23. Klagelied
Wer Spotify hat und die Soundtracks in besserer Quali hören will! Geht auf mein Profil! Dort steht das Wort Spotify! Folgt dem Link dahinter! Viel Spaß!
Soundtrack: Max Richter - Shadows aus dem Taboo OST und Hans Zimmer - Blackbeard aus dem PotC: Fremde Gezeiten OST. Letzteres abspielen, sobald ein Master Tartarou de Nicera erwähnt wird.
https://youtu.be/lOQKIg7JViw
~ ~ ~
Dunne schleifte Attica mehr mit sich, als dass er sie stützte. Doch sie bemerkte es kaum. Alles schmerzte, ihre Schulter, wo der verdammte Seuchenhund sie erwischt hatte. Ihr Handgelenk, wo das grausige, stinkende Pferd sie gebissen hatte. Blut rann in die Ärmel ihres Mantels. Ihre Knie, ihre Hüfte, alte Verletzungen aus einem längst vergangenen Krieg, doch immer noch stechend wie frische Trauer. Ihre Seite, von ihrem unregelmäßigen, rasselnden Atem, von dem Lauf durch den Sumpf, der stets gierig nach ihren Beinen gegriffen hatte, der sie zu Fall gebracht hatte, stets mit dem hämischen Flüstern des Grases hinter ihr. Du bist alt, du bist schwach, du bist niemand. Du hast verloren.
Dumpf hörte sie die Rufe von Dunne, Befehle und die Schritte jener, die sie befolgten, verwaschen, als hätte sie im Donnern der Maschinengewehre ihr Gehör verloren. Beinahe stolperte sie über die Querstreben der Gangway. Dunkles, eisiges Metall ragte neben ihr auf. Stets hatte es Sicherheit und den Sieg versprochen, doch nun war es ebenso finster und leblos wie der Nachthimmel. Erneut flackerten die Gewehre, das Schilf rauschte wie die See.
Sie strauchelte, ihr Knie prallte auf die stählerne Schwelle zwischen Gangway und dem Inneren des Schiffes. Der Schmerz schien sich neben einem Schwert mit zwei zuschnappenden Klingen in ihr Herz zu bohren. Sie wimmerte, ihre Hand hinterließ einen roten Abdruck auf dem schmutzigen Boden.
„Komm, Captain", raunte Dunne behutsam und zog sie auf die Beine. Die Lautstärke, mit der er Befehle brüllte, ließ ihre Ohren klingeln. Dennoch verstand sie die Worte nicht. Krachend schlug die Pforte hinter ihnen zu, das Vibrieren unter ihren Füßen nahm zu wie das Knurren einer hungrigen Bestie.
Etwas in ihr murmelte, dass sie zu befehligen hatte, dass sie der Captain dieses Schiffes war, dass sie Stärke zeigen musste, doch allein die Stimme zu erheben kam ihr vor, als müsste sie allein durch das verfluchte Moor rennen. Es war, als wäre all ihre Stärke mit ihrem Bruder neben der toten Hexe zurückgeblieben.
Dunne zerrte sie weiter voran, hinauf an Deck, zur Kajüte des Kapitäns. Männer und Frauen mit Stacheln an den Armschienen räumten befangen den Weg, mieden ihren Blick, als wäre sie eine Aussätzige. Als hätte die Seuche der Hexen nun auch sie erreicht.
Die Dunkelheit ihrer Kajüte umfing sie wie eine Decke. Das Holz des Stuhls knarzte, als er sie vorsichtig darauf absetzte, die Flammen der Kerzen, die er entzündete, sah sie wie durch dickes, flüssiges Glas. Es rann heiß aus ihren Augen und versickerte in dem runenübersäten Karrfell auf ihrem Mantel.
Dunne schritt durch die Kajüte, durchsuchte mit Blicken und Griffen die mit Büchern und Navigationsgeräten gefüllten Regale an den Wänden, streifte die Karten und Gemälde an den Wänden, öffnete Schränke und blickte unter das Bett in der Ecke, bis er schließlich eine Schachtel auf den Tisch vor sie legte, daneben eine Flasche und einen Becher. „Trinkt, Captain. Das hilft."
Trinken half bei fast allem, doch sie war sich sicher, dass selbst der Rum die Leere, die Norren in ihr hinterlassen hatte, nicht füllen konnte. Starr blickte sie geradeaus. „Aye." Ihre Stimme klang entsetzlich.
„Kann ich Euch helfen, Captain?" Sie spürte seinen besorgten Blick, doch es kümmerte sie nicht. Schließlich griff er nach der kleinen Phiole hochprozentigem Alkohol und den weißen Tüchern in der Schachtel und streckte die Hand nach ihrem verletzten Arm aus.
