Kapitel 4 - Vierundzwanzig Stunden
Die ganze Nacht lang mache ich kein Auge zu. Ich starre an die Decke, die ich für eine Pressspanplatte gehalten habe und beobachte den Verlauf der Sonne, deren Strahlen sich über das graue, faserige Material räkeln. Am Morgen wirft sie ihre ersten Strahlen durch ein Fenster an der vorderen Seite des Ganges hinein und projiziert die Gitterstäbe als dunkle Balken auf die Wand hinter mir. Die ersten blauen Blümchen fangen am Morgen bereits an, auf meinen Armen zu blühen.
In den Zellen selbst sind keine Fenster. Ich stelle Hypothesen darüber auf, warum das so ist. Vermutlich will man die Fluchtmöglichkeiten so gut es geht reduzieren. Oder man will die hier Gefangenen dazu zwingen, sich ihren Gedanken - ihren Schuldgefühlen - voll und ganz hinzugeben, ohne eine Chance auf Ablenkung. Doch alles in allem scheint mir dieser graue Kasten kein Hochsicherheitsgefängnis zu sein. Es ist viel eher ein Hamsterkäfig.
Gegen Mitternacht muss das Aufsichtsklöschen abgelöst worden sein, doch der neue Wächter hat keine Runde gemacht und sich noch nicht gezeigt. Ich weiß nicht, wer es sein könnte und spinne mir in meinem vom Schlafmangel ganz wirren Kopf ein Bild zusammen. Es gibt viele Leute in der Crew, die infrage kämen. Die Gesichter ziehen in meiner Vorstellung an mir vorbei wie Wolken am Himmel. Es gibt so viele, deren Namen ich nicht einmal kenne, also vermischen sich die Gesichter miteinander und ich bastle mir eine fiktive Figur zusammen, wie einen Avatar in einem Videospiel.
Als seine Lebenskerze bereits so kurz war, dass die Flamme sich bald selbst in dem flüssigen Wachs ersticken würde, hatte Opa Nakoa sich auf mein Anraten hin einen Computer angeschafft. Er hatte immer gerne Geschichten erzählt und ich wollte, dass er sie aufschreibt. Und das hat er getan. Westerngeschichten, was sonst? Ich war sein begeistertster Leser. Und eine Beschreibung aus einer dieser Erzählungen ist mir besonders hängengeblieben und sie passt jetzt besser als sonst.
Der Villain, der Böse, in einer seiner Geschichten. Das Bild eines stämmigen Mannes mit stahlharten Muskeln und glänzend schwarzen, streng nach hinten gebundenen Haaren zeichnet sich vor meinen Augen ab. Er sieht aus wie die Premiumversion von Alejandro. Ich bin mir fast sicher, dass sie dieses Mal ein Upgrade zu dem kleinen Dicken geschickt haben müssen. So wie ich mich gestern aufgeführt habe, ganz sicher.
Doch ich bereue rein gar nichts. Nicht einmal Alejandros vernichtender Blick hat mich einschüchtern können oder auch nur den kleinsten, vergammelten Hauch eines Schuldgefühls in meine Zelle pusten. Ich frage mich, warum ich früher immer so viel auf sein Urteil gegeben habe. Aber ich schätze, es ist ein rein menschliches Phänomen. Wir alle wollen Anerkennung. Auch ich. Wer freut sich denn nicht über ein Lob, wenn er etwas gut gemacht hat? Doch ich erkenne, dass ich die ganze Zeit lobende Worte für etwas bekommen habe, das ich zwar gut gemacht habe, das aber nicht gut ist.
„Was machen unsere beiden Troublemaker?"
Bei dem seidig-melodischen Klang der Frauenstimme richte ich mich auf und sehe das perfekt ovale Gesicht durch hinter der Gittertür, das von blonden Haaren umgeben ist. Sie leuchten im Licht der Sonne und lassen sie wie einen Engel aussehen. Das blumige Parfüm dringt zu mir durch die Gitterstäbe und wird wahrscheinlich noch Stunden danach in der Luft hängen. Also ist Diana die ganze Nacht hier gewesen ...?
„Tu nicht so", sage ich abweisend und lege mich wieder zurück auf mein Bett.
„Ich hätte eine nettere Begrüßung erwartet - schließlich bin ich euer Glücksbote. Ihr kommt hier raus."
„Was?"
