34. Söldner

Soundtracks: Hans Zimmer - Ah, Putrefaction aus dem Sherlock Holmes OST

Dominik Scherrer - Live Free, Live True und Ripper Street Main Theme aus dem Ripper Street OST.

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„Sie wünschen?"

„Ich möchte mit den Gintlemen sprechen."

„Das wollen viele." Der Butler verzog keine Miene. „Werden Sie erwartet?"

Neshira lächelte hinterlistig. „Ja."

„Wer sind Sie?"

„Neshira Canto."

„Und wer sind Ihre Begleiter?"

Sie sah sich zu uns um. „Meine Schwester Ona und die Herren Sindrak Herrera und Durag el Slaad."

Durag und ich schenkten dem Butler unser bestes Lächeln. Ona knickste nachlässig.

Ich meinte, vages Erkennen in der Miene des Butlers aufflammen zu sehen. Er hatte mich bereits vor einem Jahr gesehen, kurz bevor ich auf den Hinweis der Gintlemen hin in Durenskys Fabrik einbrach. Doch er würdigte mich keines zweiten Blickes. Anstandslos trat er beiseite und ließ uns eintreten.

Das kalte Morgenlicht wich dem warmen der Gaslampen. Es war restlos still, bis auf das Geräusch unserer Stiefel auf dem dunklen Parkett und dem fernen Gesang eines Kochs. Ona grinste ob des zotigen Textes und verschränkte ihre Finger in meinen.

Der Butler führte uns in den gleichen, mit Bücherregalen gesäumten Salon, in dem ich damals die Aufzeichnungen über mein Leben erhalten hatte. Der Rauch der Zigarren stach in meiner Nase und überdeckte beinahe die schwachen Gerüche von Staub, Holzkohle und sündhaft teurem Whiskey. Zwei Männer saßen, vertieft in eine Zeitung und ein Buch, in den Lehnstühlen vor der Glut des Ofens, einer streunte ruhelos vor sich hin murmelnd an den Buchreihen entlang, und ein letzter stand mit einem Glas in der Hand vor einem Tisch mit verschiedenen Karaffen und Flaschen und überlegte wohl, was er als nächstes trinken sollte.

„Meine Herren, darf ich vorstellen: Miss Neshira Canto, Miss Ona Canto, Master Sindrak Herrera und Master Durag el Slaad", kündigte er uns an.

Ich erkannte bis auf einen alle von ihnen. Der schlanke Finsbury hielt in seinem Weg vor den Büchern inne. Hendricks sah nicht einmal von seiner Zeitung auf. Der Blick des fetten Gordon hellte sich auf, als er uns erblickte. Der letzte im Bunde lächelte uns undurchsichtig entgegen.

„Danke, Stevens, Sie können gehen", sagte Finsbury, und der Butler schloss die Tür hinter sich.

Gordon watschelte aufgeregt auf uns zu und ließ dabei fast sein Glas fallen. Die Knöpfe an seiner Weste stemmten sich tapfer gegen seinen Wanst. „Sie sind Neshira Canto?" Er ergriff Neshiras Hand und schüttelte sie überschwänglich. „Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen, Miss, eine ganz besondere Ehre, wirklich! Mein Name ist Gordon, Fredrick Gordon, und dies sind meine Kollegen, die Herren Sean Finsbury, Marcus Hendricks und Carsten Brandstifter. Sie sind sicherlich hier, weil Mr Tanqueray Sie schickt, nicht wahr?" Neshira hob zu einer Antwort an, doch er ließ sie nicht einmal ausreden. Das Zucken in ihrem Gesicht ließ mein Fell sträuben. „Wir haben so lange nichts mehr von Richard gehört! Es ist..."

„Verdammt, Fredrick, lass sie auch einmal zu Wort kommen", knurrte Hendricks seiner Zeitung entgegen, und Gordon verstummte erwartungsvoll.

„Ich bin nicht hier, weil Tanqueray mich geschickt hat. Ich bin ihm nie begegnet. Doch ich habe erfahren", sie sah sich zu uns um, „dass er auf der Suche nach mir war."

