9. Mitstreiter

Soundtrack: Hans Zimmer - Catatonic aus dem Sherlock Holmes OST. Abspielen, sobald sie hinter die Kulissen gehen.
Wer es noch nicht mitbekommen hat: es gibt auch eine fancy shmancy Playlist zu diesem Buch, der Link ist zu finden auf meinem Profil. Darin: der Soundtrack zu diesem Buch in chronologischer Reihenfolge und noch ein paar, die mich hierzu inspiriert haben. Take a look!

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„Wir müssen mit ihm tanzen."

„Tanzen?" Valentina hob eine Augenbraue. „Wir können ihn nicht um eine Audienz bitten?"

„Anscheinend ist der Tanz die Audienz." Miriaume Dechantry blickte zu dem Kreis aus Menschen, Anima und Alten Völkern. Elegant schwebten sie über den schwarzweißen Marmorboden. Zwischen ihnen tanzte er, ein schlanker Mann in weiten, hellen Hosen und einem offenen Hemd über der im Zwielicht goldbraun schimmernden Haut.

Valentina seufzte. „Wer von euch kann tanzen?"

„Du bist eine Canwy Roch und kannst nicht tanzen?" Ich sah sie überrascht an.

Sie erwiderte meinen Blick vernichtend. „Natürlich kann ich tanzen. Aber nicht so. Nicht nach Regeln."

„Es gibt keine Regeln", meldete Ona sich plötzlich. Sie hielt sich in Miriaumes Schatten, als schüchterte der seltsame Tempel der Verlockungen sie gehörig ein.

Ich verstand sie. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich längst das Weite gesucht, geschweige denn einen Schritt hineingesetzt. Doch der Wegfinder, den Neshira Valentina gegeben hatte, hatte uns bis hierher geführt. Ich würde mich nicht aus dem Staub machen, solange die Canwy Roch ihre schützende Hand über Ona hielten. Ich hätte die kleine Kitsune längst zurückgelassen, doch ich ahnte, dass Valentina mich nicht ungeschoren davonkommen lassen würde, sollte ich es tun. Zwar hatte sie nicht mehr die Banshee in ihrem Schatten, doch das Schiff ihrer Mutter war nicht weniger bedrohlich. Kanonenkugeln töteten ebenso wie die Klauen einer Göttin.

Valentina musterte die Tanzenden. „Natürlich gibt es Regeln."

„Nur wenige. Man darf die Formation nicht brechen, aber mehr gibt es nicht." Ona konnte kaum den Blick von ihnen wenden.

Valentina verschränkte die Arme. „Ich werde die Banshee tun und nach Regeln tanzen, und sei es nur eine."

Ona legte ihren Mantel ab und drückte ihn Valentina in die Hand. „Ich gehe."

Valentina nahm ihn in Empfang. „Bist du dir sicher?"

„Neshira ist meine Schwester. Er weiß, wo sie ist. Wenn jemand mit ihm tanzt, dann bin ich es." Sie straffte die Schultern und tänzelte elegant auf den Kreis zu.

Beinahe träumerisch passten sich ihre Schritte den anderen an, als wüssten ihre Füße von selbst, was sie zu tun hatten. Ihre Augen waren geschlossen, wie in Trance flog sie über den Marmor, und ich verstand nicht, wie sie nicht gegen die anderen stolperte. Getragen von der Musik, die eine Gruppe Spielleute mit Trommeln, Flöten, Fiedeln und fremdartigen Instrumenten, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, zu Besten gab, schwebte sie durch den Raum. Sie tanzte neben einem Pfau, dessen Schleppe um ihn wirbelte wie ein Sturm aus Grün und Blau und starrenden Augen, weiter mit einem Löwen in einem reich bestickten Morgenmantel, der sie nicht einmal zu bemerken schien, und schließlich mit einem hochgewachsenen älteren Mann in einem offenbar maßgeschneiderten schwarzen Mantel. Er kam mir merkwürdig bekannt vor. Kurz dachte ich, er sei jemand, dem ich vor dem Absturz bei Ashenfall begegnet war, doch Valentina erkannte ihn ebenfalls.

