Schatten eines Reiters (10)

Emarce legte die Lederhandschuhe und die Leinbinden zum trocknen auf die Fensterbank. Kalter Wind pfiff durch das unbeglaste Fenster und kündigte die Nacht an. Beim Unterrock der Königin, das hatte länger gedauert, als sie geplant hatte.
Erschöpft schloss sie die Badezimmertür und lehnte sich dagegen.
Endlich war sie fertig...

Dann fiel es ihr siedend heiß ein:
Das Ross! Sie hatte, bei all der Hektik um den Ritter Schlachtreif vergessen!
Hoffentlich hatte das Barfäulein sich auch wirklich um die Box gekümmert!
Emarce überprüfte kurz, ob Feroci auch gut zugedeckt war. Er sollte sich nicht auch noch erkälten. Aber die Fledderin hatte wohl alles richtig gemacht, denn ihr Kriegsheld war fest in eine dicken Wolldecke eingehüllt.

"Gut.", murmelte Emarce, "Lauf mir ja nicht weg!"
Dann huschte sie aus dem Zimmer.
Hoffentlich war das verdammte Ross noch da.
Sie könnten Schlachtreif wirklich noch gebrauchen, wenn sie wieder Probleme mit der Garde hatte. Rösser waren einige der schnellsten Reittiere auf Tendämlow, selbst wenn sie so maltretiert waren, wie ihre Stute.

Die Fledderin rannte die Treppe herunter, schob sich durch die letzten Gäste in Cators Spelunke und stolperte auf die Straße. Es war mittlerweile völlig dunkel.
Ihr Herz klopfte wie wild.
Hoffentlich war das verdammte Vieh noch da!
Wehe, die Garde fand es in Wachtberg! Und die Garde war überall in Wachtberg, hatte sie hier doch ihren verschissenen Turm!
Wie hatte Emarce auch do dumm sein können, ihre hässliche Beute am Fluss alleine zulassen? Bestimmt wimmelte es da schon von Gardisten, die das Ross gefunden und zurückverfolgt hatten!

Die Fledderin stolperte die Böschung herunter und schlug sich durch das Fluss-Buschkraut.
Das verdammte Ross war nirgends zu sehen.
Bei den Titten ihrer Großmutter, möge sie in Ugdapaz Frieden finden, das durfte doch nicht sein!
"Schlachtreif!", flüsterte Emarce. Nichts geschah.
"Schlachtreif, komm schon!", zischte sie.
Panisch hob die Fledderin den Kopf, um besser sehen zu können. Zum Glück beeinträchtigte die Dunkelheit die Augen der Schattendämonen nicht...
Aber auch die Nachtsicht ihrer Dämonengruppe war nun keine Hilfe.

Nicht einmal der matte Schweif oder das schartige Horn des Rosses ließen sich blicken.
Fahrig fummelte Emarce nach ihrer Tasche, um ihr Reittier mit Fleisch zu locken.
Sie war nicht da.
Emarce Herz setzte einen Schlag aus. Ihr wurde heiß und kalt zugleich und eine lähmende Übelkeit breitete sie in ihrem Bauch aus.
Wo. War. Die. Tasche?
Da waren ihre Sachen drin.
Da war ihr ganzes Geld drin!
Xachofmist!
Ehlender, stinkender Xachofmist!
Panisch schossen ihre Augen in den Höhlen umher, bis ihr Blick auf ihr Fenster fiel.

Genau, beruhigte sie sich, sie hatte die Tasche bei Feroci im Zimmer gelassen.
Natürlich.
Es bestand kein Grund zur Sorge.
Sie musste nur das Ross finden, es wegsperrren und dann würde sie zu ihrem Geld zurückkehren.
All den schönen Misanom würde nichts geschehen.
Emarce legte sich die kühlen Hände an die Schläfen, um sich zu beruhigen.
Alles war in Ordnung.
Das Geld war da, genau wie ihre Ausrüstung und die Artefakte.

In Gedanken versunken begann sie ein Lied zu summen, das ihre Mutter vor langer Zeit gesungen hatte, wenn Emarce oder ihre Geschwister Angst gehabt hatten. Bevor sie eingezogen worden war.
Bevor man ihren Kopf und ihren Torso, das einzige was man von ihr gefunden hatte, abgetrennt von einander, in einer schäbigen Holzkiste zurückgeschickt hatte.
Von der heiteren Melodie angetrieben stapfte die Fledderin weiter. "Schlachtreif", rief sie, im Rhythmus des Liedes, "Komm schon, du hässliches Ding! Tante Marci hat dir eine schöne Behausung besorgt!"