„Das war er. Er wollte Sie anheuern, um Eleuthera Catherine und Misha Durensky zu töten", mischte sich Finsbury ein. Scheinbar ruhig lehnte er an den Regalen, doch seine Hände zitterten. Hastig verbarg er sie in seinen Hosentaschen. „Wir haben seit Wochen nichts mehr von ihm gehört."

„Leider", Neshira seufzte tief, „habe ich nur noch seine Leiche zu Gesicht bekommen."

Gordon wurde blass wie der Himmel draußen. „Nein", flüsterte er.

„Wie konnte das passieren?", fragte Brandstifter betroffen.

„Wir sind Tanqueray in Oren Mor begegnet", ergriff Ona das Wort. „Er war auf der Suche nach Neshira, genauso wie ich. Wir haben uns zusammengeschlossen. Die Suche würde uns unweigerlich zu den Hexen bringen, und gemeinsam hätten wir sicher bessere Chancen. Er hat auch Sindrak angeheuert, damit er uns bei den kommenden Kämpfen unterstützt." Sie lächelte mir glücklich zu.

Plötzlich wurde mir bewusst, dass wir es Tanquerays Geld verdankten, dass ich nach Oren Mor noch bei ihr geblieben war und nicht das Weite gesucht hatte. Das erste Mal, dass meine Gier mich zu mehr gebracht hatte als zu einem heftigen Kater.

„Herrera", knurrte Hendricks. „Danke noch einmal für den Krieg mit Durensky, den Sie und ihre lächerliche Explosion in Ashenfall uns gebracht haben."

„Jetzt kannst du mir danken, dass ich ihn verhindert habe", konterte ich und warf mich in die Brust.

Onas Lächeln wurde spöttisch, doch sie brachte sich wieder zu einem neutralen Ausdruck. „Wir sind der Dschungelvettel Ibo Lele begegnet, der uns zu der Sumpfvettel Lasaint Maraiza geschickt hat. Sie hat uns angegriffen, und Tanqueray fiel unter ihren Flüchen", endete sie bedauernd.

Ich verkniff mir ein unbehagliches Schlucken. Zuweilen fühlte ich mich noch immer schuldig, doch Ona beruhigte mich ein ums andere Mal. Es war ihre Idee gewesen, die Gintlemen aufzusuchen und sie freundlich bis unhöflich, gewürzt mit Drohungen, um das Geld zu bitten, und ich musste zugeben, dass ich ihr diese Gier nicht zugetraut hatte. Doch beschweren tat ich mich nicht. Warum auch. Es herrschte noch immer Ebbe in meinem Geldbeutel, und da ich nicht bald wieder zu den Waffen greifen wollte, kam mir das Gold der Gintlemen doch sehr gelegen.

Gordon schniefte laut in ein Taschentuch mit Monogramm. „Der arme Richard!"

„Seid euch gewiss, dass wir Maraiza dafür bezahlen ließen", mischte Durag sich selbstzufrieden ein. „Normalerweise töte ich nur jene, die durch einen Kopfschuss auch tatsächlich sterben. Doch für die Sumpfvettel habe ich eine Kugel geopfert."

„Ich habe ihren Vettelstein zerstört, und wir sind aufgebrochen nach Cinderport. Durensky, Ibo Lele und Eleuthera sind endgültig tot. Ihr Krieg ist vorbei." Neshira lächelte schmal.

Ich hatte jegliche Munition, die an Bord der Adevar gewesen war, in die brennenden Überreste des Gewächshauses geschossen, bis Neshira mir versichert hatte, dass Ibo Leles Vettelherz ebenfalls zerstört war. Nie wieder wollte ich gegen eine Vettel kämpfen, nur, weil es jemand versäumt hatte, ihren Quell der Macht zu zerstören.

„Den Unheiligen sei gedankt", murrte Hendricks. Gordon schniefte laut und wischte sich die Tränen fort.

„Dann werden wir wohl Gesandte nach Cinderport aussenden, um dort für Ordnung zu sorgen. Die Bevölkerung ist sicherlich außer sich vor Angst." Brandstifter machte sich eine Notiz in ein ledergebundenes Notizbuch.

