Kapitel 10-2
Die Gänge waren noch fast leer. Die Gewöhnlichen hatten gerade ihre Schicht beendet und die meisten der Kinder des Ares würden sich noch eine Weile Ruhe gönnen. Bibi wanderte durch die tristen Gänge und nahm den Aufzug nach unten. Es fühlte sich dieses Mal an, als führe er ihn direkt in die Hölle. Instinktiv griff er nach den elektrisch geladenen Klingen an seiner Seite und presste die Hand auf deren Griffe. Sie gaben ihm ein fälschliches Gefühl der Sicherheit.
Unten angekommen bemerkte er, dass das Licht bereits eingeschaltet war. Das bedeutete, er war dieses Mal nicht der Erste. Im hinteren Teil der Anlage sah er zwei Personen, die miteinander sprachen. Er führte seine Magnetkarte in den Schlitz ein Stück neben dem Aufzug. Über einem der Gleiter leuchtete eine grüne Lampe auf. Der Weg dorthin führte ihn direkt zu den Zweien, die er als seine Begleitung und den Europäer David identifizierte.
„Sie sind aber heute früh dran, Sir."
Nami sah ihn mit einem schwer zu deutenden Blick an. Sie wirkte verunsichert und zugleich freudig erregt.
„Heute ist ein wichtiger Tag", antwortete sie.
„Is' doch wie jeder andere." Bibi sah mit fragendem Blick zu David. „Ham wir heute zusätzliches Gepäck?"
Nami grinste zu David herüber, dem die Bezeichnung nicht unbedingt zu gefallen schien.
„David begleitet uns heute, ja."
Also rückversicherte sie sich. Hatte wohl Angst, dass etwas schief gehen würde, wenn sie ihn beseitigte. Aber Bibi fürchtete David nicht. Er war kleiner und weitaus schwächer als er. Nachdem die Hauptbedrohung aus dem Weg war, würde er ihm das Genick brechen.
„Können wir gleich los?", fragte Nami.
Bibi sah zu dem Tor herüber. „Ist noch 'n bisschen früh. Da sind wir ja vor allen anderen fertig."
„Ich fürchte, heute werden wir etwas länger brauchen."
Bibi verengte die Augen. „Wollen Sie heute ihre Aufgabe ganz besonders gründlich erledigen, oder was?" Er sah zu der Box mit den Magnesiumpatronen.
„Ich erklär's Ihnen später."
„Wir sollten uns jetzt beeilen", schaltete sich David ein.
„Nur keine Hektik", sagte Bibi und betrat die Hoverplattform. Er schaltete den Hover ein und ließ sich dieses Mal viel Zeit, alle Funktionen zu überprüfen. Hinter ihm bemerkte er bereits die Ungeduld der beiden. Die konnten ihn gar nicht früh genug um die Ecke bringen. Bibis Zweifel wuchsen. Hatte er überhaupt eine Chance?
„Na dann mal los." Er parkte den Gleiter aus, fuhr über die Rampe nach oben. Ein Donnergrollen empfing sie und blendete seinen Blick. Er fuhr einfach geradeaus weiter, bis sich seine Augen an das, von grellen Blitzen durchzuckte, Dunkel gewöhnt hatten.
Er wollte den ersten Punkt auf dem Radar ansteuern, aber Nami trat an das Pult und hielt ihn davon ab.
„Wir fahren heute woanders hin." Sie gab neue Koordinaten in das Navigiergerät ein, worauf dieses zurückmeldete, dass sich das Ziel außerhalb des Missionsgebiets befinde. Sie musste mehrmals den Warnungen des Geräts zum Trotz bestätigen, bis es die neuen Koordinaten akzeptierte.
„Heute nicht nach Vorschrift?", fragte Bibi beiläufig.
„Müsste Ihnen doch gefallen", erwiderte sie.
