran, versuchte in den erstbesten Feind einzudringen. Die Barriere zu dessen Geist schien undurchdringlich, als wolle sie durch eine massive Felswand laufen. Mit jedem Versuch ergriff die Schwäche noch mehr Macht von ihr. Dann Schwärze. Nami brach zusammen.

„Jetzt lass mich nicht hängen Chefin!", ächzte Bibi, als er einen Blick nach hinten warf. Er ließ von seinem Tun ab und griff nach seiner Waffe. In Sekundenschnelle feuerte er drauf los und erledigte die Nahestehenden. Die heiß gelaufene Waffe warf er danach kurzerhand in die folgende Menge. Er griff sich Nami und hob sie vom Boden auf, als wöge sie nichts. Noch hatte er nicht genug Material zur Seite geräumt, um über den Haufen klettern zu können. Dennoch wagte er den Aufstieg. Mit seinem freien Arm hangelte er sich an einem wuchtigen Felsbrocken hinauf. Sein Arm spannte sich, als würde er gleich explodieren. Die Lilim ließen ihm mehrere ihrer Horngeschosse folgen.

Sie durchdrangen mehrfach den Anzug, worauf helles Blut über seinen breiten Rücken lief. Aber das konnte ihn nicht aufhalten. Er trat einen Widersacher zurück, der von unten nach ihm griff. Mit einem beherzten Sprung gelangte er zu dem nächst höher gelegenen Felsen. Ein Blick zurück verriet ihm, dass die Lilim gute Kletterer unter sich hatten. Mit ihren scharfen Krallen verhakten sie sich in dem Gestein und krabbelten ihm unaufhaltsam hinterher.

Bibis Gesicht war schweißgebadet. Die heiße Atemluft beschlug sein Visier und verschleierte seine Sicht. Er versuchte vergeblich, ihn von außen sauber zu wischen und setzte seinen Aufstieg fort. Einem Ziel entgegen, welches er nicht erreichen konnte. Zwar war am höchsten Ende des Geröllhaufens bereits ein Loch in Sicht, aber viel zu große Brocken versperrten ihm den Weg.

Er sah noch einmal zurück. Nicht mehr lange, bis sie ihn einholen würden. Wenige Meter vor sich endete sein Weg. Mit einem waghalsigen Sprung überbrückte er den letzten Abgrund und prallte gegen die Kante des Steins. Der Atem wurde ihm mit erbarmungsloser Gewalt aus den Lungen gedrückt. Mit der Linken suchte er Halt, rutschte aber unweigerlich weiter nach unten. Nami drohte ihm aus dem Arm zu gleiten. Unter sich wartete die Meute schon auf seinen Absturz. Er verlagerte sein Gewicht kurz nach hinten, um Nami an seinen Körper zu pressen. Dabei glitt sein Arm von dem Felsen und er sackte nach unten. Ein kleiner Vorsprung im Gestein gab seiner Hand ein letztes bisschen Halt.

Bibi setzte alles auf eine Karte: Sein Körper erschlaffte einen Moment und streckte sich in die Länge. Unter Anspannung all seiner Muskeln riss er Nami in die Höhe und warf sie hoch. Ihr Oberkörper blieb an der Kante hängen. Mit der freien Hand griff er nach einer seiner Klingen und rammte sie über sich gegen das Gestein. Das Metall zerbrach unter der Wucht des Aufpralls. Fluchend griff er nach der anderen. Unter seiner Handfläche begannen sich schon kleine Körnchen zu lösen. Die zweite Waffe brachte ihm mehr Glück ein: Sie bohrte sich in den Felsen und gab ihm kurzfristig Halt, um sich weiter nach oben zu bugsieren. Erschöpft krabbelte er über die Kante und zog Nami hinter sich her. Ihr Kopf hatte den Sturz auf den Felsen gut überstanden. Ein Rinnsal Blut troff von ihrer Stirn. Auf der anderen Seite wagten die ersten Lilim bereits den Sprung zu ihnen herüber. Noch waren die kleinsten Exemplare ganz vorne, welche kreischend in die Tiefe fielen. Doch die größeren zweibeinigen würden gleich ihren Platz einnehmen. Bibi nahm die Granate von Namis Gürtel und entsicherte sie.

„Alles oder nichts, Sir."

Er warf sie mitten in den Haufen und sich selbst schützend über Namis Körper. Kurz darauf brandete der Druck der Explosion wütend über ihn. Nur mit Mühe konnte er sich oben halten. Den Lilim erging es schlechter. Sie gerieten mitten in die Detonation und wurden meterweit davongeschleudert. Der Druck hatte ein breites Loch in den Haufen gerissen. Von oben drohten bereits weitere Felsen herunterzubrechen. Ein Unheil verkündendes Schleifen von Stein auf Stein trieb Bibi an. Er riss sich nach oben, zog Nami mit sich und erreichte mit einem waghalsigen Sprung die Lücke. Ein Knacken seiner Knie konnte ihn nicht aufhalten und er preschte hindurch. Sekundenbruchteile später schloss die Lücke sich polternd. Einige Klumpen erfassten ihn und warfen ihn auf der anderen Seite von dem Haufen herunter. Reflexartig drehte er seinen Rücken nach unten und presste Nami an sich. Der Aufprall raubte ihm fast das Bewusstsein.

