5. Überfall
Soundtrack: Hans Zimmer - No Woman Has Ever Handled My Herschel aus dem POTC: Salazars Rache OST und Paul Haslinger - Round Two aus dem Die Drei Musketiere OST. Letzteres abspielen, sobald der Gremlin das Pferd erschießt.
https://youtu.be/wilDNfYL5Os
~
Attica lag rittlings auf der Kanone, den Kopf auf der Reling über der Luke des Geschützes. Über ihr zogen die Wolken pfeilschnell über den Himmel, und das Luftschiff folgte ihnen.
Es war nicht die Feuerwind. Natürlich nicht. Das Arsenal war ein lukratives Bordell, und Attica wollte verflucht sein, wenn sie sich das Geld, das zeit ihrer Abwesenheit in ihre Kasse floss, durch die Lappen gehen lassen würde. Davon einmal abgesehen hatte sich die Hälfte ihrer Crew nach der endgültigen Landung der Feuerwind davon gemacht, um ihr Glück auf anderen Schiffen statt in dem schäbigen Bordell ihres ehemaligen Captains zu suchen, und nun fehlten ihr die Männer, um es sicher fliegen zu können.
Stattdessen hatte sie eine kleine Brigg im Hafen von Korvengerstein erbeutet, nachdem sie dem Captain ins Bein geschossen und der Crew geraten hatte, das Weite zu suchen, bevor ihnen das Gleiche geschah. Es trug den Namen Lady Winstead, und Attica fand es entsetzlich langweilig.
Doch sie langweilte sich nicht. Nicht im Geringsten. Attica wusste, dass unter ihnen die Straße nach Rivercross lag. Die Straße, die Miss Fuchs und ihr schmieriger Hyänenfreund genommen hatten. Das Jagdfieber, der Hunger nach Blut pochte durch ihre alten Glieder, das Verlangen, diesen von Mechanicus verdammten Karr zu finden, seinen Kopf zu dem Schädel seines Bruders an den Bugspriet der Feuerwind zu hängen und dieses Miststück Shuriken zurück in ihr Bordell zu bringen, wo sie die schlimmsten Schläger der Rabenfedern zu kostenlosen Ritten auf der kleinen Fuchsfotze einladen würde. Danach würde sie sie töten, häuten und ihr Fell zu ihren besten Blusen tragen.
Attica mochte Pelz. Das von dunklen Runen übersäte Fell, gezeichnet von Brandwunden, das Lastora Skovron dem Bruder des Karrs geraubt hatte, zierte nun deren alten Mantel, und Attica trug ihn für ihr Leben gern.
Noch immer ärgerte sie sich, dass es überhaupt so weit kommen musste. Sie hatte gehofft, ihre Männer würden Shuriken vor Tagesanbruch finden, so wie die letzten vier Male, sie würde sie auspeitschen und sie Sache wäre erledigt, bis das Mädchen sich erneut zu einem ihrer erbärmlichen Ausbruchsversuche hinreißen ließ. Doch der Karr schien besser im Ausbrechen zu sein als sie allein. Sie waren im Revier der Regenmacher verschwunden. Ein Viertel der Stadt, das Attica nicht betreten durfte, ohne massakriert zu werden. Selbst ihre Männer, die nach Shuriken gesucht hatten, waren mit Schüssen davongejagt worden. Innerlich verfluchte sie die Tatsache, dass sie den Rabenfedern die Treue geschworen hatte. Selbst, wenn sie durchaus kompetente Mörder waren.
Sie hatte schnell begriffen, dass Karr und Kitsune nicht durch die offiziellen Häfen verschwunden waren, das hätten ihre Freunde am Hafenamt ihr verraten. So blieben nur die Canwy Roch. Und selbst sie redeten, wenn man ihnen einen Gin nach dem anderen servierte und freundliche Fragen stellte. Attica hatte sich bedankt, hatte ihre Waffen und ihre Crew zusammengestellt und war losgezogen, um ein Schiff zu stehlen.
„Madame!"
„Captain", verbesserte sie ihn, ohne aufzusehen.
„Captain. Wir haben sie." Toby Dunne stand vor ihr, die Wangen gerötet, seine Augen blitzten.
„Hervorragend." Sie hielt ihm eine Hand hin, er ergriff sie und zog sie in eine sitzende Position. Attica erhob sich umständlich und trat von der Lafette hinab auf die Planken. „Wo sind sie?"
Dunne reichte ihr das Fernrohr, seine schulterlangen roten Haare flatterten mit seinem Hemd im Wind. „Dort unten."
