20. Die des Sumpfes
Soundtrack: Hans Zimmer - Is She With You? aus dem Batman v Superman: Dawn of Justice OST. Abspielen ab Anfang.
Marcin Przybylowicz - Eredin, King of the Hunt aus dem The Witcher 3: Wild Hunt OST. Abspielen, sobald die Wölfe von ihnen ablassen
https://youtu.be/ujNeuyXfRNs
und Daniel Pemberton - King Arthur: Destiny of the Sword. Abspielen, sobald Sindrak ETWAS abstreitet.
https://youtu.be/VQH-LWB1Jnc
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Mein Schwert schnappte zu und riss dem Mann mit dem Beil glatt den Kopf ab. Er rollte von seinen Schultern, sein kaputter Zylinder löste sich von ihm und sie kullerten auf getrennten Wegen zwischen die Stängel der toten Sonnenblumen. Der Mann fiel in sich zusammen.
Ein verzerrtes Heulen drang an meine Ohren. Hinter mir. Ich warf mich zur Seite, und die muskulöse Frau mit den kurzen Haaren und dem narbendurchzogenen Gesicht schmetterte ihren mit Nägeln beschlagenen Knüppel in die Leiche ihres Kameraden, genau dort, wo ich noch einen Herzschlag zuvor gestanden hatte. Den Moment, den sie brauchte, um ihre Waffe zu befreien, nutzte ich. Meine Schwerter zuckten vor. Sie erzitterte unter meinen Blitzen, Blut rann aus ihrer Nase. Ein letzter Stich, und sie sackte zu Boden. Ihr buntes Hemd färbte sich langsam rot.
Das Hex brannte in meinen Venen und schien gegen meinen Körper selbst zu kämpfen. Die Ränder meines Blickfeldes kräuselten sich, als sähe ich alles durch dicke Glasscheiben. Vier Männer standen noch neben den Leichen ihrer Kameraden, schwarze Schatten vor dem verwirrend roten Himmel. Dunkles Sumpfwasser lief aus den Augen, Mündern, Ohren der Toten und versickerte im feuchten Boden. Stimmen brüllten, Gewehre flackerten und donnerten, Wölfe heulten, Klingen klirrten, laut und zugleich dumpf, so unwirklich, als finde der Kampf hinter einer Mauer statt. Ich nahm kaum wahr, gegen was sie kämpften.
Sie sahen mich nicht, niemand hörte das Flüstern toter Blüten gegen meine Schultern, die dürren Stängel streiften meine Beine. Der schwere Geruch feuchter, verdorbener Blumen mischte sich mit dem frischen Wasser, das irgendwo unter dem im Wind fauchenden Schilf verborgen war, und dem Blut der Gefallenen. Ihre Tode kümmerten mich nicht. Ich hatte sie nicht gekannt.
Ich verbarg mich unter meinem Umhang, und die Haut der längst vergessenen Echse, der ich sie geraubt hatte, glich mich der Dunkelheit an. Die Sonnenblumen nickten mir zu. Blätter knisterten unter meinen Stiefeln. Leise wie der Tod umrundete ich das Feld aus platt getretenem Schilf, näher und näher auf die Männer zu, die beiden, deren Tätowierungen wie der Sonnenuntergang glühten, dem Mann mit dem bunt karierten Hemd, befleckt von Blut und Schlamm, und dem letzten, einem hochgewachsenen älteren Herrn mit einem Degen.
Ich schnellte aus dem Gewirr aus vertrockneten, feuchten Pflanzen, packte den Kopf des ersten Mannes und riss ihn mit mir zu Boden. Er hatte kaum einen Moment zu schreien, ehe ihm mein Schwert den Kopf in zwei Scheiben schnitt. Sein Gesicht flog fort und hinterließ eine zerschmetterte Masse aus Blut und Knochensplittern. Die Tätowierungen erloschen.
Ein Gewehr bellte hinter mir, Kugeln wirbelten Staub auf. Jemand schrie, ohne, dass ich es verstand. Ich schoss dem nächsten Mann, dem mit dem bunten Hemd, einen Bolzen in den Hals und sprang vor ihn. Sein letzter, wuchtiger Schlag ließ meinen Arm erzittern, als ich ihn mit meiner Klinge abfing, und rammte ihm mein zweites Schwert in die Achselhöhle. Sein Blut sprudelte warm und widerlich auf meine Brust und rann in den Kragen meiner Rüstung. Kugeln trafen seinen Rücken und ließen ihn erzittern. Erneut schrie jemand etwas, was mich vage an meinen Namen erinnerte.