Sie riss ihn aus seiner Reichweite. „Fass mich nicht an!"
Ratlos ließ Dunne die Tücher sinken. Attica erwiderte starr seinen Blick, ihre Hände zitterten. Der Zorn, die Trauer, der Hass auf die ganze Welt ballten sich in ihr zusammen wie Gewitterwolken, und Mechanicus möge demjenigen gnädig sein, der in ihrer Nähe war, wenn sie an die Oberfläche brachen.
Er schien es in ihren Augen lesen zu können. Wortlos wandte er sich um und ging. An der Tür blieb er stehen. „Es tut mir leid, Captain."
Leise fiel die Tür hinter Dunne ins Schloss, seine Schritte verklangen. Attica blickte stumpf in das Zittern der Kerzenflamme auf dem Tisch, gespiegelt im Glas der Rumflasche daneben. Ihre Krallen klackten einen unregelmäßigen, bebenden Rhythmus auf die schartige Tischplatte, wie Regen vor einem Gewitter.
Sie griff nach der Flasche, setzte sie an und trank, bis sie meinte, den Rum mit Feuer wieder ausspeien zu müssen. Er verbrannte den Knoten um ihre Kehle und das Beben in ihren Gliedern, ersetzte es mit einer Schwere, als versänke sie langsam in dem Sumpf, der unter dem Rumpf der Ura dahinschwand.
Müde sah sie auf die Tür, hinter der Dunne verschwunden war. Alles schien so gewöhnlich. Als wäre es nur ein weiterer Abend auf einem weiteren Luftschiff, während die Maschinen sie durch den Himmel trugen und sie sich nach einem langen Tag in ihrer Kajüte ausruhte und betrank. Jahrelang, seit sie mit ihrer Mutter aus Triport aufgebrochen war, waren sie mit der Feuerwind durch den Himmel gekreuzt, auf der Suche nach jenen Unglücklichen, die unter ihre Kanonen kamen. Sie erinnerte sich an die bis zum Bersten gefüllten Kammern im Bauch des Schiffes, die Kisten voller Gold, das Aufflammen der Welt unter ihnen, die in den Himmel stiebenden Felsbrocken, wie Splitter unter einer Spitzhacke, doch groß wie Burgen, Gebirgszüge, ganze Länder. Sprühende Lava. Der fassungslose und zugleich gespannte Widerschein des Feuers in Norrens Augen. Er hatte sich gefürchtet, und sie hatte ihn ihre Verachtung spüren lassen.
Er war ihr Bruder, ihr nichtswürdiger, verfluchter Bruder gewesen. Ein Schwächling, der kaum ein Schwert heben konnte. Ein schmieriger, mieser, nach schwarzen Zigaretten stinkender Bastard, dem sie mehr Zähne ausgeschlagen als sie selbst in all den Schlachten verloren hatte. Sie hätte ihn mit Freuden getötet, wenn sie sich auch nur einen Penny davon versprochen hätte. Die Welt war besser dran ohne ihn. Sie war besser dran ohne ihn.
Und doch drehte sich ihr bei der Erinnerung an den Tabakgeruch schier das Herz um vor Trauer. Allein seine Stimme hatte sie zur Weißglut gebracht, und selbst dieses Gefühl vermisste sie. Es war, als hätte er alles mit sich genommen, ihren Mut, ihre Kraft, ihre Entschlossenheit. Er hatte sie allein gelassen, mit einem riesigen, kalten Schiff, einer Gruppe Männer, die sie nur wegen ihres Geldes respektierte, denen sie nicht weiter vertraute, als sie spucken konnte. Sicher, gänzlich vertraut hatte sie nicht einmal Norren. Doch er war ihre Familie gewesen, an ihrer Seite, seid sie denken konnte. Sie hatte ihn gehasst und geliebt zugleich, nie hatte es freundliche Worte zwischen ihnen gegeben, und es war stets klar gewesen, dass Norrens Fähigkeiten nicht bei den Waffen lagen. Dass sie ihm körperlich weit überlegen gewesen war. Doch er war klug gewesen. So oft hatte sie ihn für sein Wissen bezahlen lassen, doch nun wünschte sie sich, dass er hier wäre und ihr sagte, was nun zu tun war. Selbst, wenn er sie kleine Schwester genannt hätte. Verdammt, wenn er hier wäre und sie so nennen würde...
Die Tränen wallten in ihr auf. Attica setzte die Flasche erneut an und hoffte, sie ertränken zu können, doch sie waren stärker als sie. Heiß fraßen sie sich in ihre Augen, rannen über ihre gesprungenen Schuppen, tropften in den Kragen ihres Mantels. Heftig wischte sie sie fort und schnappte nach Luft, doch die Tränen versiegten nicht, stemmten sich gegen ihre bröckelnde Selbstbeherrschung und siegten.