Für einen Moment schien sogar er am Ende seiner Kräfte, haderte damit, aufzustehen.

Er presste knirschend die Zähne zusammen, stemmte seine Vorgesetzte in die Luft und richtete sich mühselig auf. Seine Kopflampe war ausgefallen und Namis flackerte unstet durch den Gang. Fast blind lief er los, hetzte ungelenk voran. Die aufgeworfene Erde brachte ihn mehrmals zum Stolpern, aber er war wie in einem Rausch. Dann wurde es endlich heller.

Fluchend blieb er am Ausgang stehen. Nami trug keinen Helm. Der Regen würde ihren zierlichen Schädel wegätzen. Kurz entschlossen nahm er den seinen ab und versuchte sich selbst durch seinen Arm vor dem Regen zu schützen. Das Unwetter war zwar um einiges schwächer geworden, wirkte aber nicht weniger ätzend. Vor Schmerz verzog er das Gesicht. Seine Haut warf brennende Blasen. Er ließ Nami unsanft auf den Gleiter fallen und sprang ihr hinterher.

Ihre Augen öffneten sich flatternd.

„Bibi ...?", hauchte sie.

„Festhalten!"

Ohne weiter darüber nachzudenken, kam sie seinem Befehl nach. Keine Sekunde zu spät, denn er ließ sich keine Zeit mit vollem Schub loszufahren. Er presste die Augen zusammen um sie gegen die Säure zu schützen. Durch seinen Ultraschall nahm er die Umgebung ausreichend wahr. Die Fahrt war eine schreckliche Tortur. Unter dem abschüssigen unebenen Gelände geriet der Gleiter immer wieder ins Schlingern und touchierte mehrfach mit lautem Krachen den Boden.

Nami fürchtete fast, er würde zerbrechen. Sie realisierte noch kaum, was um sie herum passierte. Nur den prasselnden Regen, den widerwärtigen Geruch. Gewaltsam unterdrückte sie den Würgereiz, der sich angesichts ihrer Schwäche immer stärker bemerkbar machte. Durch das Loch in ihrem Helm, gelangten schweflige Gase in ihre Lunge, die ein intensives Brennen verursachten. Sie fieberte dem Ende der Fahrt mehr denn je nach. Endlich spürte sie das gewohnte Ziehen – sie waren dem Ziel schon nahe. Bibi ließ dem Tor keine Zeit sich vollständig zu öffnen. Funkenschlagend streifte der Hovergleiter das Stahltor. Unten angekommen, überließ er wohl das Steuer sich selbst, worauf das Gefährt schlingernd zum Stillstand kam.

Bibi sank auf die Knie und presste die Hände auf sein Gesicht. Nami hustete unkontrolliert und versuchte den Reiz zu unterdrücken. Möglicherweise zersetzte sich gerade ihre Lunge und ihr stand ein grauenhafter Erstickungstod bevor.

„Bibi, alles in Ordnung?!" Sie nahm all ihre Kräfte zusammen und stemmte sich nach oben. Ihre Beine drohten unter ihr nachzugeben. Mit wankenden Schritten ging sie auf seinen zitternden Körper zu.

„Ich dachte schon, Sie nennen mich nicht mehr so", kam es dumpf von unten.

„Ihren Programmnamen habe ich in der Hektik vergessen", versuchte sie scherzhaft zu sagen, aber es misslang. Sie legte die Hand auf seine Schulter.

„Konnte mir Ihren noch nie merken, Sir."

„Nennen Sie mich einfach Nami."

Er wandte ihr das verbrannte Gesicht zu, welches sie kaum wiedererkannte. Vor Schrecken trat sie einen Schritt zurück.

„Verdammt schöner Name, Sir."

Der klägliche Versuch eines Grinsens gefror. Sein Blick drehte sich nach innen und er sank vor ihr zusammen.

Sie sprang zu ihm und rüttelte seine Schulter.

„Bibi, wachbleiben! Das ist ein Befehl, verdammt nochmal!"

Sie sah sich fieberhaft um, sprang vom Hovergleiter. Ihre Knie gaben unter der Belastung nach und sie prallte brutal auf dem Betonboden auf. Der Sauerstoffgehalt in der Garage entsprach terranischen Verhältnissen, was ihr zunehmend das Gefühl vermittelte zu ersticken.

„Hilfe!", krächzte sie mit versagender Stimme. Der Würgereiz ließ sich nicht länger beherrschen und sie erbrach sich in den übergroßen Helm. Mit zittrigen Händen riss sie ihn von sich, warf ihn achtlos beiseite. Auf allen Vieren robbte sie weiter, erreichte die Treppe und hievte sich an dem Geländer empor. Stufe um Stufe kämpfte sie sich nach oben, während ihr saure Galle über das Kinn troff. Der rote Schalter war nur noch wenige Meter entfernt. Die Zeit gefror, während sie um jeden Millimeter kämpfen musste. Ihre Finger bekamen hartes Plastik zu fassen. Eine laute Sirene hallte wie von weit entfernt in ihren Ohren. Die Garage wurde in gleißend rotes Licht getränkt.

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