17. Gin und Feuer
Eine Widmung! Für Mallylein und ihr 25. Kapitel von Loreley - Wind und Weite, ohne das ich dieses Kapitel nicht überstanden habe. Denn wow, es war ein KRAMPF, es zu schreiben.
Soundtrack: The High Kings - Star of the County Down (live). Der Song, der mich zu diesem Kapitel inspiriert hat, und nun doch nicht mehr soooo gut passt.
https://youtu.be/MTpsx1EruV0
Deswegen als nächstes! Beltaine - An Astrailhad. Abspielen, sobald Valentina sich zu Sindrak setzt.
https://youtu.be/zoocxEjQyzI
Und DANACH (ihr wisst schon, wonach) Bear McCreary - Woundrous Love aus dem Black Sails OST.
https://youtu.be/Pb2gpGkI8pU
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Meine erste Ginflasche war leer, lange bevor es Mitternacht war. Er war erstaunlich mild gewesen, gemessen an dem, was ich normalerweise von den Canwy Roch kannte. Doch der Geschmack täuschte nur über die Stärke hinweg.
Erschöpft warf ich die leere Flasche in den Staub und lehnte ich mich an die Wand des bunt bemalten Wohnwagens hinter mir. Ich würde mich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken, und dann würde ich schlafen und hoffen, dass der morgige Tag niemals kam.
Miriaume trat zu mir, ließ sich neben mir auf der Kiste nieder und reichte mir einen Krug. Ich roch daran. Das schwere Aroma von Rum stieg mir in die Nase, und ich nahm einen dankbaren Schluck. Gemeinsam blickten wir auf die Meute von Tanzenden, die auf einem offenen Platz zwischen den Wohnwagen der Roch den Klängen der Instrumente und Stimmen der Gruppe Spielleute folgten. Fackeln tauchten den Platz in ein merkwürdig verzaubertes Licht und schienen mit den Feiernden zu tanzen. Ihr Gelächter, Gesang und das Klirren von Gläsern stiegen mit dem Rauch in den Himmel. Die Lamente war ein von Laternenschein gespickter Flecken Schwärze zwischen den Sternen.
„Wir sind kaum am Leben, und schon müssen wir uns der nächsten Vettel entgegenstellen", seufzte Miriaume und hielt mir ihren Krug entgegen.
Ich stieß an und trank. „Aye. Bereust du es schon, Tanquerays Auftrag angenommen zu haben?"
„Aye, das tue ich. Egal, wie viel Geld fließt, es entschädigt nicht für die, die wir verloren haben."
„Aber du bringst uns trotzdem zu der Sumpfvettel?"
Sie verzog das Gesicht. „Aye. Tanqueray hat mich gebeten. Ona ebenfalls, nachdem die Priesterin sie geheilt hatte. Und ich verstehe, dass es wichtig ist, dass sie Neshira finden, denn sonst werden noch mehr Leute sterben, doch ich will nun versuchen, die Verluste kleiner zu halten. Wenn möglich, will ich sie verhindern."
Was wohl bedeutete, dass wir uns weit auf eigene Faust durch das Gebiet der Vettel schlagen mussten, während Miriaume in sicherer Entfernung zurückblieb. Denn es würde zu einem Kampf kommen, ob wir es wollten oder nicht. Niemand glaubte daran, dass die Sumpfvettel uns unbehelligt durch ihr Moor ziehen ließ, während wir auf eine Hexenjägerin warteten.
Einerseits verstand ich Miriaume. Fast die Hälfte ihrer Crew hatte in Ibo Leles verfluchtem Dschungel ihr Leben gelassen, und es war schwer genug gewesen, neue Männer auf der Insel der Canwy Roch, auf der wir nun angelegt hatten, zu rekrutieren, nachdem das Ziel der Reise der Lamente bekannt geworden war. Andererseits hätten wir mit der Kraft des Schiffes sicherlich eine größere Chance gehabt, die Vettel zu besiegen.
Miriaume las meinen wenig begeisterten Blick. „Tanqueray wird neue Männer finden, die euch unterstützen werden. Auch auf Barranthey gibt es wahnsinnige Narren, die es für intelligent halten, sich mit einer Vettel zu messen."
Ich schnaubte und trank einen großen Schluck. „Eher gierige Männer, die denken, dass Gintlemen-Gold ein Grund ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen." Ich ließ das Geld in meiner Tasche klimpern und grinste gezwungen. „Denn das ist es, leider."
Miriaume lachte. „Was man nicht alles tut für Gold."
Es würde hart werden, die Sumpfvettel zu besiegen. Selbst, wenn ich nicht wusste, was uns erwartete, nach den Untoten und den Pflanzenwesen im Dschungel, ahnte ich, dass die Sumpfvettel nicht minder mächtig sein würde. Während der Tage, in denen wir vom Grund nach Barranthey geflogen waren, hatte ich mich gefragt, ob ich mich auf der Insel der Roch nicht aus dem Staub machen sollte. Die unzähligen Luftschiffe, die an der Kante angelegt hatten, manche mit bunten Segeln unter dem Befehl des Fahrenden Volkes, andere mit den gewöhnlichen weißen der Handelsschiffe, hatten mich arg in Versuchung geführt. Ein bisschen von Tanquerays Gold in die Hand der Captans, und niemand hätte mich jemals wieder gesehen. Ich hätte mein Glück auf irgendeiner von den Göttern verlassenen Luftinsel suchen können. Irgendjemand brauchte stets einen guten Schatzjäger.
