2. Eine Taverne in der Stadt der Anima

Soundtrack: Pokey LaFarge - Red's Theater of the Absurd aus dem Lone Ranger OST. Abspielen, in dem Moment, in dem Attica in den Schankraum geht.

~

„Tica?"

„Du schuppenloser Bastard!" Attica knallte den Revolver und das mit Waffenöl verschmierte Tuch auf die Tischplatte und funkelte zu ihrem Bruder auf. „Nenn mich gefälligst Madame Skovron!"

„Nenn mich nicht schuppenlos, Madame Schlampe!"

„Ich nenne dich, wie es mir passt, Hurensohn."

„Was bist du dann, wenn ich ein Hurensohn bin?" Norren lächelte zahnlückig.

„Die Tochter einer Hure, das weißt du ganz genau, dass Ma nichts anderes war." Attica nahm einen Schluck aus der Rumflasche vor sich. Sie war beinahe leer, genauso wie die Flasche schlechten Whiskeys daneben. Das Licht der in sich zusammengeschmolzenen Kerzen auf ihrem Tisch und zwischen den Unmengen von Waffen, die an Halterungen an den Wänden der Kajüte hingen, glänzte auf Glas und Stahl. „Was willst du, Norren?", blaffte sie.

„Wenn du mich schon schuppenlos nennst, muss ich es dir auch nicht sagen." Norrens Lächeln wurde noch schleimiger, als es ohnehin schon war.

Attica überfiel das dringende Verlangen, ihm seine restlichen Zähne aus den Kiefern zu schneiden. „Sag es mir", knurrte sie mit tödlichem Ernst. Ein Tonfall, den Norren kannte, bei dem er wusste, dass er sie nicht weiter reizen sollte.

Norren zuckte mit den Schultern und sog an seiner stinkenden Zigarette. „Chance verpasst, kleine Schwester."

Attica sprang auf und funkelte ihn an. Norren blickte unbeeindruckt zurück. „Du solltest meine Geduld nicht überstrapazieren, wenn du mich schon störst, du schleimiger Handficker." Nicht mal die Mädchen ließen ihn an sich heran, selbst wenn er einer der Besitzer war. Er hatte er mehrmals versucht, und Attica hatte ihn nie ungeschoren davonkommen lassen.

„Sehe ich so aus, als würde mich das stören?"

Attica verlor die Geduld. Mit einem Satz stand sie auf dem Tisch, das Möbelstück kippte und fiel. Das Drachenblut landete schwankend auf den Füßen, riss ein Schwert aus der Halterung und hielt es ihm an die Kehle. „Warum gehst du mir auf die Eier?", fauchte sie.


„Ich bin dein Bruder." Er pustete ihr den Rauch ins Gesicht. Attica drückte fester zu, eine dünne rote Linie erschien zwischen den gesplitterten, schorfigen Schuppen an seinem Hals. „Der Karr ist hier."

Attica stutzte. „Welcher Karr?"

Norren lachte spöttisch. „Ich wusste, dass du dummes Huhn es vergessen würdest."

Attica schlug ihm mit voller Kraft ins Gesicht. Ein Zahn hüpfte über die klebrigen Planken und kam in der Pfütze aus Waffenöl und Rum zum Liegen. „Bei den eisernen Eiern des Mechanicus! Welcher götterverschissene Karr?", schrie sie.

Norren nahm schnaubend wieder Haltung an, Blut sprühte auf Atticas Hemd. Ihre Hände zuckten. Es war frisch gewaschen. Die alten Blutflecken, ebenfalls von ihm, waren kaum zu entfernen gewesen. „Der Karr, den wir vom Himmel geschossen haben. Vor zwei Jahren. Erinnerst du dich nicht?"

Und wie sie sich erinnerte. „Aye, der Karr. Mas letzter Raubzug."

Norren rotzte erneut Blut auf sie. „Ist ein Wunder, dass wir überhaupt geschafft haben, diesen Haufen aus Holz in die Luft zu bringen." Wehmütig blickte er zu seinem Zahn.

„Für ein bisschen Gold tut man alles, aye." Attica hob den Zahn auf und ließ ihn in ihrer Tasche verschwinden. „Wo ist der Karr jetzt?"

