30. Dunkelbestie

*Bloodborne intensifies* Danke IFi, dass du mir einen Weg zu dieser Inspiration gezeigt hast.

Soundtracks: Marcin Przybylowicz - Forbidden Forest aus dem GWENT OST. Abspielen ab Anfang.

Und SIE Sound Team - Darkbeast aus dem Bloodborne OST. Was auch sonst. Abspielen, sobald sie den Ballsaal betreten.

[Hier müsste ein GIF oder Video sein. Aktualisiere jetzt die App, um es zu sehen.]

Und falls ihr danach noch Text ohne Musik übrig habt: Daniel Pemberton - The Lady in the Lake aus dem King Arthur OST.

[Hier müsste ein GIF oder Video sein. Aktualisiere jetzt die App, um es zu sehen.]

~

Ein Kratzen bäumte sich in Neshiras Kehle auf. Sie schluckte heftig, um es niederzuringen, Tränen traten ihr in die Augen, doch sie wagte nicht, es herauszulassen. Hinter Blättern und verworrenen Ästen hetzten Gestalten durch den Urwald, der in den Fluren von Eleutheras Palast gewachsen war, keuchend und fauchend wie Raubtiere auf der Jagd, die Klauen gewetzt, die Gewehre bereit, und sie wollte nicht herausfinden, was geschah, wenn sie sie fanden. Der Rauchgestank, der sich vom Gewächshaus in die Gänge ausbreitete, überdeckte ihren Geruch nach fließendem Blut. So hoffte sie.

Nervös drückte sie sich tiefer in die Schatten unter den knorrigen Ästen und den aus dem Teppich wachsenden Farnen. Der Qualm, den sie eingeatmet hatte, nachdem ihr Atemzauber zusammengebrochen war, wollte ihre Kehle schier zerreißen. Sie war durch das Gewächshaus gerannt, hatte nach Eleuthera und Durensky gesucht, doch bis auf ein paar Hexen, die versuchten, Ruk zu entkommen, war sie niemandem begegnet. Brennende Leichen lagen neben geschwärzten Bäumen und loderndem Unterholz, Männer und Frauen, denen die Flammen aus der Kleidung stoben, waren durch das Inferno gestolpert, zu dem das Gewächshaus geworden war. Feuerstürme peitschten auf, jedes Mal, wenn Sindrak eine weitere Breitseite abgefeuert hatte.

Doch der Angriff hatte getan, was er sollte. Nur noch wenige Hexen und Vampirlinge stolperten durchs Unterholz, die meisten schwer verletzt. Irgendwo in der Nähe brüllte Ruk gegen die Maschinengewehre an. Neshira erahnte das Flackern der Mündungen, das Glosen von Ruks Tätowierungen, das Flirren von Zaubern. Doch sie schienen mehr ihren Rückzug vor Ruk zu decken als ihn anzugreifen. Eleuthera und Durensky blieben verschwunden.

Neshira sank langsam im Schutz der Wurzeln zu Boden. Noch immer kratzte der Rauch in ihren Lungen. Sie wusste, sie müsste nach ihnen suchen. Ihnen nachsetzen, wie sie es mit all den anderen Vetteln getan hatte, und ihrem Tun ein Ende setzen. Plötzlich war sie schrecklich müde. Die Magie in ihr war kaum mehr ein Funke, gerade genug, um ein paar niedere Heilzauber zu sprechen. Der König Schellen erschien ihr so fern wie noch nie, und sie meinte, die Banshee Versprechungen in den Schatten flüstern zu hören. Sie musste sie nur rufen, ein wenig von dem Blut, das ihr Fell verklebte, ein Griff zu einem Amulett, eine geflüsterte Formel. So wenig, und Eleuthera würde sterben. Durensky würde ihr folgen, und alle anderen, die ihr etwas antun wollten. Und doch war es so viel. Sie würde den König verlieren. Sich selbst. Sie wusste nicht, was geschehen würde, mit ihr, mit der Welt, sollte sie die Herrin der lockenden Laternen rufen, und sie wollte es nicht herausfinden. Danach würde es kein Zurück geben.