Doch ich hatte den Gedanken von Mal zu Mal verworfen, und ich wollte nicht ganz herausfinden, warum. Selbst, wenn ich es bereits wusste. Ich musste es nur beim Namen nennen, und etwas in mir sträubte sich dagegen.
„Manchmal verfluche ich mich dafür, dass ich nochmal zu der Hütte zurückgegangen bin, um nach einem Wegfinder zu suchen", sagte Miriaume düster. „Ohne ihn wäre unsere Reise hier vorbei."
„Tanqueray würde uns zurückscheuchen, nur um danach zu suchen", erwiderte ich und trank. Der Rum war noch stärker als der Gin. „Je schneller wir uns dieser Vettel stellen, desto besser." Die Zeit des Wartens auf dem Schiff, bis wir sie erreicht hatten, würde schlimmer werden als der Kampf selbst. Es war, als wartete man auf sein Todesurteil. Zumindest hoffte ich, dass dem so war. Und dass wir am Ende als Sieger hervorgehen würden.
Miriaume lächelte halb. „Der Kampf wird schneller kommen, als du es dir wünschst."
„So ist es mit Kämpfen, die man nicht ausfechten will." Ich zog eine Grimasse und trank erneut. „Der Rum macht mich wohl wehleidig. Ich sollte wieder Gin trinken."
Sie lachte auf und erhob sich. „Du solltest tanzen. Das hilft."
„Niemals", schnaubte ich angewidert. „Ich kann nicht mal tanzen."
Miriaume grinste und warf einen Blick zu der Menge der Roch. Ona wirbelte mit Valentina durch die Menge, ihre Schweife folgten ihr wie Flammen. Zwei paar junge Männer hatten sich bei ihnen eingehakt, nur eine Drehung lang, dann flogen sie bereits davon, getragen von Musik.
Der kurze Moment, in dem Ona ihre Hand in der des Mannes hatte, reichte, um mich an seiner Stelle zu wünschen, meine Finger in ihren verschlungen, im Rausch von Musik und Gin. Etwas stach in meiner Brust, und ich leerte hastig meinen Krug Rum, bevor er mich noch wehleidiger machen konnte.
Miriaume schlug mir auf die Schulter und verschwand zwischen den Wagen. Ich warf meinen Krug zu der Flasche in den Sand und blickte zu den Tanzenden. Ona lachte ausgelassen, Arm in Arm mit Valentina drehte sie sich und klatschte in Takt der Musik. Sie bewegte sich, als hätte sie nie mit gebrochenen Rippen und tiefen Schnitten im Unterholz des Vettelwaldes gelegen. Noch immer kratzten ihre Schreie und ihr Weinen, während sie im Bauch der Lamente gelegen hatte, den Arm grob ruhiggestellt, kaum in der Lage, sich zu bewegen, in meinem Kopf. Stets hatte sie meine Finger umklammert, als wäre es das einzige, was ihr half, vor Schmerz nicht wahnsinnig zu werden. Das, und die Schmerzmittel, die der Schiffsarzt ihr gegeben hatte. Doch nun, nach einem kurzen Besuch bei einer Priesterin der Roch, schien es, als wäre nie etwas geschehen.
Valentina sah zu mir, und selbst von hier konnte ich sehen, wie ihr Blick von fröhlich zu verschlagen wechselte. Ich verfluchte die Tatsache, dass ich keinen Krug mehr hatte, in den schauen konnte. Sie sprach kurz zu Ona, die Kitsune erwiderte etwas und ließ sich von einem der Roch fortziehen.
Valentina löste sich aus der Menge, nahm im Gehen zwei Flaschen Gin aus einer Holzkiste und trat zu mir. Mit einem durchtriebenen Grinsen setzte sie sich neben mich und drückte mir eine Flasche in die Hand. „Warum sitzt du hier allein?" Ihre Stimme klang nach Gin.
„Weil ich mich betrinken will, und dann werde ich schlafen und hoffen, dass es niemals morgen wird", erwiderte ich düsterer als beabsichtigt. Auch ich hörte mich bereits nach dem an, was ich getrunken hatte.
Sie hob eine Augenbraue. „Und du glaubst, dass es dadurch besser wird? Trink."
Ich zog den Korken aus der Flasche und nahm einen Schluck. Er war viel besser als der Rum.
„Weißt du", sie lehnte sich an mich, „Betrinken und schlafen und warten, dass niemals morgen wird, ist wesentlich besser, wenn man dabei nicht allein ist. Deswegen frage ich noch einmal: warum sitzt du hier allein und starrst zu Ona, als könntest du dich nicht satt sehen an ihr?"
„Ich starre sie nicht an!", widersprach ich, empörter als beabsichtigt.
„Oh doch, das tust du. Trink." Sie stieß meine Flasche mit ihrer an, und wir tranken. „Zugegeben, ich verstehe dich. Sie ist schon hübsch für eine Kitsune. Und ihr Fell ist so weich, dass ich dieses Drachenblut, das aus ihr eine Stola machen will, fast verstehen kann."
Ich prustete in meine Flasche.
