Kapitel 2-1
Noch bevor sich das Licht einschaltete, wachte Nami auf. Ihr Haar streifte blitzend über ihr Kopfpolster und ließ den Raum immer wieder kurz aufleuchten. Sie hatte Kopfschmerzen und die Informationsflut, welche sofort auf ihr Bewusstsein eindrang, steigerte das noch. In solchen Momenten wünschte sie sich, sie könnte den Chip zumindest für ein paar Sekunden abschalten.
Namis Augen fühlten sich trocken an, die Hände rissig. Fast blind griff sie nach ihrer Kommode, während es um sie herum immer heller wurde. In der Aufregung hatte sie vergessen, genügend Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Von oben prasselte der Regen gegen das Glasdach. Er sprach der künstlichen Erzeugung eines Sonnenaufgangs in ihrem Zimmer Hohn.
Ihre Finger bekamen eine Plastikflasche zu greifen. Nami trank sie mit mehreren Zügen aus. Eine weitere suchte sie vergeblich. Blinzelnd öffnete sie die Augen, die sich rasch an die zunehmende Helligkeit gewöhnten.
Sie war früh dran. Genug Zeit sich eine Dusche zu gönnen und ausgiebig Nahrung aufzunehmen. Während sie sich ein Handtuch aus dem Schrank kramte, sammelten sich hinter ihr die Puzzlesteine und schwebten zurück zum Beistelltisch. Sie schlang das Tuch schützend um sich und ging Richtung Tür. Auf dem Weg hob sie ihren Anzug vom Boden auf, beförderte danebengegangene Steine an ihren Platz und schloss die Deckenklappe. Fast lautlos glitt der Metallschild über das Glasdach. Das monotone Plätschern von oben wurde gedämpft.
Auf dem Gang musste sie auf ihr Beatmungsgerät wechseln. Einmal hatte sie das vergessen und binnen weniger Schritte, nach Atem ringend, am Boden gelegen. Sie entsorgte ihre Flasche in der wandintegrierten Müllklappe. Der Weg zum Duschraum war nicht weit. Ein Glück, dass sie zeitig dran war. So hatte sie den gesamten Raum für sich alleine.
Der, mit angerauten Fliesen ausgelegte, Bereich war noch dunstig von den letzten Besuchern. Wahrscheinlich Teile der Crew, die tagsüber gearbeitet hatten und gerade erst zu Bett gegangen waren.
Nami steckte ihren Anzug in den Dampfreiniger, einen metallische Behälter, der ihn schneller reinigte, als sie selbst sauber war. Sie nahm sich die erstbeste der verdunkelten Duschkabinen, hängte das Handtuch auf und drehte den Hahn auf. Der Gedanke sich mit demselben Wasser zu waschen, das schon mehrfach über die Körper anderer Crewmitglieder geflossen war, brachte sie jedes Mal zum Erschaudern. Nicht umsonst nannten manche diesen Bereich die Recyclingdusche. Trotz ihres immensen Dursts, verkniff sie sich deswegen den Reflex, das Duschwasser zu trinken. Der Strahl massierte durch seine Stärke angenehm ihre Schultern. Die Bodenabsaugung – ein Relikt der Reise hierher – machte sogar aus kleinen Wassermengen ein regelrechtes Erlebnis. Sie gönnte es sich, ihren Geist noch ein wenig dösen zu lassen.
Wenige Minuten später rubbelte sie sich mit dem Handtuch ab. Die Haare ließ sie an der Luft trocknen. In feuchtem Zustand neigten sie allzu oft dazu, sich an ihren Fingern zu entladen. Ein Gefühl, das sie lieber vermeiden wollte. Noch immer war sie alleine hier, aber vom Gang hörte sie leises Fußgetrappel. Sie entnahm den bereits fertigen Anzug aus dem Reiniger und beeilte sich ihn anzuziehen. Es würde ihr gerade noch fehlen, dass irgendjemand hier hereinkam und sie wie eine Aussätzige musterte.
Auf ihrem Zimmer zog sie noch die Stiefel an und klemmte sich den klobigen Helm unter den Arm. Die geringere Gravitation in der Basis hatte auch etwas Gutes. Sie konnte ihre schwere Ausrüstung ohne Anstrengung tragen.