Mit zitternden Hände stopfte Neshira die zerrissenen Enden der Bänder, die sie um ihre Arme gewickelt hatte, unter jene, die noch heil waren. Blut und Dreck hatten sich in den Stoff gefressen. Nein. Sie durfte dem Flüstern der Drachengöttin nicht nachgeben. Sie versprach alles und verheimlichte, was ihre Dienste mit sich brachten. Neshira hatte geschworen, dass sie sie nie wieder rufen würde, und diesen Schwur würde sie halten.

Doch zu welchem Preis? Zögernd tastete sie nach den Amuletten um ihren Hals, die eiserne Laterne, das goldene Glöckchen. Sein leises Klingeln war schrecklich traurig in der von Blättern gedämpften Stille. Sie wusste nicht, ob sie die Worte nicht doch sprechen würde, wenn Ruk oder Ona in Lebensgefahr gerieten. Die Wahl zwischen Leben und Verdammnis. Im Stillen betete sie zu allen Göttern, dass sie es nie herausfinden musste.

Das Knacken von brechenden Ästen riss sie aus ihren Gedanken. Bevor sie reagieren konnte, fiel ihr eine Frau vor die Füße. Gelbe Augen weiteten sich voller Entsetzen. Sofort wollte die Hexe aufspringen, doch Neshira rammte ihr einen Dolch in den Hals. Ihr Herz raste. Die Hexe würgte Worte und Blut hervor, dann erschlaffte sie.

Langsam erhob Neshira sich, stets mit wachsamen Blicken in die Dunkelheit des Dschungels. Noch immer stürmten vereinzelte Gestalten durch das Unterholz, doch niemand schien sie zu bemerken. Sie flohen, nur fort von dem Grauen, das das Feuer und Ruk mit sich gebracht hatten. Der Arkane bellte ihnen Drohungen und Spott hinterher, doch niemand beachtete ihn. Blind hetzten sie den Gang entlang, dorthin, wo der Wald lichter wurde.

Neshira wischte ihren Dolch am Hemd der Hexe ab und trat auf Ruk zu. Der überwucherte Teppich flüsterte unter ihren Pfoten.

Das Brechen eines Zweigs verriet sie. Knurrend wirbelte der Arkane zu ihr herum, die Axt bereit. „Du traust dich doch sicher auch nicht, dich mir zu stellen. Los, zeig, was du kannst, du..."

Neshira schnippte müde mit den Fingern. Der Dolch in ihrer Hand begann zu leuchten. „Das kann ich", sagte sie matt und trat durch die letzten Farne zu ihm.

Ruk lachte grollend. „Du kannst sicher mehr als das."

Sie legte eine Hand auf seine Schulter, und die größten seiner Wunden schlossen sich. „Das kann ich auch."

Er wischte sich das Blut aus dem Gesicht. „Wenn du das kannst, kann uns nichts geschehen. Jedoch ist auch niemand mehr hier, den wir zu Staub schlagen können."

„Ich finde nicht, dass wir uns darüber beschweren sollten." Neshira lehnte sich schwer an einen Baum und nestelte an den Bändern an ihren Armen. Immer wieder gingen sie auf. Ablegen wollte sie sie dennoch nicht. Müde sah sie zu Ruk auf. „Ich kann nicht mehr", flüsterte sie.

Ruks Augen wurden groß. „Du hast so viele Hexen getötet, und willst jetzt so kurz vor dem Ziel aufgeben?"

„Nein." Sie seufzte. „Natürlich will ich nicht aufgeben. Aber..."

„Kein Aber. Du bist Neshira Canto. Die Faust des Nordens. Der Schatten des Einäugigen Gottes. Wir haben so viele Vetteln gemeinsam getötet, wir haben einen ganzen Zirkel im Norden vernichtet, und du hast noch mehr allein umgebracht, da wird so eine verfluchte Seuchenvettel kein Hindernis für uns sein!" Ruk grinste breit und zeigte die ganze Pracht seiner scharfen Zähne.

„Aber ich weiß nicht, was ich tun soll", sagte sie leise. „Eleuthera hat sicherlich noch hunderte Jüngerinnen in der Hinterhand. So viele, die für sie sterben würden, nur um ihre Macht zu nähren. Ich habe Luftschiffe gesehen, Durenskys Soldaten können nicht weit sein. Was haben wir noch? Ona und Sindrak haben getan, was sie tun sollten, und warten in den Bergen auf uns." Sie seufzte. „Wenigstens sind sie in Sicherheit. Durag habe ich nicht mehr gesehen, seit wir ihn auf der Galerie zurückgelassen haben."