„In der Taverne. Hat sich Gin bestellt."

„Glaubst du, er will Ärger?"

„Nein. Hat offensichtlich keinen blassen Schimmer, wem diese Taverne gehört."

„Bist du sicher, dass es der richtige Karr ist? Er war mausetot, als ich ihn zuletzt gesehen habe."

„Du kannst runter gehen und nachschauen, wenn du mir nicht glaubst. Aber ich finde, der Hex-Stein auf seinem Rücken ist so auffällig, dass sogar du intelligenzberaubtes Miststück es erkennen kannst."

„Oh, für das Wort hast du auch den Löffel voll Gehirn gebraucht, den du mieses Stück Hundescheiße hast, oder?", versetzte sie. Bei den Göttern, wie sie ihren Bruder hasste. Er raubte ihr jeden Funken nicht vorhandener Geduld. „Ich gehe runter und schaue mir deinen Karr an. Zufrieden?"

Norren vollführte eine spöttische Verbeugung, Attica konnte förmlich seine Knochen knirschen hören. „Voll und ganz. Beeil dich, Madame Hure." Er wandte sich mit wehendem Mantel um, stolperte beinahe dabei und stolzierte aus der Kajüte.

Attica warf ihm die Whiskeyflasche hinterher und traf den Türrahmen. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Stille breitete sich aus, die Stille des Arsenals. Eindeutiges Stöhnen drang durch die Planken unter ihr, Rufe, Gesang und Gebrüll, die Musik einer Gruppe miserabler Spielleute, die mehr gekostet hatten, als sie tatsächlich wert waren. Dumpf klangen Schritte auf den Planken, Stiefel von ihren Männern und die Trippelschritte der Mädchen und Lustknaben.

Schwer lehnte sie sich an den umgekippten Tisch. Sie hatte gehofft, ihre Kajüte nicht mehr verlassen zu müssen. Sie hätte sich einen gemütlichen Abend mit ihren Waffen und dem Alkohol gemacht, dann wäre sie zu Bett gegangen und hätte Gavial zu sich gerufen, und wäre über dem Liebesspiel mit ihm eingeschlafen. Bei dem Gedanken an seinen ängstlichen, unterwürfigen Blick breitete sich ein Lächeln auf ihren Zügen aus. Überdeutlich spürte sie ihre schiefen, doch scharfen Zähne unter ihren Lippen.

Seufzend stieß sie sich von dem Tisch ab, zog ihr Hemd aus und warf es auf das Chaos. Flecken breiteten sich in dem weißen Stoff aus. Sie wusste, das Waschmädchen würde sie dafür hassen, doch es kümmerte sie nicht.

Sie öffnete ihre Kleidertruhe und wühlte darin, bis sie auf ein frisches Hemd stieß. Vor einiger Zeit hatte sie versucht, sich mehr wie die Mistress eines Bordells oder eine Wirtin zu kleiden, doch sowohl die Mieder als auch die Röcke hatte sie so sehr gehasst, dass sie sie nie wieder angerührt hatte.

Rötliche Flocken rieselten zu Boden, als die das Hemd überstreifte und die Schnallen ihres breiten Gürtels darüber schloss. Sie wurde alt, das spürte sie. Sie hatte einen Krieg miterlebt, von Mächten, die längst verschwunden waren unter Heerscharen von Dämonen, sie hatte in Dschungeln gekämpft und auf See, in verbrannten Steppen und in der Luft, bis sie nun hier gelandet war, in einer götterverlassenen Stadt auf einer ebenso götterverlassenen fliegenden Insel, bevölkert von Fahrendem Volk und diesen elenden Tiermenschen, die man Anima nannten. Schöne Zeiten waren es gewesen, als es nur Tauren, Karr, Kitsune, Tengu, Drachen- und Katzenblute gegeben hatte. Doch mit den Dämonen waren auch die Anima gekommen. Und so sehr sie sie verabscheute, so gut waren sie als Kunden.

Sie musterte sich selbst in dem angelaufenen Spiegel, ein Drachenblut mit fahlen, gesprungenen roten Schuppen, gesprungenen Hörnern und schiefen Zähnen. Beinahe erschien sie sich selbst schwach, doch die Muskeln unter der dicken Haut, durchkreuzt mit Narben, und ihre gelben Augen, noch immer mit dem Feuer ihrer Art dahinter, überzeugten sie vom Gegenteil.

