Kapitel 4

Nachdem er sich nun schließlich ein zweites Mal umgezogen hatte, machte sich Moorio schnellen Schrittes auf dem Weg in den kleinen Vorhof seines Anwesens. Dort wartete Nyro mit ein paar seiner Unbefleckten auf seinen Herren. Zumindest sah der Plan das so vor.

Er war gerade durch die Tür des Ankleidezimmers hinaus in den Flur getreten, da fiel ihm auf, dass die Sonne mittlerweile untergegangen war. Wolken verdunkelten den Himmel und es hätte Moorio nicht verwundert, wenn es angefangen hätte, zu regnen. Außerdem war es kälter geworden.

So wie das Wetter plötzlich gekippt war, war auch Moorio's Stimmung gekippt. Er hätte es nicht geglaubt, aber er fühlte sich tatsächlich etwas schuldig für den Verrat an seinem Cousin.

Meine Kleine hat gestern ihre ersten Schritte getan. Wieso wollte ihm dieser Satz nicht mehr aus dem Kopf gehen? Er war jetzt zu weit gegangen, um noch umkehren zu können.

Nachdem er ein paar Minuten durch die Gänge seines Anwesens gewandert hatte, kam er schlussendlich in seinem Vorhof an.

Er duckte sich unter einem der großen, grünen Blättern von einem der vielen, kleinen Bäume in seinem Vorhof, hinweg und lief auf seine Sänfte zu. Nyro und vier seiner Unbefleckten standen in der Nähe der Sänfte und hatten Moorio mit ihren Augen fixiert.

,,Ist er schon verladen?'', fragte Moorio den Anführer der Unbefleckten.

,,Ja, das ist er.'', antwortete Nyro mit dem Tonfall, der einem nichts darüber verriet, was in dem Eunuchen vorging. Normalerweise mochte Moorio so etwas nicht. Der Kaufmann wusste gerne, was in den Menschen vorging, denen er gegenüber stand. In gewisser Weise half ihm das seinen Gegenüber zu durchschauen. Nyro konnte er nicht durchschauen. Moorio verglich den Unbefleckten gerne mit einer unbeweglichen Mauer. Aber in Nyro's Fall war das auch nicht schlimm, denn der Eunuch war der Einzige, dem Moorio, ausgenommen sich selbst, wirklich vertraute.

,,Gut. Verschwenden wir keine weitere Zeit. Lasst uns aufbrechen.'', befahl Moorio dem Eunuchen und seinen Männern. Nachdem diese als Zeichen, dass sie verstanden hatten, genickt hatten, ging Moorio auf seine Sänfte zu, zog die purpurnen Vorhänge zur Seite, stieg ein und ließ sich auf die großen, flauschigen Kissen sinken.

Keine Minute nachdem er in die Sänfte eingestiegen war, setzte sich diese auch schon in Bewegung. Da die Vorhänge der Sänfte zugezogen waren, sah Moorio nicht, was außerhalb der Sänfte passierte. Er konnte es höchstens anhand der Klänge erahnen.

Anstatt sich also auf das zu konzentrieren, was außerhalb der Sänfte passierte, fokussierte Moorio seine Aufmerksamkeit auf den noch bewusstlosen Erion, der ihm gegenüber in der Sänfte saß. Nyro und die anderen Unbefleckten hatten ihn, sowie Moorio es ihnen befohlen hatte, in Ketten gelegt. Darüberhinaus hatte man seinen Mund mit einem Tuch gestopft. Sein Gesicht und seine Kleidung waren noch immer von Blut und Wein besudelt.

In gewisser Weise bemitleidete Moorion seinen Cousin. Der arme Narr war von Anfang an nicht mehr als ein Spielball für Moorio gewesen und nun wurde es Zeit diesen Spielball fallen zu lassen.

Plötzlich regte sich Erion. Das geschah so sehr aus heiterem Himmel, dass Moorio kurz zusammenzuckte, bevor er sich wieder gefasst hatte.

Langsam öffnete Erion die Augen, blinzelte zweimal und schaute sich dann um. Als nächstes bemerkte Moorio's Cousin die Ketten, mit denen er gefesselt war. Kurz versuchte er sich zu befreien, versuchte seine Arme frei zu bekommen und verursachte dabei ein lautes Rasseln. Nach wenigen Momenten merkte er, dass es nichts brachte und das Rasseln verstummte. Als Erion schließlich das Tuch, in seiner Mund, und Moorio erblickte stahl sich Entsetzten auf sein Gesicht.

