8. Ana Evengrey

Soundtracks: Percival Schuttenbach - The Nightingale aus dem The Witcher 3: Wild Hunt OST, Marcin Przybylowicz & Percival Schuttenbach - Another Round For Everyone aus dem The Witcher 3: Wild Hunt OST; abspielen, sobald die Schlägerei beginnt

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und Daniel Licht - Delilah Ambient aus dem Dishonored 2 OST. Abspielen, sobald sie die Taverne betreten.

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Anghiskes Hufe schmatzten auf dem feuchten Ufer des Dorfteiches, als er mit einem trägen Sprung aus dem Wasser sprang. Zwei badende Kinder schwammen hastig zum Ufer, eines rief nach seiner Mutter, das andere blickte neugierig zu dem schwarzen Ross und der Frau auf dessen Rücken.

Neshira trocknete ihre Kleidung mit einem Zauber und trieb Anghiske mit einem amüsierten Lächeln an dem Kind vorbei, hinein in die schlammigen Straßen der Siedlung. Der Zauber war kaum nötig gewesen. Die Sonne schien auf sie nieder und versprach eine ungewöhnliche Hitze. Rittersporn stand in gepflegten Beeten Spalier entlang der Straße, Kühe wurde gemolken, Männer und Frauen in einfacher Kleidung widmeten sich dem Anbauen von Rüben. Kinder hüpften durch die Pfützen. Ein paar Gestalten in heruntergekommenen Rüstungen beobachteten sie misstrauisch, doch Neshira würdigte sie keines Blickes. Zielstrebig hielt sie auf den niedrigen Turm zu, etwas abseits des Dorfes.

Anghiskes Schritte knirschten auf dem Kiesweg, der zum Eingang des Turms führte, ein Zaun grenzte das Gebiet um das alte Gemäuer ab. Im Garten kniete ein pickeliger Jüngling in einer blauen Robe und jätete Unkraut.

Neshira rutschte vom Rücken ihres Rosses und nahm den schweren Ledersack, den sie über seinen Hals gelegt hatte. Dunkle Schmiere hatte ihn durchnässt, und selbst das Wasser hatte ihn nicht säubern können.

Der Junge sah auf. „Was ist da drin?", wollte er wissen. Sein Tonfall duldete keine Widerrede.

So jung, und bereits bis in die Tiefen seiner Höflichkeit ein verfluchter Zauberer. Neshira lächelte liebenswürdig. „Ein Kopf."

Der Junge schnaubte überheblich. „Nie im Leben hast du einen Kopf da drin."

Die Lehrlinge glauben stets, sie seien etwas Besseres. Schlimmer als die Meister sind sie. Sie wusste, sie sah nicht aus wie jemand, der Köpfe in einem Ledersack mit sich führte. In ihrer menschlichen Gestalt war sie nur eine schlanke, schwarzhaarige Frau mit Tätowierungen auf ihrer hellen Haut, gekleidet in weite Hosen und einen schweren Mantel, statt einer achtschwänzigen Kitsune. Doch ihre Fähigkeiten waren nicht abhängig von ihrem Aussehen.

Sie lehnte ihren Speer gegen die Wand des Turms, öffnete die Schnüre des Sacks und hielt ihn dem Jungen hin. Ein Schwall Leichengestank stob in die frische Morgenluft, tote Augen blickten ihm entgegen. Der Junge würgte und taumelte entsetzt von dannen.

Neshira tätschelte Anghiskes Flanke, legte ihren Gürtel mit Wurfmessern über seinen Rücken und klopfte an die Pforte des Turms. Geräuschlos schwang sie auf. Wie alle Magier war auch Lazan ein schrecklicher Angeber, der es sich nicht nehmen ließ, seine mickrigen Kräfte jedem zu demonstrieren, der an seine Tür kam.