„Das ist Tanqueray", raunte sie mir zu. „Einer der Gintlemen."

Ich erinnerte mich. Einer der Männer, die mir verraten hatten, wo ich meine Vergangenheit finden konnte, ohne, dass ich sie nun entziffern konnte. Nächtelang hatte ich über den Buchstaben gekauert. Etwas in mir hatte stets gehofft, dass ich sie eines Tages auf magische Weise lesen konnte, doch es war nie geschehen. „Was hat er hier zu suchen?", fragte ich.

„Woher soll ich das wissen? Ich hoffe nur, dass er nichts mit uns zu tun haben will. Ich will nicht schon wieder in die elende Politik von Hivens Ark hineingezogen werden."

„Letztes Mal haben sie dir geholfen."

„Letztes Mal haben sie vor allem dir geholfen. Ich musste die Banshee ganz allein loswerden."

„Wer weiß, was du in Woodenwyll gefunden hättest."

„Du warst in den Wäldern. Was hätte ich wohl gefunden?"

Die Wälder um Woodenwyll würden für mich immer nach brennenden Abenteurern und scharfem Harz riechen. Das Pfeifen der Geister vermischte sich mit den Todesschreien. „Vermutlich nichts außer verbrannte Leichen." Ich zuckte mit den Schultern. „Aber sie haben uns geholfen, in Durenskys Fabrik einzubrechen, und sie haben dir erst gezeigt, dass man die Banshee auch loswerden kann, außer von einer religiösen Harpyie umgebracht zu werden."

Valentina legte den Kopf schief. „Warum, bei den Schellen, verteidigst du sie? Dir haben sie auch nichts anderes gegeben als Papiere, die du nicht lesen kannst."

„Es ist besser als nichts."

„Du bist ein Optimist", schnaubte sie und wandte sich wieder den Tanzenden zu.

Ich schlich ein wenig hinter Valentina und Miriaume. Der Ort hatte etwas an sich, das mein Nackenfell sträubte. Jeder und zugleich niemand schien uns zu beobachten, aus Alkoven, Rauchwolken und Bergen aus Kissen. Bewusstlose lagen auf Diwanen, Decken und dem blanken Boden, verschlungen mit anderen Kreaturen, mehrere Paare hatten sich in dem Chaos aus goldenem Licht, bunten, halb durchsichtigen Vorhängen und gemusterten Paravents gefunden und gingen dort ihrem Spiel nach. Der Dampf roch schwer, nach Gewürzen und einem längst vergessenen Hunger in der Magengrube, doch sobald ich nach der Erinnerung griff, zerstob sie mit dem Rauch.

Jemandes Blick ruhte auf mir, und aus dem Augenwinkel sah ich einen Gremlin mit einem langen Gewehr auf dem Schoß und einer Zigarre im Mundwinkel, einen Kriegsgeschmiedeten, einen hochgewachsenen Karr mit leuchtenden Runen im Fell. Feuer triefte von seinen Krallen. Etwas stieg in mir auf, ein Gefühl von Stolz und Sicherheit, milde Verachtung, die mir entgegenschlug, und das Wissen, dass ich die Welt erobern konnte. Ich sah mich zu der Gruppe um, doch die Gestalten schienen sich in Rauch aufgelöst zu haben. Das Feuer der Kerzen schien die Krallen des Karrs zu bilden.

Nervös umklammerte ich den Griff meines Schwerts. Der Ort schien wie dafür geschaffen, dass ich mich erinnerte, doch er wollte mir meine Erinnerungen wohl nicht freiwillig geben. Kurz haderte ich mit mir, ob ich sie suchen sollte.

Valentinas Griff hielt mich davon ab. „Komm", flüsterte sie beinahe wütend. Sie zog mich auf den goldhäutigen Mann zu, der Ona und Tanqueray hinter weitere Paravents aus Holz und Papier führte. Sie winkte uns zu sich.