„Es ist Kriegsgebiet", warnte Durag. „Einige Luftschiffe sind abgestürzt. Die Banditen von Vanlowe werden das Chaos genutzt haben. Sie werden bereits dort sein und sich holen, was sie kriegen können. Wenn sie nicht schon den Palast besetzt haben."

Ich ahnte, dass die Bewohner Cinderports mehr als nur Angst hatten. Überall waren die Luftschiffe vom Himmel gefallen, durch meinen Verdienst und durch die Macht des König Schellen, und hatten Tod und Verwüstung mit sich gebracht. Allein bei der Erinnerung des Anblicks, wie der Gott durch die Nacht geschossen war und die Höllen selbst auf Cinderport hinab beschworen hatte, sträubte sich mein Fell. Ich hatte bereits gesehen, was er vermochte, ebenso die zerstörerische Lust der Banshee, doch wie er die Schiffe zum Abstürzen gebracht hatte, eine verwirrend berauschende Aura von starkem Alkohol und schnellem Tanz wie ein Schleier hinter sich, hatte selbst mich eingeschüchtert. Es war furchteinflößend und grausam gewesen, und doch wunderschön.

Gordon schnappte nach Luft. „Aber James ist noch in Cinderport!"

Durag sah zu ihm. „James Carter Sapphire?"

Gordon nickte bang. Am Bücherregal stellte sich Finsbury aufrechter hin.

„Er ist tot. Ein Drachenblut namens Attica Skovron hat ihn erschossen. Er hat ihr verraten, wie sie das Schwert des Caligár nutzen kann, das nun wieder in Sindraks Besitz ist." Durag nickte zu mir.

„Das Schwert des Caligár", murmelte Brandstifter. „Seit der Katastrophe wusste niemand, was damit geschehen ist."

„Eleuthera hat ihn in Cinderport festgehalten, und Attica hat ihn befreit. Es war sicherlich nicht schwer, ihn zu erwischen." Durag verzog das Gesicht. „Er ist mit an Bord gegangen, und als ihr langweilig wurde, hat sie sich daran erinnert, dass sie noch jemanden zum Erschießen in ihren Zellen hat." Durag zuckte mit den Schultern. „Jammerschade."

Sapphire. Ich erinnerte mich an den jungen Mann, der Valentina vor etwa einem Jahr verraten hatte, wer ihr helfen konnte, die Banshee wieder zu bannen. Wir hatten sein vorgegebenes Ziel nie erreicht. Noch jemand, für dessen Tod Attica verantwortlich war.

„Ich habe euch gesagt, dass er für diese Aufgabe nicht geeignet ist, aber Richard war so überzeugt von ihm." Hendricks hob seine Zeitung.

„Marcus!", tadelte Gordon schniefend mit einem schnellen Blick zu Finsbury, der sich von uns abgewandt hatte und hinauf an die Decke blickte. „Bitte hab doch ein wenig Anstand!"

„Anstand." Hendricks schnaubte. „Den hat in diesem Raum keiner von uns."

Gordon ging zu Finsbury und begann, mit ihm zu flüstern.

„Und jetzt", Durag trat zu den Flaschen und schenkte sich ein Glas randvoll mit Whiskey ein, „würden wir gerne unser Geld sehen."

„Ich habe es euch gesagt", raunte Hendricks.

„Ihr was?", schniefte Gordon verwirrt.

Neshira seufzte. „Unser Geld. Tanqueray hat mir fünfzigtausend Aurai versprochen, dafür, dass ich Eleuthera töte. Neben ihm habe ich auch den werten Lord von Cinderport umgebracht und so den Krieg auf Hivens Ark verhindert. Dafür kann ich sicherlich auch ein wenig mehr verlangen."

„Nennen Sie mich naiv, doch ich habe immer geglaubt, dass Sie umsonst Hexen töten." Gordon blickte ein wenig enttäuscht zu Neshira. „Um die Welt von ihnen zu reinigen."

„Wenn du etwas tun möchtest, etwas, das Zeit und Aufwand kostet, frag vorher, ob dich jemand dafür bezahlt." Durag schlürfte an seinem Whiskey. „Und ich verspreche dir, Fettwanst, dass Hexen jagen eine Menge Aufwand ist."