Attica blickte hinab auf die von Schlaglöchern durchzogene Straße. Drei Wagen, begleitet von mehreren bewaffneten Reitern, fuhren zügig über den festgetrampelten Boden. Erste Männer warfen besorgte Blicke zu dem sich nähernden Luftschiff.
Attica spürte, wie ein grimmiges Lächeln ihre Lefzen spaltete. Ruckartig setzte sie das Fernrohr ab und wandte sich um. „Die Segel dicht holen! Absinken! Runter auf fünfzig Meter über dem Boden!" Bewegung kam in die zuvor entspannte Crew, hastig kamen sie ihren Befehlen nach. „Die Kanonen laden!"
Fauchend entwich die Luft aus dem Ballon des Luftschiffes, und sie sanken langsam dem Boden entgegen, immer auf die Karawane zu. Ein Reiter löste sich aus dem Verbund und stürmte im gestreckten Galopp den Mauern der Stadt entgegen. Bunte Zelte lagerten vor den Mauern, überschattet von einer gepanzerten Korvette. Schwarzer Rauch stieg aus den Schornsteinen auf.
Attica nahm ihr Gewehr, das sie gegen die Kanone gelehnt hatte, legte an und zielte. Der Schuss ließ ihre Ohren klingeln. Das Pferd machte einen Satz zur Seite, doch sein Reiter hatte es unter Kontrolle. Sie fluchte innerlich. Rivercross hatte keine eigenen Luftschiffe, und die Korvette, offensichtlich Cinderport angehörig, würde ein paar lächerlichen Canwy Roch kaum zur Hilfe kommen, doch sie wollte kein Risiko eingehen. Erneut legte sie an und schoss, wieder ging die Kugel daneben.
Ein zweiter Lauf schob sich neben den ihres Gewehrs. Der Gremlin blickte konzentriert durch das Zierlfernrohr, schob zwei weitere Linsen davor, atmete hörbar durch und schoss.
Dunkle Flecken erblühten auf dem bunten Hemd des Reiters, doch er fiel nicht. Der Gremlin lud seine Waffe durch und zielte erneut, doch setzte es ab. „Zu weit weg", schnarrte er. Sein Mantel, flatternd im Wind, hüllte ihn von der breiten Krempe seines Hutes bis zu den Spitzen seiner Stiefel ein.
„Wenn du zwei Sekunden vorher da gewesen wärst, hätten wir ihn bekommen!", fauchte Attica. „Wofür bezahle ich dich?"
„Dafür, dass du mich rufst, um Dinge zu erschießen, bevor sie außer Reichweite sind", gab der Gremlin zurück. „Und dafür, dass ich alles finde, was du suchst. Und siehe da, wir haben gefunden, was du suchst."
„Dein Geld bekommst du trotzdem erst, wenn der Karr tot und Shuriken wieder sicher in Korvengerstein ist, Durag el Slaad", zischte sie und wandte sich ab.
Sie hatte seine Dienste teuer erkauft, ein berühmter Kopfgeldjäger und Duellant, bekannt für sein Können an der Pistole. Es schien ihr klug, sich mehr Unterstützung zu holen als nur ihre Crew, ein paar Schläger der Rabenfedern und ihren impertinenten Bruder, der sich trotz aller Drohungen, Schläge und boshafter Worte geweigert hatte, in Korvengerstein zu bleiben. Von allen versoffenen, heruntergekommenen Gestalten war er am kompetentesten erschienen. Nun fragte sie sich, ob dem wirklich so war.
Attica bahnte sich ihren Weg zum Heck des Schiffes. Norren stand dort stolz hinterm Steuerrad und genoss sichtlich die Brise. Der Wind presste sein blutiges Hemd gegen seinen Körper und zeigte jeden Flecken scharfkantige Rippen und aufgesprungene Schuppen darunter.
Sie trat die Stufen schneller hoch, als ihr Körper es ihr verzieh, Dunne folgte ihr. Sie verbarg ihre schmerzerfüllte Grimasse unter einem wütenden Zähnefletschen, in der Hoffnung, ihr Bruder würde es nicht bemerkt haben, und blickte hinab zu ihrer Crew. „Kanonen bereit?"
„Sind sie." Dunne legte die Hand auf seinen Säbel.
„Auf mein Zeichen." Es waren nur drei auf jeder Seite, doch drei Kanonen waren eine Menge gegen ungepanzerte Wagen der Canwy Roch. „Haltet den Kurs!"