Ich schüttelte die Trägheit aus meinem Kopf und folgte Valentina. Erneut meinte ich, den Karr zu sehen, doch sobald ich zu ihm sah, war er verschwunden. Mittlerweile zweifelte ich an meiner geistigen Gesundheit. Oder aber mir fehlte der Gin. Oh, selbstverständlich tat er das. Ich sollte mir einen Flachmann kaufen. Selbst, wenn ich ihn innerhalb weniger Tage verlieren würde, so wie alle zuvor.

Miriaume ging bereits voraus. Eine Gruppe Arkaner in dunklen Uniformen folgten ihnen ebenfalls, allesamt so breitschultrig, dass ich genau wusste, hinter wem ich in Deckung gehen würde, sollte jemand mich angreifen.

Der Tänzer führte uns in einen mit schweren Teppichen ausgelegten Raum. Diwane standen unordentlich nebst verstreuten Kissen und den Überresten eines opulenten Festmahls. Zu Stummeln heruntergebrannte Kerzen warfen dämmriges Licht über das Chaos. Die Gerüche nach gebratenem Fleisch, Obst und verschüttetem Wein hingen in der Luft, zusammen mit Substanzen, die nach verbotener Erlösung rochen. Obwohl nur ein wenig Holz und Papier zwischen uns und dem Saal lagen, war die Musik merkwürdig gedämpft. Trauben platzten unter meinen Stiefeln.

Tanqueray nickte uns zu. Eine Anstecknadel in der Form einer Flasche an seinem Revers fing das Licht der Kerzen. In meinen Fingern juckte es.

„Miss Alderberry. Master Herrera."

„Tanqueray." Valentina lächelte dünn. „Warum sind Sie hier?"

„Weil er Neshira Canto sucht. Ebenso wie ihr. Mr Richard Tanqueray, dies ist Ona Canto." Der goldhäutige Mann wies auf die Kitsune, die sich schwer atmend zu uns gesellte. „Sie ist Neshiras Schwester."

Tanqueray verneigte sich vor Ona, sie knickste verlegen. „Es ist mir eine Freude, Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss Canto", sagte er.

„Gleichfalls", erwiderte sie und sah sich zu uns um. „Das sind Miriaume Dechantry, Captain der Lamente, ihre Tochter Valentina Alderberry, und..."

„...Sindrak Herrera. Wir hatten bereits das Vergnügen", ergänzte Tanqueray. Sein Tonfall machte klar, dass es sicherlich kein Vergnügen gewesen war. Er sah zum dem Goldhäutigen. „Und wie lautet Euer Name?"

„Ich bin der Tänzer von Oren Mor." Der Mann erwiderte seinen stechenden Blick gleichmütig. Er schien, als ließe er sich nicht einmal vom Tod beeindrucken.

Tanqueray holte Luft für eine neuerliche Frage, doch Valentina schnitt ihm das Wort ab. „Warum suchen Sie nach Neshira?"

„In gewisser Weise, Miss Alderberry", er wandte sich zu uns um und rückte seinen Mantel zurecht, „sind Sie daran schuld. Sie und Herrera."
Valentina zuckte zurück. „Warum?"

„Durensky ist nicht erbaut darüber, was in seiner Waffenfabrik angerichtet wurde. Ein gesprengtes Lager. Hunderte Arbeiter sind gestorben, nachdem vier Luftschiffe über Ashenfall abgestürzt sind. Einer seiner Vertrauten ist tot."

„Daran ist er wirklich selbst schuld", knurrte Valentina. Ihre Hand fuhr in den Ärmel ihrer Jacke. Ich erhaschte einen Blick auf den tätowierten Dolch auf ihrem Unterarm. „Er gibt der Banshee den Tod, den sie gebraucht hat, um sie zu befreien. Wenn er uns in Ruhe gelassen hätte, wäre dieser Vampirling noch am Leben."