Ich sah mich nach den letzten beiden um, einen Berg aus Muskeln, dessen Axt mit den Runen auf seinen Armen brannte, und der mit dem Degen, so dünn wie seine Waffe. Sie versuchten, sich gegen Wölfe zu wehren, groß wie Pferde, das schwarze Fell verklebt mit Sumpfschlamm, dürr und verkommen. Ihre Ohren fehlten, die Köpfe waren lang und schmal vor dem Rot des Himmels. Die Geräusche, wie die Axt sich durch das Fleisch fraß, das Grollen der Bestien, ihre hohen Todesschreie brannten in meinen Ohren. Beider Blicke flackerten zu mir, sie riefen Worte, die ich nicht verstand, Rufe, die mich wohl aufhalten sollten. Doch Laute im Wind vermochten es nicht, meinem Treiben ein Ende zu setzen.
Noch immer ratterte ein Gewehr, der Tote, der mir als Deckung diente, bebte unter den Schüssen. Blut sprühte von seinem Rücken in alle Richtungen. Ich würde dem Schützen ein Ende bereiten. Gleich nachdem ich den Mann mit dem Degen und den Axtträger umgebracht hatte.
Ich warf den Toten von mir. Noch ehe er auf dem Boden aufgekommen war, war ich neben dem schlanken Mann. Elegant duckte ich mich unter seinem Stich hinweg, die Waffe schrammte an meiner Rüstung vorbei. Das Heulen der Wölfe klang, als lachten sie ihn aus. Ich fing seinen Arm, mein Schwert schoss vor, die Kehle zwischen den beiden Klingen zielte auf seine Achselhöhle. Blitze flackerten um die Zähne.
Schmerz flammte in meiner Seite auf, Licht flutete das Dämmern meines Geistes. Das Schimmern an den Rändern meines Blickfeldes klärte sich. Der Lärm des Kampfes brach über mich hinein und drohte mich zu ertränken. Heftig schnappte ich nach Luft, kostete den Geruch von Verwesung und Sumpfwasser. Eine Kugel, begriff ich.
„Herrera!", schrie der Mann in meinem Griff, das weiße Haar blutverschmiert, die Hand mit dem Degen schlaff. Tanqueray.
Dann biss mein Schwert zu, teilte ihn von den Rippen bis zu dem gegenüberliegenden Schlüsselbein. Das Geräusch der splitternden Knochen drehte mir schier den Magen um. Blut spritzte auf mich, mischte sich mit dem des Canwy Roch, der meine Deckung gewesen war. Deckung von Onas Kugeln.
Ein hohes Kichern schnitt durch das Geräusch von brechendem Fleisch und grollenden Wölfen, triumphierend und rau, als gurgele die Frau Sumpfwasser. Die Hexe stand am Saum des Schilfwaldes, verschmiert mit altem Blut, eine Hand im schwarzen Fell eines ohrenlosen Wolfes vergraben. Die andere krümmte sich um etwas Unsichtbares. Als greife sie geradewegs in meinen Kopf, um mich gegen meine Verbündeten aufzuhetzen.
Und es war ihr gelungen. Ich hatte mich nicht widersetzen können. Tanqueray hatte achtzehn Canwy Roch auf Barranthey angeheuert, und ich hatte sie, ihn und die Arkanen, der Ibo Leles Dschungel überlebt hatte, in der Luft zerrissen.
Die Anzeige an meinem Handgelenk rutschte in den roten Bereich, und ich deaktivierte das Hex. Die Schwäche ließ mich taumeln, und ich hasste es, dass ich es tun musste. Ich wollte nicht sterben. Doch es standen nur ich und Ruk gegen die Hexe und ihre Wölfe, und es schien nicht, als ließe sie sich allzu sehr von uns beeinträchtigen.
Erneut donnerte Onas Gewehr. Ich sah sie, eine kleine Gestalt in einem langen Mantel, das Gesicht erhellt von dem Flackern ihrer Schüsse. Sie schien kaum zu wissen, wohin sie zielen sollte, auf mich, so sehr sie es nicht wollte, auf die Hexe, kaum zu erkennen in ihrer bräunlichen Kleidung aus Lumpen und Fellen, Ketten mit abgeschnittenen Ohren um die Schultern geschlungen, oder auf die Wölfe, die einer nach dem anderen unter Ruks Axt fielen, doch ihre Zähne hatten bereits tiefe Wunden gerissen.
Die Vettel lachte hochmütig, ein Geräusch schlimmer als das der aufgebrachten Wölfe. Sie blickte quer über das Feld zu Ona und krümmte die Finger.