Der Boden näherte sich. Die Pferde legten sich ins Zeug, Staub stob unter ihren Hufen auf, Peitschen knallten und Männer brüllten. Ein erster Schuss donnerte. Attica hörte nicht einmal den Aufprall der Kugel.
Näher und näher schob sich das Schiff an die fliehenden Wagen heran. Attica erkannte den Karr und Shuriken, sie mit ängstlichen Blicken zu ihr hinauf, er hatte bereits sein merkwürdiges Schwert gezogen.
Stählerne Zähne erhoben sich auf den wie Kiefer zubeißenden Klingen.
Dieses würde sie ihm als nächstes abnehmen, schwor sie sich. Das erste Schwert hatte sie ihm bereits vor drei Jahren gestohlen, ein breiter Säbel mit Verzierungen in der Form von Haien und Tentakeln. Es war das Erbstück der ehrwürdigen und alten Familie Caligár, aus dessen Linie Lastoras Großmutter kam, und obwohl es eine finstere Aura verströmte, das Gefühl des Ertrinkens, ein Flüstern von Stürmen auf hoher See, der verhaltene Zorn eines Gottes, der mit dem Meer untergegangen war, hatte es sich als Enttäuschung herausgestellt. Es konnte weder Stürme beschwören noch konnte man mit ihm Schiffe gegen ihre Besatzung aufhetzen. Doch es lag gut in der Hand, und Attica wurde das Gefühl nicht los, dass die bösen Geister, die angeblich in der Klinge hausten, ihr Können daran nicht unerheblich verbesserten.
Scheinbar ruhig wartete sie ab, bis das Schiff die Position erreicht hatte, die sie für ihr Manöver brauchte. Innerlich tobte bereits die Schlacht um sie, die Erinnerungen an das Drachenschiff der beiden Karr-Brüder, die unendlichen Attacken mit ihrer Mutter auf die Kriegsschiffe von Adhrin und die Armeen derer jämmerlichen Verbündeten. Ihre Finger tippten nervös auf der Reling.
„Hart Backbord!" Attica wirbelte herum, stieß Norren grob zur Seite und versetzte das Steuerrad mit einer heftigen Bewegung in Drehung. Der Wind fuhr in die Segel, das Schiff krängte. Der Schatten des Ballons fiel über die Fliehenden wie das Verderben persönlich. Schüsse gellten und schlugen in den Ballon ein. „Feuer!"
Die drei Kanonen spuckten Eisen und Tod. Eine Kugel traf eines der Pferde direkt in die Seite, und es explodierte regelrecht in einer Fontäne aus Blut. Die anderen Tiere des Vierspänners stolperten in ihren toten Artgenossen hinein und wurden gewaltsam zum Stehen gebracht. Die zweite traf nichts, doch wirbelte eine Menge Staub auf, die dritte zerfetzte einen der Wagen zu Kleinholz.
„Nachladen!", bellte Attica und brachte das Schiff auf Kurs.
Neben ihr erhob sich Norren mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Warn mich gefälligst vor, bevor du so etwas tust, du elende Hurenkommandantin!"
„Ich denke nicht daran, Bastard", antwortete sie, doch das Grinsen auf ihren Zügen machte die Beleidigung nutzlos.
„Wir sind verloren", murmelte Norren. „Königin Fotze hat gute Laune."
„Zu den Gewehren! Feuer auf mein Befehl!", schrie Attica und lenkte das Schiff im Kreis um die im Chaos versinkende Karawane. „Vorwärts, ihr faulen Hurenböcke! Dunne, die Position!"
Dunne trat zur Reling und blickte hinab. Attica spürte ihren Herzschlag unter ihren Schuppen, schnell wie das Pferd der Roch, dessen Reiter sie verfehlt hatte. Plötzlich fragte sie sich, wie sie es je so lange in Korvengerstein ausgehalten hatte, ohne den kalten Wind des dräuenden Todes auf ihrer Haut.
Die Zeit, bis Dunne das Signal gab, erschien ihr entsetzlich lang. Ihre Finger krampften sich um die Speichen des Steuerrades, beinahe war ihr, als habe er seinen Befehl vergessen. Ihr Puls hämmerte an ihrem Hals, ihrer Brust, ihren Handflächen, als habe das Schiff seinen eigenen Herzschlag.
„Captain!"
Ihr Titel war ihre Erlösung. Sie drehte das Steuerrad, der Wind warf die Lady Winstead zur Seite. „Feuer!"
