21. Schwestern
Soundtrack: Daniel Pemberton - The Legend of Excalibur aus dem King Arthur OST.
Und Marcin Przybylowicz - The Trail aus dem The Witcher 3: Wild Hunt OST. Abspielen, sobald Neshira den Angriff befiehlt und ihr die Epicness dringend gebrauchen könnt.
https://youtu.be/s3L0_ez0Dg4
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Anghiske schritt langsam aus dem Wasser, und der Sumpf floss von Neshiras Schultern. Eisiger Dunst stieg um sie auf, der Nebel des Abends. Sie erinnerte sich nur zu gut an den Morgen, an dem sie zuletzt hier gewesen war, und bis auf die Dunkelheit des Himmels hatte sich nichts verändert. Die angespannte Stille, das leise Plätschern von Anghiskes Bewegungen. Die Aura der Hexe hing über dem Moor wie ein Leichentuch. Das Schilf flüsterte von den toten Vögeln, gebunden an seine Halme. Beinahe schien es ihr, als wäre es ein Lied des Trauers, als vermisste er ihren Gesang. Ein dünner Rest goldenen Lichts drang zwischen dem Horizont und den Gräsern hervor und zeichnete tote Bäume und die fedrigen Enden des Rohrs als schwarze Schatten.
Das Flackern von Gewehrfeuer ließ sie zusammenzucken. Mit rasendem Herzen griff sie nach ihren Wurfmessern. Jemand schrie auf, lang gezogen und voller Qualen, ein Geräusch, das ihr Fell sträuben ließ. Die Kälte kam plötzlich nicht mehr nur von den weißen Schwaden, die sie und Anghiske einhüllten wie der Schleier einer Hexenbraut. Eleutheras Schleier.
Sie vertrieb den Gedanken an die Seuchenvettel und ihre steinerne Schwester. Die Sumpfvettel war ihre Gegnerin. Ihr musste sie sich zuerst stellen.
Lautlos wie der Tod schlich Anghiske näher an den Flecken platt getrampelten Schilfs heran, das Klingeln der Glöckchen gedämpft durch das Wasser in den Klangkörpern. Fackeln warfen wilde Schatten auf menschliche Gestalten, mit angelegten Maschinengewehren in den Händen. Neshira kannte jene Waffen. Durenskys Soldaten auf Hivens Ark hatten sie getragen. Ihr Herzschlag pochte in ihren Händen. Sie fürchtete weder die Hexe noch die Vampirlinge, doch zusammen wären sie mehr als nur eine Herausforderung. Vorsichtig tastete sie nach der Magie des König Schellen in sich, und war froh über das warme Glühen in ihrer Mitte. Sie vertraute sich. Es würde kein einfacher Kampf werden, doch sie konnte siegen.
Etwas klirrte laut gegen Anghiskes Hufe, und sie schrak zusammen. Hastig drückte sie sich gegen sein schwarzes Fell, der Gestank nach Wasserleichen stach in ihrer Nase. Sie sah zu den Bewaffneten, ob jemand sie bemerkt hatte, doch niemand blickte in die Finsternis zu ihr. Der Wind trug ein dumpfes Krachen zu ihr, gefolgt von einem markerschütternden Schrei, laut wie die Banshee, doch mitnichten voll des Zorns. Das Wimmern, das auf ihn folgte, ließ Neshiras Hände zittern.
Nervös rutschte sie von Anghiskes Rücken, die Schilfrohre streiften ihr Gesicht. Sie griff nach dem Gegenstand neben seinen schlammverkrusteten Hufen und wirkte im Schutz der Halme einen Lichtzauber. Angelaufenes Gold umfasste das Bildnis des König Schellen, geschnitzt aus Jade. Der grüne Stein fing das Licht.