Ruk legte ihr die Hand auf die Schulter und grinste schief. „Dann heißt es wohl wir beide gegen alle, nicht wahr? Mal wieder. Neun Schwänze für den Sieg."

Neshira sah verwirrt zu ihm auf. „Ich habe nur acht... oh, Ruk." Sie kicherte erschöpft.

Ruk lachte ebenfalls. „Selbst, wenn du fast keine Magie mehr hast. Du kannst mit einem einzigen Schlag immer noch Knochen brechen. Und auch Hexen sterben, wenn ihnen die Scherben ihres Schädels ins Gehirn gedrückt werden."

„Zumindest sollten sie es."

„Wenn die Faust gesegnet war, von der Macht des König Schellen, die noch immer in dir ruht, steht keine böse Hexe wieder auf." Er erwiderte ihren zweifelnden Blick voller Zuversicht. „Ich halte dir den Rücken frei. Das verspreche ich dir."

Neshira nickte langsam. Sie war die Faust des Nordens, erinnerte sie sich. Die beste Hexenjägerin dieser Zeit. Sie hatte beinahe einen ganzen Zirkel im Alleingang ausgelöscht. Der Schatten des Einäugigen. Ihr Lehrmeister in Jade hatte stets behauptet, der König habe Großes mit ihr vor. Die Banshee hatte zeit ihres Lebens um ihre Gunst gebuhlt, hatte sie zuweilen auch bekommen, doch sie wollte ihr nicht sich selbst überlassen. Sie würde Eleuthera besiegen. Sie musste. Es war alles, worauf sie all die Jahre hingearbeitet hatte. „Dann suchen wir sie." Sie löste eines ihrer Fußbänder, eine rote Schnur mit weißen Perlen und goldenen Glöckchen daran, und band damit die Bänder um ihren Arm fest. Das leise Klingeln war beinahe hoffnungsvoll.

„Das ist meine Kriegerpriesterin." Ruk schlug ihr zufrieden auf die Schulter und blickte dorthin, wo die fliehenden Hexen verschwunden waren. „Wir sollten ihnen folgen. Vielleicht führen sie uns zu der Vettel."

Neshira nickte. Noch immer fühlte sie sich, als hätte ein Luftschiff sie erschlagen. Nur noch ein Kampf, redete sie sich ein. Dann war es vorüber.

Keine der Fliehenden hatte sich die Mühe gemacht, ihre Spuren zu verwischen. Abdrücke von Stiefeln, hochhackigen Damenschuhen und nackten Füßen, aus Dreck, Ruß und Blut, zeigten ihnen einen Weg durch den sich lichtenden Wald, dorthin, wo die Zierpalmen gewöhnliche Größen hatten, wo sich keine Wurzeln in den Teppich gegraben hatten, wo Gemälde und Statuen gleichermaßen die Flure bewachten. Es war still wie in einem Grab. Nach dem Toben der Schlacht und dem rauschenden Feuer meinte Neshira, in jedem ihrer Herzschläge einen Angreifer zu hören. Doch niemand begegnete ihnen. Es war, als hätte der Kampf im Gewächshaus nie stattgefunden. Erneut schlichen sie durch leere Gänge, lauschten ihrem eigenen Atem, dem Klirren ihrer Waffen, und suchten nach Eleuthera.

Die Spuren wurden mehr und mehr, überlagerten einander, doch führten noch immer zum gleichen Ziel. Sie sammelten sich, begriff Neshira. „Wir sollten uns beeilen. Wenn so viele Hexen an einem Ort sind, plant Eleuthera etwas."

Sie hetzten durch die leeren Flure, folgten den Abdrücken, bis sie an eine gewaltige Tür gelangten, hoch genug, dass ein kleineres Luftschiff hindurch fliegen könnte. Vergoldete Ziselierungen wanden sich über Kristallglas. Die Flammen der Kerzen an den Wänden zuckten in einem Windzug und verströmten ein tanzendes, spärliches Licht, kaum genug, um den Vorraum zu erhellen. Ein einzelner Schuh lag verloren dort, wo an gewöhnlichen Tagen wohl Wachen standen. Freitreppen führten hinauf, dorthin, wo weitere, kleinere Türen wohl auf eine Galerie führten. Das Tor stand einen Spalt weit offen.