Valentina lachte auf, so laut, dass ich beinahe taub wurde. „Ich finde, du solltest zu ihr gehen", sagte sie verlockend, nachdem sie sich wieder besonnen hatte. „Trink."
„Nur, wenn du mittrinkst."
Anstandslos nahm sie einen tiefen Schluck. „Sie würde sich freuen, wenn du zu ihr gehst."
Ich sah zu Ona, die nun allein in einem Kreis aus stampfenden, klatschenden Canwy Roch tanzte. Glöckchen klirrten, die Rufe der Roch hallten über den Platz. Wein spritzte aus der Flasche in ihrer Hand, doch es kümmerte sie nicht. Ihre Augen waren geschlossen, versunken in den Klängen von Fiedeln, Trommeln, Dudelsäcken und Lauten, ihre Pfoten wirbelten Staub auf.
Das Lied endete, und sie blieb schwungvoll stehen, die Roch jubelten. Schwer atmend sah sie zu mir. Sie fing meinen Blick auf und lächelte auffordernd, und ich senkte rasch meinen Blick wieder auf die Flasche. Ein Schatten der Enttäuschung huschte über ihr Gesicht, doch als die ersten Töne der Instrumente erklangen, warf sie sich wieder in die Musik.
„Geh zu ihr", sang Valentina in mein Ohr.
Ich legte mein Ohr an. „Ich kann nicht mal tanzen."
„Keiner von uns hat jemals tanzen gelernt. Es kümmert niemanden, ob du es kannst oder nicht. Du musst dich nur bewegen. Und so betrunken, wie du bist, ist es unmöglich, sich zu Musik nicht zu bewegen." Sie schnippte gegen meine Flasche. „Trink."
Ich gehorchte. Bald war die Flasche zur Hälfte leer. Ich musste zugeben, allzu schlecht klang Valentinas Vorschlag nicht. Die Musik zupfte an meinen Gliedern und ließ meine Pfoten kribbeln. Vielleicht war es auch nur der Gin.
Valentina seufzte tief und erhob sich. Schwankend hielt sie sich an meiner Schulter fest. „Master Herrera", lallte sie würdevoll und verneigte sich, „hätten Sie den Anstand, mit mir zu tanzen?"
Ich riss die Augen auf. „Nein!"
Sie lachte laut auf, packte meine Hand und zog daran. „Doch! Du wirst nun aufstehen und mit mir und Ona tanzen, denn ich werde nicht zulassen, dass du den vielleicht letzten Tag deines Lebens mit Herumsitzen verbringst!"
Der letzte Tag meines Lebens. Morgen würde ich gegen eine Sumpfvettel kämpfen, nur unterstützt von einem alten Mann mit einem Degen, vier muskelbepackten Schlägern und dem, was der alte Mann an miserabel bewaffneten Lebensmüden fand. Die letzte Vettel, der wir begegnet waren, hätte uns töten können, wenn wir etwas mehr Pech gehabt hätten. Jeder der toten Arkanen und Roch hätte auch ich sein können.
Normalerweise hätte ich einfach vor mich hingetrunken, bis ich an Ort und Stelle eingeschlafen wäre, um am nächsten Morgen mit einem schrecklichen Kater meinem Schicksal entgegenzutreten. Doch nun gab ich meinen Widerstand auf und ließ mich von Valentina auf die Beine ziehen. Ich strauchelte und fiel ihr beinahe in die Arme, doch sie machte einen schnellen Schritt zur Seite, und ich stützte mich auf einer weiteren Kiste ab. Gin rann über meine Finger, und ich leckte ihn fluchend ab.
Valentina lachte ausgelassen, packte mein Handgelenk und zerrte mich in die Meute aus tanzenden Leibern. Ein wenig sträubte ich mich, aus reiner Gewohnheit, dann folgte ich ihr.
Der Geruch nach Alkohol, Rauch und Schweiß packte mich wie eine Welle. Valentina stieß mich in eine Drehung, Feuer und Schatten und Farben verschwammen zu flackernden Streifen, und ich umklammerte den Flaschenhals, als wäre er das Einzige, was mich davon abhielt, zu stürzen. Ein Mann hakte sich bei mir ein und zog mich mit sich, die Ketten um seinen Hals flogen bei jeder seiner Bewegungen. Ich setzte die Flasche an und trank, der Wacholderschnaps flutete meinen Körper mit Leichtsinn und wischte jegliche Gedanken an Hexen und Tod fort. Es blieb die Musik, die plötzliche Energie, die wie das Serum des Hex durch meine Adern floss, der Wind in meinem Fell, das Flackern der Feuer.
Ich drehte mich und sprang mit den Roch, trank und sang mit ihnen, ich war schnell wie der Sturm und stark genug, um die Welt zu zerstören. Jeder konnte tanzen, ich konnte tanzen. Niemand würde mir gefährlich werden. Niemand würde es wagen, sich mir in den Weg zu stellen.