Mit dünnem Stolz, gemischt mit Abscheu, nahm sie eines der Schwerter von der Wand, eines der wenigen, die nicht magisch und entsetzlich wertvoll waren, und steckte es in den Gürtel, zusammen mit einem Revolver. Sie wusste, sie würde sie nicht brauchen, nicht in ihrer eigenen Taverne, doch sie fühlte sich nackt ohne die Waffen an ihrer Seite.

Attica warf ihre lange Lederweste über, alt und so oft zusammengeflickt wie sie selbst. Viele der kleinen Metallplättchen, die sie verstärkten, waren längst abgerissen. Sie nahm ihren Gehstock und humpelte hinauf aufs Deck.

Den ersten Mann, dem die begegnete, packte sie am Arm. „Geh in meine Kajüte und räum auf. Aber anständig. Lass meine Sachen waschen, und bring eine neue Flasche Rum."

„Aye, Madame." Wenigstens er wusste sich zu benehmen. „Welche Sorte Rum?"

„Einen alten. Aus Kasien." Sie vermisste den Rum aus der Zeit vor der Zweiten Katastrophe. Nur noch wenige Flaschen lagerten in den Tiefen ihres Schiffes, aus der Zeit, als ihre Mutter mit ihr und Norren aus Triport aufgebrochen war. Lastora Skovron, Kapitänin der Feuerwind, wagemutige Luftseglerin, grausame Piratin der Lüfte, und hemmungslose Trinkerin. Attica hatte nicht nur dieses Laster von ihrer Mutter geerbt.

Sie trat die Treppen hinunter aufs Orlopdeck, bis zum Bersten gefüllt mit Menschen, Angehörigen der alten Völker und Anima. Es stank bestialisch nach Körperflüssigkeiten aller Art, nach verschüttetem Alkohol und dem schlechten Essen, das die Köchin in einem riesigen Topf in der Kombüse zusammenbraute. Attica sah viele bekannte Gesichter, einige Männer und Frauen mit den Insignien der Banden von Korvengerstein, Stammkunden, wie den Mann mit dem Kopf, hellgrauen Fell und Säbelbeinen eines Jagdhundes, der eine kleine Verwaltungsstelle im Stadtrat bekleidete und stets mit dem Morgenstern in einem der Separees verschwand, und die üblichen Neugierigen, die sich fragten, was ein abgehalftertes Kriegsschiff, noch dazu ein so bekanntes wie die Feuerwind, zwischen die Häusern und Straßen von Korvengerstein führte.

Attica erkannte solche Leute stets an ihren eingeschüchterten Blicken, die Art, wie sie vorsichtig an ihren Getränken nippten, als wären sie vergiftet, und wie sie die leicht bekleideten Männer und Frauen beobachteten, die Bandenmitglieder, Abenteurer und gewöhnliche Bürger tiefer hinab in die Eingeweide des Schiffes führten. Manche waren weniger schamlos, vergnügten sich in den dunklen Nischen, und spülten so Geld in Atticas Taschen. Das gespielte Stöhnen der Huren mischte sich unter die Rufe und die Gesänge der Gäste, zwischen das Poltern von Krügen auf Tischplatten und die entsetzliche Musik. Atticas Gehör war nicht mehr, was es einmal gewesen war, und doch fand sie sie grauenhaft. Sie beschloss, die Musiker beizeiten zu ersetzen.


Attica blieb am Geländer der Galerie stehen. Sie hatte es nachträglich einbauen lassen, nachdem zu viele Betrunkene hinab gefallen waren. Milde interessiert blickte sie hinab in das Treiben. Ein stümperhaft zusammengebauter Tresen stand, wo früher Kanonen Feuer und Eisen gespien hatten. Die Kanonen selbst hatte sie in den Untiefen des Laderaums verschwinden lassen, zwischen Whiskey und verrottendem Segeltuch.

