24. Alte Freunde

Soundtrack: Dominik Scherrer - Telegraph aus dem Ripper Street OST. Miese Serie, gute Musik. Abspielen, sobald jemand an Sindraks Tür kommt.

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„Ona?"

„Ich bin hier." So leise, dass ich es kaum verstehen konnte. Ihre Stimme schwankte unter ihren Tränen.

Zitternd atmete ich auf. Sie lebte noch. Niemand war gekommen und hatte sie getötet. Die Schritte hinter der massiven Stahltür waren an meiner Zelle vorbeigezogen, dorthin, wo die anderen in den ihren saßen, und hatten sich schließlich verloren.

Seit die Geister des Caligár uns von der Lamente gezerrt hatten, rief ich nach ihr. Immer wieder, wenn ich dachte, sie wäre fort, verschlungen von dem Schiff selbst, getötet durch die Geister, die beinahe lautlos durch die Gänge schlichen. Ihr Schluchzen schnitt durch festen Stahl und das Grollen der Schiffsmotoren und zerriss mir schier das Herz. Ich wollte bei ihr sein, sie festhalten, sie beschützen vor dem, was uns zweifellos bevorstand. Ich hatte ihr versprochen, sie stets vor allem Bösen zu bewahren, doch es war mir nicht gelungen. Ich hasste mich dafür, mein Versprechen nicht gehalten zu haben.

Müde saß ich auf dem Boden der Zelle und lehnte meinen Kopf gegen die Tür. Es war heiß, so sehr, dass mein mit Blut verklebtes Fell unter meinem Hemd juckte, vermischt mit Schweiß. Die Kohlenkammern des Schiffes konnten nicht weit sein. Das Stampfen der Maschinen war ein ewiger, dumpfer Herzschlag, als säße ich in den Eingeweiden eines riesigen, hungrigen Tieres, so laut, dass es jede Faser meines Körpers vibrieren ließ. Die Dunkelheit schien mich ersticken zu wollen, zusammen mit der stickigen Luft. Einzig durch einen verschließbaren Spalt drang das Licht einer einzelnen Laterne herein. Staub tanzte in dem dünnen Streifen Helligkeit.

In der Ferne, kaum hörbar unter dem Fauchen der Triebwerke, hörte ich, wie Ruk in seiner Zelle tobte, auf die Wände einschlug, seinen Zorn in die Finsternis schrie, doch ich wusste, dass der Stahl nicht nachgeben würde. Symbole zierten die Tür seiner Zelle. Ich kannte sie. Arcaul hatte ebenfalls in einer solchen gesessen. Damals, als er den Dämon unter seiner Haut noch nicht beherrschen konnte. Vor so langer Zeit, als ich ihn gefunden hatte im Bauch eines Schiffes auf dem Weg zu einer verfluchten Insel.

Jedes Mal, wenn sich Schritte den Zellen näherten, war mir, als fiele ich in einen Abgrund. Attica hatte uns prophezeit, dass sie uns holen kommen würde, dass sie sich rächen würde. Beinahe hätte ich bei ihren Worten gelacht. Sie hatte Ona so viel angetan, von dem ich nicht einmal genau wissen wollte. Sie hatte Valentina getötet. Den Tänzer von Oren Mor. Arcaul. Ich hatte ihr ihren Bruder genommen, ein kleiner, lächerlicher Ausgleich für unsere Verluste, und sie wäre die nächste, die unter meinen Waffen fallen würde.

Wenn ich jemals hier herauskam. Die Rabenfedern hatten mich gründlicher durchsucht als alle zuvor. Sie hatten meine Diebeswerkzeuge gefunden, den Dolch in meinem Stiefel, jede noch so kleine Waffe. Sie hatten meinen Handschuh genommen, meine Armbrust, meine Schwerter. Meine Rüstung, selbst mein Hex hatten sie mir so grob vom Rücken gerissen, dass ich nun blutige Schrammen unter meinem Hemd spürte. Nun fühlte ich mich ungeschützt wie nie zuvor.