Mit einem Sprung stehe ich vor meinem Bett und schaue Diana aufmerksam an. Ein schmales Lächeln ziert ihre vollen Lippen, die ich nie wieder besser kennenlernen will. Wenn ich in ihre graublauen Augen sehe, bin ich mir sicher, dass der Mann mit der wunderbar frisierten Haartolle genau diese Frau gemeint haben muss, als er über den verkleideten Teufel gesungen hat. Auch wenn Elvis sie gar nicht gekannt haben kann.
„Wo ist der Haken?", frage ich. Dianas Lächeln schrumpft zu einer schmalen Linie zusammen. Ich habe ihr die Pointe genommen. Eins zu Null für mich. Obwohl ... Wie viele Tore hat sie bereits erzielt, bevor ich angefangen habe, die Treffer zu zählen?
Statt zu antworten schließt sie die Tür auf und ich trete auf den Gang. Ein Blick nach rechts und ich sehe, dass die Eingangstür abgeschlossen ist. Während Diana Alanis Zelle aufsperrt, sehe ich mich im Eingangsbereich des Containers um. Der knallgrüne Stuhl steht zusammengeklappt an der Wand gelehnt. Weitere Gefangene werden hier wohl nicht mehr erwartet. Dann sind meine Kollegin und ich wohl die Crème de la Crème des kriminellen Abschaums an der ganzen Küste. Ich schaudere bei dem Wort, aber irgendetwas sagt mir, dass ich da gar nicht so falsch liege. Dieses Wort schwamm gestern in Alejandros Augen und es singt heute aus Dianas kühlen Seelenspiegeln.
„So, ihr zwei Süßen ...", beginnt sie und schreitet an mir vorbei. Ihre für den schlanken Körper recht breiten Hüften schwingen beim Gehen von links nach rechts und hypnotisieren mich wie ein Pendel. Ich reiße meinen Blick los, doch nicht schnell genug, denn mit süffisantem Grinsen dreht sie sich zu mir um, ehe sie sich dem Schreibtisch zuwendet, den ich erst jetzt bemerke.
Er steht hinter einer halben Wand und ist ein grobschlächtiger Koloss, als habe man ihn aus einem einzigen Stück Holz eines Mammutbaumes geschnitzt. Einen Moment lang verschwindet Diana hinter der Wand, dann taucht sie wieder auf und hält zwei Objekte hoch, die wie Gewinnermedaillen von ihrer Hand baumeln.
„Das sind eure neuen Accessoires ...", verkündet sie und schwingt sich wieder zu uns zurück. Alani und ich sehen uns einen Moment lang in die Augen. Sie weiß genauso gut wie ich, um was es sich handelt. Nur, dass man solche Dinger noch nie, nie, niemals bei einem Meerjäger gesehen hat. Ein paar Minuten später treten Alani und ich aus der Tür, die elektrischen Fußfesseln blinken lustig vor sich hin.
„Habe ich das richtig verstanden: Wir dürfen das Gelände nicht verlassen, dürfen aber auch nicht zu den Trainings? Wir dürfen quasi gar nichts, außer uns anzugaffen und bespucken zu lassen?", fasst Alani missmutig zusammen.
Ich verstehe ihre Sorge. Wir wissen nicht, was die anderen von uns halten, können uns aber nur zu gut denken, wie die Mehrheitsmeinung ausfällt. Das gesamte Areal erstreckt sich auf eine Fläche von mehreren Fußballfeldern und es gibt reichlich Platz, um den anderen auszuweichen. Aber ganz verhindern kann man eine Begegnung nie, zumal die Crew nicht nur aus einer Handvoll Leuten besteht.
Neben den ganzen ausgebildeten und noch zu ausbildenden Meerjägern, den Mechanikern, den Technikern und dem Sicherheitspersonal gibt es noch Sachbearbeiter und Reinigungskräfte. Das Camp hier ist fast wie eine kleine autarke Stadt mit sicherlich mehr als fünftausend Einwohnern.
„Korrekt. Wir sind zwei Lämmer, die den Löwen im Kolosseum zum Fraß vorgeworfen werden", spreche ich das aus, was sie auch denkt.