Der Karr stand an den Tresen, mit dem scheuen Blick eines Neugierigen, ein Glas Gin in den Händen. Er trank schnell. In der kurzen Zeit, in der Attica zu ihm hinab sah, leerte er zwei Gläser, und die leicht bekleidete Kitsune hinter den Tresen schenkte nach. Gutes Mädchen. Wusste, wie man Kunden fing. Sie unterhielten sich über etwas, zumindest versuchte sie, ihn zum Reden zu bewegen, doch er trank nur, antwortete einsilbig und schien sich nach etwas umzusehen.

Attica fragte sich, ob Norren ihn falsch eingeschätzt hatte. Vielleicht wusste der Karr sehr wohl, wo er war, und tat nun, als habe er keine Ahnung. Unwillkürlich strich sie über ihre Waffen. Vielleicht würde sie ihn doch an Ort und Stelle töten müssen. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand durch ihre Hand auf den Planken des Arsenals gestorben war. Von den Zeiten der Feuerwind ganz zu schweigen.

Sie hatte still gehofft, dass es der falsche Karr sein würde, doch er war es. Unverkennbar. Kein anderer trug dieses Gebilde auf dem Rücken, ein grünlicher Stein in einer metallenen Einfassung, nebst von Schloten umschlossenen Zylindern, gefüllt mit einer Flüssigkeit in der gleichen Farbe wie der Stein. Schläuche liefen von dem Konstrukt in den von Leder, Metall und weiteren Phiolen mit Serum umschlossenen Arm, der in einem Handschuh mit scharfen, stählernen Krallen und einem weiteren Stein auf dem Handrücken endete. Schwerter hingen an seiner Hüfte, und Attica konnte selbst von hier die Granaten und Tränke an seinem Gürtel erkennen. Er war ein Abenteurer, das hatte sie schon gewusst, als er vor ihr im schwarzen Staub von Ashenfall lag, übersät mit Schrammen, die Tränke ein Chaos aus Splittern und versickernder Flüssigkeit.

Es war ein Wunder, dass er überlebt hatte. Und er hatte Glück, dass weder Attica noch Lastora ihn getötet hatten. Es war schwer genug gewesen, an seinem Bruder vorbei zu kommen, dass sie ihn schlichtweg nicht mehr beachtet hatten. Sie hatten sich geholt, weswegen sie gekommen waren, waren davongesegelt, und hatten den Karr zwischen zerschlagenem Holz und einem brennenden Ballon zurückgelassen. Und nun saß er hier, in ihrer Taverne, in dem Schiff, das das seine vom Himmel geholt hatte.

Attica wandte sich um und humpelte die Treppen hinab. Unsanft bahnte sie sich einen Weg durch die Menge, bis sie hinter den Tresen zum Stehen kam. Im Verborgenen gab sie Strej und Candal ein Zeichen, und die beiden hielten die Waffen bereit, scheinbar mit dem Würfelspiel vor sich beschäftigt. Wenn der Karr Attica angriff, würden sie ihn erschießen.

Sie hielt sich hinter der Kitsune, deren echten Namen sie bereits vergessen hatte. Sie nannte sie nur Shuriken. Norren würde es wissen, doch er war nicht hier, sehr zu ihrer Erleichterung. Zwischen den Falten ihrer Weste zog sie den Revolver.

Der Karr streifte sie mit einem Blick. Musterte sie von oben bis unten. Doch kein Erkennen flammte in seinem Blick auf. Eingeschüchtert senkte er den Blick auf sein Glas und leerte es. Beinahe schien es wie eine verlegene Geste. Attica war milde beeindruckt. Vielleicht konnte er es mit ihrem Konsum aufnehmen.

Sie begann, Shuriken und der alten Schankfrau beim Ausschenken zu helfen. Die meisten Getränke schüttete sie sich selbst in den Hals. Schankmaid war nicht die Arbeit, zu der sie geboren war.

Ein Animus mit der Seele eines Wolfes, adrett in der Uniform der Handelsflotte, trat an die Bar. „Hey, Süße! Ein Bier und du unter mir!" Er lachte und warf sein Geld auf den Tresen.