Ohne zu zögern, warf ich eine Rauchgranate. Die Hexe schrie auf, und ich taumelte, so schnell ich konnte, zu Ona. Sie riss das Gewehr hoch, ich hob die Hände. „Ona! Ona, warte, ich bin es!", rief ich beschwichtigend.
„Du hast sie alle getötet", sagte sie fassungslos.
„Es tut mir so leid", flüsterte ich. Ich wollte sie in die Arme schließen, sie festhalten, sie vor der Hexe beschützen, doch ich war machtlos, und ich hasste mich dafür. Ich nahm ihre Hand vom Gewehrlauf und schlang meine Finger um ihre. „Du musst gehen!", befahl ich, so fest ich konnte. Meine Stimme bebte mit meinem Herzen.
Ein Geräusch ließ mich innehalten. Ein Wolf sprang auf mich zu, ich riss meine Donnerbüchse aus dem Gürtel und schoss. Der Wolf stolperte heulend zu Boden, und ich rammte ihm das Schwert in den Hals. Erneut warf ich eine Rauchbombe, und die dunklen Schwaden verbargen uns vor der Vettel.
Ich trat wieder zu Ona, die mich noch immer anstarrte, als wäre ich die Banshee persönlich. Ihr Blick brannte auf meinem Fell. Noch nie hatte ich mich so elendig gefühlt. Ich war müde, so müde. Still wünschte ich, wir wären nach Barranthey abgehauen, hätten uns nie mit der Lamente auf den Weg auf diese Insel mit dem verfluchten Sumpf gemacht, hätten uns nie an die Vettel herangeschlichen, nur um von ihr gefunden und besiegt zu werden. Ich wollte mit Ona an einen Ort voller Ruhe und Wärme, wo ich für immer mit ihr bleiben konnte. „Ona. Du musst gehen."
„Wohin?"
„Zu Miriaume. Hol Hilfe." Angespannt blickte ich in den Rauch. Irgendwo dahinter kreischte die Vettel voller Hohn und Hass.
„Und du?"
„Ruk und ich halten sie auf, bis ihr uns rettet." Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals jemand sein würde, der für andere zurückblieb. Stets war ich der erste an Bord des fliehenden Schiffes gewesen, doch nun würde ich dafür sorgen, dass ich die Vettel mit mir nahm. Wenn ich schon nicht leben konnte, um zu Ona zurückzukehren. Vielleicht gelang es mir noch, zu verschwinden. Ich würde alles dafür tun.
„Nein!", protestierte sie. „Ich lasse dich nicht hier! Ich habe dich gefunden, und... ich..."
„Ich..." Ich wollte sagen, wie sehr ich sie mochte, wie sehr ich mit ihr gehen wollte, dass ich zu ihr kommen würde. Doch die Worte blieben mir im Hals stecken. „Geh. Schnell. Lauf zurück zu Miriaume. Du musst uns retten."
„Sin, ich..."
Sin. Niemand hatte mich je so genannt, und trotz der Panik und der Tränen in ihrer Stimme hätte ich die Silbe am liebsten in eine Flasche gesperrt, sodass ich sie mir wieder und wieder anhören konnte. Ich nahm den Gegenstand aus meiner Tasche und drückte ihn ihr in die Hand. Unsere Finger verschlossen ihn in einem undurchdringlichen Käfig. „Lauf, Ona", flüsterte ich, die Stirn an ihre gedrückt. Sie roch nach Angst und Sumpf und jadenischen Gewürzen, und ich wollte nicht, dass sie ging. Nicht, dass ich sie nie wiederfand.
Sie sah auf das Schmuckstück in ihrer Hand hinab. Ein einäugiges Pferd, geschnitzt in Jade, blickte von dem Amulett in ihrer Hand auf, eingefasst in angelaufenes Gold. „Sin..."
„Das gehört dir." Ich strich über ihre Finger. „Lauf!"
Ein letztes Mal drückte sie meine Hand, ihre Nase berührte meinen Hals. Dann wirbelte sie herum und rannte ins Schilf.
Ich versuchte, das Brennen ihrer Berührungen an meinem Fell zu ignorieren, ebenso wie das Kratzen in meinem Hals. Bis Ona Miriaume gefunden hatte, waren Ruk und ich längst gefallen.
Erschöpft griff ich nach einem Trank und kippte ihn in einem herunter, die Glasphiole fiel ins hohe Gras. Meine Wunden schlossen sich, doch das Gefühl, bereits tot zu sein, verging nicht.