„Du bist naiv, Fredrick", schnarrte Hendricks. „Richard hat gewusst, dass sie Geld haben will, wie alle verfluchten Hexenjäger, die wir zu Lady Durensky geschickt haben. Warum sollte sie anders sein?"

„Weil es ihr auch gelungen ist, die Herrschaften zu töten", verteidigte Ona ihre Schwester. „Ich wollte es auch zunächst nicht glauben, dass sie für Geld tötet, dass sie die Hexen vernichtet, um das Böse zu schwächen, doch von dem nicht vorhandenen Bösen kann man sich weder Essen noch ein Dach über dem Kopf kaufen."

„Die Welt ist grausam, und nur, weil jemand wie Eleuthera tot ist, ist sie nicht plötzlich ein besserer Ort. Es mag pietätlos erscheinen, dass wir nun, nach Ihren Verlusten, mit etwas so Schmutzigem wie Geld anfangen, doch ich muss leider darauf bestehen." Neshira hakte die Finger in den Gürtel. „Ich hätte Tanquerays Angebot mit Freuden angenommen, denn wie Sie vielleicht wissen, habe ich mich für jede Vettel entlohnen lassen. Nicht gut, doch zum Überleben reicht es. Und nun, da ich die größte Bedrohung für Hivens Ark vernichtet und einen Krieg verhindert habe, würde ich gerne mehr als nur die üblichen zweitausend Aurai sehen. Es ist widerlich, doch wahr. Ebenso hatte ich Hilfe", sie wies auf mich und Durag, „und ich schulde ihnen ihre Bezahlung."

„Und Sie hätten Eleuthera nicht allein töten können?", fragte Brandstifter ruhig.


Neshira sah ihm in die Augen. „Nur ein Gott vermag es, andere Götter zu vernichten. Und ich bin keiner." Sie lächelte kurz. „Noch nicht."

„Ich würde auch gerne die fünfunddreißigtausend sehen, die Tanqueray mir versprochen hat, dafür, dass ich ihm helfe, Vetteln zu töten", mischte ich mich ein. Dass ich bereits zehntausend bekommen hatte, verschwieg ich.

„Es würde mich wundern, wenn sie auch nur eine Hexe getötet haben", knurrte Hendricks.

„Ich habe Attica Skovron umgebracht", sagte ich stolz. „Eigentlich wurde ich nur bezahlt, um dabei zu helfen, die Hexen zu töten. Das habe ich getan und dazu noch den Mörder von Sapphire zur Strecke gebracht, und dafür könnt ihr sicher noch etwas mehr springen lassen."

„Wir haben alle umgebracht, für die sie nach unserem Bericht ein Kopfgeld ausgesetzt hätten, und ebenjenes würden wir nun gerne einstreichen." Durag grinste und prostete dem entsetzten Gordon zu.

„Bei allem Respekt, Miss Canto, Master el Slaad, Master Herrera." Brandstifter erhob sich aus seinem Sessel. „Wir haben zwei unserer Männer verloren. Haben Sie etwas Zurückhaltung. Wir werden uns beraten und dann entscheiden, was..."

„Denkt nicht, ihr wärt die einzigen, die etwas verloren haben in diesem Kampf!", fauchte Neshira. „Ich habe jemanden getötet, den ich unter anderen Umständen meine Freundin genannt hätte, ich habe durch Eleutheras Hand den Mann verloren, dem ich am meisten vertraut habe. Sie sitzen hier und trinken Whiskey und lassen Söldner für sich kämpfen, und wundern sich, wenn sie kommen, um ihren Sold einzutreiben."