Attica hatte nun alles von mir, was mich an meine Vergangenheit band. Das Schwert mit den zwei Klingen. Den Handschuh. Das Schwert des Caligár, das mir ein sterbender Mann in die Hand gedrückt hatte. Es sei mein, hatte er mit seinen letzten Atemzügen gesagt, und mir das Kommando über eine Crew aus Geistern und drei nun offenbar verschwundenen Meeresgöttern übergeben. Sie hatten ein Schiff über den Himmel gelenkt, das mir und meinem Bruder ein Zuhause gewesen war, bis Attica uns vom Himmel geschossen hatte, das Schwert geraubt, Arcaul getötet hatte und nun sein Fell über ihren Schuppen trug.

Sobald ich erkannt hatte, dass kaum eine Seele an Bord des Zerstörers zu sehen gewesen war, hatte ich es geahnt. Ich war beeindruckt gewesen, von dieser Wand aus Stahl, zwischen dem rauschenden Schilf und den in den Himmel ragenden toten Bäumen. Doch ich hatte es nicht gewagt, mich an Bord zu schleichen. Die Geister hätten mich gefunden, und ich wäre meinem Bruder gefolgt.

Ich war mit Ruk zu Miriaume zurückgekehrt, und Valentina hatte Neshira mithilfe ihrer Mutter eine Nachricht geschickt. Dass sie und Ona zum Schiff zurückkehren mussten. Dass Attica einen Zerstörer hatte. Und ich hatte herausgefunden, dass selbst Neshira gegen das gewaltige Schlachtschiff machtlos war.

Neshiras Gebete waren ein ständiges, mich schier in den Wahnsinn treibendes Murmeln. Sie sollte etwas tun. Den König Schellen rufen. Die Banshee beschwören. Irgendetwas. Doch sie vermochte es nicht. Tat es nicht mehr, denn sie wusste, dass es nur den Untergang brachte, so hatte sie es ausgedrückt, und ich hatte noch nie eine albernere Begründung gehört. Sie hatte den Schlüssel zu unserer aller Freiheit bei sich. Sie musste nur die dunkle Göttin rufen, und die Banshee hätte unsere Gefängnisse zerfetzt wie Papier, wie ich es vor etwa einem Jahr gesehen hatte, sie hätte die Crew und Attica in Stücke gerissen, wie sie es mit jenen getan hatte, die Valentina zu nahe gekommen waren, als die Canwy Roch noch über ihre Macht verfügt hatte.

Ich vermisste sie bereits jetzt. Ihre scharfen Kommentare, wie sie mich und Ona aufgezogen hatte, ihre amüsierte Verachtung. Noch ein Tod, für den Attica Skovron verantwortlich war.

So viele waren gestorben. Ein Schiff voller Canwy Roch mit ihrem Captain. Die Frau, die ich zu einer meiner wenigen Freunde gezählt hatte. Unsere besten Verbündeten. Die Männer und Frauen, die mit Tanqueray gegen die Vettel gefochten hatten und die, zusammen mit Tanqueray, unter meinen Schwertern gestorben waren. Tanquerays entsetzter Blick drehte mir den Magen um, jedes Mal, wenn ich die Augen schloss. Seine Enttäuschung, seine Angst, das Wissen, dass er den Sumpf nicht lebendig verlassen würde. Plötzlich war er nur noch ein alter Mann gewesen. Dann hatten die Klingen meines Schwerts zugebissen.

Ich war schuld daran. Ich hatte mich beherrschen lassen. Die Vettel hatte mir befohlen, und ich war blindlings gefolgt. Innerlich fragte ich mich, ob ich hätte stärker sein sollen, doch Ona hatte mir versichert, dass kaum jemand sich der Beherrschung einer Vettel widersetzen konnte.

Erneut erklangen Schritte, und meine Eingeweide krampften sich zusammen. Ich hielt den Atem an, als würde man mich so nicht finden, obwohl jeder auf dem Schiff wusste, wer in welcher Zelle war. Das Warten auf Attica riss an meinen Nerven. Bei jedem unerwarteten Geräusch zuckte ich zusammen, erwartete, dass das alte Drachenblut durch die Tür kam und mich mit sich nahm. Dass ich hörte, wie man die schluchzende Ona aus ihrer Zelle schleppte, dass ich das Lachen und Stöhnen von Männern hörte, untermalt von ihren Schreien. Allein bei der Vorstellung wallte der Zorn in mir auf und ballte sich mit meiner Angst zusammen. Ich wollte aufspringen, etwas tun, ich wollte mich befreien und Attica töten und Ona wieder in meinen Armen halten, ich wollte dafür sorgen, dass sie keine Angst mehr haben musste. Doch ich konnte nichts tun. Ich konnte nur warten, dass Attica kam. Vielleicht machte sie einen Fehler. Einen fatalen Fehler, durch den ich Ona befreien und fliehen konnte. Doch ich wusste, es würde nicht geschehen. Attica würde uns kein zweites Mal unterschätzen. Sie würde sich vorbereiten, und sie würde siegen.