Ich raffte das letzte bisschen Entschlossenheit in meinem Körper zusammen und hob mein Schwert auf, das ich fallen gelassen hatte, als ich die Donnerbüchse gezogen hatte. Ona. Die Hexe durfte sie niemals finden. Ich setzte meine Fliegerbrille auf, ließ meine Schwerter wirbeln und warf mich in die sich lichtenden Rauchwolken.
Noch immer focht Ruk gegen die Wölfe. Doch die Hexe würde mehr und mehr rufen, würde den Arkanen mit immer neuen Zaubern verfluchen, bis er sich nicht mehr rühren konnte. So, wie sie es mit manchen der Roch getan hatte, was es mir viel zu leicht gemacht hatte, sie zu töten. Ich ahnte, dass sie ebenso wie Ibo Lele Bestien aus ihrem Umfeld erschaffen konnte, und ich wollte nicht gegen einen Arm aus Schilf kämpfen, der mich in die schwarzen Tiefen des Sumpfes riss.
Wir mussten die Hexe töten. Es war unsere einzige Chance.
Erneut warf ich mich in das Labyrinth aus den vertrockneten Sonnenblumen, Blütenblätter und Kerne rieselten zu Boden. Still hoffte ich, dass sie es nicht hörte, doch sie schien voll und ganz zufrieden damit, Ruk einen Fluch nach dem anderen auf die Haut zu legen, untermalt von ihrem schrillen Lachen und dem triumphierenden Fauchen der Wölfe. Ruks Bewegungen wurden schwächer und schwächer, doch er weigerte sich, zu fallen. Die Flammen an seiner Axt erloschen, sein Brüllen wurde zu einem heiseren Schreien.
Ich schlich an die Hexe heran, das Schwert bereit, doch der Wolf neben ihr wirbelte zu mir herum und bellte warnend. Ich schoss ihm einen Bolzen in die Schulter und er zuckte jaulend zurück, doch nun hatte die Vettel auch mich bemerkt.
Ihr Lächeln entblößte schwarze Zähne, die Augen waren klein und stechend unter wulstigen Augenbrauen und dem schmutzigen Lappen, den sie sich um die Stirn gebunden hatte. Die Spitzen des mächtigen Geweihs, das ihren Kopfschmuck zierte, stachen schwarz in den blutigen Himmel. Sie sagte etwas in einer fremden Sprache, dunkle Worte voller Verachtung.
Die Macht des Zaubers traf mich wie ein Felsbrocken in die Brust. Alles in mir krümmte sich zusammen, ich stolperte rückwärts, verhedderte mich in den Stielen der Blumen und fiel. Mein Blut schien sich in Schlamm zu verwandeln, mein Herz stemmte sich mit aller Kraft dagegen, um es durch meine Adern zu pressen. Ich spürte, wie sich die dunkle Magie unter meinem Fell ausbreitete, stinkender Schleim kroch unter meiner Rüstung umher, verzweigte sich und kroch meinen Hals empor. Ich versuchte, mich auf die Beine zu stemmen, doch jegliche Stärke hatte mich verlassen. Langsam schnürte die Schwärze mir die Luft ab, als füllten sich meine Lungen langsam mit Morast. Ich hustete, dunkle Flecken sprühten auf meine Hand. Sterne tanzten vor meinen Augen, und ich verfluchte mich, dass ich es der elenden Vettel so einfach machte. Fahrig tastete ich nach einer Granate.
Sofort war der Wolf über mir. Braun verfärbte Zähne, lang wie Finger, schnappten nach meinem Arm und schlossen sich um das Metall meiner Armbrust. Ich fühlte, wie die Spitzen durch das Leder und in meine Haut drangen. Der Schmerz riss mich tiefer in den Bruch aus Finsternis und Verzweiflung.
Ich sammelte Blitze um meine rechte Hand und schlug zu. Schwach kratzten die Metallklauen an seinem Gesicht vorbei. Die Elektrizität ließ ihn erzittern, seine Zähne gruben sich tiefer in meinen Arm, doch er erschlaffte nicht. Heißer Zorn flammte in seinen Augen auf, und ich wusste, nun würde ich ihm nicht mehr entfliehen können. Nicht so, geschwächt von dem Fluch der Hexe.
Pure Panik breitete sich in mir aus, ich wand mich im Griff des Wolfes, trat ihn und schlug auf ihn ein, versuchte, neue Blitze zu sammeln, doch mir gelang es nicht einmal, ihn zu verletzen. Jeder Atemzug schmerzte mehr als der vorige. Selbst mein Arm wurde zu schwer, als dass ich ihn anheben konnte. Der Wolf stand ungerührt über mir, mein pochendes Handgelenk zwischen den Zähnen, und schien sich an meiner Qual zu erfreuen.