Sie erklomm die Wendeltreppe und klopfte gegen die Tür an ihrem Ende. Geschnitzte Runen und Pentagramme zierten das alte Holz. Zwei hölzerne Augen öffneten sich, blinzelten träge und musterten sie. Dann schwang die Tür auf.

„Neshira, meine Liebe!" Lazan sah von dem riesigen Buch auf, das er studierte. „Welch eine Freude, dich zu sehen!" Beiläufig schloss er das Buch, ohne es zu berühren, und schickte es mit einem Fingerzeig zurück an seinen Platz zwischen den anderen, die die bis unter die Decke reichenden Regale füllten.

„Sei gegrüßt", sagte Neshira reserviert. Hoch über ihr zierten Sterne und Planeten in Goldfarbe die dunkelblau gestrichene Decke.

Lazan strich seine bestickte Robe glatt. „Was bringst du mir Schönes?", fragte er, seine Augen blitzten aufgeregt. Ein Öltuch breitete sich in weiser Voraussicht auf seinem Tisch aus.

„Ich habe die Seehexe getötet." Neshira öffnete den Sack und legte die Teile auf das Tuch. Ein Kopf. Zwei Arme. Zehen. Haut. Innereien. Totems und Artefakte, die sie in der halb unter Wasser stehenden Hütte der Vettel gefunden hatte.

Lazan betrachtete ihre Beute mit einer Mischung aus Ekel und Faszination. Mit einem Federkiel hob der die blutige Haut an, stieß die aus Schilf und Fischknochen gefertigten Totems an, die Neshira an Anghiskes erinnerten, und schob die Zehen fein säuberlich in eine Reihe. „Ich danke dir", sagte er, die Gier schimmerte in seiner Stimme. „Sie werden sehr nützlich für meine Tränke sein."

Neshira unterdrückte den Drang, ihre mit gerinnendem Blut verschmierten Hände an seiner Robe abzuwischen. „Das freut mich."

Er sah zu ihr auf und musterte sie einen unangenehmen Moment zu lang. „Hast du noch etwas?"

„Nein."

„Ihr fehlt ein Finger. Rituell entfernt."

„Das ist wahr."

„Und dieser Finger..." Lazan leckte sich über die Lippen. „Er ist dir nicht zufällig untergekommen?"

Neshira hatte nichts anderes erwartet. Jeder, der Geld für Vettelteile bot, war nach ihrem Vettelherz her. Auch die wenigen Jägergruppen, denen sie sich für einige Jagden angeschlossen hatte, waren meist nur auf der Suche nach dem Herz gewesen. „Ist er. Doch ich habe ihn zerstört."

„Zerstört?" Lazan riss die Augen auf. „Dir ist bewusst, was für eine Macht er hatte?"

„Das war es. Der Quell der Kraft der Hexe." Sie hielt dem wütenden Blick des Zauberers stand.

Die Gier in seinen Augen weinte schier. „Und du hast ihn zerstört! Wie dumm bist du, Mädchen!", fauchte er. Blitze stoben um seine Finger.

„Werde nicht unhöflich, Lazan", knurrte sie. Goldener Schimmer breitete sich um ihre Hände aus. „Ich bin keiner der Hexenjäger, die nur aus Gier und Spaß jagen. Ich töte Hexen. Und wenn ich das Herz dir gebe, werden sie nicht lange tot bleiben."

„Behauptest du, ich würde Hexen wieder zum Leben erwecken? Was denkst du von mir!", rief Lazan entrüstet.

Neshira verdrehte die Augen. „Dafür brauchen die Vetteln dich und deine jämmerlichen Kenntnisse der Nekromantie nicht", schnaubte sie. „Sie brauchen nur ihr Herz und ihren Zirkel, die ich beide gedenke zu vernichten. Und du und dein Verlangen nach ihrer Macht werden mir nicht im Wege stehen."

Kurz maßen sie sich mit Blicken, ihr dunkles Grün gegen sein wässriges Grau. Schließlich senkte er den Blick. „Hervorragend", brummte er. „Das wären dann zweitausend Aurai für deine Leichenteile."