Verzweifelt vergrub ich das Gesicht in den Händen. Ich war machtlos, wie zuvor, als die Hexe mich besessen hatte. Als wäre Attica ebenfalls eine Vettel.

Die Schritte kamen immer näher, in einem merkwürdigen Rhythmus. Nicht wie eine gewöhnliche Kreatur. Schlüssel klirrten, knirschten im Schlüsselloch meiner Zelle. Ich erhob mich und trat zum anderen Ende des kleinen Raumes, als würde der Schritt, der zwischen mir und der Tür stand, mich vor dem schützen was folgte.

Ein Lichtstrahl schnitt zwischen dem Stahl hervor, nur ein schmaler Spalt, gerade so weit, dass die kaum hüfthohe Gestalt hineinschlüpfen konnte. Die Krempe seines Huts war so breit, dass er dafür den Kopf schief legen musste. Das Licht fing sich an den Perlmuttbeschlägen seiner Revolver und dem Lauf des Gewehrs an seinem Rücken. Der Geruch von Zigarren stieg mir in die Nase, der Gestank nach billigem Whiskey und Schießpulver.

„Sindrak Herrera", begrüßte er mich, die Stimme knarzend wie alte Holzdielen. „Du bist wirklich tiefer in der Scheiße, als wir es zusammen jemals waren." Er schloss die Tür hinter sich und stellte eine Kerze vor sich ab. Die flackernde Flamme tauchte sein Gesicht in tiefe Schatten, die langen, spitzen Ohren, kaum zu sehen in den Schatten seiner Hutkrempe und ließ die Patronen an seinem Gürtel glänzen. Sein verächtliches Grinsen enthüllte schlechte, doch scharfe Zähne. „Lange nicht mehr gesehen."

Mein Hirn strauchelte bei der schwierigen Aufgabe, mich an ihn zu erinnern. Whiskey. Zigarren. Pistolen. Durag el Slaad. Kopfgeldjäger und Scharfschütze. Ich wusste kaum, wann ich ihn zuletzt gesehen hatte. Ein Ball in einer nun untergegangenen Stadt. Und in den Rauchschwaden von Oren Mor, gemeinsam mit einem zweiten Gremlin und einem Kriegsgeschmiedeten. „Lange nicht mehr gesehen", wiederholte ich misstrauisch. Wir waren nie Freunde gewesen. Er hatte mich verachtet. Stets auf seinen eigenen Vorteil bedacht. In seiner Gier war keine Zeit für Feigheit gewesen, und das hatte er mich spüren lassen. „Was tust du hier?"

„Was denkst du denn?"

„Mich auslachen, dass ich in einer Zelle sitze?"

„Eher lache ich dich aus, dass du in einer Zelle sitzt und nicht herauskommst. In einer Zelle sitzen wir alle ab und an, aber du, der Schlösserknacker, den man zum Schlösser knacken überreden muss, kommt nicht aus seiner mit einem Schloss verschlossenen Zelle." Er grinste spöttisch und pustete Rauch ins Dämmerlicht.

Ich verzog das Gesicht. „Sie haben mir meine Werkzeuge weggenommen!", zischte ich. „Was soll ich machen?"

„Ganz offensichtlich darauf warten, dass ich dich hier raus hole."

Ich blinzelte verwirrt. „Du willst mich hier rausholen?"

„Hast du mir nicht zugehört, Sindrak?" Aus seinem Mund klang mein Name wie eine Beleidigung. „Ich hole dich hier raus, damit du Attica umbringst."

Ich starrte ihn an. „Warum? Wie bist du auf dieses Schiff gekommen?"

Er seufzte und setzte sich vor die Kerze. Aus den Untiefen seines Mantel förderte er eine schmutzige Whiskeyflasche zutage, setzte sie an die dünnen Lippen und trank. „Ich bin in Cinderport an Bord gegangen. Wie sonst?"