Der Schuss ließ ihn ebenso zusammenzucken wie mich. Grollend wirbelte er zu dem Geräusch herum. Ich erhaschte einen Blick an seiner struppigen Seite vorbei zu der Hexe. Sie schnappte beinahe mädchenhaft nach Luft, dann kippte sie vornüber. Blut verschmierte die Stofffetzen rund um das Einschussloch in ihrem Hinterkopf.
Die Wölfe, der große über mir und das Rudel, das Ruk zu zerfleischen suchte, ließen von uns ab. Die Bestien heulten ihren Zorn heraus, ein Gesang, der mein Fell zu Berge stehen ließ, und stürzten sich in das Gewirr aus hohem Schilf. Ihr Fauchen und Knurren folgte ihnen.
Ruk und ich wechselten einen hoffnungsvollen Blick, geschwächt von den Flüchen, die selbst mit dem Tod der Vettel nicht verflogen waren. Der Schmerz in meiner Brust schien mit einem zweiten Herzschlag zu pochen, doch wenigstens breitete er sich nicht weiter aus. Heftig schnappte ich nach Luft, der Schlamm rasselte in meinen Lungen.
Doch es war vorbei. Ona hatte Miriaume gefunden. Die Hexe war tot, und ihre Wölfe waren kaum ein Hindernis für die Waffen der Canwy Roch.
Maschinengewehre bellten, laut und flackernd, die Wölfe jaulten vor Schmerz, und es war Musik in meinen Ohren. Ich drückte mich fester an den matschigen Boden und wartete, dass Ona zu mir kam. Bei dem Gedanken, dass sie überlebt hatte, dass die Wölfe sie nicht gefunden hatten, schlug mein Herz schneller. Bald würde ich sie wieder in meinen Armen halten können. Selbst der Schmerz in meiner Brust verblasste in meiner Vorfreude.
Immer leiser wurde das Kreischen der sterbenden Wölfe, bis schließlich der letzte mit einem hohen Aufschrei verstummte. Das Gewehrfeuer erstarb. Die Stille war so laut, dass ich das Blut in meinen Ohren donnern hörte. Schritte knackten im Schilf. Wasser klatschte gegen Stiefel, Halme flüsterten gegen Gewehrläufe.
Ich sah auf und stemmte mich auf die Knie. Noch immer schien der Fluch der Hexe mich zu Boden zwingen zu wollen. Ruk schleppte sich langsam zu mir herüber, seine Rüstung kaum zu erkennen unter Strömen aus Blut. Schwer stützte er sich auf seine Axt.
„Arkaner!" Die Stimme schnitt durch die kühle Abendluft, beinahe spöttisch. „Bleib stehen. Lass die Waffe fallen." Gewehre wurden gespannt, Patronengurte klirrten gegen Läufe.
Mein Herz fiel in einen Abgrund. Meine Handflächen begannen zu kribbeln, vor Angst, vor Zorn. Mit hämmerndem Puls sah ich mich zu der Frau um, die gesprochen hatte.
Das Drachenblut schritt aus dem Schilf, als hätte es sie aus der Heimtücke der Hexe geschaffen, selbstsicher trotz ihres Humpelns, ein Gewehr lose in den Händen. Ihre schiefen Zähne glänzten im Abendlicht, ihre Schuppen schienen zu glühen. Männer, Durenskys Waffen erhoben, traten aus dem Schilf, die Stängel der Sonnenblumen brachen unter ihren Stiefeln. Brutale Schläger, manche mit den Stacheln an den Armschienen, wie ich sie von den Rabenfedern von Korvengerstein kannte.
Der Wind frischte auf, ließ das Schilf rauschen wie den Ozean und brachte den Geruch von verbranntem Fell mit sich, vom Salz der See und dem Teer auf den Planken eines Luftschiffes. Zwei Schwerter. Metallene Klauen. Ein Dämon unter seiner Haut, gebunden durch Runen auf seinem dunkel gefleckten Fell, das stets nach Schatten und Feuer gerochen hatte.
Jenes, das nun mit groben Stichen auf dem Mantel des Drachenblutes festgenäht war. Hochmütig blickte sie mich an. „Sei gegrüßt, Karr. Erinnerst du dich jetzt an mich?"