„Gebt ihnen das Geld", meldete eine hohle Stimme sich, und ich begriff erst nach einem Moment, dass es Finsburys war. „Sie haben es verdient. Miss Canto hat Durensky und seine Frau getötet. Es mag sein, dass sie es auch ohne eine Belohnung getan hätte, aber es ist kein Grund, undankbar zu sein. Sie hat recht, sie hat den Krieg verhindert, der wahrscheinlich sogar Oscravelle zu Fall gebracht hätte. Wahrscheinlich wäre Fürst Iskjandrov gezwungen gewesen, die Ketten zu trennen und Vigilante zu einer verlorenen Insel zu machen. All das ist uns erspart worden durch ihren Einsatz." Er wandte sich um, die Augen gerötet. „Und Master el Slaad hat ebenso recht. Wir würden Richards und James' Mörder bestrafen wollen. Wir würden jemanden dafür beauftragen, und nun, da Master Herrera und er uns zuvorgekommen sind, gibt es keinen Grund, sie nicht dafür zu belohnen. Wenn sie Geld wollen", er seufzte tief, „sollen sie es bekommen."

Durag grinste und nippte an seinem Whiskey. „Mehr haben wir nie verlangt."

„Allerdings, Master Herrera", Finsbury sah zu mir, „könnten Sie darüber lügen, dass Tanqueray Ihnen noch Geld schuldet. Miss Cantos Auftrag war mit uns besprochen, doch der Ihre nicht."

Ona verdrehte die Augen. „Neshira kann ihn mit einem Wahrheitszauber belegen, wenn Sie wollen, dass er es vor dem König und der Welt bezeugt, aber das ist nicht nötig. Ich war dabei. Er sagt die Wahrheit."

Finsbury wirkte wenig überzeugt, doch Hendricks kam ihm zuvor. „Gebt den verdammten Elstern ihr Geld. Sonst sitzen wir morgen noch hier, und wir haben noch andere Bittsteller zu empfangen als nur sie."

„Aber Marcus", hob Gordon mit zittriger Stimme an, „Richard..."

„Richard ist tot, und niemand kann daran was ändern. Sean hat recht. El Slaad hat seine Mörderin umgebracht, Herrera die von James, und wir sollten wenigstens ein bisschen was dafür tun, dass wir nicht als Geizkrägen bekannt werden, deren Geldbeutel ihnen wichtiger ist als die Welt, die sie beschützen sollen. Denn davon gibt es wahrlich genug." Hendricks faltete die Zeitung zusammen und blickte zu Brandstifter. „Carsten, wenn ich bitten darf."

Kurz hielt Brandstifter dem Blick aus seinen wässrigen grauen Augen stand, dann erhob er sich und zog scheinbar zufällig eine Akte aus einem Regal. Ich erhaschte einen Blick auf verschnörkelte Schrift, bevor Hendricks ihm ein paar der Papiere daraus aus der Hand riss, seine Unterschrift darauf setzte und in Umschläge steckte.

Schließlich erhob Hendricks sich und streckte die Hand aus, Neshira ergriff sie. „Miss Canto, die Herren, ich danke Ihnen für Ihren Einsatz. Ich hoffe, dass wir bald wieder zusammenarbeiten können", sagte er und überreichte ihr den Umschlag. Irgendwie gelang es ihm, diese Worte ohne Ironie auszusprechen.

Neshira nickte ihm freundlich zu und nahm ihren Brief entgegen. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, ließ sie ihn in ihrer Tasche verschwinden. Ich riss meinen auf und tat, als würde ich ihn lesen, in der Hoffnung, dass Ona mir einflüsterte, was darauf stand, bis mir einfiel, dass die Gintlemen wussten, dass ich nicht lesen konnte. Hendricks' amüsiertem Blick zufolge erinnerte er sich ebenfalls daran. Verlegen stopfte ich das Wertpapier in meine Tasche.

„Vielen Dank." Neshira verneigte sich leicht. „Es war mir eine Freude, mit Ihnen Geschäfte zu machen. Guten Tag." Sie wandte sich um und verließ den Salon. Die Tür ließ sie offen.

Durag leerte sein Glas. „Widerliches Dreckszeug." Er stellte das Glas auf den Tisch zurück. „Wenn ihr oder einer von euch sich nach Cinderport aufmachen sollte, wird euch eine Zwergin namens Elysia Slobad begegnen. Hört auf das, was sie zu sagen hat. Sie weiß, wovon sie spricht."