Durag hielt mir die Flasche entgegen. Ich nahm ebenfalls einen Schluck, doch bereute es sofort. Der Whiskey schmeckte, als hätte man billigen Hochprozentigen durch gemahlene Kohlen gegossen und das Destillat mit Pferdepisse gestreckt. Würgend gab ich ihm die Flasche zurück. „Du hast dich an Bord des Schiffes geschlichen, auf denen die Geister des Caligár sind? Wie hast du das geschafft?"

„Indem ich nicht geschlichen bin, sondern Seite an Seite mit Attica ging." Er kicherte über meine fassungslose Miene. „Seit die Welt untergegangen ist, habe ich das getan, was ich immer getan habe. Für Geld Leute finden. Leute töten. Städte erobern mithilfe von windigen Methoden. Du erinnerst dich."

Ich erinnerte mich kaum, doch unterbrach ihn nicht. Ich wollte wissen, warum er mit Attica das Luftschiff betreten hatte, und warum er mir nun half. Aus purer Freundschaft konnte ich mir zumindest nicht vorstellen.

Er legte den Kopf schief und musterte mich genauer. „Und du? Was hast du nach der Katastrophe getan? Du wolltest doch zuletzt deinen Bruder suchen. Warst du erfolgreich?"

„Aye."

„Und wo ist er nun?"

„Tot. Attica hat ihn umgebracht."

„Oh." Er trank einen Schluck. „Die Geschichte mit ihrem Fellmantel und dem Kopf des Karrs am Bugspriet. Attica ist einfach ein verdammtes Miststück. Schlimmer als Victoria damals."

Victoria. Eine Vampirin, mächtig wie Durensky, doch eine Magierin noch dazu. Sie hatte Durags Lehrling getötet, nur um uns aus der Reserve zu locken, und es war ihr gelungen. Sie hatte dafür bezahlt.

„Attica hat mich angeheuert. Kaum zwei Tage, nachdem ich in Korvengerstein angekommen bin. Grässliche Gegend. Gnomdon war schöner. Sie hat mich auf eine ihrer Huren angesetzt, ein kleines Flittchen namens Shuriken, und auf den verdammten Karr mit dem Hex-Stein auf dem Rücken, der ihr geholfen hat. Spätestens, als ich dich bei Rivercross gesehen habe, wusste ich mit Sicherheit, dass es um dich geht." Er hob die Zigarre in meine Richtung. „Seitdem bin ich mit ihr auf Reisen. Wegen mir lebst du noch, also sei besser dankbar."

Ich stutzte. „Wie bitte?"

„Ich war auf dem Luftschiff, das euch bei Rivercross angegriffen hat. Statt dir habe ich das Pferd erschossen, auf dem du geritten bist."

Ich rieb mir den Arm. Noch immer meinte ich, den Straßendreck in den Schürfwunden zu spüren. „Ich weigere mich, für so etwas dankbar zu sein!"

Er grinste. „Gern geschehen. Außerdem habe ich, und nur ich allein dafür gesorgt, dass Neshira und euer arkaner Freund noch am Leben sind. Attica wollte, dass ich sie von Weitem erschieße, und ich habe mir heldenhafte Lügen ausgedacht, damit ihr nicht sterben müsst."

Ich schwieg. Mein alter Verbündeter war aufgetaucht, hier in meiner Zelle, und behauptete, aller Probleme Lösungen zu sein. „Warum hast du das getan?"

„Es war klar, dass ich dich retten muss. Du bist mein Freund, das hast du nicht verdient, von dieser schuppigen alten Hure einfach umgebracht zu werden. Wenn ich dich rette, dann gehört es auch zum guten Ton, dein Liebchen zu retten, und es ist nie schlecht, in der Schuld einer Shinaru und eines Tarnaruc zu stehen. Vielleicht zeigen sie sich auch erkenntlich dafür. Sicherlich mehr als Attica, von der ich sicher bin, dass sie mich umbringt, sobald sie einen Vorteil davon hat."

Mir fiel etwas auf. „Und du warst bei Attica, seit ihr in Korvengerstein aufgebrochen seid?"

„Aye."

„Du hättest sie jederzeit töten und mich allein suchen können. Stattdessen hast du zugelassen, dass wir verfolgt, mit Hexenzaubern belegt werden und..."