David saß mit verschränkten Armen am hinteren Ende des Gleiters. Er war auffällig schweigsam geworden. Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen. Immerhin schaltete man die Ultrasonics aus, um Platz für die Leute der EAU zu machen. Das war wohl auch mit einer der Gründe, warum er an Bord war. Sie würden ihn töten und achtlos über Bord werfen. Danach konnte die Schulung für David beginnen. Diese Gewissenslosigkeit passte gut zu ihr.
Er wählte den neu vorgegebenen Kurs, der über äußerst unebenes Gelände führte. Der Gleiter sackte immer wieder in eine Richtung ab und Bibi fuhr besonders langsam, um nicht von einer tiefen Senke überrascht zu werden. Er stieß regelmäßig Laute im Ultraschallbereich aus, die an der Umgebung abprallten und ihm einen besseren Eindruck über das Gelände verschafften.
Hinter ihm waren die beiden wieder in leise Gespräche vertieft. Er hätte zu gerne gewusst, was sie besprachen. Unerwartet trat Nami hinter ihn. Sein Körper spannte sich an und er legte eine Hand vom Steuer auf eine seiner Klingen.
„Bad Boy, ich muss dir etwas sagen."
Überrascht hob er eine Braue und sah stoisch weiter nach vorne. Nur keine hektischen Bewegungen machen. Ihr Ton klang ungewohnt ernst, jedoch nicht herablassend. Wollte sie sich sein Vertrauen erschleichen?
„Du fragst dich sicherlich, warum wir in dieses Gebiet fahren."
„Ich befolge die Befehle, die mir gegeben werden."
„Das musst du heute nicht. Ich wünsche nur, dass du uns dorthin bringst. Dann kannst du zurückkehren, wenn das dein Wunsch ist. Oder du kommst mit uns – zurück zur Erde."
Bibi hätte beinahe aufgelacht. Was redete sie da? Das sollte er ihr abkaufen? Da hätte sie sich eine bessere Lüge überlegen müssen, um ihn zu überzeugen. Viel eher fürchtete sie wohl, dass die große Menge an Ultrasonics, die heute möglicherweise ihr Leben ließen, Aufsehen erregen würde. Sie wäre fein heraus. Konnte nachweisen, dass sie in unerlaubtes Gelände vorgedrungen waren. Behaupten er hätte sich ihren Anweisungen widersetzt, wäre vielleicht übergeschnappt.
„Haben Sie genug von Namic, Sir?"
„Die ganze Sache hier ist nur eine Farce."
Da hatte sie Recht. Wenn er nun mit seinem Ellbogen zuschlagen würde, könnte er sie vielleicht überraschen. Das Gelände vor ihnen stieg abrupt an und der Streifen, auf dem sie fuhren, wurde immer kleiner. Diese Straße war künstlich angelegt worden. Zu beiden Seiten klaffte ein Abgrund; keine gute Idee jetzt einen Kampf zu beginnen. Andererseits bewahrte das vielleicht auch ihn. Ihr musste die Gefahr genauso klar sein.
„Die wollen die gesamte Menschheit auslöschen. Wir sind nur hier, um den nötigen Stoff dafür zu sammeln."
„Ganz schöner Aufwand dafür." Bibi bemühte sich gelassen zu wirken.
Vor ihnen tauchten die Umrisse eines gigantischen Raumschiffes auf. Es wirkte älter als ihr Transporter hierher und war um einiges kleiner. Dennoch versetzte ihn dieses abseits gelegene Ungetüm in Staunen. Was passierte hier?
„Wir sollten uns bereit machen. Die Kiste ist sicher bewacht." David holte seine Schusswaffe hinter seinem Rücken vor. Eine wuchtige mehrläufige Kanone, mit der man eine kleine Armee niederwalzen könnte. David hatte wohl keine Ahnung von dem Rückstoß dieser Waffe. Selbst Bibi hatte es bei dem Versuch, sie zu benutzen, vor Überraschung fast die Handgelenke gebrochen.