„Zweitausendfünfhundert."

„Zwei drei."

„Einverstanden."

Mürrisch zählte Lazan die Goldstücke in einen Beutel. Es waren viel zu wenig für die Gefahren, die Neshira auf sich genommen hatte, und noch weniger als das, was Lazan ihr versprochen hatte, doch um sich mit diesem impertinenten, gierigen Zauberer zu streiten, war ihr ihre Zeit zu schade.

Markiri hätte mit ihm gestritten. Niemals unhöflich, doch unbeirrbar. Ophys hätte sich ebenfalls eingemischt, und Ruk hätte allein mit seiner Größe und den arkanen Runen in seiner Orkhaut dafür gesorgt, dass Lazan sie nicht betrogen hätte. Doch ihre Kameraden waren fort. Sie hatte sie vor langer Zeit in einem Land im Norden zurück gelassen, als Jade nach ihr gerufen hatte. Nun war die Welt verloren, und es gab keinen Ort, an dem sie mit der Suche beginnen konnte. Mit ihnen an ihrer Seite wäre es einfach gewesen, die Hexen zu besiegen. Sie hätte keine vier Tage lang um das Haus der Seehexe herumschleichen müssen, bis die Alte unvorsichtig wurde. Sie hätte keinen Brand legen müssen, um die Waldvettel zu besiegen. Mit ihnen hätte sie die Sumpfhexe in der Luft zerrissen. Mit ihnen würde sie nach Cinderport reisen und Eleuthera Catherine aus dem Fenster ihres eigenen Turms schleudern und ihrem unsterblichen Gemahl einen Pflock ins Herz treiben, ohne abzuwarten, dass sie schwächer wurde.

Neshira nahm dem Zauberer mit blutigen Händen das Geld aus der Hand. „Eine Freude, mit dir Geschäfte zu machen."

Er wedelte mit der Hand. „Mach, dass du weg kommst", murmelte er verdrossen.

Sie deutete eine spöttische Verbeugung an und schritt die Treppen hinab. Die das Blumen duftende Luft des Gartens war nach dem warmen, stickigen Turmzimmer eine Erlösung. Sie nahm den Speer, rief mit einem Schnipsen Anghiske zu sich und machte sich auf dem Weg zu der Taverne.

Die Bewaffneten lungerten noch immer im Schatten des Gebäudes herum, Humpen mit Bier in den Händen. „Keine Waffen erlaubt!", bellte einer ihr entgegen.

Neshira blickte zu ihrem Waffengurt über Anghiskes Rücken. „Keine Sorge, das Pferd bleibt draußen."

Einer der Männer kicherte, und der Anführer brachte ihn mit einem Blick zu schweigen. „Und das?" Er wies auf ihren Speer.

Sie hakte die Waffe in die Schnüre um Anghiskes Körper. „Zufrieden?" Neshira verkniff sich ein amüsiertes Lächeln. Sie könnte sie mit bloßen Händen töten, wenn ihr danach war, und müsste dafür nicht einmal einen Zauber wirken.

Einer der Männer musterte Anghiske interessiert. „Prachtgaul hast du da. Wie viel?"

„Wenn Sie ihn reiten wollen, müssen Sie ihn zähmen. Und glauben Sie mir, das wollen Sie nicht." Neshira musterte Anghiske. „Als ich ihn gebunden habe, hat es mich mehr als nur die Nerven gekostet."

Der Mann erwiderte verständnislos ihren Blick. „Was soll das heißen?"

„Er ist ein Dämon von einem Pferd." Neshira lächelte dünn. „Versuchen Sie nicht, aufzusitzen, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist."

Der Anführer nickte seinen beiden Handlangern zu. Langsam traten sie auf sie zu. „Filzt sie", befahl er. „Nehmt ihr alles ab, was uns gefährden könnte."