Ihr Ausatmen versank in einem Schluchzen. Norren war fort, tot, wie sie es ihm so oft an den Hals gewünscht hatte, und es doch niemals gewollt hätte. Sie hätte alles getan, um ihn wieder zurückzuholen. Ihr Leben verkauft. Ihre Seele. Ihr Schiff. Alles, was sie je besessen hatte. Doch es brachte ihn nicht wieder. Die Flasche rutschte beinahe aus ihren zitternden Händen. Ihr Herz schmerzte schlimmer als all ihre Wunden. Als fehlte etwas. Norren fehlte. Er war ein Teil von ihr gewesen.
Sie ließ die leere Flasche zu Boden fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Wohin nun? Norren hätte es gewusst. Bebend atmete sie ein, versuchte die Tränen niederzuringen und scheiterte erneut. Unaufhaltsam strömten sie aus ihren Augen, mit jedem harten Atemzug, jedem Wimmern.
Der Geruch von Feuer und Dämonen stieg ihr in die Nase, nach Weite und Wind und einem sterbenden Karr im schwarzen Regen von Ashenfall. Kristalle überzogen sein Fell, fraßen sich in sein Fleisch und zersetzten die Magie in seinem Körper mit ihm. Sie meinte die Flüche ihrer Mutter zu hören und das Krachen von brechendem Holz, während das Schiff der Karrs langsam verbrannte.
Der Hass in den Augen des zweiten Karrs, als er sie in dem fellbesetzten Mantel erblickte. Sie hatte sich im Sieg geglaubt, hatte den Triumph gekostet und verloren. Das Geräusch, wie sich die beißenden Klingen durch Norrens Fleisch gefressen hatten, das Schmatzen und Knacken, würde sie in ihren Träumen heimsuchen. Plötzlich stank das Karrfell nach Tod und Verlust.
Mit einem Aufschrei schleuderte sie ihren Waffengurt fort, die leere Scheide des Schwerts mit den schwarzen Intarsien klapperte über den Boden. Das Schwert des Caligár rutschte aus seiner Hülle und kam neben einer Vitrine zum liegen. Sein Gesang klang hämisch. Auch dies hatte sie dem Karr geraubt. Er war überall. Die Schatten schienen plötzlich sein Gesicht zu tragen. Das Fell stank nach Blut und brechenden Knochen.
Sie riss sich den Mantel vom Körper und warf ihn von sich. Er blieb als Haufen aus Fell und Leder auf dem Boden liegen. Mit bebenden Fingern griff sie nach der nächsten Flasche Rum, riss den Korken heraus und trank, bis ihre Augen von der Schärfe tränten. Es schmeckte widerlich, doch sie fühlte sich beinahe besser. Erneut trank sie, bis die Flasche leer war, und griff nach der nächsten. Der Raum schwankte um sie herum, ihr Magen rumorte. Oder war es ihr Herz?
Der Rum riss sie mit sich, bis sie ihren Herzschlag bis in die Schläfen spürte. Jeder flache Atemzug schmeckte nach Melasse. Ihre Muskeln, ihre Knochen waren weich wie der Sumpfschlamm, und als sie nach einer neuen Flasche griff, wischte sie sie mit ihren fahrigen Bewegungen beinahe zu Boden.
Leise fluchend klaubte sie sie vom Boden auf und riss den Korken heraus. Eine karamellfarbene Flüssigkeit spritzte auf ihre Hand. Sie beachtete sie nicht, setzte nur die Flasche an die Lippen und trank. Es schmeckte nach Rauch, nach brennenden Luftschiffen und schwarzen Zigaretten. Norren war kein wählerischer Trinker gewesen, ebensowenig wie sie, doch Whiskey hatte er stets am liebsten getrunken. Oft hatten sie sich gestritten, ob nun Rum oder Whiskey besser war. Mehrmals hatte sie ihn für seine Meinung mit der Flasche seines Gerstenbrands geschlagen. Erneut spürte sie, wie heiße Tränen über ihre Wangen rannen.
Jähe Wut packte sie. Sie sprang auf und schmetterte die Flasche mit aller Kraft gegen die Wand. Splitter flogen in alle Richtungen. Der Whiskey tropfte zu Boden, sein Geruch war schier unerträglich. Sie fletschte die Zähne, knurrte tief, als könnte sie das Raucharoma so verjagen, doch es war dort, brannte in ihrem Herzen und fachte ihren Zorn an.
Sie riss die Tür des Schranks unter dem Tisch auf, dort, wo sie den Alkohol gelagert hatte, doch er war leer. Nachschub war nur in den Lagerräumen, weit unter ihr. Mit einem wütenden Brüllen warf sie den Tisch um, donnernd kam die Kante auf dem Parkett auf. Die leeren Flaschen zerbrachen, und Attica mit ihnen. Schwankend stützte sie sich an der Wand ab. Tränen tropften auf das dunkle Holz des Bodens.