Neshira schnappte nach Luft. Zuletzt hatte sie dieses Amulett in der Zwischenwelt gesehen, verschmiert von dem Dreck, der nun auch ihre Pfoten beschmutzte, begleitet von einem weißen Pferd, das Ophys und der König zugleich gewesen war. Nun hielt sie es erneut in der Hand, und Anghiskes schwarzes Fell strahlte eine Kälte aus, die sich in ihren Knochen festsetzte. Damals hatten schlaffe Kitsunefinger die dünne Kette umschlossen, doch nun lag es herrenlos in einem verfluchten Sumpf.
„Ona", flüsterte sie. Das Zittern breitete sich in ihrem Körper aus. Dieses Amulett hatte sie selbst ihrer Schwester gegeben. Seit die Welt untergegangen war, hatte sie geglaubt, dass sie tot war. Doch dann wäre das Schmuckstück mit ihr gegangen. Vielleicht hatte jemand es ihr geraubt, raunte der Zweifel in ihr.
Heftig erstickte sie ihn. Das Amulett war hier. Ona konnte nicht weit sein. Hektisch sah sie sich um, doch nur das Schilf wiegte sich im Wind.
Sie schwang sich auf Anghiskes Rücken. Er spürte ihre Aufregung, sein Tänzeln so ähnlich dem eines echten Pferdes. Doch er war schneller. Stärker. Niemals würde der Sumpf ihm die Beine brechen, wie er es mit gewöhnlichen Rössern tat, würde ihn nicht in die schwarzen Löcher unter einer dünnen Schicht aus Moos und Schilf und Wasserpflanzen ziehen.
Neshira legte ihm das Amulett an die Nüstern. „Finde sie."
Sein Knurren ließ sie erbeben. Er galoppierte los, schnell wie der aufkommende Sturm, die hohen Grashalme peitschten gegen Neshiras Beine. Elegant setzte er über verrottende Baumstämme und ein verlorenes Gewehr, umkurvte scharf Wasserlöcher und die Totempfähle der Hexe, behängt mit Ketten voll abgeschnittener Ohren und toten Tieren. Geweihe stachen in den Nachthimmel. Seine Hufe trommelten dumpf auf dem weichen Boden, die Mähne wallte bei jedem Sprung wie jene der Banshee. Der Geruch von Toten wurde stärker, trotz des rauschenden Windes, der Neshira ihre geflüsterten Worte der Eile von den Lippen riss. Anghiskes Keuchen mischte sich mit dem Hexenzauber wispernden Gras. Krähenrufe hallten über den Bruch. In der Ferne schrie jemand.
Eine Gestalt rannte über den unebenen Boden, Pfoten klatschten in brackigem Wasser. Sie sah sich nicht um, doch Neshira erkannte das rote Fell an ihrem Kopf. Ihr Atem ging schnell, ein Schluchzen unter jedem Zug.
„Ona!"
Ihre Schwester sah sich um, pure Panik in den dunklen Augen, und der Sumpf rächte sich für ihre Unaufmerksamkeit. Tief sackte ihr Fuß in den weichen Boden. Sie fiel, rollte sich unbeholfen ab und kämpfte sich wieder auf die Beine, doch dann war Anghiske neben ihr.
Neshira sprang von seinem Rücken, ihr Herz raste. „Ona. Ich bin es. Neshira."
Ona riss die Augen auf. „Du bist hier", flüsterte sie rau. Tränen rannen über ihr Gesicht und versanken in ihrem roten Fell, Neshiras so ähnlich. „Du hast mich..."
Sie warf sich in die Arme ihrer großen Schwester. Weinend umklammerte sie sie, und Neshira hielt sie fest, tröstete sie, wie sie es so oft getan hatte, wenn Ona sich verletzt hatte, als sie sich in den jungen Schneider verliebt hatte und er ihre Gefühle in den Schmutz getreten hatte, als Neshira Mikita verlassen hatte, um gegen die Noxischen zu kämpfen. Sie hatte geglaubt, dass sie sich bald wiedersehen würden. Es schien, als wäre es hunderte Leben vor diesem gewesen.