Neshira verdrehte die Augen. „Euer Tresen muss aus Gold sein, wenn ihr solche Angst habt." Im Stillen nahm sie sich vor, sollte sie jemals wieder Lazan einen Besuch abstatten, würde sie ihn daran erinnern, ein paar Männer zum Schutz der Bevölkerung abzustellen. Vielleicht waren auch diese Männer ebenjene Wachen, und hatten das Prinzip von Disziplin noch nicht begriffen.

Die Männer klopften sie mehr schlecht als recht ab, ihre Hände fuhren über ihre Arme und Beine, glitten ein Stück zu langsam über ihre Taille. Einer von ihnen drückte mit einem schmierigen Grinsen ihre Brust, und sie verlor die Geduld.

Sie schlug ihm mit aller Kraft gegen die Schläfe und trat ihm zugleich die Beine weg. Mit einem Blöken fiel er in den Dreck. Der zweite riss die Augen auf und schwang seine Faust in ihre Richtung, sie wich aus und trat ihm mit Wucht in die Magengrube. Er taumelte rückwärts und fiel ebenfalls keuchend zu Boden.

Hervorragende Wachen hat Lazan sich ausgesucht. Der Dritte stellte langsam seinen Krug beiseite und zog sein Schwert, während die anderen sich langsam aus dem Matsch erhoben. „Du hast einen miesen Fehler begangen, du kleine Hure", knurrte der Anführer.

„Ihr habt mich angefasst", versetzte sie hochmütig. „Ich wollte nur etwas trinken."

Die ersten beiden kamen seitlich auf sie zu, vermutlich, um sie in die Zange zu nehmen. Sie wartete, bis sie nahe genug aneinander waren, und trat beiden aus der gleichen Drehung heraus gegen die Köpfe. Heulend fuhren sie zurück.

Das Schwert war ein Streifen rostigen Metalls, doch noch immer scharf und gefährlich. Neshira packte seinen Arm und brach den Oberarmknochen mit der Handkante. Zwei weitere Schläge, und der Mann klappte mit gebrochenen Rippen und ausgerenktem Knie zusammen.

Aus dem Augenwinkel sah sie den ersten Mann auf sie zutaumeln. Widerstandsfähig sind sie, das muss ich ihnen lassen. Sie rammte ihm die Hand an die Kehle und stieß ihn auf Anghiske zu. Er keuchte und hielt sich den Hals. Anghiskes Zähne versenkten sich tief in seiner Schulter, und der Wassergeist schleuderte den Mann gegen die Tavernenwand.

Sie wirbelte herum, riss aus der Bewegung zwei Messer aus den Scheiden ihres Waffengurtes und sah sich zu dem letzten der Wachen um.

Eine Pistole klickte. „Keine Bewegung!"

Sie erstarrte, die Messer zum Wurf erhoben. „Ich könnte das Gleiche sagen." Hinter ihr knurrte Anghiske, ein Geräusch, das den Mann sichtlich nervös machte.

„Messer. Lächerlich."

Sie warf beide Messer zugleich. Eines durchbohrte glatt sein Handgelenk, und er ließ die Pistole fallen, das andere steckte in seiner Schulter. Jaulend wälzte er sich im Dreck, zusammen mit seinen stöhnenden Kameraden.

Ein leises Klatschen ließ sie aufsehen. Eine Frau stand neben der Straße und applaudierte ihr in edlen Lederhandschuhen. Ihre Kleidung verriet, dass sie bereits weit gereist sein musste. „Ich dachte, ich müsste Ihnen zur Hilfe kommen", sagte sie ehrlich beeindruckt.

„Nicht bei solchem Abschaum", erwiderte Neshira amüsiert.

„Mein Name ist Ana Evengrey." Sie trat auf Neshira zu. „Erlauben Sie mir, Sie auf ein Getränk einzuladen."

