14. Zwei Bestien
Soundtrack: Danheim - Heilagr Domr. Ja, das Wasserplätschern passt nicht. Aber die düstere Stimmung.
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Sie fanden eine windgeschützte Nische, genug Platz zum Schlafen und für das Feuer, das Ana entfachte. Die Flammen ließen die Finsternis tanzen. Beinahe erwartete Neshira die Geister der Gotteskrieger aus der Dunkelheit springen zu sehen, oder das Lachen der Vettel im Wind zu hören, doch bis auf das Singen der Böen und dem Knirschen von Gestein war es still.
Neshira wärmte sich die Hände an ihrer Tasse und beobachtete Ana, die im Schein des Feuers ihr Schwert begutachtete. Ihre Haarsträhnen flatterten in den wenigen Windzügen, denen es gelang, zwischen die Felsen zu kriechen. Sie schien wie eine gewöhnliche Abenteurerin, die versuchte, den alten Tempel zu plündern, doch es war gemeinhin bekannt, dass es in den alten Shinaru-Tempeln selten mehr zu holen gab als Steine und Schatten. Sie waren der Mühen nicht wert, des Geldes wegen erkundet zu werden.
Ana führte sie nicht aus reiner Freundlichkeit zu dem Tempel, rief sie sich in Erinnerung. Sie tat es, damit Neshira Eleuthera für sie tötete. Und Durensky mit ihr. Doch sie glaubte ihr nicht vollends. Irgendetwas verbarg Ana, und Neshira wollte wissen, was es war. Sie erwog, erneut einen Wahrheitszauber auf sie zu wirken, doch verwarf es. Die wichtigsten Fragen hatte sie bereits gestellt. Schaden wollte Ana ihr nicht. Doch was sie wirklich wollte, ließ ihr keine Ruhe.
„Denkst du wieder an die Hexen?", riss Ana sie aus ihren Gedanken.
Neshira sah überrascht auf. „Warum?"
„Immer, wenn du über sie nachdenkst, hast du einen Blick, als wolltest du sie allein mit deinem Hass töten." Anas Augen blitzen im Feuer.
Neshira erwiderte ihren Blick skeptisch und doch amüsiert. „Wir ziehen kaum einen Tag umher, und es ist dir schon jetzt aufgefallen?"
„Es ist nicht sonderlich unauffällig." Ana nippte an ihrem Tee. „Was überlegst du?"
Neshira schwenkte ihre Tasse, weißer Dampf stieg auf. Fragen kletterten in ihrem Kopf übereinander, wanden sich wie die Mähne der Banshee und buhlten um ihre Aufmerksamkeit. Schließlich fragte sie, was ihr seit dem Grat im Kopf herumspukte. „Woher weißt du, dass Eleuthera nicht böse ist? Sie könnte Durensky freiwillig bei seinen Zielen helfen."
„Nein. Das würde sie niemals tun", wehrte Ana bestimmt ab.
„Wie kannst du dir da so sicher sein?"
Ana blickte ihr in die Augen. „Weil ich sie kenne. Einst war sie meine beste Freundin."
Neshira starrte sie an. Unter ihrem Mantel tastete sie nach ihren Wurfmessern, die Klingen waren eisig kalt unter ihren Fingern. „Sie ist eine Vettel", knurrte sie misstrauisch. „Eine mordende, skrupellose Hexe. Und sie ist deine beste Freundin."
„Sie war es. Du weißt sicherlich, dass niemand als Vettel geboren wird. Sie treten dem Zirkel bei..."
„Und ihnen wird ihr Vettelherz entnommen, das fortan als Quell ihrer Kräfte dient."
Ana schüttelte den Kopf. „Eleuthera war keine Vettel, als ich sie kennenlernte. Wir haben beide im gleichen Dorf gelebt und kannten uns, seit wir Kinder waren. Eines Tages wurde sie von einem Elf schwanger, einem fahrenden Söldner, in den sie sich verliebt hatte. Die Engelmacherin weigerte sich, ein elfisches Kind zu töten, aus Angst, verflucht zu werden, und so musste Eleuthera es zu ihrer Schande austragen. Sie floh in die nächstgrößere Stadt, verstoßen von ihrer Familie. Ich half ihr, bei Freunden unterzukommen, in der Hoffnung, dass sie sich dort ein neues Leben aufbauen konnte. Doch auch sie warfen sie schließlich mit ihrem Kind auf die Straße."
„Großartige Freunde." Neshira löste ihre Finger um die Messer und schenkte sich Tee nach.
Ana verzog das Gesicht. „Sie waren Bekannte meines Vaters, viel zu arrogant für ihren geringen Stand. Einige Zeit lang hat Eleuthera sich in den Untiefen der Stadt herumgetrieben, doch schließlich hatte sie Glück und bekam eine Stelle als Magd im Palast des Fürsten. Dann brach der Krieg aus. Durensky durchbrach die Mauern, tötete den Fürsten, nahm die Stadt ein und besetzte den Palast. Und dort fiel Eleuthera ihm ins Auge."