Tränen wallten auch in ihr auf, und sie wischte sie fort. Sie war die große Schwester, eine Shinaru, stark und unerschütterlich. Sie hatte nicht zu weinen, nicht vor Ona. Fahrig streichelte sie das Fell ihrer kleinen Schwester. Wartete, bis sie sich beruhigte. Das Schilf summte Wiegenlieder.
„Neshira", wisperte Ona an ihrer Schulter.
„Ich bin hier."
„Wie... wie hast du..."
Neshira sah zu ihr herab. Sie war groß geworden, doch noch immer überragte Neshira sie um ein paar Fingerbreit. „Ich bin hier, um die Sumpfvettel zu töten. Anghiske hat das hier gefunden." Sie drückte ihr das Amulett in die Hand.
Ona kicherte, die Tränen ließen ihre Stimme schwanken. „Verdammt, ich... ich hätte besser darauf aufpassen sollen."
„Das hättest du." Neshira lächelte. „Was tust du hier? Es ist der Sumpf einer Vettel."
„Ich weiß." Ona rieb die letzten Tränen fort und blickte zu dem fernen Schein der Fackeln. „Es ist eine lange Geschichte. Ich habe dich gesucht. Sindrak und Ruk haben mir geholfen."
Neshira schnappte nach Luft. „Ruk ist hier? Ruk Natar?" Das Bild von Ruk, wie er aufgespießt von Steinspeeren auf verbranntem Gras hing, sprang sie an, die Glieder schlaff, die Axt zersprungen zwischen Leichen auf dem Boden. Sie hatte Ruk Natar Barrak gefunden. Vielleicht, wenn der König Schellen sie liebte, lebte er noch. Wenigstens noch ein Teil jener, die sie ihre Familie genannt hatte.
„Ja. Sie haben gegen die Vettel gekämpft, er und Tanqueray und Sindrak..." Sie schnappte hart nach Luft, erneut traten ihr Tränen in die Augen. „Sindrak ist noch dort. Attica hat ihn", schluchzte sie. „Sie wird ihn umbringen. Sie foltert ihn, weil sie will, dass ich ihn retten komme. Und dann wird sie mich töten." Erneut hallte ein gequälter Schrei über den Sumpf, und Onas Finger schlossen sich fest um Neshiras Handgelenk. „Bitte hilf mir. Wir müssen ihm helfen. Ihm und Ruk. Bitte."
Neshira wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht. Fragen wanden sich in ihrem Kopf übereinander, wer Attica war, wo die Vettel war, doch es war nicht an der Zeit, sie zu stellen. Sie musste ihrer Schwester helfen. „Das werden wir." Sie half ihr auf Anghiskes Rücken, stieg hinter ihr auf und stieß dem Wassergeist die Hacken in die Seiten.
Der Sumpfdämon stürmte voran, stets auf das Glühen in der Ferne zu. Neshira spürte, wie Ona sich anspannte, wohl aus Angst, zu fallen, doch Neshira hielt sie fest. Ihre Gedanken rasten. Wenn die Soldaten nicht zu Durensky gehören, sondern zu dieser Attica, woher haben sie dann seine Waffen? Und wo ist die Vettel? Anghiske flog mit ihnen durch das Meer aus Pflanzen, ungesehen, ungehört. Der Wind heulte an ihren Ohren.
Schließlich parierte Neshira Anghiske zu einem langsamen, schleichenden Schritt durch und saß ab, Ona tat es ihr gleich. Näher und näher krochen sie auf den Fackelschein zu. Es waren zu wenige, um die Schatten hinter dem Meer aus mannshohem Schilf zu erhellen. Neshira erkannte ihre Schwester und ihr Reittier kaum als Schemen in der Dunkelheit.
Eine Gruppe Soldaten stand mit angelegten Maschinengewehren um einen bewegungslos am Boden liegenden Arkanen. Ruk. Seine doppelköpfige Streitaxt lag achtlos hingeworfen neben ihm im Dreck. Neshiras Herz machte einen Satz, doch er atmete noch, zwar flach, doch er war nicht tot. Leichen übersäten das Feld, lagen zwischen hohem Gras und toten Sonnenblumen, wie zerrissen von Schwertern. Ohrenlose Sumpfwölfe lagen zerschlagen neben Menschen und Arkanen.