„Noch etwas, wofür du dankbar sein kannst. Ich habe die Sumpfhexe getötet." Zufrieden zog er an der Zigarre.

Ich starrte ihn an. „Du warst das?"

„Wer sonst? Attica kann nicht einmal geradeaus schießen, und Norren hatte den Revolver nur, um etwas zum Festhalten zu haben."

„Warum hast du mir nie geholfen? Sie hat mich gefoltert! Ich hätte sterben können!", fauchte ich. „Sie hätte mich einfach an Ort und Stelle zu Tode foltern können! Warum hast du nichts getan?"

„Du wärst nicht gestorben."

„Warum nicht?"

„Mit den Dummen sind die Götter." Er trank erneut. „Lange habe ich nichts tun können. Die Rabenfedern folgen ihr, und wenn sie erkannt hätten, dass ich ein doppeltes Spiel spiele, hätten sie mich an Ort und Stelle umgebracht. Außerdem war es doch recht bequem, sich von ihr durch die Gegend kutschieren zu lassen. Ich habe auf den geeigneten Moment gewartet, und dieser ist jetzt."

„Wenn du Attica im Sumpf getötet hättest, hätten dich die Rabenfedern nie gefunden. Vielleicht wären alle gestorben, wenn du Attica in dem Moment erschossen hättest, als sie Ona gehabt hätte. Ruk und Neshira hätten sie erledigt."

„Wenn du bessere Arbeit geleistet hättest und sie umgebracht hättest, als das verdammte Pferd sie hatte, wärst du jetzt auch nicht in dieser misslichen Lage." Er zog einen Dolch aus seinem Gürtel, den ich als den meinen erkannte. „Wir können uns gegenseitig unsere Fehler vorhalten, von denen du zweifellos mehr hast als ich, oder aber du bringst diese schuppige Hure endlich um." Er warf den Dolch in die Luft und fing ihn wieder. „Den habe ich aus deiner Ausrüstung mitgehen lassen. Du weißt, was du zu tun hast. Lass dich nicht von den Geistern erwischen."

Langsam nahm ich die Klinge entgegen. Die älteste Waffe, die ich besaß. Seit Arcaul sie mir in Tarensvault in die Hand gedrückt hatte, mit der Begründung, dass ich mich zu verteidigen wissen musste. Ich schluckte und sah zu Durag hinab. „Warum bringst du sie nicht um?"

„Du willst dich drücken? Gerne." Er erhob sich und lächelte boshaft. „Dann wirst du deine Rache kaum bekommen. Aber du hast bessere Chancen, an der Außenseite des Schiffes entlang zu klettern und dabei nicht in den Tod zu stürzen, denn du kannst sicherlich besser klettern als ich."

„Ich soll... was?"

Durag verdrehte die Augen. „Hast du wirklich geglaubt, dass du einfach in ihre Kajüte spazieren kannst und sie sich bereitwillig von dir abstechen lässt? Es gibt nur einen Eingang zu diesem Raum, der, den man von jeglichen Ecken besagten Raumes einsehen kann, und ebenjenen wirst du nicht nehmen. Sobald sie dich sieht, wird sie die Geister rufen."

Ich verzog das Gesicht. Was die Dämonen, die Caligár mit dem Blut seiner Crew an sein Schwert gebunden hatten, anrichten konnten, wusste ich zu genüge. Oft genug hatte ich sie selbst auf meine Feinde gehetzt. Ich war reich geworden mit ihnen, ein König des Himmels, doch es hatte nur die Kanonen eines Luftschiffes unter einem alten Drachenblut gebraucht, um alles, was ich besaß, zu vernichten.

Erneut kroch der Hass auf Attica in mir auf. Ich konnte sie töten. Trotz allem Misstrauen gefiel mir Durags Plan. Nur er selbst gefiel mir ebenso wenig wie eh und je. Für einen Moment erwog ich, ihn zu überwältigen, nur um das Risiko, er könnte mich doch noch an Attica verraten, Freundschaft hin oder her, zu minimieren, doch er las meinen Blick.