„Hat er sie gezwungen, seine Geliebte zu werden?", fragte Neshira angewidert.
„Er hat ihr den Hof gemacht. Sie hat sich dagegen gewehrt, sie wollte kein zweites Mal von einem Mann enttäuscht werden. Doch schließlich hat sie sich in ihn verliebt. Ob er sie schon damals beeinflusst hat oder nicht, weiß ich nicht. Eleuthera hat sich immer schnell verliebt." Ana lächelte traurig. „Sie ist mit ihm nach Cinderhall gegangen, die Stadt, die man heute als Cinderport kennt. Irgendwann hat sie wohl erfahren, mehrere Jahre später, in denen Durensky nicht alterte, was ihr Geliebter wirklich war."
„Ist sie nicht geflohen?"
„Nein. Sie liebt ihn als den, der er ist."
„Er hat sie kontrolliert."
„Vielleicht. Ihm, und anscheinend auch ihr gefiel es nicht, dass der Tod sie scheiden könnte. Sie verlangte von ihm, sie zu einem Vampir zu machen, auf dass sie bis zu ihrer Verdammung Seite an Seite leben konnten, und er weigerte sich. Er wollte ihr den Blutdurst nicht antun. Doch andere für seinen Durst zu töten, das schreckte ihn nicht im Geringsten", knurrte Ana verächtlich. „Sie haben lange nach einem anderen Weg gesucht, um Eleuthera ebenfalls unsterblich zu machen, ohne den unbeherrschbaren Hunger der Vampire."
„Und sie haben sich dazu entschieden, Eleuthera zu einer Vettel zu machen?" Neshira blickte sie zweifelnd an.
„Durensky hatte es bereits erwogen, doch es verworfen. Er wollte eine pure Unsterblichkeit für die Frau, die er heiraten wollte, eine, die nicht von dunkler Magie abhängig war. Doch dann brach der Menschenfresser in der Stadt aus und raffte die Bevölkerung dahin. Mehr als die Hälfte der Stadt starb an der Seuche, und sie machte auch vor den Palastmauern nicht halt. Und so erkrankte eine der wenigen Menschen im Palast, die Frau des mächtigen Vampirs." Ana lächelte lakonisch. „Wenn er nicht bereits zuvor nach einem Heilmittel gesucht hatte, um seine Bürger um ihres Blutes Willen zu retten, dann nun, um Eleuthera vor dem nahenden Tod zu bewahren. Die Seuche zerfraß ihren Körper und entstellte sie, doch seiner Liebe zu ihr tat dies keinen Abbruch. Bis er schließlich eine Vettel fand. Ammaura Hespane."
Schwarze Haut, verschmelzend mit der Nacht, in der sie lebte. Krallen, die wie aus dem Nichts nach ihr schlugen. Sie hatte die Nachtvettel erst gesehen, nachdem sie sie mit Kristallstaub erwischt hatte, eine schimmernde, grausame Gestalt mit verlotterten Haaren und raubtierhaften Zähnen. „Ich erinnere mich." Sie rieb über die halbmondförmige Narbe an ihrem Oberarm, wo die Hexe sie gebissen hatte. Zuweilen schmerzte sie bis heute.
„Sie schnitt Eleuthera das Herz heraus und band sie an die Seuche als ihr Habitat. Sie braucht nur Kranke, um sich an ihrer Macht zu nähren, sie ist nicht an einen Ort gebunden. Das Herz legte die Vettel ihrem Sohn Lucian, der all die Zeit versucht hatte, sie zu beschützen, in die Brust."
„Der Tänzer von Oren Mor." Sie hatte den Namen von Eleutheras Sohn nie gewusst. Er hatte ihn ihr nie verraten, egal, wie oft sie danach gefragt hatte. Er schien eine Bedeutung zu haben, doch sie wusste nicht, welche. Sie nahm sich vor, ihn danach zu fragen. Und, warum er Durensky nie eines Wortes gewidmet hatte.
„Zunächst versuchte Durensky, der Hüter ihres Herzens zu werden, doch die Vettel verlangte jemanden, der nicht bereits unsterblich war. Als Lucian begriffen hat, was seiner Mutter angetan worden war, ist er geflohen. Er hoffte, sie nie wieder sehen zu müssen." Ana tastete nach dem Rubin um ihren Hals. „Wir sind uns nicht unähnlich, Lucian und ich. Wir beide wollen Eleuthera erlösen, von dieser Seuche, die sich Durensky nennt. Doch während er schon aufgegeben hat und ihren Tod als letzten Ausweg sieht, um Durenskys Gier aufzuhalten", sie blickte Neshira in die Augen, „habe ich noch Hoffnung, sie zu retten."
„Sie ist eine Vettel, und so, wie es mir scheint, liebt sie diesen Vampir. Der ihr mit einem Wort befehlen kann, was er will." Neshira erwiderte Anas Blick abschätzig, selbst wenn der Zweifel an ihrem Herzen kratzte. Sie wollte die Hexen aufhalten, doch sie wollte die wahren Schuldigen töten.