Schwer atmend sah sie sich um. Sie brauchte mehr Rum. Oder Gin. Gin, wie ihn der Karr an dem Abend im Arsenal getrunken hatte. Sie hätte ihn bereits damals umbringen sollen, dafür, dass er sein Schwert in ihrem Bordell gezogen hatte. Nie wäre Shuriken dann ausgebrochen. Nie hätte sie Norren an ihn verloren.
Shuriken war schuld. Sie und dieser von den Göttern verdammte Karr und diese allmächtige Kitsune, ohne die sie gesiegt hätte. Er hatte dafür gesorgt, dass Shuriken ihr erneut entkommen war, so kurz nach ihrem Triumph. Er hatte Norren getötet, einen Bruder für einen Bruder, doch wer war sie, dass sie sich einen solchen Frevel gefallen lassen würde? Sie war Attica Skovron. Die Nachfahrin des großen Rocarron Caligár. Niemand vergriff sich an dem, was ihr gehörte.
Taumelnd trat sie zu dem Mantel. Das Karrfell roch bereits von Weitem nach Moorwasser und den Leichen in den Gräsern. Nach dem Tod, den sie bringen würde. Schwer lastete er auf ihren Schultern. Sie meinte, die Reste der dämonischen Energie in den Runen zu spüren. Eine Macht voller Hass und Finsternis, voller Rachedurst und dem Willen, alle bezahlen zu lassen, die sich ihr in den Weg stellten.
Das Schwert des Caligár sang gegen die Scheide, als sie es zog, Dämonen raunten in ihrem Rücken. Das Heft war warm in ihrer Hand, als berge er tatsächliches, wahres Leben in sich und nicht nur die Geister einer Crew aus Verdammten. Das Echo eines Meeresgottes, dessen Ozean verschwunden war, als die Dämonen die Welt zerschlagen hatten. Die Macht, Wind und Wellen zu rufen, war fort. Doch wen kümmerten Wind und Wellen, wenn es Stahl und Feuer gab?
Attica umklammerte den Schwertgriff fester, spürte das Flüstern der Geister, die kalte, brachiale Stärke der Ura, geboren aus der Gier eines Vampirs, die pure Macht, ganze Städte mit einem nachlässigen Fingerzeig auszulöschen. Sie kroch ihren Arm hinauf wie das Meer selbst, löschte die schwärende Glut der Trauer und ersetzte sie durch puren, eisigen Hass, pulsierend wie das Grollen der Maschinen im Schiffsbauch.
Attica lächelte freudlos, ihre schiefen Zähne glitten unter ihren Lefzen vorbei. Sie wusste, an wem sie ihren Zorn nun auslassen konnte.
Sie klaubte die letzte heile Flasche vom Boden auf, ließ den letzten Tropfen Rum auf ihre Zunge fallen, dann wandte sie sich um und humpelte hinaus an Deck. Ruhig lag die Ura in der Schwärze der Nacht. Flammen stoben von den Schornsteinen auf, gekrönt mit dunklem Qualm. Attica setzte ihr Fernrohr ans Auge und suchte nach dem verräterischen Licht eines weiteren Luftschiffes.
Es war leicht, es zu finden. Sie waren klug gewesen, hatten die Laternen gelöscht, doch das Glühen der Flammen an den Schloten und unterhalb des Ballons waren orangefarbene zitternde Sterne in der Finsternis. Abrupt wandte sie sich um und betrat die Brücke.
Dunne stand hinter dem Steuer, doch räumte bei ihrem Anblick brav den Platz. „Geht es Euch gut, Captain?", fragte er behutsam.
Attica schloss die Finger um die kalten Holzspeichen. „ Ging mir nie besser." Ihre Stimme klang nach Alkohol, das bemerkte selbst sie. „Bringt mir Rum, dann geht es mir wirklich gut."
„Was sind Eure Befehle?"
„Steuerbords von uns liegt die Fregatte, die wir beim Anflug auf den Hexensumpf gesehen haben. Sie gehört zu Shuriken und ihrer Ent... Entou..." Norren hätte gewusst, wie man das Wort aussprach. „Zu ihren Begleitern", endete sie, bemüht, ihre Stimme nicht gepresst klingen zu lassen.
„Lass mich raten: du willst sie vom Himmel schießen und alle nacheinander abschlachten", meldete Durag sich und trat aus den Schatten der Schaltkonsolen, eine Flasche in der erhobenen Hand. Stinkender Rauch stieg von seiner Zigarre auf.