„Ich erkläre dir alles weitere, wenn wir da durch sind. Ich bitte dich nur, mir zu vertrauen. Wenn du da nicht reingezogen werden willst, dann lass uns hier runter."
Sie trat ein Stück zurück und schien sich zu konzentrieren. Ihr Haar knisterte geräuschvoll, was sogar den Regen übertönte. Sie bereitete einen Angriff vor, nachdem sie ihn verwirrt hatte. Bibi dankte Viktor in Gedanken dafür, ihn gewarnt zu haben. Unvorbereitet wäre er nun in ihre Falle getappt. Für die beiden völlig unerwartet, schaltete er die Gegentriebwerke ein und hielt sich am Steuer fest. Die plötzliche Schubumkehr erschütterte den Hover und ließ beide vornüber umfallen. Bibi verschwendete keine Zeit, stoppte den Gleiter brutal und warf sich nach hinten. Sein wuchtiger Körper klatschte auf Namis Rücken auf und betäubte sie. Er griff nach dem Emitter und aktivierte ihn. Bevor David sich aufrappeln konnte, hatte er sich bereits umgedreht, befestigte den Sender an Namis Anzug und warf sie über die Plattform. Der Kunststoffpanzer prallte lautstark von dem Felsen ab, ehe sich das Geräusch in der Tiefe verlor. Wahrscheinlich würde ihr der Sturz allein das Genick brechen.
So schnell er konnte, richtete sich Bibi auf. David kam gerade auf die Füße und hob die wuchtige Waffe an. Bibi schlug sie zur Seite und David feuerte instinktiv ab. Die erzeugte Druckwelle ließ Bibi wegprallen, während David donnernd auf die Versorgungseinheit prallte. Seinem erschöpften Stöhnen nach, würde er die Waffe vorerst nicht mehr gebrauchen.
Bibi zog eine seiner Elektroklingen und aktivierte sie. Knisternd schlug sie Funken in den umliegenden Regen. Er schlug direkt nach Davids Brustkorb. Dieser war noch agiler als erwartet und drehte sich zur Seite. Die Klinge bohrte sich in das Metall der Versorgungseinheit. David reagierte geistgegenwärtig und fixierte Bibis Arm, indem er ihn umklammerte.
„Mieser Verräter!", fluchte David.
„Sie wollte mich umbringen!"
„Du meinst wohl, dir den Arsch retten! Du undankbares Rindvieh!"
Bibi griff nach seiner zweiten Klinge. Bevor er zustoßen konnte, löste David die Umklammerung und schlug ihm ins Gesicht. Das Visier schützte ihn vor einem direkten Treffer, doch der Schlag stieß ihn zurück. Sofort war David heran und versetzte ihm ein paar weitere Schläge. Bibi spürte diese kaum und versetzte ihm mit brachialer Gewalt eine Kopfnuss. Seine darauf folgenden Klingen hielt David mit beiden Händen fest. Funken sprühten über seinen Anzug hinweg, während er langsam nach hinten gedrückt wurde. Er war Bibi an Körperkraft weit unterlegen.
„Die wollen uns alle töten und du spielst ihnen in die Hände!"
Bibi schüttelte den Kopf. „Nur die Ultrasonics. Eure Ärsche sitzen doch im Trockenen!" Er riss seine Arme zur Seite, wodurch David mitgeschleudert wurde und rücklings auf der Plattform zum Liegen kam. Sein Kopf hing bereits über dem Abgrund. Bibi würde die beiden Liebenden im Tode vereinigen.
„Von wegen. Sobald sie zur Erde zurückkehren ist die Menschheit Geschichte!"
„Das wirst du nicht mehr erleben!" Er ließ die Klingen fallen und presste Davids Hals zusammen. Der Anzug war seinen gewaltigen Kräften nicht gewachsen und gab Stück für Stück nach. David versuchte, hilflos mit den Füßen ihn von sich zu stoßen.