„Neshira Canto." Neshira schüttelte die dargebotene Hand. Etwas an der Frau war anders, und sie wusste nicht, was. „Mit Vergnügen", sagte sie und folgte Ana in die Taverne.

Der Zauber, den sie wisperte, enthüllte eine Abwesenheit der Magie, wo keine sein sollte. Der Schatten von Macht schlich um sie herum, einer dunklen Magie, wie die, die sie vom Grund unter den Nebeln kannte, doch statt ihr war dort ein merkwürdiges Vakuum.

„Es ist nicht sehr höflich, Erkenntniszauber auf Fremde zu wirken", schalt Ana sie über die Schulter, doch mit einem amüsierten Unterton.

„Anders könnte man Fremden wohl niemals trauen", entgegnete Neshira.

Ana lachte. „Das ist wahr." Sie führte Neshira an einen Platz mit Blick zur Tür und bestellte Met. Dünnes Licht fiel durch die schmutzigen Fensterscheiben.

Neshira nippte an ihrem Getränk und musterte ihr Gegenüber. Eine Menschenfrau, ohne elfische oder orkische Einflüsse. Die Kleidung ein wenig heruntergekommen, doch die edle Machart war noch immer zu erkennen. Aufmerksam erwiderte Ana ihren Blick aus hellen Augen. Kerzenlicht spiegelte sich in ihnen. Schulterlange dunkle Haare rahmten ihr Gesicht ein.

„Sie haben ein bemerkenswertes Können", begann Ana. „Selten habe ich jemanden gesehen, der drei Männer mit einer derartigen Leichtigkeit besiegt hat. Mit bloßen Händen."

Neshira neigte den Kopf. „Ich habe lange gebraucht, bis ich so weit war."

„Wo haben Sie es gelernt?"

„Auf Jade."

Ana schwenkte die goldene Flüssigkeit in ihrem Becher. „Sie sind eine Shinaru, habe ich recht?" Sie wies auf Neshiras Amulett, das Glöckchen nebst der eisernen Laterne. „Und nicht so menschlich, wie es scheinen könnte."

Neshira verzog das Gesicht. „Da liegen Sie richtig. War es so einfach, es herauszufinden?"

„Für jemanden, der vor der Zweiten Katastrophe die Welt bereiste und auch für mehrere Jahre in Jade war, ja." Ana lächelte freundlich. „Was bringt Sie in diese Gegend?"

„Persönliche Aufträge", sagte Neshira, plötzlich reserviert. So freundlich Ana war, trauen tat sie ihr nicht.

„Natürlich." Ana senkte verlegen den Blick. „Ich sollte mich erklären. Allzu zufällig war unsere Begegnung nicht. Ich habe Sie gesucht."

Neshira tastete nach ihrer Magie. „Warum?"

„Weil ich hörte, was Sie tun."

Neshira erwiderte skeptisch ihren Blick.

„Sie töten Hexen", sagte Ana gefasst.

„Das tue ich."

„Warum?"

Neshira hob eine Augenbraue. „Das fragen Sie? Die Vetteln sind hinterlistige Bestien, die jedes Lebewesen in Tod und Verderben stürzen. Sie geben sich als Helferinnen in der Not aus, als freundliche Retter, die die Erlösung jeglichen Übels anbieten, doch wer ihre Hilfe annimmt, ist gefangen wie eine Fliege im Spinnennetz. Sie müssen sterben, bevor die ganze Welt, oder das, was von ihr übrig ist, unter ihnen zugrunde geht."

Ana bedachte sie mit einem hinterhältigen Blick. „Nicht für die Herzen?"

„Jede Hexe, die ich tötete, wird nie wieder auferstehen. Ich zerstöre die Herzen mit heiliger Magie. Nichts kann eine Hexe dann noch zurückbringen." Neshira reckte das Kinn.

„Deswegen habe ich Sie gesucht. Weil sie eine der einzigen Hexenjäger sind, denen man trauen kann. Sie jagen nicht für Gold, sondern nur aus Ihrer Überzeugung heraus." Ana lächelte einladend. „Ich will Ihnen helfen."