Unerwartet lacht Alani. Ich habe das nicht kommen sehen und lasse mich von dem Klang anstecken, vielleicht auch, weil ich mir schon denken kann, was sie an meiner Aussage so lustig findet. Der Tag beginnt und die Luft ist schon schwül und warm, doch mir fröstelt leicht bei ihrem Lachen, das genauso wenig passen will wie die fröhlichen Lichter, die uns auf Schritt und Tritt begleiten.
„Ins Kolosseum haben sie keine Lämmer ...", beginnt sie und quietscht, als ich ihr freundschaftlich in die Seite stoße. Ihre dunklen Augen streifen meine und ich sehe für den Bruchteil einer Sekunde ein Leuchten darin.
„Und was machen wir jetzt? Also ich meine, bis die Untersuchung abgeschlossen ist? Wir können nichts anderes tun, als herumzusitzen oder den anderen aus dem Weg zu gehen. Obwohl ich so viele Fragen hätte", nimmt Alani wieder den Faden auf. Das Lachen ist wieder weg. So vergänglich wie eine Eintagsfliege. Eine teerschwarze Masse überzieht mein Herz und härtet binnen weniger Sekunden aus. Und wieder ist da diese Schwere in mir.
„Hast du die Blicke gesehen, als wir an Land gegangen sind? Die würden uns doch am liebsten vierteilen. Und das, obwohl bis jetzt nichts passiert ist. Ist dir das aufgefallen?"
Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Wie ein Leuchtfeuer erhellt sich vor mir plötzlich alles für einen Moment und ich kann die Zusammenhänge klar sehen. Natürlich!
„Fällt dir etwas auf? Hör hin", fordere ich Alani auf. Wir beide lauschen schweigend.
„Ich höre nichts Besonderes. Das übliche Treiben ...", entgegnet sie, unsicher darüber, was ich von ihr hören will.
„Ja! Ja, genau! Das übliche Treiben. Es ist also nichts passiert! Erinnerst du dich daran, was das Lehrbuch sagt? Natürlich tust du das, es ist uns doch mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen. Ein Lotuskalmar kommt innerhalb von wenigen Stunden nach den seismografischen Ausschlägen an Land. Es sind schon mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen und es ist offensichtlich nichts passiert!"
Alani folgt meinen Worten mit Erstaunen und ihre dunklen Augen weiten sich. Erst jetzt geht ihr das Licht auf. Wie konnten wir beide nur so verblendet sein? Ich habe die ganze Nacht lang an die Decke gestarrt und kein einziges Mal ist mir auch nur annähernd der Gedanke gekommen. Der Kalmar ist abgetaucht, er hatte gar nicht vor, an Land zu kommen. Das sollte jedem zu denken geben.
„Das bedeutet, dass der Lotuskalmar wirklich nicht das ist, was man uns immer beigebracht hat und dass unsere komplette Ausbildung von Beginn an umsonst war ...", murmelt Alani zu sich selbst.
„Mehr als das! Pure Zeitverschwendung - eine Ressourcenverschwendung sondergleichen! Doch warum lässt man uns dieses friedliche Wesen jagen? Wie viel weißt du über den Körper des Kalmars?"
Alani zählt mir nur das auf, was ich schon weiß. Darüber bin ich kein bisschen überrascht. Wie viel sollen wir denn über den Kalmar wissen? Nur so viel, um ihn zuverlässig erlegen zu können!
„Wir müssen mit den anderen sprechen", schließt Alani. Ich bleibe zögerlich, doch ich will nicht wie ein Hasenfuß wirken. Ich sehe Opa Nakoa ungeduldig mit der Hand wedeln: Andale, andale!
„Gut. Lass uns mit jemandem sprechen", beschließe ich.
Die erste Person, die uns über den Weg läuft, ist ein zuverlässiger junger Mann um die Zwanzig, der immer den Abfahrtscheck macht. Elia ist ein großer, rothaariger Kerl mit beachtlicher Statur und großen braunen Rehaugen, die immer ein bisschen müde durch die Gegend blicken. Er wirkt vertrauenswürdig und als würde er die ganze Zeit in sich hinein lächeln, doch als er sieht, dass wir auf ihn zusteuern, schiebt sich ein harter Ausdruck wie ein Eisentor vor sein Gesicht. Er versucht uns auszuweichen, doch wir bleiben unmittelbar vor ihm stehen.
„Was wollt ihr?", fragt er unbeteiligt und steckt seine Hände in die Hosentaschen.
