Kapitel 1
Ygritte Stark saß in der vordersten Reihe in der Septe von Baelor und fühlte sich mehr als unwohl. Im Inneren der Septe war es, dank all den vielen Menschen, die dicht an einander in der Septe saßen, sehr heiß und dementsprechend stank es auch nach Schweiß. Es war Hochsommer und draußen war es schon heiß genug. Doch die Sonne schien unablässig und erbarmungslos auf die Septe und erhitzte diese noch einmal zusätzlich.
Ygritte hasste ihr neues Kleid. Es war ihrer Meinung nach zu eng (ihre Mutter hatte gesagt, sie solle es tragen, da es ihre Figur betonte) und sie bekam kaum Luft. Darüberhinaus hasste sie dieses helle Grün. Es passte weder zu ihrer Augen- noch zu ihrer Haarfarbe. Doch auch dafür hatte ihre Mutter eine passende Erklärung gefunden. ,,Das ist das einzige Kleid, in dem du nicht so blass aussiehst.'', war ihre Erklärung gewesen.
,,Entspann dich Schwester. Heute ist ein besonderer Tag, der noch lange im Gedächtnis des Volkes bleiben wird. Du siehst nicht so schlimm aus, wie du befürchtest. Das Kleid hebt das Beste an dir hervor. Kein Mann wird dir ins Gesicht schauen, wenn du deine Brüste so zur Schau stellst.'', sagte Ser Jon Stark, der neben ihr saß, amüsiert. Er war ihr älterer Bruder und dieses Gerede war typisch für ihn. Er war groß und breit, besaß dichtes braunes Haar, blaue Augen, in denen sich wohl jede Jungfrau verlieren würde, und hatte ein hübsches Gesicht mit hohen Wangenknochen. Manchmal konnte sie ihn wirklich nicht ausstehen.
,,Halt doch den Mund, Jon'', erwiderte sie verärgert. Sie mochte nicht, dass das Kleid so einen tiefen Ausschnitt hatte. Sie war doch keine Zuchtstute, die man einfach so zur Schau stellen konnte. Dieses Kleid verletzte ihren stark ausgeprägten Stolz.
,,Hört auf zu streiten! Heute ist der wahrscheinlich bedeutsamste Tag im Leben eures Vaters! Den wollt ihr ihm doch nicht ruinieren, oder?'', zischte ihre Mutter mit ermahnenden Unterton in der Stimme.
,,Nein, das wollen wir nicht, verehrte Mutter. Ich wollte meiner kleinen Schwester nur sagen, wie hübsch sie heute aussieht.'', sagte Jon mit einem warmen Grinsen.
,,Und dass alle Männer heute Nacht wilde Träume wegen mir haben werden.'', sagte Ygritte, die immer noch wütend war.
,,Das hast jetzt du gesagt. Aber ja, das werden sie vermutlich. Die meisten Lords meines hohen Vaters sind mit alten Schachteln verheiratet. Da kommt ihnen ein wohlgeformtes, junges Ding bestimmt gelegen.'', antworte Jon und konnte sich ein leises Kichern nicht verkneifen.
Ygritte wollte gerade etwas fieses erwidern, doch ihre Mutter schnitt ihr das Wort ab, als sie gerade zum Sprechen ansetzte: ,,Jon, du bist so ein Schwein! Dass du so etwas generell sagst, ist schon schlimm genug, aber auch noch im Angesicht der Götter! Das geht zu weit. Du wirst dich jetzt bei deiner Schwester entschuldigen und dann werdet ihr beide für den Rest der Zeremonie nicht mehr reden!''
,,Es tut mir leid, kleine Schwester. Ich hoffe du kannst deinem großem Bruder verzeihen.'', sagte Jon und schaute sie unschuldig an.
,,Du kannst dir deine Entschuldigung sonst wohin stecken!'', antwortete die Angesprochene wutentbrannt.
,,Ygritte!'', stieß ihre Mutter empört hervor. Doch bevor sie etwas hinzufügen konnte, wurden die Türen der Septe aufgeschwungen und ihr Vater trat, begleitet von der Musik der Trompeten, ein.
Brandon Stark sah nicht gerade stattlich aus, aber dennoch verstrahlte er Macht. Zumindest empfand es Ygritte so. Er kam in der Rüstung, die ihn berühmt gemacht hatte. Sie bestand aus silbernen Rüstungsplatten, die zum heutigen Anlass auf Hochglanz poliert worden waren. Um seine Schultern hing ein Umhang aus blauer Seide. Auf der Brustplatte prangte stolz das Wappen des Hauses Stark. Auf seinem Kopf trug er einen Helm in Form eines Kopfes eines Schattenwolfs dessen Kiefer ein Stück weit offen stand und so die Sicht für die Augen freihielt. An seiner rechten Seite hing Eis in der Scheide, das berühmte valyrische Schwert des Hauses Stark. Ygritte konnte sich noch zu gut erinnern, wie sehr ihr Vater mit ihr geschimpft hatte, als sie es sich einmal zum Spielen geborgt hatte. Sie hatte damals so sehr Angst gehabt, dass sie seitdem nie wieder ein Schwert angefasst hatte.
Ihr Vater schritt erhoben Hauptes in die Mitte der Septe. Dort wartete der hohe Septon auf ihn, inmitten eines Kreisbodens aus weißem Marmor, auf dem schwarz der siebenzackige Stern des Glauben abgebildet war. Der hohe Septon war ein kräftiger Mann mittleren Alters. Er trug ein prächtigen Einteiler aus weißer Seide, auf dessen Brust ebenfalls der siebenzackige Stern in schwarz abgebildet war. Auf seinem Kopf trug er eine hohe Kristallkrone. Für Ygritte's Geschmack war dies zu viel des Guten. Die Krone war viel zu groß und prunkvoll und gerade wenn Sonnenlicht auf sie strahlte, blendete sie einen sehr stark, wenn man sie ansah. In seiner einen Hand hielt er einen Krug, in dem sich das Öl befand, mit dem der hohe Septon ihren Vater zum neuen König der sechs Königreiche salben würde.