Attica sah, wie Shurikens Kiefer sich anspannte. Ihre Ohren zuckten für einen Moment nach hinten, und Attica wusste, dass sie sich widersetzen wollte. Doch sie war das Eigentum eines alternden Drachenbluts, das über ein zu einem Bordell umgebauten Schiff herrschte. Und hatte zu tun, was Attica ihr befohlen hatte. Sie war schließlich teuer genug gewesen.

Shuriken stolzierte mit wiegenden Hüften zu dem Wolf und reichte ihm das Bier über den Tresen. Ihren spielerischen Worten lauschte Attica nicht mehr. Sie nahm die Ginflasche und trat zu dem Karr, den Revolver sorgfältig unter dem Tresen verborgen. Der Lauf wies zwischen den Fässern, über die die Tischplatte gelegt war, auf seinen Bauch.

Sie wies auf sein Glas. „Noch einen?"

Wortlos leerte er es und schob es zu ihr.

„Hab dich noch nie hier gesehen", sagte sie und lehnte sich gegen den Tresen.

„Bin einfach reingegangen." Er zuckte mit den Schultern. „Hab gedacht, dass mich das Schiff an was erinnert", murmelte er, ohne zu ihr aufzublicken, die Stimme verwaschen durch den Gin.
Attica umklammerte den Revolver fester. „Trinkst du jetzt, um dich zu erinnern?"

Der Karr lächelte kurz und entblößte gelbe Hyänenzähne. Seine Metallklauen klirrten gegen das Glas. „Wenn es helfen würde, würde ich mich längst erinnern."

Attica lachte beinahe ehrlich. „Wenn es mir beim Vergessen helfen würde, hätte ich längst alles vergessen, was mir je zugestoßen ist. Wäre ein Segen." Sie nahm ihr eigenes Glas und leerte es.

„Das, woran ich mich erinnern kann, hätte ich auch gerne vergessen, das kann ich dir flüstern."

Sie lachte erneut. „Ich bin mir sicher, die Damen helfen dir, ob du nun vergessen oder dich erinnern willst."

Er warf einen schnellen Blick zu Shuriken, die dem Wolf Bierschaum ins Gesicht pustete. Der Segler lachte und wischte sich übers Fell. „Ich denke, der Gin tut schon, was er sollte", wehrte der Karr ab.

Attica schenkte ihm nach und zählte im Geiste nach, wie viele er bereits hatte. Still hoffte sie, dass Shuriken den Überblick behielt. Oder dass Norren von Weitem über sie wachte und mit seinen elenden Zahlen jonglierte. „Was hast du denn Übles erlebt?"

„Ich habe gegen eine Göttin gekämpft", sagte er, als wäre es das gewöhnlichste auf der Welt.
Attica hielt inne. „Wie bitte?"

„Du hast mich schon gehört."

Ihre Hand mit dem Revolver zitterte nicht. Sie sah, wie Candal und Strej ihren Blick suchten, ihre Pistolen waren ein stumpfes Glänzen unter der Tischplatte. „Es gibt keine Götter mehr. Ich habe immer geglaubt, dass Mechanicus Dinge erbaut, die die Welt überleben, und dann überleben sie nicht einmal ein paar dahergelaufene Dämonen. Die Götter sind untergegangen", hielt sie dagegen.

„Nicht, wenn die Götter selbst Dämonen sind", erwiderte der Karr. Feuer glomm in seinen Augen auf, und er streckte den Rücken. Dennoch war er kleiner als Attica. „Denn ich habe die Banshee besiegt!"

Der Wolf ließ von Shuriken ab und sah zu ihm hinüber. „Nie und nimmer hast du das."

„Oh doch." Der Karr richtete sich auf. „Ich habe sie geritten und sie besiegt. Wusstet ihr, dass ihre Mähne sich anfühlt wie meine?" Er strich sich durch die schwarzen, fettigen Strähnen. Seine Bewegungen waren fahrig vom Alkohol. „Und dass ich sie getötet habe?"

Shuriken schnappte nach Luft. Der Wolf brach in Gelächter aus. „Habt ihr gehört, was dieser schmutzfellige Bastard hier redet? Hat die Banshee getötet. Wenn das stimmt, bin ich Misha Durenskys Vater!"