„Ganz genau", flüsterte Attica rau. Bei dem Geruch des Qualms schien ihr Herz in die Nebel zwischen den Inseln zu fallen. Sie nahm ihm die Flasche ab, zog den Korken heraus und trank. Der Rum schmeckte süß wie der Tod.
Durag nickte milde beeindruckt. „Wie unerwartet. Und mein Beileid für deinen Verlust." So beiläufig, wie er es sagte, meinte er es sicherlich nicht ernst.
„Benimm dich, Gremlin, oder du folgst ihm durch meine Hand", schnarrte sie.
Er hob scheinheilig die Hände. „Ich wollte nicht respektlos sein." Selbst dieser Satz klang spöttisch.
Attica wandte sich ab, korrigierte den Kurs und legte die Hebel für die Leistung der Maschinen um. Ihr Brüllen ließ den Boden vibrieren, als erwachte eine Bestie aus Stahl aus der Lethargie. Durag mochte sein Geld wert gewesen sein, er hatte sich im Schilf verborgen und mehr Wölfe getötet als all ihre Männer zusammen, doch er hatte Norren nicht vor dem Karr schützen können. Vielleicht brachte sie dafür auch ihn um.
„Wenn du sie vom Himmel geschossen hast", begann Durag erneut, „was hast du dann mit ihnen vor? Mit dem Karr. Und Shuriken und Neshira Canto."
Attica knurrte tief. „Shuriken werde ich von den Männern zureiten lassen, und dann werde ich mir eine Stola aus ihrem Fell machen. Während der Karr zusieht. Dann werde ich ihn töten, den Kopf abschlagen und an den Bug hängen." Dort, wo sein Bruder am Bugspriet der Feuerwind gehangen hatte. Der ausgekochte Schädel lag noch immer irgendwo in den Untiefen des Schiffsbauchs.
„Und Canto?"
„Erschieß sie von weitem. Sie und diesen elenden Arkanen." Bevor er noch jemanden tötete, der ihr etwas bedeutete, lag ihr auf der Zunge, doch es gab niemanden mehr, der ihr etwas wert war. Doch sie wollte von den Göttern verdammt werden, wenn die Kitsune und der Tarnaruc erneut ihre Pläne durchkreuzten.
Durag hob die buschigen Augenbrauen und blies Rauch in die Luft. „Du weißt schon, dass sie lebendig mehr wert ist."
Attica stutzte. „Für wen?"
„Eleuthera Durensky sucht immer noch nach Neshira Canto. Wenn wir ihr sie bringen, nicht nur tot, ohne ihr Fell und ihre Schweife, denn ich gehe davon aus, dass du deine Drohung im Sumpf wahr machen, und dir einen schönen Fuchspelz aus den beiden Schwestern schneidern würdest, sondern lebendig, sodass sie sich an ihr rächen kann oder für ihre Rituale benutzen kann, was auch immer Hexen mit ihren Opfern tun... was denkst du, wie viel Gold in unsere Hände fließen würde?" Durag grinste hinterlistig und schnippte Asche auf den Boden.
„Ibo Lele wollte, dass ich sie töte", erwiderte Attica.
„Aber Ibo Lele ist tot. Und Eleuthera wird sicher durchaus erfreut darüber sein, dass sie sich für all ihre toten Hexen und Vampirlinge rächen kann."
„Wenn wir mit der Ura anreisen, wird sie uns nicht gerade mit offenen Armen empfangen."
„Wenn wir ihre Erzfeindin bringen, so, dass sie mit ihr verfahren kann, wie es ihr passt, lässt sie uns damit davonkommen. Vielleicht ist dir so auch nicht der ewige Hass zweier Unsterblicher gewiss, die im Falle des Diebstahls um dieses Prachtstück", er schnippte gegen das Steuerrrad, „sicher noch nicht das letzte Wort gesprochen haben." Er zuckte mit den Schultern, warf den Stummel zu Boden und trat ihn aus. Er gesellte sich zu den anderen, den breiten seiner Zigarren und den kleinen von Norrens Zigaretten. „Wenn du sie nicht willst, kann ich sie auch allein überwältigen und nach Cinderport schleppen."
Sie warf ihm einen zweifelnden Blick zu.
Er erwiderte ihn gewinnend. „Aber da es mit dir einfacher ist, bin ich auch willens, einen Teil des Kopfgeldes für Neshira an dich abzutreten."
Langsam nickte sie. Im Zweifelsfall konnte sie ihn immer noch töten, Neshira allein nach Cinderport bringen und das Geld selbst einstreichen. Den zweiten Teil seines Lohns müsste sie ihm so ebenso wenig zahlen. Was nur gerecht war. Seinen Teil hatte er kaum geleistet. Weder hatte er gefunden, was sie begehrte, noch hatte er ihre Feinde erschossen, bevor sie ihr gefährlich wurden.