Ona. Plötzlich war sie bei mir, das Fell ihrer Hände war schwarz wie meine Mähne. Die Fingerkuppen meiner linken Hand ertasteten weichen Pelz und schlanke Knochen darunter, und ich wünschte still, ich wäre noch in der Lage, meinen Handschuh und die Armbrust abzulegen, um sie besser spüren zu können. Die Musik riss uns mit sich, Flöten und Geigen und Trommeln, peitschte um uns wie die See, ein Meer aus Klängen und Leibern, doch sie hielt mich fest, ließ mich nur für Bruchteile los, um sich stürmisch um sich selbst zu drehen. Ihr Schweif flog wie die Flammen der Fackeln. Sie schien wie eine Göttin des Feuers, mit tanzenden Schatten in ihrem Gesicht und glühend roten Fell. Der Gin brannte in meiner Kehle, als hätte sie ihn persönlich gesegnet.
Das Lachen und Klatschen der Roch, das Scheppern und Pfeifen der Instrumente verblasste, als hätte ich mein Hex aktiviert. Als hätte ich mein Leben lang Zeit, nur um ihr bei einer Drehung zuzusehen, die Hände gen Himmel gereckt, der Rock eine Wolke aus bunt kariertem Stoff, das Schimmern unter ihren halb geschlossenen Augenlidern, die weißen Zähne, wild gebleckt, als wollte sie es ebenfalls mit der Welt aufnehmen, die Pfoten in der Luft, angewinkelt im Sprung. Schweiß glitzerte in ihrem Fell.
Sie landete elegant, packte lachend meine Hand und zog mich in die nächsten Schritte, so schnell, dass ich kaum wusste, wer ich war, wo ich war, warum ich hier war. Die letzten Tropfen Gin rannen meine Kehle hinab, doch ich war nicht traurig. Ona war berauschender als jeder Alkohol auf der Welt. Ich ließ mich von ihr mitreißen, die Feuer wurden weniger, die Musik leiser, die Menschen blieben hinter uns zurück.
Sie blieb stehen, so plötzlich, dass mir schmerzlich bewusst wurde, wie sehr die Welt wirklich schwankte. Das Donnern der Trommeln vibrierte noch immer in meinen Eingeweiden. Jedes Haar auf meinem Körper kribbelte. Um uns war es dunkel bis auf den tanzenden Schein des Feuers, der unter einem Wagen hervorquoll. Schatten huschten daran vorbei. Der Platz musste direkt dahinter sein.
„Warum sind wir hier?", fragte ich ein wenig dümmlich. Überdeutlich wurde mir plötzlich bewusst, wie nahe Ona war, ihre Brüste streifte beinahe meine Rüstung. Mein Herz raste, so sehr, dass ich es in jeder Faser meines Körpers spürte. Der Boden schien unter mir zu kippen. Bei den Unheiligen, war ich betrunken.
Ihre Augen blitzten. „Weil ich nicht mehr tanzen will", sagte sie außer Atem. Sie trat auf mich zu und schlang ihre Finger um meine.
„Und... was möchtest..." Mit jedem Wort kam ich mir dümmer vor, also hielt ich den Mund und versuchte, etwas anderes zu tun, außer ihr entgegenzustarren. Sie war wunderschön, die Augen blitzend, das Fell bläulich in den Schatten. Dennoch konnte ich nichts tun, außer wie erstarrt vor ihr zu stehen.
Sie berührte meine Schnauze mit ihrer, und ich konnte nicht anders, als zurückzuzucken. Als hätte sie mir einen Stromschlag versetzt. Verwirrung huschte über ihre Züge, echte Unsicherheit, die meiner so ähnlich war. Ich überlegte fieberhaft, was nun zu tun war, doch in meinem Kopf schien die Banshee jemanden töten zu wollen.
Ona lächelte schief, löste eine ihrer Hände und legte sie auf meine Taille, dort, wo ich die Schnallen meiner Rüstung gelöst hatte, um mehr Platz zum Atmen zu haben. Ihre Hand war warm. Ich wollte, dass sie sie für immer dort ließ. Zugleich hoffte ich, dass sie sie wieder fortnahm. Mir war es fast peinlich, dass sie spürte, wie schnell mein Herz schlug.
Flink presste sie mich gegen die Plane hinter mir, plötzlich war das letzte bisschen Luft zwischen uns fort. Sie roch nach Gewürzen und Freiheit, und es setzte meinen Körper in Brand. Die Göttin des Feuers. Ihre Hände fuhren unter mein verschwitztes Hemd, pure Hitze auf mein vom Wind gekühltes Fell. Ihre Stirn lag an meiner, ihre Augen waren schwarze Seen, ihr schneller Atem strich über meine Nase. Sie roch nach Wein und einem Verlangen, das mich schrecklich einschüchterte.
Ein Lächeln ließ ihre weißen Zähne blitzen, und in jenem Moment wusste ich, dass sie alles spürte, was in meinem Körper vor sich ging. Alles. Mein Fell brannte vor Verlegenheit. „Komm mit mir!", flüsterte sie, und bevor ich etwas dagegen tun konnte, zog sie mich auch schon mit sich, die Finger um mein mit Leder umschlossenes Handgelenk geklammert, als rannten wir erneut durch ein Bordell eines Drachenblutes, über das Deck eines Luftschiffes, das von einem Wald angegriffen wurde.