„Dann hat er einen beeindruckend hässlichen Vater", versetzte der Karr und winkte Attica zu, die ihm hastig nachschenkte. Diese Geschichte wollte sie hören. Der Wolf hob zum Sprechen an, doch der Karr ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Wisst ihr, ich bin in Durenskys Waffenfabrik eingebrochen. Und bin lebend wieder hinausgekommen."

Ein Animus mit den Hauern eines Ebers schlug ihm mit Wucht auf die Schulter, und er ging keuchend in die Knie. „Ist tatsächlich lebendig. Aber vollkommen verrückt. Sein Hirn hat ihn wohl mit dem Gin verlassen!" Die Umstehenden lachten.

„Meine Freunde", der Karr lehnte sich schwer gegen den Tresen, „da gibt es nichts zu lachen! Es ist die Wahrheit! Ich bin in Durenskys Fabrik eingebrochen, ganz allein, so wie ich vor euch stehe. Wachen haben sich mir in den Weg gestellt, aber ich habe sie einfach niedergemacht, wie ein Sensenmann die Halme." Er wischte mit der flachen Hand durch die Luft. „Ich nahm, was ich wollte, stahl sein Gold, die Dokumente, die mein Auftraggeber verlangte, und schlich durch das Meer aus Leichen wieder hinaus. Doch Durensky ist nicht umsonst Herr von Ashenfall. Er hetzte mir die Armeen der Stadt auf den Hals und wollte mich zu Staub zermalmen! Und so jagte ich seine Fabrik in die Luft, schoss mit seiner eigenen Kanone auf sein Waffenlager, sodass es in Funken zerstob wie das Feuerwerk der Füchse." Er grinste Shuriken betrunken an. „Dann brach ich in seine Werft ein, stahl sein Luftschiff und flog hoch hinaus in den Himmel!"

Sein Arm machte eine wilde Bewegung aufwärts, er strauchelte und hielt sich an der borstigen Schulter des Ebers fest. Der Eber stellte ihn lachend auf die Füße. Attica schenkte nach. Es kamen oft Lügenbolde und Angeber in ihre Taverne, meist, um ihre Mädchen zu beeindrucken, doch er übertrieb gewaltig. Beinahe war sie versucht, zu erzählen, wie sie ihn und sein ach so unbesiegbares Schiff vom Himmel geholt hatte, wie ihre Mutter seinen Bruder geköpft hatte, doch entschied sich dagegen. Seine Geschichte war viel zu unterhaltsam.

„Doch Durensky wäre nicht Durensky, wenn er mich nicht einholen würde. Der Vampirfürst höchstselbst stand an Deck seines Zerstörers! Ich bekam es mit der Angst zu tun und beschloss, ihm davon zu fliegen, denn niemand, der noch ganz bei Trost ist, legt sich mit Durenskys Zerstörern an."

Die Umstehenden lachten. Jemand kaufte Attica die Ginflasche ab und drückte sie ihm in die Hand.

„Vielen Dank." Der Karr nahm einen Schluck und ließ sich von dem Eber auf den Tresen helfen. Schwankend hielt er sich an der Kante der Galerie fest. „Doch Durensky verfolgte mich plötzlich nicht mehr. Drehte einfach ab. Und ich dachte schon, ich wäre sicher, da sehe ich einen Schatten durch Regen und Donner springen, und sie steht vor mir. Die Herrin der Finstersten Schatten. Die Fürstin der Lockenden Laternen. Sie, deren Namen die Funken flüstern. Sie springt auf mich zu, und mir bleibt keine andere Möglichkeit, als sie gebührend zu empfangen. Ich habe mich auf sie gestürzt, mit beiden Schwertern! Ich habe meine Klingen mit ihren Krallen und ihren Zähnen gekreuzt, und sie war höllisch stark. Beinahe hatte sie mich am Boden. Ich lag im Regen, sie schleicht über dieses rutschige Deck auf mich zu, und ich wusste, dass ich sie töten musste. Sonst würde ich sterben. Also stand ich auf, wartete, bis sie auf mich zuschnellte, und schwang mich auf ihren Rücken!"

Die Zuhörer keuchten auf. „Lügner!", schrie jemand.