Die Erinnerungen prasselten auf mich ein wie das Feuer von Durenskys Gewehren und drohten mich zu ertränken. So viel, das ich nun zuordnen konnte. So viele Fetzen, die ich zu einem Ganzen zusammensetzen konnte. Eine schwarze Hand, die die meine hielt, in einem Zelt, das nach Zucker und Alkohol und Sägespänen duftete, die Sicherheit, die er ausstrahlte. Eine Aura von Draufgängertum, von tödlichem Hochmut und süchtig machender Unbesiegbarkeit, das Wissen, jemanden an seiner Seite zu haben, auf den ich mich verlassen konnte, dem ich trauen konnte, mit dem ich mich jedem entgegenstellen und auch siegen konnte.
Mein Herz stolperte, so sehr vermisste ich plötzlich seine Anwesenheit. Es war, als sehnte ich mich nach etwas, was ich nie gekannt hatte, verschwunden in dem Wirbel aus Feuer und schwarzem Wind und dem letzten Seufzen eines sterbenden Luftschiffes, und doch war das Gefühl so vertraut wie meine eigene Fellfarbe.
Der Karr mit den glühenden Metallklauen, Schatten im Fell, den ich in Oren Mor zu sehen geglaubt hatte. Ona hatte mir seinen Namen genannt, aufgeschnappt aus den Aufzeichnungen eines Konstrukts. Bruder. Mein Bruder. Arcaul Herrera.
„Du", flüsterte ich. Ich hatte ihn verloren, nach einem Absturz nahe einer verkommenen Stadt in einer Welt, wie sie nun nicht mehr existierte. Ich hatte ihn gefunden, auf einer Insel der Kitsune, besessen von dem Dämon unter seinem Fell. Hatte mit ihm das Schiff gestohlen, das ihn mir zuvor geraubt hatte.
Ein Schiff, das ich für unbesiegbar gehalten hatte, die Kanonenmündungen geformt wie Drachenköpfe. Mein Schiff, errungen mit seiner Hilfe, gestohlen, um ihn zu retten, vor jenen, die ihn zu einem Arkanen gemacht hatten. Geschnitztes Schuppenmuster auf den Planken. Segel, erinnernd an Drachenflügel. Das Brüllen meiner Kanonen, die Angst, als ich spürte, dass dieses Schiff dem feindlichen nicht gewachsen war. Die Angst, ihn erneut zu verlieren, zusammen mit meinem eigenen Leben. Doch hier stand ich, und er war fort.
Das Splittern von Holz, das Rauschen von brennender Ballonseide. Ein Luftschiff mit dem Namen Feuerwind und das ferne triumphierende Geschrei eines Drachenbluts.
Ohne darüber nachzudenken, stürzte ich mich auf sie.
Die Reste des Hexenfluchs ließen mich stolpern. Sie wich mir mit einem uneleganten Sprung zur Seite aus, riss das Gewehr hoch und schoss.
Hastig kroch ich von dem aufstiebenden Dreck fort, bis ich Ruks Beine hinter mir spürte. Das Lachen der Soldaten ließ meine Wangen glühen. „Du hast meinen Bruder getötet!", fauchte ich.
„Das habe ich." Das Drachenblut grinste und entblößte ihre schiefen Zähne in ganzer Pracht. „Ich habe ihn besiegt. Er hat nicht um Gnade gewimmert, das muss ich ihm lassen. Und er war stark. Eine Menge Muskeln unter diesem Fell." Sie strich über den dichten, mit Symbolen übersäten Pelz an der Schulter ihres Mantels. Ich wollte ihr jede Kralle einzeln ausreißen, dafür, dass sie ihn so entwürdigt hatte. „Aber ich habe ihn umgebracht. Auch dämonische Magie beugt sich magieverschlingenden Waffen. Und sein Kopf hat sich ganz hervorragend an meinem Bugspriet gemacht."
„Eigentlich war es Ma, die ihn umgebracht hat", warf ein zweites Drachenblut hinter ihr ein.
Sie rammte ihm den Ellenbogen in den Kiefer. Zähne flogen, und er stolperte wimmernd zurück. „Ich habe mich gewundert, dass du dich nicht erinnert hast, als du in mein Bordell kamst."
Oh, das Bordell in Korvengerstein. Ein gewaltiges Luftschiff, umweht von dem Hauch des Verderbens, das es mir gebracht hatte, nun verkommen, die Kanonen gewichen für Separees und Huren. Für solche wie Ona. Ich erinnerte mich an den Namen des Drachenblutes, jenen, den Ona mit so schrecklich viel Angst in der Stimme ausgesprochen hatte. Attica Skovron.
Deswegen war sie hier. Sie wollte sie finden. Die Angst um Ona mischte sich eisig mit dem Zorn auf diese elende Mistress, die mir alles nehmen wollte, was ich je geliebt hatte. Sie hatte meinen Bruder getötet, und nun würde sie Ona umbringen. Wenn sie sie fand. Knurrend stemmte ich mich auf die Beine.