„Einladend", bemerkte Ruk.

„Sie wollen, dass wir dort hinein gehen. Irgendetwas ist in diesem Raum, etwas Gefährliches, und Eleuthera wartet nur darauf, dass wir in ihre Falle tappen", knurrte Neshira.

„Was tun wir nun?"

„Wir schleichen dort rein und greifen alles an, was uns begegnet." Innerlich verfluchte Neshira sich für das Zittern in ihrer Stimme.

„Du hattest bereits bessere Pläne."

„Hast du eine andere Idee?"

„Nein."

„Nun, Ruk, du hattest bereits bessere Pläne." Neshira blickte amüsiert zu ihm auf und wandte sich der Tür zu.

Die Dunkelheit hinter der Tür war allumfassend. Neshira sah kaum den Boden zu ihren Füßen, doch sie wagte es nicht, einen Lichtzauber zu wirken. Zwar hatte wohl jeder in dem Strahl Kerzenlicht, der durch den Spalt hineinfiel, gesehen, wie sie den Raum betreten hatten, doch ein Zauber wäre einem Signalfeuer gleichgekommen.

„Das ist ein Ballsaal", flüsterte Ruk neben ihr. „Keine sichtbaren Feinde. Am anderen Ende des Saals ist es so finster, dass selbst ich nichts sehen kann."

„Es gibt Zauber, die eine Wand aus Dunkelheit erschaffen können. Sie sind sicher dahinter", wisperte Neshira. Sie legte eine Hand auf Ruks Rücken und ließ sich von ihm durch den Saal führen. Der Dämon, den man in seinen Körper gebannt hatte, hatte ihm neben seiner Stärke auch die Fähigkeit gegeben, ohne Licht zu sehen. Doch magisch erschaffene Finsternis blieb undurchdringlich wie Nebel.

Je näher sie ihr kamen, desto kälter wurde es. Die Schwärze schien sich in die Innenseiten von Neshiras Lunge zu legen, und sie meinte, bereits die schmierigen Klauen von Eleutheras Seuchen auf ihrem Fell zu spüren. Die Aura der Vetteln wurde erdrückend, als krieche ihre Essenz durch ihren Körper. Etwas regte sich hinter dem Nebel. Das Metall ihrer Wurfmesser war eisig unter ihren Fingern. Ihr Herz schien aus ihrer Brust springen zu wollen.

Ruk fluchte erstickt, dann wurde er unter Neshiras Hand fortgerissen. Hastig taumelte sie rückwärts. „Ruk!" Ihr Wurfmesser erstrahlte in warmem Licht, und sie schleuderte es blind in die Dunkelheit.

Hunderte Stimmen heulten auf wie Wind in Ruinen, ein seufzender Chor der Verdammten. Krallen scharrten über die spiegelglatten Fliesen. Die Macht der Seuchenvettel schlug Neshira entgegen und wollte sie ertränken. Irgendwo in der Finsternis brüllte Ruk seinen Zorn heraus, Flammen barsten aus seiner Axt, und Neshira sah, was sich hinter den Nebeln verborgen hatte.

Es erinnerte sie an den Tänzer von Oren Mor, doch es war groß genug, dass die Spitzen seiner Rückenwirbel die Galerie streiften, eine wolfsartige Bestie mit sehnigem Körper, messerscharfen Klauen, und langer, verlotterter Mähne, verklebt mit Wachs. Kerzen wucherten auf den verdrehten Hörnern, die aus seinem Kopf und Hals sprossen, und entflammten sich mit dem wütenden, hauchenden Schrei der Kreatur. Knochen knackten bei jeder Bewegung. Rippen, zu viele, zu klein, um von einem Wesen seiner Größe zu stammen, stachen durch die schwärenden Wunden an seinem Körper. Schwarze Flüssigkeit rann aus seinen Augen, die wie Blutflecken über seinen Kopf verteilt waren. Kleidungsfetzen mischten sich nahtlos mit fauligem Fleisch. Neshira meinte, die Spitzenschürze der Schwesterntracht aus dem Sanatorium zu erkennen, und es drehte ihr schier den Magen um. Die vielen Augen, so klein, dass sie von Menschen stammen konnten, nun schwarz und mit verdorbenem Blut überströmt. Zu viele, zu kleine Rippen. Die Mähne, wie zusammengesetzt aus verschiedenen Farben und Längen, kaum mehr zu erkennen unter dem schwarzen Schleim.