Der Weg war nicht weit. Nur wenige Schritte, ein beiseite geschlagener Vorhang, ein flinkes Tänzeln, ein Stoß, und ich fiel rückwärts auf einen Stapel Decken. Eine Blendlaterne aus buntem Glas verströmte dämmriges grünes und rotes Licht. Ich hatte kaum einen Moment, um mich bequemer hinzulegen. Sofort war Ona über mir, ihre Hände kämpften mit den Schnallen meiner Rüstung, meinem Hemd, den Schläuchen des Hex. Ein Moment der Verwirrung verstrich, dann half ich ihr mit Kabeln, Gurten und metallenen Kontakten. Meine Hände zitterten so sehr, dass ich die feinen Schraubverschlüsse beinahe auseinander gerissen hätte.
Eine letzte Schnalle gab nach, dann fiel das Hex als Gewirr aus Leder und Metall auf den Teppich. Meine Armbrust, mein Handschuh und meine restliche Ausrüstung folgten. Ich kämpfte kurz mit den Knöpfen ihres Hemdes, sie zog es sich über den Kopf und warf es zu meinen Waffen. Sie zerrte mich zu sich, entledigte mich meines Hemdes und meiner Hosen. Flink löste sie den Gürtel um ihre Hüften, und der karierte Rock rauschte wie ein Wasserfall zu Boden.
Wunderschön und nackt stand sie vor mir. Ich konnte nicht anders, als sie anzustarren. Ihr Fell, dunkelorangefarben im Dämmerlicht, heller am Bauch, dunkler an den Händen und den Spitzen ihrer Ohren. Ihre schlanken Glieder, die dunklen Augen, das beinahe verlegene Lächeln. Ihre Finger strichen über meinen Hals, mein Schlüsselbein, wanderten meine Rippen hinab, streiften meinen Arm, dort, wo sie mich verbunden hatte, berührten meinen Hüftknochen.
Mein Fell sträubte sich, doch nicht vor Angst. Ich wagte es kaum, mich zu bewegen, als könnte eine einzige Bewegung den Moment zerspringen lassen wie Glas. Noch immer raste mein Herz.
„Du zitterst", flüsterte sie, ihre Augen funkelten.
„Aye", antwortete ich, unfähig, etwas anderes zu sagen. Meine Stimme bebte. Jeder Muskel in meinem Körper war angespannt, doch ich konnte nicht locker lassen. Ich fror und zugleich war mir wunderbar warm.
„Hast du Angst?", fragte sie milde belustigt, doch nicht spöttisch.
„Vielleicht", gab ich zu. Ich kam nicht umhin, mich dumm zu fühlen. Zum ersten Mal, seit ich denken konnte, wollte mich eine Frau nicht nur des Geldes wegen, und ich war unfähig, mich zu rühren. Bis auf mein Zittern, das sich standhaft jeglichen Versuchen, mich zu entspannen, widersetzte.
Der Alkohol war schuld. Er war es immer. Kurz erwog ich, ob ich nie wieder trinken sollte, doch ich entschied mich sofort dagegen. Ich würde ihn brauchen.
„Warum?", fragte sie.
Ich zuckte mit den Schultern, mein Beben verriss es zu einem Schütteln. Ich versuchte, mich zu entspannen, doch allein ihre Nähe war aufregend genug, dass es sofort zurückkam.
Sie hob die Hand und kämmte mit den Fingern durch meine Mähne. „Du musst keine Angst haben. Nicht vor mir."
„Das sagen alle, vor denen man Angst haben sollte", wisperte ich und biss mir im gleichen Moment auf die Zunge dafür.
Ona kicherte. „Du trittst einer Vettel furchtlos entgegen, aber vor nackten Frauen hast du Angst?" Sie sah mich an, ihre Augen blitzten. „Oder hast du etwa noch nie..."
„Nein!", wehrte ich hastig ab. „Natürlich hab ich schon... aber..." Mein Fell brannte vor Verlegenheit. „Ich glaube, ich habe noch nie jemanden nicht dafür bezahlt."
„Wenn es dir so angenehmer ist", sie hielt mir grinsend die Hand entgegen, „das wären dann hundert Aurai."
Ich wünschte mir, die Teppiche würden sich auftun und mich verschlingen. Verschämt senkte ich den Blick. Innerlich grub ich nach klugen Erwiderungen, doch mein Kopf war ein See aus Verlangen und Verwirrung und Gin. So, so viel Gin. Ich wusste kaum, wie Ona, die viel weniger vertrug als ich, noch so klar denken konnte. Oder vielleicht tat sie es nicht, und ebendies war der Grund, warum sie nackt mit mir in einem Roch-Wohnwagen stand.
Ona lachte auf, trat auf mich zu und legte mir die Hand auf die Brust. Ich spürte förmlich, wie mein Herz gegen ihre Finger flatterte. „Selbst wenn du denkst, du würdest dich zum Narren machen, du tust es nicht. Nicht hier. Nicht vor mir."
„Gerade hier. Gerade vor dir", murmelte ich. Einerseits wollte ich, dass sie aufhörte, zu reden, denn ich kam mir erneut schrecklich dumm vor, doch andererseits hätte ich mich mit dem Klang ihrer Stimme schlimmer betrinken können als mit Gin.
„Nicht vor mir", wiederholte sie. Sanft und doch bestimmt stieß sie mich erneut auf die Decken zu. Ich legte mich nieder, sie folgte mir, jede Bewegung gemessen, als spürte auch sie, wie zerbrechlich alles war, das schummrige Licht, die fernen Klänge des Festes, die Instrumente und das Gelächter. Ihre Finger hörten nicht auf, mich zu streicheln, die Narben an meinem Brustkorb, die Zwischenräume meiner Rippen, die Umrisse meiner Muskeln. Ich malte ziellose Muster in das Fell ihrer Taille.