„Reden", sagt Alani. Ohne ein einziges Wort der Zustimmung demonstriert Elia uns mit einer leichten Bewegung seines Kinns, dass er zuhören wird.
„Hast du in den letzten vierundzwanzig Stunden einen Lotuskalmar am Strand gesehen?", frage ich. Mit einem entnervten Stöhnen wendet Elia sich ab und will gehen, doch Alani schnappt sich seinen mit hellen Haaren bewachsenen Berserkerarm.
„Elia, hast du einen Lotuskalmar gesehen?", versucht sie zu ihm durchzudringen.
„Was wollt ihr eigentlich von mir? Nein, ich habe keinen gesehen und ihr solltet euch glücklich schätzen, dass das so ist."
Mit einer Spur Verwirrung schaut Alani mich an. Es dämmert bei unserem Kollegen noch nicht. Wie kann das sein, wo es doch so offensichtlich ist? Wie nah muss ich ihm die Fakten noch vor Augen halten, damit er es erkennt?
„Du hast keinen Kalmar gesehen und du wirst auch keinen sehen, weil er nicht an Land kommen wird. Du hast doch auch das Lehrbuch studiert, so wie jeder andere hier. Ein Lotuskalmar tritt innerhalb von ein paar Stunden an Land ...", erinnere ich ihn. Doch auf seinem Gesicht bleibt die Härte bestehen. Als würde der Atlantik zwischen Alani und mir und Elia liegen.
„Was redet ihr da eigentlich für einen Schwachsinn?", wirft er uns an den Kopf, ehe er sich abwendet. Diesmal kann Alani ihn nicht festhalten und wir schauen ihm hinterher.
„Was für ein Reinfall", murmelt meine Kollegin und fährt sich durch die langen Haare, die strähnig über ihre Schultern fallen. Mein Magen meldet sich. Wie lange haben wir eigentlich nichts gegessen ...? Alani hat das Geräusch auch gehört und grinst mich an. Wie ihre Lachmuskeln in dieser Situation überhaupt vom zermarterten Hirn angesteuert werden können, ist und bleibt ein Rätsel für mich.
„Klingt, als sollten wir etwas essen", sage ich und versuche, Alanis Lächeln auf meinem Gesicht zu spiegeln.
„Du hast recht ...", stimmt sie zögerlich zu. „Mal schauen, ob wir es wieder lebend aus der Kantine raus schaffen."
Die Kantine ist ein rechteckiger dunkelgrüner Bau mit großen Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichen und fast immer offen stehen. Statt des Haupteingangs benutzen viele diese Fenster als Eingang, aus Bequemlichkeit. Ich verstehe es, denn nach einem anstrengenden Trainingstag, nachdem man von Alejandro getriezt und beleidigt wurde, will man am liebsten keinen Meter mehr laufen als nötig.
Mit einem Hauch verklärender Nostalgie erinnere ich mich an meinen ersten Trainingstag zurück. Ich war so stolz, überhaupt hier sein zu dürfen, denn ein Meerjäger zu werden, war schon immer ein großes Privileg. Warum meine Bewerbung akzeptiert wurde, weiß ich nicht - meine schulischen Leistungen waren sicherlich nicht ausschlaggebend dafür. Aber ich war genommen worden.
Bei Alejandros donnerndem Bass war ich zuerst zusammengezuckt, bis ich merkte, dass das sein üblicher Umgangston sein musste. Als er mich einen verweichlichten Waschlappen nannte, als ich mir eine kurze Trinkpause gönnte, war ich erst irritiert, musste mir dann aber ein glucksendes Lachen unterdrücken, als ich hörte, wie er meine Mitstreiter nannte.
Ich kann mich kaum erinnern, dass Alejandro mich jemals bei meinem Namen genannt hat. Ich war der Warmduscher, der Blindgänger - ich war alles und jeder, nur nicht Keanu. Im Nachhinein frage ich mich, ob das einfach Alejandros Neigung zum Fluchen zuzuschreiben ist oder ob es sich um eine Taktik handelt. Stets war er versucht, eine gewisse Distanz zu seinen Auszubildenden zu halten. Klar, ein gemeinsamer Drink war auch mal drin. Aber viel weiß ich über Alejandro nicht. Er war nie mehr als der Trainer, der einen immer beschimpft.