Sie sammelte göttliche Magie um ihre Fäuste und stürmte auf die Kreatur zu. Die dünnen Knochen an ihren Beinen splitterten unter Neshiras Schlägen, das Fleisch zischte, Hautfetzen flogen. Mit einem grausigen Jammern wirbelte die Bestie zu ihr herum, ihre Krallen zuckten vor, doch Neshira wich dem Hieb aus, der ihr sicherlich alle Knochen zerschmettert hätte. Die Bestie fletschte die Zähne und wimmerte erneut, ein Geräusch, bei dem sich Neshiras Fell sträubte. Es klang, als erlitten die Hexen, aus denen die Bestie bestand, schreckliche Schmerzen, als lebten sie noch immer, selbst wenn sie zu einem einzigen Wesen verschmolzen waren. Neshira verbannte das Grauen aus ihrem Kopf und griff an.

Ihre Schläge regneten auf die Kreatur nieder, Ruks Axt fraß brennende Kerben in das faulige Fleisch. Schwarze Beulen auf seiner Haut platzten auf und verspritzten dunklen Eiter. Der Gestank nach Tod und Hexen war unerträglich. Doch Neshira wich nicht zurück. Wieder und wieder schlug sie auf die Kreatur ein. Sie wusste, dass Eleuthera irgendwo sein musste, doch sie konnte sie nicht finden.

Tiefe Schüsse fauchten, und das Wesen stolperte heulend zurück. Die linke Hälfte seines Kopfes zerbarst unter Kugeln, Blut sprühte. Die Augen blinzelten, alle zugleich, irritiert und beinahe verletzlich. Das Wesen stieß einen Laut aus, der einem Schluchzen erstaunlich nahe kam, und wirbelte zu der Quelle des Schusses herum. Neshira folgte ihrem Blick, doch erkannte nichts. Den Klang der Waffe erkannte sie dennoch. Durag hatte sie gefunden.

Wieder bellte das Gewehr, doch die Kreatur beachtete den Schuss nicht. Ohne jede Vorwarnung stürzte sie sich auf Neshira. Die Klauen klirrten, als zerteilten sie die Luft selbst. Neshira, versuchte, auszuweichen, doch vier parallele Schnitte öffneten sich auf ihrer Brust. Der Schmerz fuhr durch sie wie ein eisiger Sturm. Sie taumelte und hob instinktiv die Arme, um sich zu schützen, doch der nächste Schlag warf sie gegen die Wand. In ihrem Rücken knirschten ihre Wirbel gegen einen Kerzenhalter, dann fiel sie zu Boden.

Steh auf, befahl sie sich, doch ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen. Schwärze tanzte vor ihren Augen, und sie konnte nicht sagen, ob es von ihrer dräuenden Ohnmacht kam oder der Dunkelheit, die das Wesen noch immer umwogte wie ein Schleier. Dumpf hörte sie das Flackern eines Maschinengewehrs, Ruks wütende Kampfschreie, das tiefe Donnern von Durags Waffe. Das Hauchen der Bestie schnitt durch den Lärm wie ein silbernes Messer. Unbeeindruckt von den tobenden Waffen bäumte sie sich über Neshira auf.

Eine Gestalt schnellte aus den Schatten, Flammen und fahles grünes Licht folgten ihm. Blitze züngelten um ein Schwert mit schimmernder schwarzer Klinge, und Sindrak versenkte die Waffe tief im Hals des Wesens.

Die Kreatur taumelte zur Seite, ihr Jammern hallte an den hohen Wänden wider. Haare rieselten in blutigen Klumpen von ihm, dort, wo das Schwert die Magie verzehrte. Kreischend schüttelte sie sich, bockte wie ein wütender Wassergeist und warf sich gegen die Wände, doch das grünliche Glühen von Sindraks Hex blieb, wo es war. Blitze zuckten bei jedem seiner Schwerthiebe.

„Neshira!" Jemand packte sie an der Schulter. Der Geruch von heißem Metall schob sich neben sie. „Neshira, geht es dir gut?"

„Ja", murmelte Neshira angestrengt. Die Banshee schien das Innere ihres Kopfes zu zerfleischen. Sie stemmte eine Hand auf den Boden, doch rutschte auf ihrem eigenen Blut ab.