Sie streckte ein Bein aus und setzte sich rittlings auf mich. Das Verlangen schoss wie das Serum des Hex in meine Adern, jedes Haar an meinem Körper schien unter Strom zu stehen. Sie beugte sich zu mir hinab, ihr Atmen war schnell, ihre Zähne streiften meinen Hals. Ihr Duft nach exotischen Gewürzen war überwältigend, ein Geruch von Freiheit und Lust. Ich spürte ihre Krallen in meiner Mähne, die Muskeln ihres Rückens unter meinen Fingern, ihr Gewicht auf meinen Hüften, sie war überall, und ich wollte darin ertrinken.
Jede Bewegung von ihr schickte süßen Schmerz in Wellen durch meine Glieder, weiter und weiter. Ihr Atem wurde schwerer, ein stöhnendes Flüstern an meinem Ohr. Ich hörte es kaum. Mein Herzschlag donnerte in meinen Ohren, tausendfach verstärkt vom Gin und dem immer kraftvoller werdenden Vor und Zurück ihrer Hüften.
Alles in meinem Körper zog sich plötzlich zusammen, zugleich schmerzhaft und wundervoll. Ich krallte meine Hände in ihre Oberschenkel und bog den Rücken durch. Heftig unterdrückte ich mein Stöhnen zu einem heiseren Ausatmen. Sie schnappte hart nach Luft und presste sich fester an mich, ihr Atem an meinem Ohr ließ mich schaudern.
Sie schlug die Augen auf und sah mich an, ein verschmitztes Lächeln um die Mundwinkel. Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig. Schweiß stand auf ihrem Fell. Ich zog sie wieder an mich, ihr Herz schlug ebenso schnell wie meines, ein einziges Stakkato.
Ona legte sich neben mich, ich ließ mich von ihr in die Arme schließen. Ihre Finger nahmen ihre Wege über meinen Körper wieder auf, ich konnte nur matt und atemlos dort liegen und mich von ihr streicheln lassen, als hätte sie jegliche Kraft aus meinem Körper gevögelt. Ihre Hände tasteten sich durch meine Mähne, fuhren die zackigen Kanten meiner Ohren entlang, über das Gold meiner Ohrringe, stachen sanft in die schwarzen Flecken an meinem Hals und wickelten sich meine schwarzen Strähnen um die Finger.
Kurz genoss ich die Stille und das leichte Ziepen an meinen Haaren. Sie legte ihr Kinn auf meine Stirn, ich schlang meinen Arm um sie. Nie, nie wieder wollte ich sie loslassen. Nicht einmal dann, wenn die Welt unterging. Vor allem dann nicht.
Langsam legte sich mein Zittern und wich einer dämmrigen Ruhe, tief wie der Ozean. Wenn ich es vermocht hätte, die Zeit anzuhalten, dann hätte ich es getan. Irgendwo, in den Untiefen der See aus Gin, warnte eine Stimme, dass sie nur nicht allein sein wollte, dass auch sie mich nicht um meinetwillen zu sich geholt hatte, denn warum bei allen Unheiligen würde sie, eine wunderschöne Kitsune, sich einen versoffenen, feigen, gierigen Karr ins Bett holen, doch jedes Streicheln zerrieb meine Bedenken mehr zu Staub. Denn ich wollte sie. Nicht als Hure, als Abenteuer für eine Nacht. Sondern als eines, in dem ich den Schatz, den ich gesucht und gefunden hatte, für immer bei mir haben wollte.
Meine Finger fuhren ihre Taille hinauf, über die Rippen, die Schultern, den Nacken. Dann ihre Wirbelsäule hinab. Ich ertastete dünne Erhebungen auf ihrem Rücken, das Fell war bereits nachgewachsen, dicht und weich, doch ich spürte sie noch immer. Ich kannte solche Male. Peitschen verursachten sie, das wusste ich. Ich trug selbst einige, selbst wenn ich mich nicht erinnern konnte, jemals ausgepeitscht worden zu sein. „Woher hast du die?", flüsterte ich.
Sie schauderte, ihre Hände an meinem Kopf verharrten kurz. „Skovron. Jedes Mal, wenn ich mich gegen sie aufgelehnt habe, hat sie mich dafür bezahlen lassen. Wenn ich nicht getan habe, was sie wollte. Wenn ich die Freier nicht so glücklich gemacht habe, wie ich sollte. Wenn ich ausbrechen wollte, und sie mich dabei ertappt hat. Aber sie hat mich nicht gebrochen. So viele haben es vor ihr versucht, und niemand wird es schaffen."
„Wer hat es versucht?" Mir fiel auf, wie wenig ich über sie wusste. Sie war nur eine Kitsune, der ich geholfen hatte, den Fängen ihrer Mistress zu entkommen.
„Andere Luden." Sie begann erneut, meine Mähne zu streicheln. „Vor der Katastrophe habe ich in Mikita gelebt. Davor auf Hanashima, einer kleinen Insel von Jade. Haus Canto von Hanashima."
Ich erstarrte. „Du bist von Adel?"