Ruhig legte er seine Hand an den Revolver, und ich wusste, er würde ihn schneller ziehen und abdrücken können, als ich auch nur einen Schritt tun. „Du wirst hinausklettern durch eine der Stückpforten. Ganz oben, unter der Brücke, ist die Kajüte des Captains. Du kannst durch ein Fenster am Heck hinein. Dort ist sie. Betrunken, aber unterschätze sie nicht."

Das letzte, was ich tun würde, wäre Attica Skovron zu unterschätzen.

„Es ist der einzige Weg. Anders kommst du nicht an Dämonen vorbei, und glaube mir, sie sehen dich, bevor du sie siehst."

„Ich weiß", erwiderte ich schaudernd. „Sie hat das Schwert von mir."

„Ah, stimmt. Sie hat es wohl ein- oder zweimal erwähnt. Dann weißt du, was du zu tun hast."

Es war wahnsinnig, doch der Gedanke, Atticas Blut an meinen Händen zu spüren, war es wert. „Weißt du, wo meine Ausrüstung ist?"

„Bei Attica. Wenn nicht bei ihr, dann verteilt unter ihrer Crew." Durag wandte sich zum Gehen.

„Warte." Eine Frage blieb mir. „Warum hilfst du mir? Und sag nichts von Freundschaft."

„Aus Freundschaft." Offen sah er mir ins Gesicht, und ich begann, ihm zu glauben. „Ich will uns zurück. Mich und Dandelo und Orikan. Ich will wieder große Coups drehen, und das hat nie mehr funktioniert, nachdem ich euch verlassen hatte."

„Für ein Mädchen, das du auf einem Ball kennen gelernt hast."

„Ich bin ihr nach Zhaun gefolgt, und dort hat sie mich nach einem halben Jahr für einen anderen sitzengelassen. Ich bin zurück nach Gnomdon gegangen, doch du und Dandelo waren weg. Du bist deinem Bruder nachgejagt, Dandelo ist nach Nox gegangen, um seine Frau wieder zum Leben zu erwecken, und Orikan allein konnte unsere Macht nicht halten. Danach habe ich wieder nur Leute erschossen für Geld, und das bin ich leid. Ich will wieder mehr als nur eine Handvoll Aurai, dafür, dass ich tagelang durch den Dreck schleiche. Und dafür brauche ich euch zurück." Er nickte in die Richtung der anderen Zellen, von denen Neshiras Flüstern und Ruks Rumoren drang. „Dandelo ist in Cinderport und dient der Seuchenvettel. Hilft ihr angeblich, ihre gefallenen Geschwister wieder zum Leben zu erwecken. Wir können ihn befreien, und danach suchen wir nach Orikan."

„Ich kann dir sagen, wo er ist", seufzte ich.

Durags Miene hellte sich auf. „Wo?"

„Sein Seelenstein lag in einer Schachtel unter einer Waffenfabrik von Durensky in Ashenfall. Seine Hülle wurde wahrscheinlich eingeschmolzen. Vielleicht stehen wir gerade auf ihm." Ich tippte mit der Pfote auf den stählernen Boden. „Die Waffenfabrik habe ich in die Luft gejagt."

„Du warst das? Ich hätte es mir denken können. Wo du bist, ist die Katastrophe nicht weit. Du warst sicher auch für den Untergang verantwortlich, oder?"

„Nicht dass ich wüsste."

„Wundern täte es mich nicht", knurrte er verächtlich.

„Aber die Aufzeichnungen aus seinem Seelenstein habe ich noch. Wenn Attica sie nicht mit meiner Tasche über Bord geworfen hat."

„Wenigstens etwas. Vielleicht kann der Arkane an seine Stelle treten. Und Canto die Ältere scheint auch nicht, als müsste sie zögern, bevor sie die Waffen sprechen lässt." Er zog ein letztes Mal an seiner Zigarre, dann warf er sie auf den Boden und trat sie aus. „Ein Deck über uns sind die Schießscharten, durch die du nach draußen kommst."

Er wandte sich um, verließ meine Zelle und schloss die Tür. Kein Knirschen von Schlüsseln war zu hören. Seine Schritte verloren sich an der Treppe, die aufs Oberdeck führte.

~ ~ ~

Ja, ich weiß, Plotholes hier und dort, warum hat er ihnen nicht schon früher geholfen: weil PLOT. Und weil es jetzt passend war. Aber glaubt mir, ich habe das seit Beginn geplant! 

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