Noch immer gab es keine Spur von Schlachtreif.
Summend sah Emarce zu Umbraes, wie immer wolkenverhangenem, Himmel auf.
Es war unwahrscheinlich, dass die Stute mit ihren verstümmelten Flügelen fliegen konnte.
Es war aber auch äußerst unwahrscheinlich gewesen, dass Feroci seine Stichwunde so lange überlebt hatte...
Sacht bließ der kalte Nachtwind von flussabwärts, wo der Öntros in den Graben am Wachturm mündete, herauf.
Er bließ Emarce' Haare aus ihrem Gesicht und trug den grässlichen Gestank der Hütten mit sich.
Die Fledderin rümpfte die Nase.

Plötzlich zog ein dunkler Schatten unter den Wolken vorbei.
Er war schnell, viel schneller als jeder Vogel und größer als alle Arten, die in Umbrae lebten.
Ein Ross.
Als es vorbei rauschte, schien der Wind nich kälter zu werden.
"Schlachtreif?", zischte Emarce und kniff die Augen zusammen, um den Schatten besser erkennen zu können.
Die Flügel des Tieres schienen intakt zu sein.
Trotzdem klebten die roten Augen der Fledderin praktisch an der Silhouette des Tieres, als es immer kleiner wurde und dem Turm immer näher kam.

Dann, als es ungefähr über den Hütten sein musste, drehte das Ross ruckartig ab und schoss in nordöstliche Richtung, so dass es die große Kriegsfeste Militarisk wohl knapp im Osten verfehlen würde, wenn es den Kurs hielt, davon.
Kurz streifte der Schein der Leuchtfeuer auf dem Wachturm das Tier.
Sein, vermutlich graues, Fell glänzte majestätisch. Die Federn schillerten. Das war ein wahnsinnig teures Vieh, vermutlich von irgendeinem Adeligen.
Einem mächtigen, wie einem Prinzen oder einem Grafen.

Aber es war nicht das Ross selbst, das Emarce zum stutzen brachte.
Es war das, was auf dem Ross war.
Das Licht des Turmes, so kurz es das Tier auch erfasste, enthüllte die Silhouette eines Reiters in einer glänzenden und funkelnden Rüstung. Ein Umhang flatterte um seine Schultern.
Alles an Ross und Reiter schrie geradezu vor Geld.
Garantiert ein Adeliger, oder ein großer Kriegsprofiteur.
Was trieb so jemanden dazu, die Türme der Garde zu meiden?
Die Garde war korrupt bis in die Spitzen ihrer Schwerter uns Speere, das wusste jeder.
Wie viel Dreck musste man als Adeliger wohl am Stecken haben, um so panisch vor einem Wachturm zu fliehen?

Emarce schüttelte den Kopf.
Bestimmt ein Kriegsverbrecher.
Einer von der üblen Sorte.
Vielleicht die Unholdin, die drüben, in Unity, ihre Kriegsgefangenen Pfählte und dann in Brand steckte, oder dieses faule Ei, das wohl in Neic Massenvergewaltigungen an der Bevölkerung anordnete.

Oder vielleicht war er ja von der anderen Seite.
Ein Spion für Vulnus und ihre grässlichen, Massenvernichtungswaffen herstellenden Fabriken, oder ein Handlanger der gefürchteten fahlen Tyrannin, die ihr eigenes Volk für Niederlagen der Armee mit Blut zahlen ließ.
Schaudernd wich Emarce einige Schritte zurück.
Sie hatte die gepfählten Leichen aud den Schlachtfeldern in Unity gesehen. Sie war durch die Trümmer der Städte gelaufen, die Fürstin Nereirfre in ihrem eigenen Kontinent Nordeis nieder gebombt hatte.
Ihr schauderte.