„Aye", bestätigte sie. Ihr Lächeln färbte ihre Stimme.
„Aber wie..." Ona war von Adel. Ich, ein Karr, geboren aus den Trümmern eines Luftschiffes und dem Feuerregen von Ashenfall, lag nackt im Bett mit einer Adeligen aus Jade in einem Roch-Wohnwagen. Bei den Unheiligen. Die Gier flüsterte etwas von Lösegeld, das Einzige, von dem ich wusste, dass Adelige dazu gut waren, und von scheinbar einfachen Aufträgen, die stets damit endeten, dass man sich Gefahren ausgesetzt sah, gegen die man kaum gefeit war. Mechanische Hunde. Feuergeister. Banshee.
Sie kicherte. „Du musst keine Angst vor mir haben. Die Katastrophe hat mir alles Adelige genommen, was ich je hatte." Es klang trocken, doch ich ahnte, dass sie darunter nur ihren Schmerz verbarg. „Ich hatte gerade meine Heimat verlassen und das erste Jahr an der Akademie hinter mich gebracht, als die Dämonen die Welt zerschlugen. Ich hatte das Glück, auf einem jener empor geschleuderten Felsen zu sein, die später zu Wolkeninseln wurden. Anders als jene Teile, die in Lava und Meer versanken. Wir irrten monatelang umher, in der Hoffnung, andere Überlebende zu finden. Ich wusste, dass Neshira irgendwo sein musste, gerade, als ich gehört hatte, dass Teile der Wolkenkathedrale, des größten Shinaru-Tempels, ebenfalls nicht versunken waren, und beschloss, sie zu suchen. Doch sie fanden uns."
„Wer?", fragte ich leise. Wirklich begreifen, dass ich mit einer jadenischen Fürstentochter im Bett lag, konnte ich noch immer nicht.
„Die Fänger", erwiderte Ona dunkel. „Sie haben alle gefangen genommen, derer sie habhaft wurden, und sie verschleppt. Die, die sich gewehrt haben, oder die sie nicht verkaufen konnten, starben." Sie wickelte meine Haarsträhnen um ihre Finger, und ich schauderte. Ob des angenehmen Ziepens oder der Geschichte, konnte ich nicht sagen. „Ich wurde an einen Luden verkauft, aber wollte mich nicht unterkriegen lassen. Ich habe einen Freier mit einer Hutnadel getötet und habe versucht, zu fliehen, doch sie haben mich wieder erwischt. Der Lude hat mich verkauft, und ich habe auch im nächsten Bordell versucht, auszubrechen. So ging es einige Monate lang, bis die Skovrons mich erstanden haben. Zuerst habe ich versucht, mich genauso aufzuführen wie in den anderen Hurenhäusern, doch dann habe ich begriffen, wer die Skovrons wirklich sind."
„Wer sind sie?"
„Die schrecklichsten Bestien, die die Katastrophe hervorgebracht hat", sagte Ona hohl. Schmerz und Grauen schimmerte in ihrer Stimme, und ich verstand, wie sehr sie das Drachenblut wirklich fürchtete. Sie hatte Todesangst vor ihm. Es musste sie viel gekostet haben, den Mut aufzubringen, einen weiteren Fluchtversuch mit mir zu wagen.
„Sie wird dich nicht kriegen. Diesmal passe ich auf dich auf. Ich... ich verspreche es dir." Mich verblüffte es selbst, wie ernst ich meine Worte meinte.
Erneut drückte sie ihre Schnauze auf meine Stirn. „Und ich auf dich. Der erste Mann, den ich freiwillig will. Und nicht, weil die Skovrons mir im Nacken sitzen." Sie sah mich an und kicherte über meinen verwirrten Blick. „Das ist etwas, worauf du stolz sein kannst." Ihre Stimme wurde sinnierend. „Die erste Hure, die kein Geld bekommt, und der erste Freier, den ich wollte. Ein tolles Paar sind wir."
„Du bist nicht meine Hure", sagte ich.
„Sondern?", hakte sie schelmisch nach, als wüsste sie, in welche Peinlichkeiten sie mich damit stürzte.
„Meine... mein... mein Schatz?", stammelte ich. Erneut begann mein Fell zu kribbeln.
„Der Schatzjäger hat einen Schatz gefunden, den er nicht zu Geld machen will." Sie verzog milde beeindruckt das Gesicht. „Ich sollte mich wahrlich glücklich schätzen."
Innerlich fluchte ich. Ona schien dazu geschaffen zu sein, mich in Verlegenheit zu stürzen.
Sie spürte mein Unbehagen. Sanft strich sie über die drei parallelen Narben in meinem Gesicht. „Woher hast du die? Sie sehen verwegen aus."
Ich hatte sie, solange ich mich erinnern konnte. Was nicht lang war. Seit ich aufgewacht war, zwischen verbranntem Holz und fallender Asche, prangten sie unter meinem linken Auge. „Ich weiß es nicht."
„Schon so viele Schlachten geschlagen, dass du dich nicht mehr erinnern kannst?"
Ich verzog das Gesicht. „Nein." Kurz zögerte ich. „Ich bin vor etwa drei Jahren aufgewacht. Mein Luftschiff war vom Himmel geschossen worden. Ich konnte mich an nichts mehr erinnern, außer meinen Namen. Ich habe mich zur nächstgrößeren Stadt durchgeschlagen. Ashenfall. Seitdem verdinge ich mich als Schatzjäger. Es fühlt sich an, als wäre es das, was ich schon immer getan habe."