„Warum?"

„Der Zirkel, dem Sie nachjagen, hat mir und meiner Familie großes Leid angetan." Anas Tonfall machte klar, dass sie nicht weiter darüber sprechen würde. „Ich will ihn ebenso zerstört sehen wie Sie."

Zögerliche Hoffnung flammte in Neshira auf. Mit Ana an ihrer Seite wäre es sicherlich einfacher, die vier letzten Hexen zu töten. „Was können Sie?", fragte sie.

„Ich behaupte von mir, recht passabel mit dem Schwert zu sein."

„Magie?"

„Keine, die ich einsetzen kann."

„Was bedeutet das?"

Ana trank von ihrem Met. „Als die Welt zerbrach, besetzte ein Dämon meinen Körper", erzählte sie ruhig. „Er war viel zu stark für meinen Körper und drohte, mich zu töten. Ich trage nun einen Talisman, der ihn gefangen hält." Ihre Hand zuckte zu ihrem Hals. „Ich kann seine Magie nicht nutzen. Sie würde mich zerstören. Doch vielleicht macht sie mich zu einer besseren Schwertkämpferin."

Das erklärte die Abwesenheit von Magie, die Ana umhüllte. Doch ein Schwert, und war es in noch so fähigen Händen, war wenig hilfreich gegen die Macht, die Eleuthera, die Sumpfhexe und die anderen beiden Vetteln ihnen entgegenzusetzen hatten. Die Worte des Tänzers von Oren Mor flüsterten in Neshiras Ohren. Sie musste lernen, die Macht des König Schellen zu nutzen, wie es die Shiro von Jade gekonnt hatten. Doch das Wissen, wie man ihn nach Belieben rufen konnte, war mit der Insel der Kitsune untergegangen.

Ana schien ihre Gedanken zu lesen. „Es gibt einen Ort, eine Wolkeninsel. Sie ist das Revier einer Steinvettel. Doch das Zentrum der Insel ist von ihrer Magie unangetastet, dort steht ein Tempel des König Schellen. Niemand hat sie seit der Zweiten Katastrophe betreten. Wächterdämonen und die Geister der Shinaru suchen die Insel heim. Sie sollten in der Lage sein, sie zu betreten." Sie nickte in Richtung des Eingangs der Taverne. „Nach allem, was ich gesehen habe."

Heißes Misstrauen stieg in Neshira auf. „Was wissen Sie über mich?", fragte sie langsam.

Ana lächelte halb. „Viel. Dass Sie den Hexen nachjagen. Dass Sie Eleuthera Catherine als ihre Erzfeindin ansehen und sie töten wollen. Und dass sie zwar stark sind, doch Vetteln wie Lasainte Maraiza und Ibo Lele übersteigen ihre Fähigkeiten. Sie zwingen Sie, zu Mächten zu greifen, von denen Sie geschworen haben, Sie zu bekämpfen."

Neshira meinte, das Kichern der Banshee in ihrem Nacken zu hören.

„Wenn Sie zu dem Tempel gehen, werden Sie vielleicht einen Weg finden, Eleuthera zu besiegen. Ohne, dass sie die Fürstin der Finstersten Schatten rufen müssen." Ana leerte ihren Becher. „Ich weiß viel über die Hexen. Ich kann Ihnen verraten, wie Sie die letzten Hexen besiegen können. Und wie Sie Eleuthera entgegentreten und aus dem Kampf als Siegerin hervorgehen können."

Neshira starrte sie an. Ana versprach, alles zu wissen, wonach sie suchte. Einen Weg zur Macht des König Schellen. Wissen, wie man die Hexen besiegen konnte. Alles, was sie tun musste, war ihr zu folgen. „Verzeihen Sie, es ist unhöflich." Neshira sammelte Magie in ihrer Hand. „Doch Ihre Versprechen sind zu verlockend, als dass ich sie Ihnen anstandslos glauben kann. Ich habe gelernt, dass vieles nicht so schön ist, wie es scheint."