Eine schwarze Hand packte ihr Handgelenk und zog sie auf die Knie. „Neshira! Kannst du mich hören?"

Neshira blinzelte heftig und sah auf. Ona blickte ihr besorgt entgegen und lächelte halb. Neshiras Herz stolperte. Vor Erleichterung, dass sie wusste, dass Ona lebte. Und vor Angst. „Was, bei der Banshee und des Königs Schellen, tust du hier?", fauchte sie.

„Wir helfen dir!", verkündete Ona.

„Nein. Das ist zu gefährlich. Verschwinde. Du solltest auf dem Schiff sein!"

„Wir sind abgestürzt. Dann haben wir Durag gefunden, und er hat dafür gesorgt, dass Dandelo Slobad und seine Frau nun auf unserer Seite stehen. Er ist... er war auf Eleutheras Seite, und..."

Also hatte Durag Erfolg gehabt mit seinem einzigen Grund, weswegen er sich in den Plast von Cinderport gewagt hatte. Neshira hatte geglaubt, dass er verschwinden würde, sobald er ihn gefunden hatte, doch etwas schien ihn dazu zu bewegen, ihn noch gegen Eleuthera zu helfen. Vielleicht das bisschen Ehre, das er in seinem kleinen Körper hatte. „Verschwinde trotzdem."

Sie warf einen hektischen Blick zu der außer sich tobenden Bestie. Sindrak klammerte sich noch immer an sie, doch sie sah bereits eine Schwärze über seinen Arm kriechen, die dort nicht zuvor gewesen war. Lange würde er nicht mehr durchhalten. Ruk hielt sich neben der Kreatur und schlug weiterhin auf sie ein, Durags Gewehr schwieg nur für wenige Augenblicke. Doch auf der anderen Seite des Saals war der Streifen Licht verschwunden. Stattdessen waberte nun dort eine undurchdringliche Dunkelheit, die weder Ruks Axt noch die Kerzenflammen berührten. Neshira meinte, das raue Keuchen von sterbenden Kranken zu hören, von Männern und Frauen, die an einer Seuche erstickten. Der Gestank von Grabkerzen schlug ihr entgegen, ein Lachen, dem der Banshee so ähnlich und doch so fremd, dass sie meinte, ihr Herz müsste ersticken.

„Verschwinde, Ona", befahl sie. Dunkler Schleim säumte die Ränder ihrer Wunden und mischte sich mit ihrem Blut. Sie meinte bereits, die Schwäche des Fiebers in ihren Adern zu spüren. „Schnell. Jetzt. Was auch immer hinter dem Nebel ist, es wird uns alle töten wollen."

„Dann töten wir es zuerst", knurrte Ona, wirbelte herum und eröffnete das Feuer.

Der Nebel zerstob, als fegte eine plötzliche Bö durch den Saal. Vampirlinge kamen dahinter zum Vorschein, alle mit erhobenen Gewehren. Eleuthera stand wie eine Königin inmitten der Soldaten, blutigen Nebel in den Händen. Grabkerzen wucherten auf ihren Schultern, schwarze Adern verzweigten sich auf ihrer Haut. Durensky stand neben ihr, in eine schwarze Paraderüstung gekleidet. Der Schein ihrer Flammen ließ die goldenen Litzen schimmern.

Der Vampirfürst schlug seinen Säbel abwärts. „Feuer frei!"

Die Gewehre bellten, noch ehe das erste Wort des Schutzzaubers Neshiras Lippen verließ. Heiß bohrten sich die Kugeln in ihr Fleisch, die Magie entglitt ihr und verflüchtigte sich. Fluchend wollte sie zurück treten, suchte hinter sich nach einer Deckung, doch fand keine.

Ona schien unter dem Kugelhagel zu tanzen, ein hektischer Schatten vor dem Flackern des Gewehrfeuers. Blut sprühte, ihre Waffe fiel klappernd zu Boden, und sie fiel.