„Ach ja", begann Durag erneut. „Den Tarnaruc will ich auch. Lebendig."
„Warum?", wollte Attica skeptisch wissen.
„Bist du mit einem Tartarou de Nicera bekannt? Aus Vanlowe?"
Was für ein lächerlicher Name. „Nein."
„Ich schon." Durag förderte einen Fetzen schmieriges Papier hervor und hielt ihn, so hoch er konnte. Noch immer musste Attica sich bücken, um auch nur irgendetwas darauf erkennen zu können. Ihr Augenlicht war lange nicht mehr so gut wie früher. „Tartarou besitzt einige Kampfarenen. Jener Tarnaruc hat dort einst seinen Dienst geleistet, bis er ganz offensichtlich abgehauen ist, um sein Glück woanders zu suchen. Bei den unglücklichen Vögeln, die wir nun vom Himmel fegen wollen." Durag grinste. „Tartarou bietet zehntausend Aurai für jene, die ihm seinen besten Kämpfer wiederbringen. Eine lächerliche Summe, und sicher hätte ich nicht nach ihm gesucht, aber wenn er mir so vor die Füße läuft, wäre es dämlich, es sich entgehen zu lassen."
Attica seufzte ungehalten. „Willst du vielleicht noch jemanden einladen? Die Wolken? Die tote Hexe? Mechanicus höchstselbst?"
„Er hätte sicherlich gute Waffen dabei." Er strich über die Griffe seiner Revolver. „Aber nein. Der Arkane und Canto reichen mir."
„Du passt auf sie auf. Wenn sie mich bei meinen Plänen behindern, bezahlst du mit ihnen", knurrte sie. Vielleicht könnte sie Durag wirklich töten und das Kopfgeld für den Arkanen bei diesem Tartarou selbst eintreiben.
„Deine Pläne?" Durag hob eine Augenbraue.
„Aye." Sie sah hinaus in die Dunkelheit, dort, wo sie die Fregatte der Canwy Roch vermutete. Es klang sicherer, als sie war. Nicht im geringsten wusste sie, was nach ihrer Rache an Shuriken geschehen würde. Zurück nach Korvengerstein. Ein erneutes Leben als Piratin. Auf eine neue Wolkeninsel, und dort ein zweites Bordell aus der Ura erbauen, mit dem Kopf des Karrs am Bug als Warnung für übermütige Freier. Einfach geradeaus fliegen, bis sie das Ende der Welt erreicht hatte, wo sie Welt noch nicht aus Splittern bestand. Ein betrunkener Priester hatte einst davon erzählt. Vielleicht hatte er recht.
Sie überließ das Steuer einer der unsichtbaren Präsenzen. Nie waren sie fern. Zufrieden streifte sie mit der Hand das Schwert des Caligár. Nur mit seiner Hilfe war sie Shuriken und ihren Helfern überlegen. So sehr, dass sie an ihrer Schwäche sterben würden.
Attica schritt hinaus, hinauf auf das erhöhte Achterdeck. Dunne und Durag folgten ihr auf dem Fuße. Der Stern, der das Schiff der Canwy Roch war, kam näher und näher. Sie meinte, aufgeregte Schatten an Deck zu sehen, die das gewaltige Kriegsschiff bereits entdeckt hatten, trotz der Dunkelheit. Das letzte Mal, als sie sie gesehen hatte, war sie hoffnungslos unterlegen gewesen. Vom Himmel hatten sie sie geschossen, und nun würde Attica es ihnen mit gleicher Münze heimzahlen. Nur, dass sie nicht so unvorsichtig sein und die Besatzung eines feindlichen Schiffes am Leben lassen würde.
Sie zog das Schwert des Caligár aus der Scheide, die Dämonen flüsterten an ihrem Ohr, als freuten sie sich bereits darauf, die Canwy Roch zu töten, und ließ es in der Hand wirbeln. „Auf Gefechtsstation! Volle Kraft voraus!", schrie sie. „Ladet die Kanonen! Alle von ihnen!"
Das rhythmische Stampfen der Maschinen nahm zu, ein Geräusch wie ferner Donner und das Knurren eines wütenden Drachen. Geister huschten beinahe unhörbar übers Deck und kamen ihren Befehlen nach. Flammen barsten heiser aus den Schloten, Geschütze drehten sich knirschend auf den Lafetten, neigten sich und wiesen auf die fliehende Fregatte. Die wenigen überlebenden Rabenfedern und Schläger aus Korvengerstein machten ihre Waffen bereit, ihre krächzenden Kriegsrufe hallten über das Deck.
„Wir können sie nicht einholen, Captain", meldete Dunne sich. „Sie sind schneller als wir."