„Hätte sie nur nicht darauf bestanden, dich mitzunehmen. War mir doch gleich klar, dass du zu blöd bist, hier mitzumachen. Du bist eben doch nur ein computergesteuertes Monstrum!"
Sein Gerede machte Bibi nur noch wütender. Der Halsschutz knackte unter dem Druck seiner Hände. Gleich würde er Ruhe geben. „Deine Freundin war auch nicht viel besser."
„Die hat sich davon befreit."
„Um mit dir ins Bett zu gehen!"
David lachte auf. Es wurde zu einem erstickten Keuchen, als Bibi endlich an seinem Hals angelangt war. Es kostete ihn merkliche Mühe, ihm zu antworten: „Denkst du nur deswegen hätte sie das getan? Ich bin verheiratet, du Dummkopf. Die Sache mit mir war einmalig!"
Bibi ließ ihm ein wenig Luft. Zweifel überkamen ihn.
„Warum dann?"
„Ich weiß es nicht ganz genau. Scheint ihr nicht mehr gefallen zu haben, ferngesteuert zu werden. Und jetzt wo sie dahinter gekommen ist, was die vorhaben, erst recht nicht mehr."
Bibi sah ihn misstrauisch an. Versuchte er ihn nur zu beeinflussen, um sein Leben zu retten? Er klang nicht danach. Aber vielleicht machte ihn die Angst so glaubwürdig.
„Was haben die wirklich vor?"
„Sagte sie dir doch schon: Die bauen hier irgendeinen Stoff ab, mit dem sie bewusstseinsgesteuerte Roboter herstellen können. Die sollen die Menschheit ersetzen. Wir wollten mit dem Schiff dahinten meine Leute rausholen und dann weg von hier."
„Was ist mit den Ultrasonics?"
„Die unterstehen dem Computer. Was glaubst du wäre passiert, hätten wir sie eingeweiht?"
Bibi drückte ihm erneut auf die Kehle. „Das tue ich auch!"
David würgte auf und er ließ ihm ein wenig Luft. „Darum war ich ja auch dagegen!"
Bibi sah in den Abgrund hinab. Hatte sie ihn deswegen erst so spät eingeweiht? Sprach David vielleicht doch die Wahrheit? Er ließ ihn los. David robbte von dem Abgrund davon.
„Glaubst du mir nun?"
„Ich bin mir nicht sicher." Bibi kaute nervös auf der Lippe. Schuldgefühle drohten ihn zu übermannen.
„Wir müssen sie retten", sagte David. Er klang selbst kaum überzeugt davon.
„Ich hab ihr einen Emitter verpasst. Wenn sie den Sturz überlebt hat, dann fressen sie die Lilim."
„Also ist sie ohnehin verloren?"
„Du gibst schnell auf", stellte Bibi fest.
David senkte den Kopf, dann schaute er hinab in das Dunkel. „Ich hab mit ihr meine Frau betrogen."
„Wäre einfacher für dich, wenn du ohne sie auf der Erde ankommst?"
Man sah David merklich an, dass er sich dafür schämte, aber er nickte nur.
„Du bist ein verdammtes Arschloch."
„Kein Stück besser als du." David sah ihn wütend an. „Wer hat sie denn da runter geworfen?"
Bibi trat zurück ans Steuer. „Wir werden bestimmt bald Besuch bekommen, sobald sie festgestellt haben, wo wir uns befinden. Hab gehört, sie haben endlich 'n Satelliten da oben und können uns überall orten."
„Muss ich damit rechnen, dass du gleich ferngesteuert wirst?"
Bibi schüttelte den Kopf. „Da tut sich nichts. Als wär's ihnen scheißegal."
David sah noch einmal zu dem Abgrund und wandte dann den Kopf dem Raumschiff zu. „Wir sollten die Gelegenheit nutzen."
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