Die Kantine, im Herzen der Basis angesiedelt, wurde sowohl von den ehemaligen Bewohnern Edens, als auch den Gewöhnlichen genutzt. Dementsprechend war ihre Einrichtung auch in dem kläglichen Versuch, dem Raum Leben einzuhauchen, gewählt. Die Wände waren mit einer hellen Holzvertäfelung verkleidet, die im Kontrast zu den metallischen Essensausgaben stand. In den Ecken hatte man Palmen aufgestellt – natürlich aus Kunststoff. Der dicke Staub darauf, dem auch die modernste Absaugung nichts entgegenzusetzen hatte, ließ Nami prinzipiell einen Bogen darum machen.
Ohne die weiteren Anwesenden zu beachten, ging sie schnurstracks zu einem der Automaten. Im Grunde waren es einfache Fließbänder. Man gab ein, was man wollte, und kurze Zeit später rollte es einem schon entgegen. Das Angebot an Speisen war sehr begrenzt. Man konnte auswählen, auf welche Art die radiotrophen Pilze zubereitet wurden. Es waren schon weitere Tasten für diverse Gemüsesorten vorgesehen, jedoch durften sie darauf wohl noch einige Wochen warten. Bei den Getränken hatte man eine breitere Auswahl. Nami wählte achthundert kcal zum Essen und bestellte sich gleich einen neuen Vorrat an Wasserflaschen für ihr Zimmer. Das Ganze rollte ihr kurz darauf auf einem einfachen Tablett entgegen.
Im hinteren Teil fand sie einen leer stehenden Tisch. Von dort aus hatte man eine schlechte Sicht auf den Fernseher, der uralte Erdenfilme abspielte. Es bestand also keinerlei Gefahr, dort gestört zu werden. Selbst die meisten Edener suchten unverständlicherweise während des Essens nach einem Zeitvertreib.
Die Pilze waren zäh. Nami war dankbar Teil des P.E. Projekts und nicht auf allzu viel davon angewiesen zu sein. Allein das ständige Abnehmen der Atemmaske kostete unnötige Zeit, die sie wahrlich effizienter nutzen könnte. Es war verrückt. Sie waren die hochentwickeltste Form menschlichen Lebens und mussten hier sitzen und das widerlichste Essen in sich hineinstopfen.
Sie ließ den Blick über die restlichen Tische wandern. Hier aßen vorwiegend Menschen ihrer Art, die heute Nacht auf Außeneinsätzen unterwegs sein würden. Und da war natürlich auch Bibi. Entweder er war nicht schlafen gegangen, oder seine Vorbereitung für ihre Mission bestand darin, sich zu betrinken. Er saß mit zwei weiteren Mitgliedern der Ultrasonics-Einheit ein paar Tische weiter und bemühte sich, die Alkoholvorräte in Massen zu vernichten. Sie sollte ihm Einhalt gebieten. Er brachte sie beide in Lebensgefahr, wenn er betrunken den Gleiter lenkte. Der fremde Planet ließ manche wohl glauben, dass Disziplinlosigkeit nicht geahndet würde. Die Gabel in ihrer Hand begann zu vibrieren, während sie diese mit immer stärkerer Gewalt griff.
„Schon so früh am Üben? Zum Leidwesen unseres Geschirrs?"
Namis Blick wanderte zu ihrem unerwarteten Gegenüber. Prof hatte sich mit einem hochdosierten Koffeingetränk an die andere Tischseite gesetzt. Schlief dieser Mann überhaupt jemals? Seine Augenringe waren so tief, dass man versucht war, einen Finger hineinzustecken. Und jeden Morgen schlürfte er sich diesen Mist in den Schlund.
Schuldbewusst bog sie die Zacken der Gabel zurück und legte sie auf den Tisch.
„Offensichtlich hat sich dein Gemütszustand seit gestern Abend nicht gebessert."
„Nein, ich fühle mich immer noch unbehaglich", erwiderte sie spitz.
„Wieder ein unpassender Begleiter?"
„Könnte man so sagen. Ich fürchte Willingston versucht mich zu ärgern und schickt mir einen Affen nach dem anderen."