„Ona!", schrie Neshira, riss erneut den Schutzzauber hoch und stürzte zu ihrer Schwester. Mit aufgerissenen Augen blickte sie zu ihr auf, Blut lief aus ihren Mundwinkeln. „Verdammt, Ona!" Hektisch sammelte sie heilende Energie um ihre Hand und drückte sie in Onas rot verfärbtes Fell. Einige ihrer Wunden schlossen sich, doch ebenso viele blieben. Neshira fluchte wütend, Tränen ließen ihre Sicht verschwimmen. Kugeln regneten auf den goldenen Schild nieder, und sie wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis er aufgezehrt war.

Das Heulen der Bestie änderte seinen Klang, von leidend zu wütend. Sein Kopf kippte zur Seite, teilweise abgetrennt von Sindraks Schwerthieben, Blut spritzte über die Fliesen und verunzierte die Tapete. Schwarze Kristalle überzogen die Wunden, Klumpen blutigen Fleisches fielen bei jedem Schritt zu Boden.

Ein grüner Streifen Schatten schnellte auf die Soldaten zu, ein Schwert in jeder Hand. Das Zubeißen der Klingen war gierig. Mit einem Knurren stürzte Sindrak sich auf die Soldaten, das tiefe Fauchen von Durags Schüssen mischte sich zwischen das Singen seiner Schwerter. Ein Gewehr explodierte in einem Feuerball. Das Feuern schwankte, doch versiegte nicht.

Doch nun war die Bestie frei. Mit einem hungrigen Hauchen wandte sie sich zu Neshira um.

Neshira erhob sich und stellte sich vor ihre Schwester. Ihre Glieder fühlten sich an, als wären sie aus Schlamm geschaffen. Wie von selbst fuhr ihre Hand zu dem goldenen Glöckchen um ihren Hals. Das kalte Eisen daneben streifte ihre Finger, Blut, ihres und Onas, blieben an der Laterne kleben.

Sie musste nur die Worte sprechen, und Eleuthera würde sterben, ihr Kopf von ihrem Körper gerissen von schwarzen Krallen. Die Kreatur, die sie beschworen hatte, würde zerfallen, Durenskys Soldaten würden nie wieder eine Waffe abfeuern. Das Jammern des Wesens mischte sich mit dem fernen Kichern der Banshee, ihr Gestank bekam einen Hauch von verbranntem Fleisch. Sie müsste es nur tun. Ihr Herzschlag pochte in ihren Schläfen. Ona könnte sterben, wenn sie es nicht tat.

Sie hasste sich dafür, dass sie es tun musste. Sie verfluchte sich und den König, dass er sie im Stich gelassen hatte. Ihre Hand schloss sich um die Laterne und das Glöckchen zugleich, der kümmerliche Versuch, den Einäugigen nicht gänzlich zu verlieren. Es kam ihr vor wie eine schreckliche Lüge. Ketzerei. Verrat.

Doch kein Wort kam über ihre Lippen. Sie hatte es geschworen, bei dem Tod einer Vettel. Sie würde die Banshee nicht rufen. Ihre Hände zitterten, als sie ihre Amulette wieder losließ. Tief atmete sie durch, fand den pochenden Schmerz der Kugeln, das Reißen in ihrer Brust, die lähmende Schwäche des Hexenfluches, und bannte sie aus ihrem Kopf. Sie würde Ona verteidigen, bis aufs Blut, bis zum Tod und darüber hinaus, sie allein.

Die Bestie kam näher und näher, ihre Krallen scharrten auf den Fliesen, ihr Knurren klang siegessicher. Neshira hob die Fäuste. Jeder Atemzug war schwer, als raube die Kreatur ihr die Luft zum Atmen. Seufzend duckte sie sich zusammen, bereit zum Sprung.

Ruks gewaltiger Schlag fegte ihr die Hinterbeine unter dem Körper weg. Hektisch suchte die Kreatur um Halt, ihre Klauen kreischten auf dem glatten Marmor. Neshira stürmte vor und schlug auf den Kopf ein, unzählige schwarze Augen musterten sie voller Qualen. Sie bäumte sich auf, Neshira stolperte rückwärts, und die mächtigen Klauen zerfetzten die Bänder um ihre Arme restlos. Das Band mit den Glöckchen zerriss. Tiefe Schnitte öffneten sich, ihre Selbstkontrolle bröckelte. Das Pochen in ihrer Seite, dort, wo die Kugel noch immer in ihrem Fleisch steckte, brach an die Oberfläche und wollte ihr das Bewusstsein nehmen.