„Dann sehen wir zu, dass wir ihnen die Flügel stutzen", knurrte Attica und hob das Schwert. Für einen Moment schien es schwerer zu sein als zuvor, als bildete sich die Zähigkeit des Wassers um die Klinge, und sie schlug es kraftvoll abwärts. „Feuer!"
Das Donnern der Kanonen nahm ihr den Atem. Die Explosionen der Geschütze erhellten das Deck blitzartig taghell, dann legte sich die Schwärze wieder um sie. Attica konnte nicht einmal Dunne neben sich erkennen, in ihren Ohren klingelte es. „Nachladen!", bellte sie, ihre eigene Stimme klang dumpf, doch sie wusste, die Geister des Caligár würden sie hören.
Sie blinzelte heftig, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und legte ihr Fernglas ans Auge. Flammen barsten aus dem Heck des Schiffes, doch es sank nicht zu Boden. Eine zweite Breitseite würde es noch brauchen. Und eine dritte, nur um sie spüren zu lassen, was es bedeutete, Attica etwas zu nehmen. „Feuer!"
Erneut sprachen die Kanonen, spien Feuer und Stahl und Tod. Der Wind ließ Atticas Mantel flattern, erneut war sie taub und blind, doch das grimmige Lächeln spürte sie dennoch an ihren Lippen. Die Fregatte bekam Schlagseite, ihre Flugbahn wurde unsicher. Langsamer.
Attica spürte das Grollen der Maschinen bis in die Knochen. Einmal bereits hatte sie die Kraft der Ura an ihren Gegnern erprobt, an den Schiffen Durenskys über Cinderport. Auch sie waren unter der Macht der stählernen Bestie dem Grund entgegen gesunken, rasend schnell waren sie zwischen den Nebeln verschwunden. „Nachladen! Nehmt den Ballon ins Visier!"
Die Fregatte sank langsam ab. Unter ihnen erahnte Attica den dunklen Umriss der Wolkeninsel, auf der der Hexensumpf lag. Nicht weit entfernt endete er, als hätte man die Welt abgebissen, ein zackiger Schatten vor dem silbergespickten Tiefblau des Nachthimmels.
Wenn sie Shuriken und ihre lächerliche Leibgarde wollte, musste sie sie erwischen, bevor sie dort hinab fielen. Für einen Moment erwog sie ebendies, nur, um sich die Verzweiflung der Fallenden vorzustellen, dem sicheren Tod entgegen, doch sie verwarf es. Jemanden von Weitem zu erschießen war viel zu unpersönlich. Und Shuriken hatte das Messer unter ihrer Haut verdient.
Geisterstimmen flüsterten von geladenen Kanonen und Brandmunition, von ausgerichteten Läufen und Stahlbrechern. Attica lächelte grausam. „Feuer."
Die Mündungen flammten auf, blendeten und betäubten sie zugleich. Kaum einen rasenden Herzschlag danach explodierte der Ballon des kleineren Schiffes in einer Wolke aus Flammen. Heißer Wind wehte ihr ins Gesicht, stinkend nach brennendem Tuch und Gas und Todesangst. Das Schiff taumelte dem Sumpf entgegen.
Attica wies mit dem Schwert auf das Schiff, und die Ura beschleunigte, schien beinahe selbst dem Boden entgegenzufallen. Der Sturzflug ließ ihre Finger kribbeln, ihre Eingeweide tanzten. Beinahe war ihr, als flöge sie selbst, wie die Drachen aus den alten Geschichten. Näher und näher kam die Fregatte. Attica meinte, sich panisch festklammernde Gestalten zu sehen, hörte das Geschrei der Verletzten, die verzweifelten Befehle des Captains.
Das Geräusch, mit dem die Ura auf die Fregatte prallte, ließ ihre Knochen erzittern. Metall kreischte auf Metall, lauter als die Kanonen zuvor. Attica strauchelte, beinahe wäre sie gefallen, und packte Dunnes Schulter. Der Mann schwankte ebenfalls, doch blieb auf den Beinen. Die Schiffe stöhnten, als spürten sie den Schmerz ihrer Verletzungen. Ineinander verkeilt sanken sie dem Grund entgegen.
Attica schlug das Schwert des Caligár abwärts. „Angriff!"
Erneut war ihr, als fließe eisiges Wasser an ihr vorbei, als bahne sich die Seele des verlorenen Ozeans einen Weg über den Stahl der Luftschiffe. Die Geister griffen an, und Attica folgte ihnen.