Prof legte den Kopf schief und schmunzelte. „Unter den Ultrasonics wirst du kaum etwas Besseres finden. Ihr zusätzliches Organ lässt weniger Platz für ein ausgeprägtes Hirnvolumen. Davon abgesehen macht ihre Dümmlichkeit sie leichter zu beherrschen. Ein trister, aber unumgänglicher Zustand."
„Wir züchten also bewusst Primaten heran?", fragte sie entgeistert. „Und das ist die Zukunft der Menschheit?"
„Sie erfüllen ihren Nutzen."
„Dann kann ich ja froh sein, dass ich auf zwei Beinen gehen kann."
„Die Psionik erfordert eine gewisse geistige Fähigkeit. Glaub nicht, dass es nicht versucht wurde."
„Kann ich nicht eine andere Art Begleiter haben?"
Prof schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich fürchte das würde sich keiner antun wollen."
„Willst du damit sagen, es liegt an mir?!"
„Weißt du, so schlimm ist der Mann gar nicht", lenkte Prof rasch vom Thema ab, „er hat einige interessante Züge. Wusstest du, dass er Flöte spielt?"
„Flöte?"
„Ein urzeitliches Blasinstrument aus Holz. Simple Bauweise."
„Zu welchem Zweck?"
Er hob beide Schultern. „Es scheint ihn in irgendeiner Art und Weise zu befriedigen. So wie der Umgang mit den Robo-Maiden und der Genuss von Alkohol."
„Er lässt sich von diesen mechanischen Huren befriedigen? Das ist zu viel!"
Nami schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Sie musste ihn loswerden. Nur wie?
„Das tut ein Großteil der Besatzung."
„Müsste sein Chip seine Triebe nicht im Zaum halten?"
Erneut hob er die Schultern. „Wie gesagt, er ist interessanter, als man glauben mag. Er muss einen Weg gefunden haben, den Einfluss zu lindern oder gar auszuschalten."
„Das ist nicht erlaubt!"
„Was willst du tun? Ihn ausschalten? Seine soziale Integrität bei den Gewöhnlichen würde uns nur unnötige Scherereien machen. Mal ganz davon abgesehen, dass seiner Existenz eine erhebliche finanzielle Investition zugrunde liegt. Vielleicht solltest du einfach versuchen, mit ihm ein Auskommen zu finden."
„Ich schenk ihm eine Flöte. Vielleicht ist er derartig dankbar, dass er sich vom Hauptturm stürzt."
Prof wollte gerade etwas entgegnen, da blinkte sein Armband hell auf. Mit einem Seufzer stürzte er sein Getränk hinunter.
„Die Arbeit ruft. Gönn dir doch noch ein Aperitif, das hebt die Laune. Und vergiss nicht, deine Blutwerte zu messen", sagte er mit einem Deut zu den betreffenden Automaten und stand auf.
„Danke, es geht mir gut. Kann deine Arbeit nicht ein wenig warten?"
„Wir sind da an was Wichtigem dran. Tut mir leid."
Damit beeilte er sich auch schon wegzukommen.
„Schön, dass du mir davon erzählst", brummte sie ihm hinterher.
Doch dann kam er noch einmal zurück und schenkte ihr einen tadelnden Blick. Hatte er sie gehört? Das war unmöglich.
„Apropos, nenn mich nie wieder Jamie. James di Gaulle war ein hervorragender Wissenschaftler. Kein Grund sein Erbe in den Schmutz zu ziehen." Er wartete auf keine Antwort und lief aus der Kantine heraus. Nami verkniff sich ein Schmunzeln.
„Das durfte Mama doch auch!", rief sie ihm hinterher, aber er ignorierte es oder war schon außer Hörweite.
Es hatte sie schon gewundert, dass er sie gestern nicht mehr auf ihrem Zimmer aufgesucht hatte, um ihr das zu sagen. Dabei musste er ihr doch danken, dass sie ihn mit dem Namen seines Idols praktisch lobpreiste. Immerhin hatte er mehrere Jahre in Frankreich verbracht, um den Wurzeln dieses Mannes nachzugehen.
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