Am Saum des Schilfs lag eine Gestalt, gekleidet in Fellfetzen und Lumpen. Ketten mit abgeschnittenen Ohren daran lagen im blutigen Dreck um ihren Hals, ihre schwarzen, verkrusteten Krallen waren kraftlos. Das Geweih an ihrem Kopfschmuck thronte beinahe triumphierend über dem Einschussloch auf ihrem Hinterkopf. Der Gestank nach Hexenzauber war schier unerträglich, als wäre die kühle Nachtluft zum Schneiden dick. Lasaint Maraiza hatte Macht gehabt. Noch immer hing sie mit dem Nebel über dem Moor. Doch sie hatte sie nicht vor dem Tod gerettet.
Beinahe war Neshira beleidigt, dass jemand anders als sie Lasaint getötet hatte, mit einer einfachen Kugel. Dass sie mit all der Macht, erbeten vom König Schellen, die Banshee rufen wollte, um ihr Leben zu retten. Sie wusste, dass sie für den Kampf bereit gewesen war, bereit für die Prüfung, die er gewesen wäre. Sie hätte die Sumpfvettel besiegen können.
Doch die Erleichterung obsiegte. Leise atmete sie aus. Nur noch Ibo Lele und Eleuthera standen zwischen ihr und dem Sieg über den Zirkel. Kurz fragte sie sich, wer der drei verbliebenen Vetteln das blinzelnde Auge gewesen war.
Neshira packte ihren Speer fester. Die Söldner wären niemals in der Lage gewesen, Ruk allein zu besiegen. Sie konnte sich nicht vorstellen, was geschehen war, dass der Tarnaruc gefallen war, dass Lasaint Maraiza, eine der stärksten Hexen in Eleutheras Zirkel, erschossen worden war wie ein Straßenhund.
Ona neben ihr packte ihre Hand. „Das ist Attica", wisperte sie voller Angst.
Neshira folgte ihrem Blick zu einem Drachenblut in einem mit Runen übersäten Pelzmantel. Sie wog eine Muskete in der Hand, holte aus und ließ den Kolben mit aller Kraft auf den schlaff in den Händen zweier Männer hängenden Karr krachen. Er brüllte vor Schmerz, der Schrei verklang zu einem Schluchzen.
Ihr Herz stolperte. Markiri, dachte sie für einen Moment. Doch er, der die Natur heiligte, hätte sich niemals ein Konstrukt aus Rohren und grünlich glühendem Serum auf den Rücken schnallen lassen.
Ona vor ihr krallte die Finger um Neshiras Arm und biss in ihre Faust, wohl um nicht laut zu schreien, doch den unterdrückten Laut hörte Neshira dennoch. Zitternd atmete sie aus. „Das ist Sindrak", flüsterte sie schwankend. Neshira sah ihre Tränen nicht, doch wusste, dass sie dort waren.
Neshira nahm ihre Hand und drückte sie. „Wer ist sie?"
„Eine Mistress. Sie hat mich gekauft und gezwungen, ihre Hure zu sein", erklärte Ona. „Sie hat... schreckliche Dinge getan. Sie tut sie immer."
Neshira umklammerte die roten Schnüre um Anghiskes Beine so fest, dass ihre Krallen in ihre Handflächen schnitten, und rang den Drang nieder, einfach auf die Lichtung zu stürmen und dem Drachenblut ein Ende zu bereiten, gegen das all die Tode der Banshee ausgesehen hätten wie saubere Hinrichtungen. Niemand vergriff sich ungefragt an jenen, die sie liebte. Tief atmete sie durch, zwang sich zur Ruhe, rang den aufwallenden Zorn auf die Söldner nieder und besann sich auf das Glühen der Magie in sich. Sie konnte sie besiegen. Es würde schwer werden, doch sie konnte es. Es wäre nicht härter, als Lasaint und ihre Wölfe zu töten, und die Söldner schienen nicht, als könnten sie sie mit Flüchen zu Boden werfen.