Elysia würde bis zu Dandelos Wiedererweckung die Geschäfte Durenskys aufnehmen. Sobald er wieder lebte, wollten sie gemeinsam über Cinderport und Ashenfall herrschen. Neshira duldete sie. Vorerst. Bis sie auffällig wurden. Zwar ahnte ich, dass es kaum ungewöhnlich war, wenn Menschen bei Luftschiffgefechten umkamen, doch ich wollte nicht wissen, was geschehen würde, wenn Neshira wirklich begann, daran Anstoß zu nehmen. Kurz hatte ich mich gefragt, wie Elysia Dandelo ohne einen Zirkel erwecken wollte, doch dann hatte ich beschlossen, dass es nicht mein Problem war. Ich hatte ein Luftschiff und konnte fliegen, wohin ich wollte. Selbst wenn ich nur knapp den Wachen des Fürsten entronnen war, die es beschlagnahmen wollten. Ich tippte mir an den nicht vorhandenen Hut, nahm Onas Hand und folgte Durag nach draußen.

Neshira stieß sich von dem schmiedeeisernen Zaun vor dem Haus, an dem sie gelehnt hatte, ab und übernahm die Führung, die Miene undurchschaubar, durch die sauberen, hellen Gassen von Vigilante. Blumenkästen waren rote Flecken vor den makellos weiß getünchten Häuserwänden. Durag zog an einer Zigarre und sang unmelodisch vor sich hin, Ona umklammerte meine Hand fester und blickte glücklich zu mir auf. Mein Mantel flatterte in dem schneidenden Wind, für den die Stadt auf der fliegenden Insel bekannt war, schnitt durch mein Hemd und brachte ein irrsinniges Gefühl von Vorfreude mit sich. Ich war reich wie selten zuvor, ich hatte ein Schiff und Ona an meiner Seite. Ich konnte tun, was ich wollte. Selbst wenn ich nicht wusste, was genau ich eigentlich wollte. Irgendwie würde es Ona enthalten. Der Rest war mir egal.

Schaulustige, Huren und Straßenkinder, Mütter und Stadtstreicher, hatten sich um die Adevar gesammelt und begafften das kalte, stahlgraue Schiff voller Ehrfurcht. Sie sah bedrohlich aus, ein Relikt eines fernen Krieges, zwischen den Holzschiffen mit ihren hellen, gerefften Segeln und den Metallkreisen, die langsam um einen schwebenden, gelblich glühenden Stein rotierten. Trotz der Entfernung hörte ich das Rauschen um den runenbesetzten Orbs. Manche spuckten vor dem roten Ballon, eindeutig eine Insigne von Durensky, aus, Arbeiter blickten während ihrer Gänge zwischen Handelsschiffen und Lagerhäusern zu der Korvette auf.

Neshira blieb stehen. Mit einem ihrer Wurfmesser öffnete sie ihren Umschlag, zählte ein paar Papiere ab und drückte sie Durag in die Hand. „Dafür, dass du bis zum Ende bei uns geblieben bist, und nicht abgehauen, sobald du hattest, was du wolltest."

„Und ich dachte, du hättest es vergessen." Der Gremlin ließ sie selbstzufrieden in seiner Tasche verschwinden und sah mit zusammengekniffenen Augen zu Neshira auf. „Sonst hätte ich wohl versucht, dich im Nachhinein noch zu erschießen."

„Das hättest du gerne versuchen können." Ein Hauch von goldener Magie zauste mein Fell, das Klirren von goldenen Glöckchen, ein fernes Kichern. Neshira verstaute den Umschlag und blickte den geschäftigen Hafen entlang. „Ich hätte nie gedacht, dass es einmal vorbei sein könnte mit Eleuthera. Irgendwie hat es sich angefühlt, als würde ich sie bis zum Ende meines Lebens jagen."

Ona stellte sich neben sie, ohne meine Hand loszulassen. „Aber wir haben sie besiegt, Neshira. Du hast sie besiegt." Ihre Augen funkelten, und ich ahnte, dass sie erneut an den König Schellen dachte. „Es ist vorbei, und wir können alles tun, wonach uns der Sinn steht."

„Dann wünsche ich euch viel Spaß dabei." Durag zog seinen Waffengurt zurecht. „Ich werde zurück nach Cinderport fliegen. Elysia könnte mich brauchen, wenn diese Idioten dort auftauchen. Mein Schiff ist dort drüben, und nun kann ich mir an Bord wenigstens Whiskey leisten." Er wandte sich zum Gehen.