Es ist acht Uhr am Vormittag, sagt die große Uhr über der Essensausgabe. Sie ist schön mit ihrem cremeweißen Zifferblatt und den römischen Zahlen, die golden leuchten. Mit ihrem edlen Aussehen ist sie total deplatziert in der kargen Kantine mit den hellgelben Wänden und dem klinisch weißen Mobiliar. Ein Diamant in der Jauchegrube. Hinter der metallisch grauen Theke wuseln die ganzen Küchenkräfte in ihren weißen Schürzen und Haarnetzen herum.
Außer Alani und mir sind nur ein paar Büroarbeiter hier. Kein Wunder, denn es ist Trainingszeit. Wir beide gehen zur Theke. Es gibt Porridge mit Blaubeeren. Meine Augen fangen an zu leuchten, bis die klapperdürre Frau jenseits der Theke das Feuer löscht. Mit einem Blick, als hätte ich alles Schlechte der Welt zu verantworten, greift sie sich einen kleinen Teller und klatscht eine Portion darauf, über die sich selbst ein kleines Kind schlapp gelacht hätte. Also hat sich unsere Aktion wirklich schnell bis ins kleinste Eck herumgesprochen.
Mit einem diabolischen Grinsen hält sie mir den Teller hin. Ich schaue einen Moment darauf, dann sage ich: „Puh, ich weiß gar nicht, ob ich so viel essen kann."
Bevor sie reagieren kann, schnappe ich ihr den Teller aus der Hand. Alani bekommt eine ähnlich kleine Ladung auf ihren Teller. Besser als gar nichts, sage ich mir in Gedanken, um meine Wut und Enttäuschung zu zügeln. Wir setzen uns an einen Tisch so weit wie möglich von den anderen weg.
„Wie soll das so weitergehen?", fragt Alani, während sie mit ihrem Löffel im Haferbrei rührt.
„Ich habe keine Ahnung. Wir beide haben hier nichts mehr verloren und das zeigen sie uns zur Genüge. Aber ich fürchte, wir müssen hier bleiben, bis jemandem endlich ein Licht aufgeht, dass wir doch keine fahrlässige Tötung begangen haben."
Scheppernd fällt Alanis Löffel au den Tisch. Ich sehe sie erstaunt an.
„Die müssen doch nur die Augen aufmachen! Es ist niemand gestorben! Warum fahrlässige Tötung? Warum? Ich verstehe es einfach nicht!"
Sie stützt ihren Kopf auf den Händen ab und ihre Haare fallen vor ihr Gesicht. Wie der Vorhang, der am Ende der Vorstellung fällt. Ich hoffe nur, es war nicht schon unser letzter Akt ... Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Will sie, dass ich sie tröste? Oder will sie allein sein? Seit gestern weiß ich nicht mehr, woran ich bei ihr bin, also schaue ich aus dem Fenster.
„Keanu?", fragt sie. Ihre Augen sind weder nass noch gerötet. Habe ich sie überhaupt irgendwann weinen sehen?
„Alani?"
„Es tut mir leid, dass ich dich Arschloch genannt habe. Du bist keines. Aber Alejandro schon. Er weiß doch, dass wir immer unser Bestes geben. Wie kann er es verantworten, dass Ermittlungen gegen uns in die Wege geleitet werden?"
Ich kann meine Erleichterung schlecht verhehlen. Diese Worte von Alani bedeuten mir sehr viel. Nicht die Bestätigung, dass ich kein Arschloch bin, sondern ihre Entschuldigung. Ich mag sie sehr und es ist mir nicht unwichtig, wie sie über mich denkt. Ich freue mich still, bevor ich auf ihre Frage antworte.
„Mir ist nicht bekannt, dass automatisch Ermittlungen gegen Meerjäger eingeleitet werden, die ihren Auftrag ... nicht erfüllt haben. Andererseits ist so etwas noch nie passiert. Vielleicht hat sich da etwas geändert, das weiß ich nicht. Es kann aber nicht sein, dass niemand uns etwas darüber sagt. Wir sind Angeklagte ohne Anklageschrift ...", rätsele ich und nehme einen Löffel Porridge. An jedem anderen Tag würde der milde Brei mir schmecken, aber heute ist das Essen einfach nur fad.
Alani will den Mund aufmachen und etwas entgegnen, doch ein schriller Laut, der mir augenblicklich durch Mark und Bein fährt, unterbricht sie. Der Alarm!
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