Irgendetwas wollte er sagen, doch kein Wort drang durch das Tuch. Eigentlich hatte Moorio vorgehabt, seinen Cousin nicht reden zu lassen, schließlich wollte er kein schlechtes Gewissen haben. Doch so wie Erion jetzt aussah, machte er Moorio sowieso schon ein schlechtes Gewissen.

Also beugte sich Moorio vor und zog seinem Cousin das weise und zum Teil von Spucke durchdrängte Tuch aus dem Mund.

,,Gern geschehen.'', war die einzige Erklärung, die er seinem Cousin gab.

Erion's blaue Augen fixierten Moorio und er öffnete erneut den Mund. Dieses Mal brachte er tatsächlich stockend ein paar Wörter über die Lippen: ,,Wieso hast du das getan?''

,,Na warum wohl? Es muss so aussehen, als wäre ich loyal.'', erklärte ihm Moorio leicht genervt. Erion war wirklich nicht der schnellste Denker. Allerdings war das auch der Grund, warum Moorio sich Erion als Partner für das Komplott ausgesucht hatte.

,,Loyal gegenüber wem?'', fragte Erion nun vollkommen verwirrt.

,,Dem Archon und dem Rat der Neun natürlich.'', klärte Moorio seinen verwirrten Cousin auf. Als dieser realisierte, auf was Moorio die ganze Zeit über hingearbeitet hatte, weiteten sich seine Augen noch mehr vor Entsetzten. Doch dann wurde sein Entsetzten von einer anderen Emotion abgelöst. Wut.

,,Deine Loyalität sollte deiner Familie gelten!'', schrie Erion Moorio wutentbrannt an und verteilte dabei seinen Speichel in der nicht besonders großen Sänfte.

Moorio lachte bitter auf und wischte sich den Speichel in seinem Gesicht mit seinem linken Ärmel ab. ,,Soweit ich mich erinnere, war dein Vater nie loyal gegenüber meiner Mutter und mir.'', erwiderte Moorio und nun spürte er selbst, wie die Wut in ihm aufkochte. Doch er schaffte es, sie zu unterdrücken.

,,Also geht es dir eigentlich um Rache?'', wollte Erion wissen.

,,Nein, natürlich nicht. Du bist ja schließlich nicht dein Vater.'', antwortete Moorio entrüstet. Daraufhin verstummte Erion und eine Zeit lang sagte niemand etwas. Moorio musterte weiterhin seinen Cousin und versuchte herauszufinden, was in ihm vorging. Erion dagegen versuchte einfach nur Moorio's Blick auszuweichen.

So saßen sie einfach nur Minuten lang auf den Kissen der Sänfte und schwiegen sich an.

Doch schließlich ergriff Erion noch einmal das Wort: ,,Was wird jetzt passieren?''

,,Uns wird der Prozess gemacht. Allerdings wird dabei herauskommen, dass du mich die ganze Zeit über nur benutzt und erpresst hast. Dann wird ein Urteil über uns gefällt.'', erklärte Moorio seinem Cousin.

,,Ich könnte dem Archon und dem Rat erzählen, dass du eigentlich der Kopf hinter dem Komplott bist.'', sagte Erion selbstsicher. Versuchte er gerade wirklich Moorio zu Angst einzujagen?

,,Das könntest du natürlich machen. Ich weiß lediglich nicht, ob man dir das abkaufen wird. Du musst wissen, dass das alles so geplant war. Ich bin Derjenige gewesen, der uns an den Archon und den Rat verraten hat. Die denken, dass du hinter dem Komplott steckst.'', klärte Moorio seinen Cousin auf.

,,Du bist ein kranker Bastard!'', schrie Erion auf.

,,Nein. Ich bin dir nur lediglich ein paar Schritte voraus.'', erwiderte Moorio kühl. Erion's Gesicht färbte sich rot und er zog seine Mundwinkel wütend nach unten. Er blieb jedoch still und warf Moorio keine weiteren Beleidigungen an den Kopf. Wieder kehrte eisige Stille zwischen den beiden Cousins ein.

Nach einiger Zeit kam die Sänfte schließlich zum Stehen. Moorio konnte sich schon denken, warum sie angehalten hatten und keine fünf Sekunden später wurde sein Verdacht bestätigt, als Nyro's Stimme durch die purpurnen Vorhänge der Sänfte drang: ,,Wir sind angekommen.'', verkündete der Unbefleckte emotionslos.