Neshira hielt ihn auf. „Durag." Er sah sich zu ihr um. „Viel Glück. Komm mir nicht in die Quere. Du weißt, was sonst passiert."

Der Scharfschütze lächelte spöttisch. „Ich hänge durchaus an meinem Leben, Canto." Seine beschwingte Melodie pfeifend schritt er die Kais entlang und verschwand in der Menge.

Ich blickte ihm nach. Zunächst hatte ich geglaubt, dass ich dem ersten lebendigen Wesen aus meiner Vergangenheit nachlaufen würde, bis ich alles über mein Leben wusste. Doch nun glaubte ich daran, dass die Erinnerungen kommen würden. Nach und nach.

Neshira sah den hohen Bug der Adevar hinauf. „Ich werde nach Markiri suchen", sagte sie gedankenverloren. Ihre Hand betastete ein Pentagramm aus Zweigen an ihrem Gürtel. „Vielleicht auch Ophys. Und danach... wer weiß." Sie sah sich um. „Irgendwo in dieser Stadt wird es sicherlich einen Brunnen geben."

Ona lächelte zu ihr auf. „Ich komme mit dir."

Neshira musterte sie skeptisch. „Es könnte gefährlich werden."

„Du bist da und beschützt mich, oder?" Ihr Grinsen wurde listig. „Ich werde meine Schwester nicht wieder allein allen Ruhm einstreichen lassen."

„Es geht nicht um Ruhm."

Ona verdrehte die Augen. „Ich weiß. Aber ich werde dich so schnell nicht allein lassen. Dafür habe ich dich zu lange gesucht. Vielleicht werde ich mir auch eine Akademie suchen und meine Studien beenden. Aber zuerst möchte ich die Welt sehen. Mit dir. Denn alles, was ich von dieser neuen Welt bisher gesehen habe, war entweder tot oder verdorben, und ich möchte verdammt sein, wenn das alles ist, wenn sie zu bieten hat." Ihre Augen blitzten voller Abenteuerlust.

Neshira lächelte undurchsichtig und nickte langsam. „Dann komm mit mir. Aber falle nicht zurück." Die beiden kicherten, wohl über einen Scherz, den ich nicht verstand.

Ona sah sich zu mir um. „Und du?" Ich hörte die Unsicherheit in ihrer Stimme.

Ich nahm ihre Hand und drückte meine Schnauze darauf. Ihr Lächeln wärmte mir das Fell mehr, als die Sonne es je vermocht hatte. „Ich bin da, wo du bist."

Neshira schnaubte unterdrückt. Ona trat ihr auf die Pfote. „Dann auf zum Schiff." Die Shinaru schritt an uns vorbei, auf die Adevar zu. Die Menge teilte sich vor ihr, und wir folgten.

Das Flüstern der Geister empfing mich mit dem fernen Duft von Gischt und salzigem Wind. Das Stampfen der Maschinen nahm zu, als die Adevar höher in den Himmel stieg und an Fahrt aufnahm. Ich meinte, den Widerhall von Kanonenfeuer zu hören, der Boden vibrierte unter meinen Pfoten, Luft fauchte durch den Ballon, die Takelage sang.

Neshira stand auf der Reling, die Hand an den Wanten. Der Wind ließ ihre Schweife wehen und trug das Geräusch von Glöckchen mit sich. Die Herrscherin über den König Schellen und die Königin der lockenden Laternen. Eine Erinnerung an eine Kaiserin mit weißem Fell und einem Gott hinter sich.

Ona trat neben mich an die Reling des Achterdecks und legte die Arme um mich. Mein Herz flatterte, als wollte es allein das Schiff am Himmel halten, und ich konnte nichts gegen das Grinsen auf meinem Gesicht tun. Der Himmel war ein Meer mit Schaumkronen aus Wolken, eine Verheißung von Freiheit und neuem Gold. Mein Schiff, meine Crew, mein Mädchen. Und der Horizont vor mir.

~ ~ ~

...nein, so schlimm war es nicht. Oder. ODER???

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