Kapitel 5 // Tiefer Fall
Der erste Tag an der Schule war relativ gut gelaufen. Nach nur drei Stunden hatten wir Schluss gehabt, auch wenn Frau Weinstädter die Wahrheit immer noch nicht einsehen konnte. Es konnte einfach nicht wahr sein, dass sowohl ich als auch Gloria drei Fragen falsch hatten. Die Lehrerin hatte zwar gesagt, dass wir dennoch bestanden hätten, sie aber solche seltsamen Antworten nicht als richtig ansehen könne. Ich hatte sicherlich eine Stunde versucht, sie von der Richtigkeit meiner Antworten zu überzeugen, wie auch von dem einzig wahren Glauben, doch sie schien mich partout nicht verstehen zu wollen. Und dabei hatte sie äußerst sympathisch gewirkt, bevor sie erklärt hatte, dass sie nicht an Gott glaube. Eine wirklich unmögliche Dame.
Am nächsten Morgen wäre ich beinahe wieder zu spät in die Schule gekommen, da ich noch sehr viel zu lernen hatte. Teresa, meine vorübergehende Mutter, hatte mir sehr viel Lehrstoff über die Weltanschauung der modernen Menschen mitgebracht. Noch immer türmten sich die Berge von Büchern neben meinem Bett, da ich schlichtweg keine Zeit zum Aufräumen vor der Schule hatte. Es war aber auch wirklich kompliziert, die Menschen zu verstehen mit all ihrer Brutalität und Gemeinheit. Viele von ihnen schienen ausschließlich die Wesenszüge von Teufeln zu teilen. Vielleicht sollte ich Lehrerin werden, dann würden sie bei mir wenigstens vernünftiges Denken erlernen.
Als ich dann doch um acht Uhr am Dienstagmorgen in der Schule ankam, erfuhr ich, dass unsere Lehrerin offenbar noch nicht da war. Alle anderen Klassen waren längst in ihrem Unterrichtsräumen, nur meine irrte noch durch das ganze Schulgebäude. Nicht einmal aufschließen wollten die anderen Lehrer uns, da Aufenthalt in den Schulräumen ohne Aufsicht einer Lehrperson verboten sei. Was meine werten Mitschüler auf den Gängen taten, war jedoch unmöglich. Wie konnten Erwachsene nur solch ein Verhalten dulden?
Gloria hatte es tatsächlich geschafft, die Klasse dazu zu überreden, das Treppengeländer hinunterzurutschen. Auf meine Erklärungen, wie gefährlich es doch sei, wollte niemand hören. Und so konnte ich nicht mehr tun, als dazustehen und zu hoffen, dass es nicht zu Verletzungen kommen würde.
Gerade war der Vorvorletzte an der Reihe, seine Mut zu beweisen, wie Gloria es ausdrückte. Alle schrien und lachten, nur dass ich es nicht ganz so lustig fand wie die anderen. Mittlerweile fragte ich mich, wieso diese Klasse immer lachte, doch ich fand einfach keine Antwort.
"Los! Ja!", feuerten meine Mitschüler denjenigen an, der gerade auf das Geländer geklettert war.
"Na los! Oder bist du so ein Baby, dass du dich das nicht traust? Kleinkind, Angsthase!" Glorias Augen funkelten. Ich mochte sie nicht und am liebsten hätte ich sie gehasst, wenn es nicht verboten wäre.
Der Junge ließ los und raste die Treppe hinunter. Auf halber Strecke kippte er zur Seite und fiel. Alle rannten sofort zum Geländer, um nachzusehen, was geschehen war. Ich faltete meine Hände und betete kurz, bevor ich mich auch in die Menschenmenge stürzte. Der Junge war am Fuße der Treppe gelandet und blutete. Entsetzt schlug ich die Hände vors Gesicht. Das konnte doch nicht wahr sein!
Nur Sekunden später tauchte Frau Weinstädter im Bild auf, die unten gerade den Gang entlangging. Ich betete immer wieder, dass hoffentlich nichts Schlimmes passiert sei, doch ich glaubte nicht wirklich daran. Minuten später fuhr ein Krankenwagen vor, holte den Jungen ab und wir wurden in Unwissen gehalten in den Klassenraum gesperrt.
In der Klasse war es still. Niemand redete mehr. Alle saßen auf ihren Plätzen. Nur eine einzige Person im ganzen Raum schien über den Verlauf des Tages glücklich zu sein: Gloria.
Wer hoch steht, den kann mancher Windstoß treffen,
Und wenn er fällt, so wird er ganz zerschmettert!---
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