„Wenn sie noch länger braucht, hacke ich ihm den Kopf ab und trage ihn durch den Sumpf. Dann wird sie mich umbringen wollen, und ich werde gewinnen." Attica lachte dreckig und lockerte die Schultern.
„Das kannst du gerne versuchen", hauchte Neshira. „Ona, warte hier. Halte dich versteckt."
„Ich will dir helfen", erwiderte sie leise, ohne den Blick von dem Karr zu wenden.
„Nein. Es ist gefährlich."
„Du bist allein, du kannst nicht gegen sie alle kämpfen!", wandte Ona ein.
Neshira zog zwei ihrer Wurfmesser und fixierte die beiden Männer, die den Karr hielten. Das Drachenblut, das die Muskete gegen die Luft schwang. Langsam richtete sie sich auf und stieg auf Anghiskes Rücken. „Ich bin nie allein", sagte sie. „Der König Schellen wird mir beistehen. Und Anghiske." Ona blickte ängstlich und doch ehrfürchtig zu ihr auf. Neshira zog Anghiskes Kopf zu sich herüber, seine Zähne streiften glatt und gegen ihre Finger. „Töte sie."
Der Wassergeist stürmte vor, aus den Schatten des Schilfs in den dämmrigen Schein der Fackeln, ein Dämon aus Schwärze und Zorn. Rufe wurden laut, erste Gewehrschüsse flackerten. Anghiske fauchte vor Schmerz. Neshira warf die Messer, und die beiden Männer, die den Karr hielten, sackten mit Klingen in den Stirnen zusammen. Sie sprang von Anghiskes Rücken, in die freie Fläche zwischen Ruk und dem zu Boden gefallenen Sindrak, rollte sich ab, trotz des Speers in ihren Händen, und entfesselte ihre heilende Magie.
Ein goldener Blitz zuckte über die Lichtung, eine Welle aus Licht wallte über die Umstehenden. Ruks und Sindraks Wunden schlossen sich, Anghiskes Fell schien, als hätten nie Kugeln es durchschlagen. Knurrend stemmte der Tarnaruc sich auf die Beine.
Neshira ließ den Speer wirbeln. Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, ohne, dass sie etwas dagegen tun konnte. „Hast du mich vermisst?" Aus dem Augenwinkel sah sie, wie einer der Männer sein Gewehr auf Ruk anlegte, und sie warf ihm ein Messer in den Hals.
Ruk rammte dem Mann vor sich die Faust ins Gesicht und klaubte seine Axt vom Boden auf. Flammen barsten aus den Köpfen. „Aye, das habe ich", grollte er. Seine Tätowierungen begannen zu glühen, er brüllte seinen Zorn hinaus und stürzte sich auf die Soldaten. Erneut flackerten die Gewehre auf, doch verstummten, sobald seine Axt sich durch das Fleisch der Schützen fraß.
Neshira schrie ein Wort, und eine schimmernde Barriere bildete sich zwischen ihr und den Söldnern. Sie hatte nur wenige Augenblicke, bis sie unter dem Feuer der Gewehre zusammenbrach, und sie nutzte sie. Mit wenigen Schritten war sie bei ihnen, kaum einen Wimpernschlag, bevor das Glühen erlosch. Die Männer wirbelten zu ihr herum, doch starben unter ihrem Speer, ohne ihre Waffen abgefeuert zu haben. Anghiske brach aus den Schatten und riss einen von ihnen mit sich ins Schilf. Er schrie auf, ein Dämon knurrte triumphierend, ein reißendes Geräusch, dann herrschte Stille.
Die Kitsune erlaubte sich ein schmales Lächeln, dann warf sie sich auf die nächsten Bewaffneten. Schüsse bellten, Kugeln schlugen in ihr Fleisch ein, doch die Wunden schlossen sich, bevor sie zu schmerzen begannen. Ihr Speer zuckte vor, und mit jedem Stich starben Söldner. Kurz kam ihr der Gedanke, wie es wäre, nun die Banshee zu rufen. Es hatte ihr nie Spaß gemacht, zu sehen, was sie tat, doch auf jene, die Ona etwas angetan hatten, hätte sie mit Freuden die dunkle Göttin gehetzt.