„Sie können gerne nach Cinderport gehen und es ihm erklären." Tanqueray lächelte dünn. „Wir hätten versucht, Blacat als Sündenbock zu nutzen, ihn als Verräter hinzustellen, der aus eigenem Antrieb oder aus terroristischen Gründen gehandelt hat, doch die Odybreva hat sich zu Ihren Gunsten in die Kämpfe eingemischt, und nun weiß Durensky, dass Vigilante seine Finger im Spiel hat. Er will Vergeltung, wenn nicht durch Geld, dann durch Krieg. Die Verhandlungen laufen, doch wir wissen, dass er sich nicht mit Gold abspeisen lassen wird. Seit vielen Jahren plant er einen Krieg, baut Waffen und Luftschiffe. Er will Hivens Ark übernehmen. Zwar kann Oscravelle ihn noch in Schach halten, doch es wird nicht mehr lange dauern, und er wird zuschlagen."

Ich hatte es bereits geahnt. „Was kümmert uns das?", fragte ich schnippisch. „Es ist eure Insel. Wir können gehen, wohin wir wollen."

„Der Krieg um Hivens Ark wird vielleicht an seinen Grenzen Halt machen, aber Durenskys Zorn auf Sie beide sicherlich nicht."

Valentina tauschte einen Blick mit ihrer Mutter. „Die Krankheit", sagte sie. „Durenskys Frau, diese Vettel, hat eine Krankheit in unser Lager geschickt. Wenn Neshira nicht gewesen wäre, wären wir sicherlich alle gestorben."

Ich fragte mich, warum Durenskys Rache nie mich getroffen hatte. Schließlich war es meine Idee gewesen, das Lager in die Luft zu jagen und auf einem Luftschiff des Vampirfürsten zu fliehen. Wahrscheinlich war Korvengerstein doch abgelegener, als ich geahnt hatte. Doch so gerne ich mich versteckte, auf ewig würde es wohl nicht funktionieren.

„Und wegen jener Vettel, wegen Eleuthera Catherine Durensky, suche ich Neshira Canto. Wenn wir sie nicht schnell genug aufhalten, werden ihre Krankheiten und die Waffen ihres Mannes Hivens Ark vernichten. Er wird genug Lebendige am Leben erhalten, um seinen Blutdurst zu stillen, doch es wird keinen Menschen, keinen Animus, niemanden mit fließendem Blut in Freiheit geben. Eleuthera wird die Bevölkerung schwächen, noch bevor die Kanonen und Maschinengewehre in ihre Nähe kommen. Sie ist mächtig, hat hunderte von Jüngerinnen um sich und gilt als unbesiegbar. Wir haben Attentäter nach ihr ausgeschickt, selbst einen der Gintlemen selbst, doch niemand kam je zurück. Deswegen brauchen wir Canto. Sie soll Durensky und seine Frau töten und so einen Krieg abwenden."

„Wie sind Sie auf Neshira gekommen?", wollte Ona wissen. „Es gibt sicherlich unzählige Hexenjäger."

Tanqueray verzog das Gesicht. „Nicht so viele, wie man denken möchte. Die meisten, die man mit dem Tod einer Vettel beauftragt, nehmen das Geld und verschwinden. Die wenigen, die es versuchen, werden von den Hexen getötet. Die einzige, die zuverlässig und präzise Hexen tötet, ist Neshira Canto. Sie ist unter Hexenjägern und Magiern weithin bekannt. Sie taucht plötzlich auf Inseln auf, tötet, und verschwindet wieder, als wäre sie nie dort gewesen."

Der Tänzer von Oren Mor lehnte an einem mit Essensresten übersäten Tisch und lächelte rätselhaft, als wisse er die Lösung zu allen Fragen in diesem Raum, doch verschwieg sie, nur um sich über uns zu amüsieren. „So ist sie. Ruhelos. Nie lange an einem Ort. Sie tötet lieber, als sie zugibt. Eine wahre Dienerin der Banshee."

„Sie ist eine Shinaru. Eine Kriegerpriesterin des König Schellen", verteidigte Ona ihre Schwester.

„Die Shinaru huldigen sowohl dem Einäugigen als auch der Laternenkönigin", erklärte der Tänzer leise. Dennoch verstand ich jedes Wort. „Doch Neshira ist weit fort von ihrem Gott. Sie muss ihn finden, oder niemand von euch, niemand von uns wird Eleuthera tot sehen."