„Wenn der Vampir tot ist, wird ihr niemand mehr etwas befehlen können", hielt Ana dagegen. „Er war es, der sie zu ihrer Macht brachte. Er machte sie grausam. Eleuthera kann niemandem etwas zuleide tun, doch er zwang sie zu töten. Nach ihrer wundersamen Heilung hat er ein Sanatorium errichten lassen, angeschlossen an den Palast. Es ist Eleutheras grausiges kleines Reich. Mit jedem, den sie dort mit ihren Seuchen dahinrafft, gewinnt sie an Macht."
„Warum setzt überhaupt jemand einen Fuß dort hinein?"
„Eleuthera kann Krankheiten nicht nur erschaffen, sondern auch heilen. Manche rettet sie vor dem Tod, wenn niemand sonst den Patienten noch helfen konnte. Es gilt als Ort der Wunderheilung. Doch viele der angeblich Geheilten sterben und reißen ihre ganzen Dörfer mit sich, sodass niemand weiß, woher die Seuche kam. Ammaura nahm sie in den Zirkel auf, und Eleuthera war mächtiger als alle anderen. Sie wurde die Anführerin des Zirkels, nachdem Ammaura ihr den Thron überließ. Zu jener Zeit muss Durensky begriffen haben, dass seine zarte Menschenfrau eine unbesiegbare Vettel geworden war, und setzte sie unter seinen Bann. Er begann, sie für seine Zwecke zu benutzen. Zu manipulieren." Ana straffte die Schultern. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie freiwillig all diese Menschen tötet."
„Macht verändert jeden. Eleuthera könnte ihn tatsächlich so sehr lieben, dass sie es für ihn tut", warf Neshira ein.
„Nein. Das würde sie niemals tun", erwiderte Ana überzeugt. „Er kontrolliert sie. Mit jedem Wort, das er spricht. Vielleicht war ihre Liebe einst echt, doch nun ist sie nicht mehr als sein Schoßhund. Eleuthera würde niemals Unschuldige töten, wenn niemand sie beeinflussen würde."
Neshira blickte sie an, die Stille breitete sich aus. Der Rubin an Anas Hals schimmerte im Feuerschein und warf rote Reflektionen auf die Felsen. „Du glaubst, dass Eleuthera ihren Hexenkräften entsagen würde, wenn Durensky sie nicht mehr zu seinen Gräueltaten zwingt."
„Ja."
„Hexen sterben, wenn sie ihre Kräfte verlieren."
„Nein. Ich habe einst gelesen, dass es möglich ist, die Verwandlung rückgängig zu machen."
„Wie das?", fragte Nesira skeptisch. „Ich habe schon von vielem gehört, aber noch nie davon."
„Kaum eine Vettel will es, deswegen tut es keine. Es ist schwer und schmerzhaft, doch es ist möglich. Man muss das Herz zu ihr zurück bringen, und ein Ritual vollziehen."
„Wie?"
„Ich weiß es nicht. Ich bin mir sicher, dass es in Eleutheras Zirkel jemanden geben muss, der es weiß."
„Ibo Lele."
„Wer?"
„Ibo Lele. Er ist Schamane, Nekromant und der einzige Mann in Eleutheras Zirkel. Er ist es, der die jungen Hexen zu Vetteln machte, nachdem Ammaura Hespane schwach geworden war." Neshira dachte an das, was der Tänzer von Oren Mor ihr über den Mann aus dem verfluchten Dschungel am Grund unter den Nebeln erzählt hatte, von Toten, die, geleitet von Lianen und schwarzer Magie durch den Wald strichen und ungebetene Besucher aufhielten, lange, bevor sie das Haus der Vettel fanden. Er war bekannt unter Hexenjägern. Kaum jemand hatte es je lebendig in und aus dem Wald geschafft. „Er wird es wissen."
Ana blickte ins Feuer, ein Lächeln auf den Lippen. „Dann werde ich ihn aufsuchen müssen."
„Nachdem wir den Tempel erreicht haben", fügte Neshira hinzu.
Ana sah zu ihr auf. „Wirst du mich begleiten?"
„Ich muss wohl." Neshira rollte sich unter ihrem Mantel zusammen. „Du hast gesehen, was du gegen die Hunde ausrichten konntest. Eine Vettel wird kaum leichter zu besiegen sein."
Ana lachte leise und lehnte sich gegen die Wand, der Schein des Feuers ließ sie wie ein mystisches Wesen wirken. Beinahe, als wäre sie selbst eine Shinaru in Menschengestalt. „Es werden Tage kommen, an denen du dich entscheiden musst, zwischen dem Todesstoß und Gnade", sagte sie nach einer Weile. „Hoffentlich entscheidest du dich für den richtigen Weg."
Neshira schloss die Augen. Die Banshee schlich mit den Hexen durch ihre Träume.
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Wer wissen will, woher ich Ammaura Hespane so offensichtlich geklaut habe:
[Hier müsste ein GIF oder Video sein. Aktualisiere jetzt die App, um es zu sehen.]
Ich fürchte, ich muss mehr Kurzgeschichten über Neshira schreiben. Viel mehr.
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