Aus dem Augenwinkel entdeckte sie das Drachenblut, ein Schwert in der Hand, eine Pistole in der anderen. Dunkle Schlieren strichen um die Klinge. Sie wollte nicht wissen, was geschah, wenn diese Waffe sie berührte. Sie brüllte unverständliche Befehle, die Soldaten bemühten sich, zu ihr zu gelangen, doch Ruk und Neshira mähten sie nieder, einen nach dem anderen. Der Karr war nirgends zu sehen. Die beiden Schwerter, die am Saum des Sonnenblumenfelds gelegen hatten, waren fort.
Eine Gestalt schob sich neben Neshira, glühend wie die Fackeln. Ruk ragte neben ihr auf, die doppelköpfige Axt zog Schweife aus Feuer hinter sich her, als er sie schwang. Seite an Seite schlachteten sie sich durch die Soldaten, die Axtblätter schlugen Männer glatt entzwei, der Speer traf unbeirrbar ins Ziel. Neshiras Zauber flammten mit ihren Worten auf, sie wurden schnell wie ein Sturm aus Stahl und Feuer, und Neshira merkte, wie sehr sie es vermisst hatte, mit jemandem zu kämpfen, dem sie blind vertrauen konnte.
Ein Schatten sprang aus der Dunkelheit des Schilfs, grünliches Licht ging von seinem Rücken aus. Ein Schwert mit zwei zuschnappenden Klingen trennte einem Mann den Arm vom Körper, Blitze zuckten um die Waffe. Der Karr rammte dem Mann das zweite Schwert in die Brust, duckte sich unter dem Feuer des nächsten weg und schoss ihm mit erstaunlicher Zielgenauigkeit zwei Pfeile in die Schläfe. Sofort stürmte er zum nächsten, immer weiter, schlug einen Pfad aus Blut durch die Soldaten und verschwand wieder zwischen den Sonnenblumen. Neshira sah ihn nicht mehr.
„Neshira Canto!"
Die Shinaru wirbelte zu der Sprecherin herum. Das Drachenblut. Ihr Herz schien in einen Abgrund zu fallen.
Sie hatte Ona. Sie drückte ihrer Schwester ein Schwert an die Kehle, ihr Grinsen ließ Neshiras Fell sträuben. „Lass die Waffen fallen. Und du auch, Arkaner."
Neshira warf den Speer anstandslos zu Boden. Wenn sie wollte, konnte sie Attica auch mit bloßen Händen den Schädel einschlagen, und wenn sie Ona nicht gehen ließ, würde sie ebendies tun. „Lass sie los", knurrte sie. Ihr Herz raste. „Wenn du ihr etwas antust, bringe ich dich um, und die Banshee wird erblassen vor meinen Taten."
Das zweite Drachenblut blickte unbehaglich zu Attica auf, doch sie lachte nur. „Beeindruckende Worte. Du bist also die, die diese Hexenfotze tot sehen will. Wie schön, dass ich dich doch noch finde. Wird meine Kasse, die du geleert hast", sie nickte zu den Toten, „wieder aufpolieren. Du wirst dich nun ergeben, oder ich lasse dich erschießen wie der Hund, der du bist, so wie ich es mit Eleutheras kleinem Schoßhund getan habe. Vielleicht habe ich dann auch genug Fuchsfell für einen Mantel, bei so vielen Schwänzen."
Neshira verengte die Augen. „Du warst es", raunte sie eisig. „Du hast den Tänzer von Oren Mor getötet." Wenn sie nicht log, war Attica weitaus stärker, als sie schien. Der Tänzer hatte Neshira beinahe umgebracht in seiner grausigen, verkommenen Wolfsgestalt, den Sumpfwölfen Lasaints so ähnlich. Bereits bei ihrer ersten Begegnung hatte sie die beiden Herzen zwischen seinen Rippen gesehen, ohne zu wissen, was sie bedeuteten. Der Hass auf Attica brannte in ihren Händen. Sie wollte ihr mit bloßen Händen die Knochen brechen, jeden einzeln.