„Und es ist essenziell für mich, Eleuthera so bald wie möglich von dieser Welt zu haben", erwiderte Tanqueray, als müsste er den Tänzer daran erinnern, dass er ein größeres Recht auf Neshiras Dienste hatte. „Ich bin bereit, Canto fünfzigtausend Aurai zu bezahlen, wenn sie sie zur Strecke bringt."

„Neshira tötet nicht für Geld", meinte Ona ungläubig.

„Das tut sie. Jede tote Vettel verkauft sie an Magier."

„Das kann nicht sein. Sie tut es, um die Welt von dem Bösen zu befreien."

„Von dem nicht vorhandenen Bösen kann man sich weder Essen noch ein Dach über dem Kopf kaufen", seufzte ich. Jahrelang hatte ich Schätze gejagt und Bestien getötet, einfach für den Preis, den man mir bezahlte. Ich wusste, wovon er sprach.

„Zuletzt hat sie die Teile einer Waldvettel verkauft", meinte Tanqueray.

„Iona Emmair", sagte der Tänzer.

Tanqueray wandte sich zu ihm um. „Was?"

„Der Name der Waldvettel. Iona Emmair."

„Was wissen Sie über die Hexen?"

„Alles."

Tanqueray stutzte. „Was soll das heißen?"

„Ich weiß, wie sie heißen. Wer sie sind. Was ihre Habitate sind. Und dass ich Neshira alles über sie verraten habe, sodass sie sie töten und die Welt befreien kann von der Seuche, die diese Hexen sind." Der Tänzer lächelte sanft. „Neshira hat fast alle von ihnen vernichtet. Einzig vier sind noch geblieben. Anathère Evá, eine Steinvettel. Ibo Lele, des Dschungels. Lasaint Maraiza, des Sumpfes."

„Und Eleuthera Durensky", ergänzte Valentina.

Der Tänzer nickte. „Die der Seuche. Die Mächtigste von ihnen."

„Als Neshira in unserem Lager war, sagte sie, sie wäre ihr noch nicht gewachsen."

„Das wird sie." So, wie er es sagte, schien es, als müsste er sich ebenfalls überzeugen. „Sie wird sich den anderen Vetteln stellen, und wenn sie Eleuthera gegenüber steht, wird sie sie zerstören. Wenn nicht sie, dann wird es niemand können."

Ich wechselte einen Blick mit Valentina. Sie zweifelte ebenso sehr wie ich. Vielleicht ein bisschen weniger. Sie hatte Neshiras Wunder bereits am eigenen Leibe erleben dürfen. Ich hatte nur Geschichten gehört, die mehr und mehr nach Märchen klangen.

„Wissen Sie, wo Neshira ist?", fragte Ona aufgeregt.

„Es gibt viele Orte, an denen sie sein könnte, doch genau weiß ich es nicht." Der Tänzer sah ehrlich bestürzt an. „Doch Ibo Lele wird sie finden können."

„Wenn er ein Magier ist..."

„Er nutzt keine gewöhnliche Magie. Wenn eine Hexe stirbt, ist es ein Leichtes für die Zirkelschwestern, herauszufinden, wer es war und wo derjenige sich aufhält. Ein weiterer Grund, warum Hexenjäger zumeist nicht lange leben. Wenn jemand euch dabei helfen kann, dann er."

„Wir werden ihn also freundlich fragen, wo die Mörderin seiner Schwestern ist, und er wird es uns bereitwillig verraten", meinte Valentina lakonisch.

Tanqueray warf den Arkanen, die sich vor dem Paravent postiert hatten, einen zufriedenen Blick zu. „Ich denke nicht, doch er wird sich uns kaum widersetzen können."

Ein Lächeln flog über die Züge des Tänzers und verschwand, so schnell wie es gekommen war. Ich war ebenfalls unsicher. Neshira Canto hatte es bisher nicht geschafft, diesen Ibo Lele zu töten, sie, die sich der Macht zweier Götter bedienen konnte, von denen eine mehrere Schiffe in der Luft zerrissen hatte, und nun sollten zehn Arkane und ein alter Mann ihn zur Strecke bringen. Ich hatte bereits aussichtsreichere Himmelfahrtskommandos gesehen.