Sie nickte langsam, als begreife sie nun eine Menge. „Hast du nie herausgefunden, was dir geschehen ist? Warum das alles passiert ist? Was du vor dem allem getan hast?"
„Doch, natürlich. Manchmal erinnere ich mich auch an etwas. Aber es sind immer nur Bruchstücke. Die Gintlemen haben mir erzählt, was in den ersten Jahren meines Lebens geschehen ist, doch schließlich bin ich aus den Aufzeichnungen verschwunden, bis ich in den Erinnerungen eines Kriegsgeschmiedeten wieder auftauche. Letztes Jahr bin ich mit Valentina in eine von Durenskys Fabriken eingebrochen. Die Gintlemen meinten, dass ich dort die Dokumente zu seinen Erinnerungen finde."
„Hast du sie gefunden?", fragte Ona gespannt.
„Aye."
„Was stand darin?"
Ich schwieg kurz. „Ich weiß es nicht."
„Hast du sie nicht gelesen?"
„Ich..." Unter meinem Fell brannte es. „Ich kann nicht lesen."
„Oh." Sie tippte mit den Fingern auf meine Schultern, als tanzten ihre Hände dort wie die Roch auf dem Platz draußen. „Hat niemand sie dir vorgelesen?"
„Nein."
„Warum nicht?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Ich denke, ich vertraue niemandem genug", murmelte ich. Laut ausgesprochen klang es noch dümmer als in meinem Kopf.
Wortlos erhob Ona sich. Sie fehlte mir sofort, kühl strich die Luft über die Stellen, wo sie mich zuvor gewärmt hatte. Sie rutschte zum Ende des Bettes und zog eine Tasche hervor, die ich als meine erkannte. Der Ordner war dick und schwer, die Kanten bereits zerknickt von all der Zeit in meinem nicht sonderlich sorgfältigen Besitz.
„Wo hast du den her?", fragte ich.
„Er war dort, wo du ihn abgelegt hast. In Valentinas Wagen."
„Wir sind in Valentinas Wagen?", fragte ich entgeistert.
„Das sind wir", bestätigte Ona vergnügt und schlüpfte wieder neben mir unter die Decke.
Ich schlang erneut meine Arme um sie. „Und wenn sie uns hier findet? Oder schlafen möchte?"
„Sie wird nicht hier schlafen. Das hat sie mir versprochen", erwiderte Ona listig und zog den Ordner zu sich. Kurz zögerte sie, doch ich wusste ihre Frage, noch bevor sie sie stellte. „Vertraust du mir?", flüsterte sie.
Ich haderte kurz, doch meine Antwort war klar. Ich wusste nicht, was geschehen würde, ob etwas geschehen würde, wenn ich von meiner Vergangenheit erfuhr. Doch vor niemandem außer Ona war ich bereit, mich dem zu stellen. Sie würde mich beschützen. „Aye."
Ona atmete tief durch und schlug das Deckblatt auf. Ich umklammerte ihren Körper, als würden mich die offenen Seiten in eine andere Welt reißen wollen, fort von ihr, und das würde ich nicht zulassen.
Es schien so einfach, wenn sie die Runen auf dem Papier entzifferte, als flüsterten sie ihr ihre Bedeutung ein. Ich versank in ihren Worten, hörte Geschichten über die Alte Welt, über Vampire und Luftschiffe, über Korruption und Macht und fliegende Städte. Intrigen. Energiekerne. Finstere Pläne. Geheime Kriege, die mit Geld und Worten gefochten wurden, und solche, in denen Schwerter und Pistolen sprachen. Dämonen. Magische Waffen. Wie ich zu dem wurde, der ich war. Namen, deren Bedeutung ich nicht kannte. Orikan. Dandelo Slobad. Durag el Slaad. Arcaul Herrera.
Ich lauschte Ona, bis ich von ihrer Stimme davongetragen wurde, und erwachte zwischen Decken und Papieren, meine Gliedmaßen mit Onas verschlungen. Blasses Morgenlicht schien durch eine Spalte zwischen den Vorhängen. Für immer wollte ich hier liegen, in der Stille von verklungener Musik und erloschenem Feuer, im Morgengrauen nach einer durchzechten Nacht. Mein Kopf schien aus in Wolken und Schlamm verborgenen Schwertern zu bestehen. Solange ich mich nicht bewegte, würde es nicht schmerzen. Ona schien zu spüren, dass ich wach war, und drückte sich fester an mich.
Still betete ich zu allen Unheiligen, dass die Zeit erstarren würde, dass ich für immer mit Ona hier liegen konnte, dass ich mich niemals einer weiteren Vettel stellen müsste. Doch sie erhörten mich nicht.
~
Inoffizieller Soundtrack: Tom Swoon - Shingaling (passt nicht ins Vintage-Feeling, aber zu der Trinkerei - where my Umbrelly Academy bitches atttt????)
https://youtu.be/ucy-k_c_ex0
und Knasterbart - Sauf mich schön.
https://youtu.be/RvLDoj_xTnk
Außerdem, ich, nachdem ich dieses Kapitel geschrieben hatte:
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