„Wenn das sein Name war, aye, dann war ich es." Attica grinste freudlos und drückte die Klinge tiefer in Onas Hals. Die Kitsune verzog keine Miene, doch Neshira sah, dass sie wie erstarrt war vor Angst. „Und ich werde euch beiden das Gleiche antun, wenn ihr nicht brav mit mir mitgeht. Du auch, Arkaner. Lass die verfluchte Axt fallen."
Ruk wechselte einen Blick mit Neshira, sie nickte. Die Flammen erloschen. Die Waffe landete neben dem Speer auf dem Boden. „Und jetzt, Attica?", wollte Neshira wissen.
Alles ging viel zu schnell. Anghiske schnellte aus dem Dunkel und schloss seine Kiefer um Atticas Handgelenk. Etwas knirschte, so laut, dass es Neshira schier den Magen umdrehte. Attica brüllte auf. Das Schwert fiel zu Boden.
Neshira stürzte vor und riss Ona aus ihrem Griff. Der Mann neben Attica hob das Gewehr, und sie warf ihm ein Messer in den Kopf. Die anderen Soldaten eröffneten das Feuer, die Gewehre spien Blei und Tod. Hektisch schrie Neshira einen Schildzauber und wich weiter zurück, bis sie neben Ruk stand.
Anghiske riss Attica herum und schleuderte sie fort. Mit einem einzigen Sprung war er neben ihr, sein beinahe nachlässiger Tritt warf einen Mann mit einem Gewehr rückwärts zu Boden, den Schädel in Trümmern.
Schüsse gellten, lauter und tiefer als jene zuvor. Das zweite Drachenblut hatte einen Revolver gezogen und feuerte auf den Wassergeist. Wütend wirbelte Anghiske herum, Kugeln schlugen in seinen Kopf ein, Blut sprühte. Er geriet ins Taumeln, schüttelte sich, als wollte er den Schmerz abwerfen. Sein hasserfülltes Knurren, rau vor Schmerz, hörte Neshira selbst von weitem.
Doch dann war der Karr dort. Flink packte er die Hand des Drachenbluts und riss sie nach oben, die letzte Kugel flog in die Nacht. Dann schnappte das Schwert zu. Knochen splitterten, Fleisch schmatzte, geteilt von den zubeißenden Klingen.
Der Karr warf den Toten von sich, altes und frisches Blut durchnässte seinen Oberkörper. Die Männer neben ihm rissen die Gewehre herum, seine Waffen schnellten vor. Neshira konnte kaum sehen, wie er sie tötete.
Langsam ließ er das Schwert in der Hand wirbeln, rote Fetzen flogen in alle Richtungen, und setzte seine Fliegerbrille ab. Dort, wo sie gesessen hatte, war sein Fell schwarzbraun unter all dem feuchten Rot. Wütend blickte er zu Attica hinüber. „Das war für Arcaul."
Attica blickte fassungslos zu dem Toten und umklammerte ihr Handgelenk. „Du elende Missgeburt. Das zahle ich dir heim", fauchte sie.
Sindrak kauerte sich zusammen, die Schwerter bereit. Blitze zuckten um die beißenden Klingen. „Ich warte."
Attica atmete scharf ein, dann brüllte sie voller Zorn. Flammen barsten aus ihrem Hals und setzten das Schilf in Brand. Dann rannte sie. Die wenigen überlebenden Soldaten folgten ihr, die Gewehre bellten, Neshiras Schildzauber brach zusammen, und sie wirkte hastig einen weiteren. Der Karr stolperte zurück, dann fiel er, sein eigenes Blut mischte sich mit dem der Leichen. Feuer stob in den schwarzen Himmel.
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