,,Vielen Dank, Nyro. Ich bin sofort da.'', antwortete Moorio dem Unbefleckten. Er richtete sich auf, zog den Vorhang zu seiner Linken zur Seite, stieg aus der Sänfte aus und betrat einen großen runden Platz, in dessen Mitte sich Moorio's Sänfte befand. Gerade wollte er den Vorhang wieder zuziehen, als sich Erion doch noch einmal an Moorio wendete. ,,Wenn du mich schon auslieferst, versprich mir wenigstens, dass du meine Familie beschützen wirst.'', bat Erion ihn.

Moorio nickte ihm zu und sagte: ,,Ich werde schauen, was ich machen kann, um sie zu beschützen. Darauf hast du mein Wort.'' Als Reaktion schenkte Erion ihm ein schmales Lächeln, das sowohl seine Dankbarkeit als auch seine Angst ausdrückte. In diesem Moment wusste Moorio, dass Erion sich mit seinem Schicksal abgefunden hatte. Erst nachdem er sich von der Sänfte weggedreht hatte, bemerkte er, dass um ihn herum viele, viele Menschen standen. Die Maßen hatten sich vor die umliegenden Häuser postiert und quollen zum Teil aus den vielen engen Gassen, die sich zwischen den Häusern befanden. Sie alle besaßen unterschiedliche Hautfarben, waren unterschiedlich groß und breit gebaut und beobachteten schweigend Moorio, die Sänfte und die Unbefleckten, die Moorio hierher begleitet hatten.

Für Moorio war es offensichtlich, was diese Leute hier wollten. Sie waren auf ein Spektakel aus. Sie wollten etwas erleben. Es passierte schließlich nicht jeden Tag, dass so ein Prozess abgehalten wurde. Moorio selbst konnte es ihnen nicht verübeln. Wäre er nicht eine der Personen, die kurz davor stand angeklagt zu werden, würde er sich wahrscheinlich in der Menge befinden und sich auf eine spannende Abwechslung vom Alltag freuen.

Moorio ließ noch einmal seinen Blick über die Menschenmassen und die Stadt im Generellen schweifen. Von seinem Standpunkt aus konnte er die innere Stadtmauer sehen. Diese Mauer bestand aus schwarzem, zusammengeschmolzenem Drachenstein und war gerade deswegen ein atemberaubender Anblick. Ein letztes Mal atmete Moorio noch einmal tief ein und genoss die frische Meeresluft. Schließlich drehte er sich von der Stadt weg und wandte sich dem riesigen Gebäude zu. Dieses Gebäude war rechteckig und bestand aus weißem Marmor, der mit Sicherheit einmal atemberaubend ausgesehen hatte, mittlerweile aber zu lange nicht mehr gesäubert worden war, um wirklich noch hübsch auszusehen. Über der Mitte des Gebäudes befand sich eine große Glaskuppel.

,,Dann wollen wir mal.'', sagte Moorio seufzend, an Moorio gewandt, und lief über die einst weißen Marmortreppen hinauf zu dem Gebäude. Nyro und die anderen neun Unbefleckten liefen hinter ihm her. Am oberen Ende der Treppe warteten zwei Soldaten vor einer braunen Holztür. Als Moorio vor die Beiden trat, verschränkten die Wachen ihm den Durchgang, in dem sie ihre Speere vor der Tür kreuzten.

,,Was ist Ihr Begehren?'', fragte die linke Wache und fixierte Moorio mit seinen tiefgrünen Augen, durch die Augenschlitze seines Vollhelms hindurch.

,,Zufällig werde ich heute in diesem Gebäude angeklagt. Ich denke, es wäre nicht besonders gut für mich, nicht zu diesem Termin zu erscheinen.'', erläuterte Moorio freundlich und schenkte der Wache ein breites Lächeln. Diese rümpfte verachtend die Nase, zog jedoch sein Speer zurück. Die andere Wache tat es ihm gleich. Die Wache machte sich jedoch nicht die Mühe, Moorio auch noch gleich die Tür zu öffnen. Trotzdem bedankte sich der Kaufmann, öffnete sich selbst die Tür und trat in das Gebäude ein.

Von Innen betrachtet, sah das Gebäude tatsächlich schön aus. Das Gestein, aus dem die Wände und der Boden gemacht waren, war tatsächlich sauber und wirkte auf eine Art und Weise rein, die Moorio nicht erwartet hatte.

,,Moorio Mohornys. Man erwartet Sie bereits.", erklang plötzlich eine Stimme neben Moorio und der Kaufmann fuhr erschrocken herum.

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