Attica hob das Gewehr. „Wenn er Anstalten macht, etwas Dummes zu tun, erschießt ihn. Und den Tarnaruc gleich dazu." Sie zog etwas aus ihrer Tasche und blickte konzentriert darauf. „Ich habe noch eine kleine Kitsune namens Shuriken zu fangen. Ihr habt sie nicht zufällig gesehen?"
„Du wirst sie nicht bekommen", grollte Ruk.
„Und wie ich das werde", erwiderte sie, ohne von dem Gegenstand aufzusehen.
„Das wirst du nicht. Nicht, solange ich lebe", fauchte ich. Der Dolch, den ich stets verborgen in meinem Stiefel trug, drückte gegen mein Bein. Meine Schwerter lagen zwischen den Schlägern und den Sonnenblumen im Dreck, zu weit entfernt, als dass ich sie mir holen konnte. Doch wenn ich nahe genug an das Drachenblut herankam...
Attica blickte auf. Ich erwiderte unverwandt den Blick aus ihren stechenden gelben Augen, jenen der Vettel so ähnlich. Ein unheimliches Grinsen breitete sich auf ihrem vernarbten Gesicht aus. „Du hast sie gern", raunte sie berechnend.
„Habe ich nicht", schnappte ich, ein Stück zu heftig. Innerlich verfluchte ich mich dafür.
Sie lachte rau. „Der Karr liebt die kleine Fuchsfotze. Ich fasse es nicht. Norren, hast du das gehört?" Das Drachenblut hinter ihr kicherte nasal. „Kaum verwunderlich, anders hättest du ihr nie geholfen. Ein Abenteurer, der nur für Geld arbeitet, hilft einer armen Hure. Mitleid oder Liebe auf den ersten Blick?"
Meine Wangen brannten. Wütend fletschte ich die Zähne. Mit jedem Wort hasste ich sie mehr.
„Vielleicht lasse ich dich doch am Leben. Dann kannst du zusehen, wie meine Männer die Kleine zureiten, bevor ich ihr das Fell abziehe." Sie kicherte grausam. „Du solltest dein Gesicht sehen, Karr."
Ich aktivierte das Hex, trieb den letzten Rest des Serums in meine Adern, und schnellte mit erhobenem Dolch auf sie zu. Gewehre bellten, heiß schlugen die Kugeln in meinen Körper ein und mischten sich mit dem Glühen der Magie in meinen Adern. Doch ich verdrängte den Schmerz, selbst wenn er mich zu überwältigen drohte. Sie würde für Arcaul bezahlen. Ich würde halten, was ich Ona auf Barranthey versprochen hatte.
Mit einem Mal war ich über ihr, die Kugeln aus ihrem Gewehr zischten an meinem Gesicht vorbei. Angst flackerte in ihrem Blick. Sie schnappte nach mir, ihre Zähne streiften meinen Arm, doch sie war entsetzlich langsam. Mit meinem geballten Zorn hob ich den Dolch. Für die Dragon's Pride. Arcaul. Ona. Ich stach zu.
Etwas traf mit voller Wucht meinen Kopf und ließ mich beiseite taumeln. Dunkelheit griff nach meinem Blickfeld wie die Nacht nach dem Abendlicht. Ich wollte aufspringen und sie umbringen. Mein Körper gehorchte mir nicht. Der Dolch wollte aus meinen Fingern rutschen, doch ich klammerte mich an ihn, als hielte er mich bei Bewusstsein.
Attica stieß mich von sich und erhob sich, purer Hass in den gelben Augen. „Du mieser kleiner Hurenficker", knurrte sie. „Ich wollte dich nur erschießen, aber jetzt, Schätzchen, jetzt wird das, was ich der Missgeburt von deinem Bruder angestellt habe, gegen dich aussehen wie ein gewöhnlicher Schlag ins Gesicht." Ich hörte ihre Worte kaum.
Sie hatte den Gegenstand fallen gelassen, den sie zuvor betrachtet hatte, und bückte sich nun danach. Eine Puppe, wie ich sie von dem Wegfinder kannte, der uns zu Ibo Lele geführt hatte. Rötlicher Stoff. Die Gestalt eines kleinen Kitsune. Ein Kompass in der Mitte. Und ich ahnte, wohin die Nadel zeigte.
Mit den Resten des Hex wälzte ich mich herum und rammte meinen Dolch in den Kompass. Hell klirrte der geschwärzte Stahl auf Kupfer. Glas splitterte. Der Geruch von billigem Parfüm, von Blut und Hexensang und jadenischen Gewürzen stieg in die schlammige Luft, und mir drehte es vor Angst um Ona schier das Herz um.