Die Bestie machte einen Schritt nach vorn und strauchelte. Ruk stand auf ihrem Rücken und hatte seine Axt zwischen ihre Schulterblätter gerammt. Sie wirbelte herum, versuchte, ihn zu fassen zu bekommen, doch er arbeitete sich unbeirrbar weiter nach vorn, ein Stich mit der Axt nach dem anderen.

„Neshira!", brüllte er, kaum zu verstehen unter dem Donnern der Gewehre und dem Jammern der Bestie. „Nimm Ona und lauf! Ich kann euch den Rücken decken!"

„Ich lasse dich nicht allein hier!", schrie sie.

Die Bestie buckelte, Ruk flog in die Höhe, die Axt in den Händen. Ihre gewaltigen Kiefer öffneten sich.

Mit einem Schrei schlug Ruk sein Beil abwärts. Schmatzend fraß sich die Klinge durch ihr Fleisch, von der Stirn bis zum Schwanzansatz, riss Blut, Knochensplitter und verdorbenes Fleisch mit sich. Die Kreatur fiel zu Boden, ihr vielstimmiges Hauchen klang beinahe flehend.

Ruk rollte sich ab und stemmte sich unsicher auf die Beine. „Geh, Neshira. Wir sind verloren." Er sah sich zu der Bestie um, die sich fauchend wieder erhob. „Rette dich und Ona. Dieses Wesen wird meinen Schwur erfüllen."

Neshiras Herz fiel ins Bodenlose. „Ruk, nein..."

Der Schrei einer Vettel ließ sie herumfahren, sie und die Bestie gleichermaßen. Durenksy hielt sich den Hals, Blut sprudelte unter seiner Hand hervor. Seine Gesichtszüge waren scharf wie Messer. Wütend fauchte er Sindrak entgegen, der geduckt vor Eleuthera stand.

Seine Waffen zuckten vor, doch sie war schneller. Sie wich seinen Attacken aus und legte ihm beinahe liebevoll eine Hand auf die Wange.

Sindrak erstarrte. Die Flammen, die aus seinem Rücken stoben, erloschen. Sein Fell brach auf und entblößte das faulige Fleisch darunter.

Die Klauen der Bestie schmetterten Ruk zu Boden. Tief bohrten sich die Krallen in seinen Brustkorb und durchstießen seinen Hals. Das Brechen seiner Rippen war lauter als die Gewehrschüsse. Neshira schrie auf, brüllte Worte, die selbst sie nicht verstand, doch Ruk sah sie geradeheraus an. Blut befleckte sein Grinsen. „Für Grefell, Neshira."

Er riss die Axt hoch, Flammen barsten aus den Köpfen, im gleichen Moment, als die Bestie zuschnappte. Brennender Stahl bohrte sich in ihre Kiefer. Ein Schauder schüttelte ihre mächtigen Schultern, und mit einem letzten Seufzen brach sie über Ruk zusammen.

„Ruk, nein", schluchzte Neshira. Ihre Tränen ließen die Bestie zu einem orangefarben und schwarzen Fleck verschwimmen.

Heftig wischte sie die Flüssigkeit fort. In ihren Ohren klingelte es. Sie musste gehen, sich und Ona in Sicherheit bringen. Durags Schüsse trafen einen der Soldaten nach dem anderen, doch Sindrak war nicht mehr zu sehen. Durensky hielt einen der Männer umschlungen, seine Lippen ruhten an seiner Schlagader. Eleuthera sammelte Magie in ihren Händen.

Neshira hob die noch immer leblose Ona vom Boden auf. Ihre Lippen formten Worte, die sie nicht verstand.

Hektisch sah sie sich um. Eine Tür, gut versteckt, wohl für Dienstboten, lag an der Rückwand des Saals. Immer wieder wallten die Tränen auf und ließen ihr Blickfeld zu Schlieren verlaufen. Heftig verbot sie sich das Weinen. Dafür hatte sie Zeit, wenn Ona nicht mehr in Gefahr war.

Sie warf einen letzten Blick auf Ruk. Das triumphierende Grinsen lag noch immer in seinem Gesicht, seine Augen blickten wie entrückt ins Nichts. „Lebe wohl, Ruk", wisperte sie. „Möge der König dich auf den rechten Weg führen."

Dann wirbelte sie herum und rannte. Das Rattern der Gewehre verfolgte sie.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top