Ona trat vor. „Ich gehe mit Ihnen", sagte sie, ihre Stimme zitterte. Sie sah sich zu uns um. „Und ihr?"

Das war der Moment, in dem ich mich verabschieden würde. „Das klingt alles hervorragend, aber da du einen neuen Mitstreiter gefunden hast, sogar mehrere, darunter einige sehr schwer bewaffnete Felsblöcke", ich nickte zu den Arkanen, „ist es vielleicht durchaus angebracht, dass ich mich an dieser Stelle davon mache."

Valentina seufzte, als hätte sie genau gewusst. Ona riss entsetzt die Augen auf.

„Ich wette, dass Sie das nicht tun, Master Herrera", erwiderte Tanqueray.

„Oh ja? Wie hoch ist Ihr Einsatz?"

„Zwanzigtausend Aurai."

Ich blickte ihn überrascht an und versuchte im gleichen Moment, es mir nicht ansehen zu lassen. „Vierzigtausend."

„Seien Sie nicht albern. Fünfunddreißig. Sie sind gut in dem, was sie tun. Jemand, der sich gut verstecken und aus dem Verborgenen zuschlagen kann, wird bei einem Kampf gegen die Hexen sicherlich nützlich sein."

Ich überlegte. Wenn es mir zu heikel wurde, konnte ich immer noch verschwinden. Mehr als die kümmerlichen achthundert und das seltsame Amulett von Ona war es allemal. „Zehntausend im Voraus, bitte."

„Dann geben Sie mir meine Geldbörse zurück. Denken sie nicht, ich hätte nicht bemerkt, dass Sie mich auf dem Weg in diesen Raum bestohlen haben."

Ich grinste frech, nahm das Geld aus dem Beutel und drückte Tanqueray ihn in die Hand.

Ona atmete sichtlich auf und lächelte mir zu. Mein Grinsen verrutschte zu irritiert. „Du hast mir versprochen, mich zu meiner Schwester zu bringen. Vergiss das nicht", erinnerte sie mich amüsiert.

Als ob mich das davon abhalten würde, sie mit Tanqueray auf ihre verfluchte Suche zu schicken und mich dann davonzumachen. Ich hatte das Geld, das war alles, was ich brauchte. Doch die Gintlemen hatte ihre Mittel und Wege, um mich an sie zu binden. Valentina fing meinen Blick auf und lächelte spöttisch. Ein paar Aurai, mehr brauchte es nicht. Vielleicht noch ein wenig Gin.

Tanqueray wandte sich Miriaume zu. „Sie würde ich ebenfalls gerne für meine Sache gewinnen. Ich brauche ein Schiff, das uns zu diesem Ibo Lele bringt. Und weiter zu Neshira Canto."

„Nehmen Sie doch Ihr eigenes Schiff, Gintleman", sagte Valentina schnippisch.

„Ich bin nicht offiziell hier. Ich verlasse mich auf die Freundlichkeit jener, denen ich begegne, Miss Alderberry", erwiderte Tanqueray kalt.

„Und ich verlasse mich auf Ihre. Unter hunderttausend werde ich sie nirgendwohin bringen", sagte Miriaume bedauernd. Ich konnte kaum sagen, ob es ihr ernsthaft leidtat oder ob sie mehr Geld herausholen wollte. Aus dem Augenwinkel sah ich Onas bittenden Blick.

„Hunderzwanzig." Tanqueray lächelte so freundlich, wie es ihm möglich war.

„Ich werde meine Crew nicht gegen Hexen führen. Sie sind keine Soldaten. Wenn wir in ein Gefecht geraten, werden wir uns verteidigen, aber erwarten Sie nicht, dass Sie eine Armee kaufen", warnte Miriaume.
„Einverstanden." Tanqueray hielt die Hand auf, sie schlug ein. Valentina verdrehte die Augen und blickte zur Seite.