„Sie haben gegen Vetteln gekämpft. Wenn Sie eines wissen nach jenen Begegnungen, dann dies." Ana wies auf den Schein des Zaubers in ihrer Hand. „Tun Sie es."

Erinnerungen, wie die Gestalten schöner junger Frauen von den Hexen abfielen und die von Machtgier und schwarzer Magie entstellten wahren Gesichter enthüllten, blutverschmiert und verkommen, fielen Neshira an, doch sie wischte sie zur Seite. Das Wort, das sie sprach, erweiterte den goldenen Schein in ihrer Hand, bis er die beiden Frauen wie eine Kuppel aus schummrigem Licht einhüllte.

Die Wirtin gaffte in ihre Richtung. Neshira erwiderte ihren Blick scharf, und sie begann, ihre Gläser gründlicher zu putzen.

Neshira wandte sich wieder Ana zu. „Was wollen Sie?"

„Ich will Ihnen helfen, das Wissen zu erlangen, das Sie brauchen. Für die Kämpfe, die da kommen werden."

„Selbstlosigkeit ist selten zu diesen Zeiten", meinte Neshira zweifelnd.

„Hexenjäger, die nicht nach Macht und Gold hungern, auch."

„Was haben Sie davon, wenn ich die Hexen töte?"

„Eine Welt frei von ihrem Machthunger." Ana sah sie fest an. „Ich allein kann sie nicht besiegen. Doch Sie können es, und wenn ich Ihnen helfen kann, einen Weg zu finden, bei dem Sie nicht nach der Macht der Banshee greifen müssen, dann sei es so."

„Woher wissen Sie so viel über mich?" Diese Frage beunruhigte Neshira am meisten.

„Nicht nur Sie kennen den Ort, der sich Oren Mor nennt."

„Ich dachte stets, der Tänzer behält Stillschweigen über unsere Gespräche."

„Das tut er. Doch all jene, die um ihn herum tanzen, stürzen sich auf jeden Funken eines Geheimnisses wie Geier." Ana lächelte verschmitzt.

Neshira nahm sich vor, bei ihrem nächsten Gespräch mit dem Tänzer eine Sphäre der Stille zu wirken.

„Ich bin Ihrer Spur gefolgt, seit sich zeigte, dass Sie gezielt Hexen nachjagen, und habe mich nach Ihnen umgehört", fuhr Ana fort. „Es war schwer. Sie verschwinden von den Inseln wie ein Geist und tauchen scheinbar willkürlich auf anderen auf."

Neshira dachte an schwarzes, stets feuchtes Fell und Augen wie hasserfüllte Seen hinter einer Mähne voller toter Wasserpflanzen. „Wer sind Sie?"

„Jemand mit offenen Rechnungen mit einer Seuchenvettel."

„Wollen Sie mich in eine Falle locken, töten oder mir schaden?"

Ana hob die Augenbrauen. „Nein", antwortete sie, ohne die unfreundliche Frage eines Kommentars zu würdigen.

Neshira lächelte entschuldigend und löste den Zauber. Entweder war Ana mächtiger, als sie schien, um den Wahrheitszauber zu überwinden, oder sie hatte tatsächlich nicht gelogen. Der Gedanke an ersteres nagte an ihr, doch sie entschied sich, ihr zu glauben. Wenn alles, was sie ihr gesagt hatte, stimmte, war sie eine unverzichtbare Verbündete. Allein, dass sie sie zu einen der alten Tempel führen konnte, war mehr, als sie sich jemals erhofft hatte.

Sie reichte Ana die Hand. „Verzeihen Sie mir für die Skepsis."

Sie ergriff sie. „Anders könnte man Fremden niemals trauen."

~ ~ ~

Neshira Sass intensifies

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