Ein zweiter Wagen explodierte in einer Fontäne aus Holzsplittern und zerfetztem bunten Segeltuch, die Pferde suchten panisch das Weite. Ein Roch wurde von seinem Reittier gerissen. Die Kugeln der Mannschaft schlugen zwischen den Geschossen in Boden, Menschen und Tiere ein. Attica sah, wie der Karr ein Pferd einfing und sich auf dessen Rücken schwang. Shuriken saß hinter ihm auf.
„Slaad!", schrie Attica. „Erschieß das Pferd! Oder den Karr, was du besser erwischst!"
Der Gremlin legte sein Gewehr an und zielte, während das Schiff langsam aus der Krängung in die Normallage zurücksank. Der Schuss kam nur einen Augenblick später. Das Pferd des Karrs stolperte aus dem Galoppsprung heraus und fiel, die Reiter flogen über den Hals hinweg in den Staub.
„Attica!", rief Norren warnend.
„Nachladen!", befahl Attica und wandte sich ihrem Bruder zu. „Was willst du?"
„Schau!"
Sie folgte seinem Blick, und was sie sah, ließ ihr die Eingeweide in die Beine sacken. Ihr Gesicht schien taub zu werden. „Verdammt", flüsterte sie.
Die Korvette flog auf sie zu, die Kanonen bereit. Das dunkle Metall der Panzerung schimmerte matt im Licht der Sonne. Bereits mehrere hundert Meter entfernt bildete sie sich ein, den Ruß von Cinderport zu schmecken. Das Stampfen der Maschinen klang nach einer Bestie, deren Atem sich durch die dräuende Schlacht nicht einmal aus der Ruhe bringen ließ. Näher und näher kam sie, langsam im Gegensatz zu Atticas Brigg, doch die gähnenden Mündungen der Kanonen ließen sie schaudern. Durenskys Schiffe trugen eine Aura des Bösen mit sich, dessen sich selbst sie nicht erwehren konnte.
„Gefecht einstellen! Beidrehen!", befahl Attica. Sie wusste, was die Geschütze Durenskys konnten. Sie hatten bereits Lastora Skovron unzählige Siege gebracht, und sie hatten selbst das magisch verstärkte Drachenschiff der Karrs zerstören können.
Sie überließ Dunne das Steuer und beobachtete das Schiff genauer. Männer und Frauen in bunten Hemden liefen über das Deck und befolgten die Befehle einer hochgewachsenen Frau mit schwarzer Haut. Eine bunte Flagge war an der Takelage des Ballons befestigt. Dies war nie und nimmer ein Schiff unter dem strengen Vampirfürsten von Cinderport.
„Verfluchte Canwy Roch", knurrte Attica. All die Jahre war es ihr nie gelungen, ein Schiff aus Cinderport zu erringen, und nun hatten diese elenden Säufer eines. Der Neid biss in ihrer Magengrube.
„Sie sind langsamer als wir, oder?", fragte Norren nervös. „Sie können uns keine Breitseite geben."
Die Bugkanonen der Korvette flammten auf. Ein Augenblick später zerstob die Flanke der Brigg in Holzsplittern und fliegenden Metallteilen. Summend rissen die Taue der Takelage, die Lady Winstead bekam Schlagseite. Norren fluchte und umklammerte die Reling.
„Und wir können das Feuer nicht einmal erwidern", zischte Attica wütend. Die Kugeln der altmodischen Kanonen würden kaum Dellen in die Panzerung schlagen.
„Wir können ihnen doch davonfliegen", sagte Norren.
„Das versuche ich!", fuhr Attica ihn an. Hastig warf sie einen Blick zu der Korvette. Langsam, als hätte sie alle Zeit der Welt, drehte sie sich, bis ihre Längsseite auf die Brigg wies. „Bei den eisernen Eiern des Mechanicus", flüsterte sie.
„Sie haben nicht genug Reichweite", sagte Norren, mehr zu sich selbst als zu Attica.
„Und wie sie das haben", seufzte Attica schicksalsergeben.
„Was?"
Dann brüllten die Kanonen der Korvette, und Atticas Welt explodierte in einer Wolke aus Splittern, Feuer und Blut.
~ ~ ~
Attica mag das ungeliebte Kind sein, doch verdammich, ich liebe ihre Kapitel. Und wer das Meme nicht kennt:
https://youtu.be/8UjWwMtrETk
Meine Gedanken, als Norren Attica auf die Korvette aufmerksam macht.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top