„Mein Freund, ich bin ein miserabler Lügner. Ich würde nicht mal versuchen, zu lügen. Deswegen ist alles, was ich sage, die Wahrheit! Und nichts als die Wahrheit! Ich sitze im Nacken dieser Bestie, ich konnte nicht mehr atmen, so sehr habe ich ihren Hass gespürt. Sie schwingt sich in den Himmel, die Welt unter mir wird kleiner und kleiner, Blitze haben mir mein Fell versengt, der Regen war, als stünde ich im Kugelhagel. Ich nehme ihr Hörner und drücke ihren Kopf nach unten..."

„Wie man es mit den Männern macht!", kreischte eine Frau mit den stachelbesetzten Armschienen, die die Mitglieder der Rabenfedern trugen. Ein paar andere lachten.

„...und die Banshee schießt mit mir dem Boden entgegen. Ich wusste, wenn wir auftreffen, würde ich sterben. Also habe ich ihr mit aller Kraft das Schwert in den Hals gerammt."

„Und daran ist sie gestorben?", fragte der Eber.

„Genau!"

„Du bist also mit ihr abgestürzt. Wieso lebst du dann noch?"

„Ich bin schon oft abgestürzt, aber nicht mit der Banshee. Nein, ich bin im letzten Moment abgesprungen, und neben mir schlug der tote Drache auf dem Boden auf."

„Sie ist eine Göttin. Sie kann nicht sterben", widersprach jemand.

„Hast du sie seitdem vielleicht gesehen? Nein? Gern geschehen." Der Karr grinste breit. Die Menge lachte.

„Ich glaube, es ist Zeit, dich betrunkenen Bastard zu den Weibern zu bringen. Sollen dich wieder zur Besinnung vögeln!", rief der Eber.

„Ich bin voll und ganz bei Besinnung." Der Karr trank einen großen Schluck aus der Ginflasche.

„Ein Lügner bist du, und ein frecher noch dazu." Der Wolf musterte ihn von den zerschrammten Stiefeln bis zu seinen fettigen Haarsträhnen. Goldflocken glänzten darin. „Ich finde, wir sollten dir mal die Wahrheit einprügeln!"

Der Karr sah sich um. Die Menge war eine Wand um den Tresen herum. Er knurrte verdrossen und riss ein Schwert aus seinem Gürtel. „Dann komm doch! Ich habe die Banshee besiegt, dann werde ich mit dir auch fertig!"

Attica zog ebenfalls ihr Schwert. „Weg mit dem Schwert, Karr. Waffen aller Art verboten. Verpiss dich aus meiner Taverne. Kannst du das Schild nicht lesen?"

Kurz hielt der Karr ihrem Blick stand. Seine Kiefermuskeln spannten sich an. Raunende Ruhe breitete sich aus. Attica sah, wie Strej und Candal die Totschläger aus dem Gürtel zogen.

Seufzend ließ der Karr das Schwert sinken und lehnte sich an den Tresen. „Darf ich austrinken?" Er schien ernsthaft traurig zu sein. Vielleicht, weil er das Schild tatsächlich nicht lesen konnte.

Attica hielt es für unwahrscheinlich. Weder sie noch die Hälfte ihrer Kundschaft konnte lesen, und niemand machte sich etwas daraus. „Nein. Verschwinde, du Hurenbock."

Er stieß ab und blickte mürrisch in die Runde. „Einen schönen Abend noch", lallte er beleidigt und machte sich daran, davonzutaumeln.

„Genau, verpiss dich, mit deinem eingezogenen Schwanz hast du im Bordell eh nichts zu suchen!", spottete der Wolf.

Attica verdrehte die Augen. „Das hättest du nicht sagen sollen, Schätzchen" murmelte sie.

Im gleichen Moment wirbelte der Karr herum. Die Ginflasche zerbarst am Kopf des Wolfes, der Karr führte die Flasche aufwärts. Blut spritzte aus der Wunde, ein hässlicher ausgefranster Streifen Rot im Weiß seines Hemdes.

Das war der Moment, in dem die erste Faust flog.

~

Epischer Auftritt: Sindrak.

Und: ich liebe Attica und Norren. Attica war immer das ungeliebte Kind meiner Charas, aber verdammt nochmal, ihre Plänkelei mit Norren ist einfach viel zu spaßig zu schreiben.

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