Die Canwy Roch hatten kaum einen Moment zu reagieren. Aus dem Nichts wurden sie zerrissen, zerschlitzt von unsichtbaren Klauen, körperlosen Schwertern, aus Wind und Schatten bestehenden Zähnen. Die Takelage wand sich wie Schlangen, packte die Männer und Frauen und schleuderte sie über Bord. Flammen barsten aus der Axt des Arkanen, Zauber flammten um die achtschwänzige Kitsune auf und erhellten die Nacht um die dunkelhäutige Frau auf dem Achterdeck. Maschinengewehre flackerten, und die Rabenfedern erwiderten das Feuer. Jemand hatte einen Geschützturm besetzt und feuerte wahllos aufs Deck, jeder Schuss riss ein tiefes, gezacktes Loch in den Stahl. Pfeifende Schüsse, jeder ein sicherer Treffer, ein weiterer toter Roch, kündeten von Durags Können.
Die Geister waren schnell. So wie Eleutheras Seuche Atticas Crew verschlungen hatte, so vernichtete die Macht des Schwerts die Roch. Die Zauber der Frau wurden schwächer, die helle Kugel ihres Schildes wurde blasser. Der Ozean selbst schien die brennende Axt erlöschen zu lassen und erstickte das Glühen der arkanen Runen auf den Schultern des Tarnaruc. Zwei Kitsune kauerten unter einem weiteren magischen Schild, der Karr hielt sich in den Schatten, Blut im Fell, doch die Geister fanden auch ihn. Attica stand inmitten eines Sturms aus Schatten und Tod. Jeder, der sich ihr bis auf wenige Schritte näherte, wurde in der Luft zerrissen. Sie konnte kaum erkennen, wie die Geister töteten. Blut sprühte auf ihren Mantel und verunzierte das Karrfell.
Dann prallte die Fregatte auf den Boden. Seitlich bohrte sie sich in den weichen Morast, so tief, dass das Sumpfwasser über die Reling schwappte.
Der Aufschlag ließ Attica erneut taumeln, und sie fiel hart auf den Stahl. Ihre Knochen knirschten. Fluchend versuchte sie, sich auf die Beine zu stemmen. Hinter ihr ragte der Bug der Ura auf, der Rumpf mehrere Meter tief in den Boden gerammt. Metall klagte.
Die Magierin schwankte, der Zauber brach zusammen. Im gleichen Moment schnellten die Geister auf sie zu. Blut spritzte, dann sank sie zu Boden. Dunkel rann es dem Sumpf entgegen.
„Ma! Ma, nein!" Eine Roch löste sich aus den Kämpfenden, die schwarzen Haare wallend wie die Mähne der Banshee. Sie zog einen Dolch aus dem Ärmel, rammte der Rabenfeder, die ihr den Weg versperren wollte, die Klinge in den Hals, duckte sich unter den Geistern fort und funkelte Attica entgegen. Purer, stahlkalter Hass stand in ihren Augen, blitzend im Schein des brennenden Ballons. Tränen glitzerten auf ihren Wangen und mischte sich mit ihrem Blut.
Fauchend stürzte sie voran, die Geister griffen nach ihr, zerfetzten ihr Hemd, doch sie wich ihnen geschickt aus. Zielstrebig stürmte sie auf Attica zu.
Ohne nachzudenken, riss Attica den Revolver aus dem Gürtel und schoss. Die Frau strauchelte und fiel, die Hände um den Hals geschlossen. Blut rann unter ihren Fingern hervor. Der Dolch schlitterte über das schief liegende Deck.
„Valentina!", schrie Shuriken.
Neshira wollte vortreten, einen goldenen Schimmer um die Hände, doch die Krallen eines Geistes zuckten vor und schlitzten ihr die Brust auf. Sofort schlossen sich die Wunden. Erneut trat sie vor und stolperte sofort rückwärts. Eine unsichtbare Macht trieb die Überlebenden zusammen. Der Karr, die Schwerter beinahe sauber. Den wie zu Glut erloschenen Tarnaruc. Shuriken, zitternd und mit Tränen in den Augen, verborgen hinter ihrer Schwester, stolz und aufrecht, den Zorn eines Gottes in den Augen. Die Geister flüsterten von Verlust.
Attica schnippte ungeduldig mit den Fingern. Dunne eilte herbei und half ihr auf die Beine. Umständlich klopfte sie sich den Mantel ab, strich über das dicke Fell. Blut klebte an ihren Fingern. „Jetzt habe ich doch, was ich wollte", schnarrte sie. „Nur unter mehr Verlusten", sie trat über die tote Roch hinweg, „die sich einfach hätten vermeiden lassen, wenn du bei mir geblieben wärst, Shuriken." Sie ließ das Schwert des Caligár wirbeln. Zufrieden erwiderte sie den entsetzten Blick des Karrs. „Bringt diese Ratten in die Zellen."
~ ~ ~
Was hat Attica getan. Was habe ICH getan.
*böses Kichern*
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top