Ona trat zu ihr. „Warum willst du nicht, dass ihr uns begleitet?", fragte sie zaghaft.

Valentina warf gereizt die Arme in die Luft. „Ich war schon einmal der Spielball von Mächten, die weit über mir liegen, und ich habe so sehr gehofft, dass ich davon verschont bleibe. Ich habe gehofft, dass wir deine Schwester hier finden und dann alle wieder unserer Wege gehen. Aber nein, wir mussten auch noch einem Gintleman begegnen und ziehen nun los, um eine Vettel nach einer Hexenjägerin zu fragen." Sie sah zu Boden und schob einen Metallteller zur Seite. „Aber nun..."

Der Schuss war gedämpft, ebenso die Schreie danach. Dann ein zweiter Schuss, ein dritter, ein vierter. Das Geräusch von brechendem Holz, ein grober Fluch, ein ersticktes Kreischen. Die Musik brach mit einem Misston ab.

Der Tänzer stürzte zu den Paravents und lugte durch den Spalt. „Wir werden angegriffen", murmelte er.

Die Arkanen zogen ihre Waffen. Valentina schob die Hand in ihren Ärmel. Miriaume hielt einen schweren Revolver in den Händen. Ona trat zu dem Tänzer und folgte seinem Blick.

Sofort zuckte sie zusammen und stolperte zurück. „Attica", flüsterte sie.
Ich fluchte. Das Drachenblut war hier.

„Was? Ich dachte, wir hätten dieses geschuppte Miststück vom Himmel geschossen!", fauchte Valentina.

„Und so wurde ich, und sieh mich an...", sagte ich und schob mich unauffällig näher an die Arkanen heran. Im Zweifelsfall waren sie die beste Deckung, die ich in diesem Raum finden konnte. Verteidigen konnten sie mich auch.

„...du bist frisch wie der junge Morgen", grollte Valentina und zog den Dolch aus dem Ärmel.

„Wer ist dort?", wollte Tanqueray wissen.

„Attica Skovron. Sie ist... sie war die Mistress des Bordells, in dem ich gefangen war. Sie sucht nach mir." Ona wich weiter vor dem Paravent zurück. Ich begriff, welche Todesangst sie vor dem Drachenblut haben musste.

Die Arkanen schritten voran, doch der Tänzer hielt sie zurück. „Ich werde sie aufhalten."

„Du allein", sagte der Anführer der Arkanen zweifelnd. Seine Stimme klang nach rollenden Steinen, seine teure Jacke spannte sich über seinen mächtigen Schultern.

Der Tänzer lächelte. „Ich habe einmal beinahe Neshira Canto getötet. Sie fiel ins Delirium und war erst nach mehreren Tagen in der Lage, sich zu heilen."

Ona starrte ihn an. Der Arkane hob eine Augenbraue.

„Folgt dem Gang dort und flieht an der roten Tür durchs Fenster." Er reichte Ona eine Puppe aus Stofffetzen und fremdartigen Stacheln. „Geht zu Ibo Lele. Findet Neshira. Helft ihr, die Hexen zu besiegen."

„Was sind Sie?", fragte Valentina nach einem Moment.

„Ich bin der Tänzer von Oren Mor. Beschützt und verflucht von den Hexen der Eleuthera." Er öffnete den Spalt zwischen den Paravents weiter.

Ona stolperte beinahe in mich hinein. Ihre Hand schloss sich um mein Handgelenk. Sofort ließ sie es wieder los.

„Geht", befahl der Tänzer. Dunkle Adern zeigten sich auf seinen Armen und an seinem Hals. Der Spalt brachte die Sicht auf das Drachenblut, einen Revolver in der Hand, flankiert von einem Trupp schwer bewaffneter Schlächter. Manche kannte ich aus dem Bordell, und schon damals hatte ich sie als schrecklich unheimlich erachtet.

Ich ließ mich nicht noch einmal bitten. Ich wirbelte herum und lief den Gang hinab. Die Schritte der anderen folgten mir, und ich versuchte, mir nicht einzubilden, dass ich in den sicheren Tod rannte.

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