Attica trat mit mit voller Wucht ins Gesicht, die Fassungen meiner Fliegerbrille drückten schmerzhaft gegen meinen Schädel. Das Hex fauchte auf und erlosch mit einem heiseren Keuchen. Erneut trat sie zu, der Schmerz explodierte in meinem Kopf. Meine Zähne fühlten sich locker an. Benommen spuckte ich Blut aus. Die Dunkelheit focht gegen das Lodern der Kugeln in meinem Bein, meinem Bauch, meiner Schulter. Ein dritter Tritt, und ich spürte, wie der Dolch aus meiner Hand flog. Das Atmen wurde schwer, als verstärkte die dräuende Schwärze in meinen Augen das Rasseln des Schlamms in meiner Lunge. Noch immer saß der Fluch in meinen Knochen. Wenn diese Hexe mich nicht erwischt hätte, hätte ich Attica und all ihre Männer dorthin geschickt, wo auch die toten Canwy Roch lagen. Zumindest wünschte ich es mir.
Hände packten meine Arme und zwangen mich auf die Knie. Das rot geschuppte Gesicht kam nahe an meines. „Eine Schande, dass ich nicht begriffen habe, dass du noch am Leben warst. Dann hätte ich nun keine Probleme mit dir", schnarrte sie. Ihr Atem roch nach billigem Schnaps. „Dann hätte ich Shuriken längst wieder bei mir."
Schlaff hing ich im Griff der Männer. Ich spürte, wie das Blut meine Lippen entlang rann, sich an meiner Schnauze sammelte und langsam zu Boden tropfte. Ona. Sie durfte sie nicht finden. Ich regte mich, doch die Männer packten nur fester zu.
„Nun, Schätzchen", zischte Attica, „du hast meinen Wegfinder zerstört. Mit dem ich Shuriken einfach gefunden hätte. Nun muss ich zu anderen Mitteln greifen." Ein Dolch scharrte gegen seine Scheide. „Shuriken, meine Liebe, wo bist du?", rief Attica singend. „Komm und rette deinen Liebsten aus den Klauen der verdammten Skovrons! Er ruft nach dir!" Erneut kicherte das andere Drachenblut. Dann spürte ich das kalte Metall neben dem Glühen meiner Schusswunden. „Ich hoffe, dein Liebchen hat dich genauso gern wie du sie und kommt schnell, wenn sie dich schreien hört. Wenn nicht, wird es sehr lange dauern, bis ich dich töte."
Der Dolch grub sich in meine Wunden, scharrte an meinen Rippen entlang, fraß sich in mein Fleisch und schien nach den Kugeln zu suchen. „Rufe sie", schnarrte das Drachenblut.
Ich würde nicht schreien. Niemals. Ona durfte nicht nach mir suchen. Sie musste fliehen. Ich biss die Zähne zusammen und schloss die Augen. Atticas hämisches Grinsen folgte mir in die Finsternis.
Das Reißen an meiner Haut wurde allumfassend. Mein Herz raste, Blut sprühte von meinen Lippen bei jedem meiner schweren Atemzüge, während mich der Sumpf der Hexe zu ersticken drohte. Der Schmerz ballte sich zusammen, drohte, mich zu ertränken wie einen ungeliebten Welpen, doch ich würde nicht schreien. Es war mein einziger Gedanke.
Das Metall verschwand von meinem Fell. Jemand schlug mit leicht mit der flachen Hand ins Gesicht. Mit flatternden Liedern sah ich auf. „Lebt noch", sagte ein rothaariger Mann dumpf.
„Schön", zischte Attica. Ich erhaschte einen Blick, wie sie eine Muskete am Lauf hielt.
Sie holte aus und schmetterte den Kolben mit aller Kraft auf meine Rippen. Krachend splitterten sie. Es klang wie Kanonenkugeln auf den Planken der Dragon's Pride. Ich wollte schreien, doch erstickte den Laut zu einem heiseren Wimmern. Erneut schlug sie zu, wieder und wieder, zerschmetterte meine Knochen, die Bruchstücke bohrten sich tiefer in mein Fleisch.
Der Schmerz fiel mich an wie der Wolf zuvor. Dann schrie ich.
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Eine Mutter liebt jedes ihrer Kinder. Ein Autor liebt jeden seiner Charas. Aber verdammte Hacke, ich hasse Attica. Ich konnte sie immer gut leiden, sie war erfrischend, aber... wow. Hier hat sie echt den Bogen überspannt.
Ich bin so stolz auf mich.
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