Plötzlich stieß ihre Hacke gegen etwas weiches. Mit einem spitzen Schrei gerit Emarce ins Stolpern und landete auf jener weichen Erhebung.
Frustriert schnaubend hob Schlachtreif den Kopf.
Ihre zottige Mähne hatte sich in ihrem schartigen Horn verfangen und sie sah die Fledderin an als wolle die sagen: "Weib, was wird das hier? Ich habe geschlafen!"
Der Dämonin entfuhr ein schrilles Lachen, mehr vor Erleichterung als vor Freude.
"Schlachtreif! Da bist du ja!", seufzte sie und schlang ihre Arme um den Hals des Rosses, das dies mit einem Schnauben quittierte.
"Nein, ich bin abgehauen, weißt du. Sei mal nicht so emotional!", schien das zu heißen.

Erneut lachte Emarce und verpasste dem Ross einen leichten klaps auf die Flanke. "Natürlich. Komm, Kleine. Ich habe ein besseres Plätzchen aufgetrieben, an dem du schlafen kannst."
Dann rappelte sie sich auf.
Schnaubend kam auch Schlachtreif auf die knochigen Beine.
"Folge mir.", befahl die Fledderin und marschierte zurück in Richtung der Straße.
Hinter sich konnte sie hören, wie das Ross durch das Fluss-Buschkraut trampelte. Majestätische, elegante Tiere - ja klar.

Die Straße war leer, nicht gerade verwunderlich, zu dieser Zeit, trotzdem war Emarce vorsichtig als sie mit ihrem Ross auf das Pflaster schritt.
Von der Nachtwache der Garde erwischt zu werden, war das letzte, das sie gerade gebrachen konnte.
Doch das Glück war ihr hold.
Keine Lampe und keine Gestalt in Rüstung ließ sich blicken.
Eilig führte die Fledderin Schlachtreif zu Cators Stallungen.
"Leise.", zischte sie der Stute zu. Man konnte ja nie wissen, welche Verrückten mitten in der Nacht durch den Stall geisterten.
Per mitten in der Nacht.
Warum war der Stall eigentlich nicht verriegelt?

"Da seid Ihr ja! Ich dachte schon, Ihr würdet gar nicht mehr kommen.", flötete plötzlich eine Stimme aus den Schatten.
Augenblick zog Emarce das Messer von ihrem Gürtel und stürzte sich auf deren Ursprung.
Mit einem quikenden Schrei ging ihr Gegner zu Boden.
Jetzt sah Emarce auch, wer sie da von der Seite angeplappet hatte:
Vor ihr, im Stroh, lag das kleine Barfäulein, dem sie aufgetragen hatte Schlachtreifs Box vorzubereiten.
Mit einem verächtlichen Grunzen verstaute die Fledderin ihr Messer wieder.
"Kannst du nicht aufpassen? Ich hätte dein Gesicht aufschlitzen können. Man tratscht... Dämonen wie mich nicht einfach von der Seite an."
"Tut mir leid.", winselte die Kleine und rappelte sich vorsichtig auf, "Ich... ich wollte Euch die Box nur selber zeigen. Weil Ihr gesagt habt, dass niemand davon wissen soll. Und dann seid Ihr nicht gekommen. Und dann... Da war dieser Reiter am Himmel. Habt Ihr den gesehen? Ich... ich glaube das war ein Frostdämon."

Emarce hatte der Kleinen gerade bedeuten wollen ihr endlich die Box zu zeigen, als sie inne hielt.
"Ein Frostdämon? Wie kommst du da drauf?
Wie wahrscheinlich ist es denn, dass sich einer von denen hier rumtreibt?"
Angestrengt versuchte die Fledderin sich den eisigen Klumpen, der sich gerade in ihrem Magen bildete, nicht anmerken zu lassen. Hatte sie sich nicht vor wenigen Augenblicken nich selbst gefragt, ob der Reiter wohl aus den frostigen Landen von Nordeis kam?
"Nun", setzte die Untergrunddämonin an, "Er hatte einen Umhang in einem fahlen hellblau um, mit einem zeichen draufgestickt, in fahlem Gelb. Sein Gesicht war auch blau, wie Eis. Hast du das nicht gesehen."

Einmal wieder verfluchte Emarce die vermaledeite Krankheit, die sie sich in Abaixo eingefangen hatte. "Nein, das muss mir wohl entgangen sein.", murmelte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
"Kingt aber nach einem Frostdämon, oder?", haakte die Kleine nach, während sie Emarce und Schlachtreif tiefer in den Stall führte.
"Ja, das tut es.", antwortete die Fledderin nachdenklich, "Nach einem Wichtigen."
Ein adeliger Frostdämon in Umbrae, was sagte man denn dazu? Das versprach noch interessant zu werden.

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