Schließlich hatte ihr Vater den hohen Septon erreicht. Als er vor ihm ankam, zog er sich den Helm aus, ging auf ein Knie und neigte leicht den Kopf nach unten. Den Helm legte er neben sich auf den Boden. Ygritte musste bei diesem Anblick leicht schmunzeln. Ihr Vater war nicht gläubig und wenn er es wäre, würde er viel wahrscheinlicher die alten, namenlosen Götter des Nordens verehren, zu denen schon seine Vorfahren gebetet hatten. Doch trotzdem kniete er nun dort in der größten Septe des Reiches und neigte den Kopf vor dem hohen Septon. ,,Religion ist wichtig. Du musst nicht an sie glauben, aber du musst sie akzeptieren und respektieren. Das ist ganz wichtig. Religion ist eine unglaubliche Machtquelle. Du musst nicht an sie glauben, aber du kannst sie benutzen, um die Massen zu steuern. Verstehst du das?'', hatte ihr Vater es ihr einst beigebracht. Damals hatte sie nur genickt und gehofft, dass ihr Vater sie mit diesem Gerede verschonen würde. Mittlerweile kannte sie die Wahrheit in diesen Worten.
Der hohe Septon begann zu sprechen. ,,Wir haben uns heute hier im Angesicht der Götter zu einem besonderen Anlass versammelt.'' , er zeigte auf die sieben Statuen, die um den Kreis herumstanden und die Köpfe nach unten gerichtet hatten, so als würden sie auf die Menschen herunterschauen. Sie alle versinnbildlichten je einen der sieben Aspekte des Gottes, der von so vielen Menschen in Westeros verehrt wurde. Die drei männlichen Aspekte des Gottes waren der Vater, der Krieger und der Schmied. Bei den drei weiblichen Aspekten handelte es sich um das alte Weib, die Mutter und die Jungfrau. Der siebte Aspekt war der Fremde. Dieser Aspekt war geschlechtslos und stand für den Tod. Als Kind hatte Ygritte ihn von allen Aspekten am meisten gefürchtet.
Der hohe Septon setzte seine Rede fort. ,,Denn heute werden wir unseren neuen König krönen. Er ist der Sohn des noblen Cregan Stark und hat den höchsten Anspruch auf den Thron. Er ist bereit das Erbe seines verehrten Vaters anzutreten und genau das wird er heute tun!'' Nachdem er den letzten Satz beendet hatte, brach in der Septe lautes Gejubel aus.
Der hohe Septon konnte erst einige Zeit später seine Rede fortsetzten, da der Jubel lange anhielt und nur langsam nach und nach nachließ. Der hohe Septon wandte sich nun an ihren Vater. ,,Bist du, Brandon aus dem Hause Stark, bereit den Segen der Götter zu empfangen?'', fragte er ihn.
,,Das bin ich. Mögen die Götter mich segnen.'', antwortete ihr Vater mit voller Inbrunst. Erneut hätte sie fast losgelacht, da sie genau wusste, dass ihr Vater diese Inbrunst nur zu Gunsten des Volkes vorgaukelte und daher konnte sie die ganze Situation nicht richtig ernst nehmen. Dennoch war herrschte Totenstille in Inneren der Septe.
,,So sei es.'', sagte der hohe Septon würdevoll und griff mit seiner freien Hand in den Krug. Er zog sie nach einem kurzen Augenblick wieder aus dem Krug und spritzte ihrem Vater das Öl ins Gesicht, das an seinen Fingern klebte. ,,Hiermit salbe ich dich, Brandon aus dem Hause Stark, im Angesicht der Götter zu Brandon, dem zweiten seines Namens, König der Andalen, der Rhoynar und der ersten Menschen! Möge deine Herrschaft lang und glückselig sein!''
,,Möge seine Herrschaft lang und glückselig sein!'', riefen die vielen Lords und Ladys, die in der Septe anwesend war. Jon, Ygritte und ihre Mutter Marrybeth fielen in den Ruf mit ein.
Nachdem die Menge verstummt war, trat ein Diener der Sieben in den Kreis, zu dem hohen Septon und dem neuen König der sechs Königreiche. Auf seinen Händen trug er ein rotes Samtkissen, auf dem eine goldene Krone lag. Sie war aus gelbem Gold und nicht besonders hoch. Sieben Zacken ragten in die Höhe. In jedem dieser sieben Zacken war ein kleiner, weißer Diamant eingelassen. Der Diener hielt dem hohen Septon das Kissen hin und dieser nahm die Krone vom Kissen. Feierlich setzte er diese ihrem Vater auf das Haupt. Sie passte perfekt. In diesem Moment freute sich Ygritte einfach nur mit ihrem Vater. Es war seit jeher sein größter Traum gewesen eines Tages den Thron der sechs Königreiche zu besteigen und diese Ziel hatte er nun erreicht. Die Menge brach erneut in Jubel aus, als der hohe Septon ihren Vater krönte.
Als die Menge sich wieder beruhigt hatte, nahm ihr Vater seinen Helm, klemmte ihn sich unter den Arm und richtete sich wieder auf. ,,Ich verspreche euch, ich werde ein guter König sein. Sowohl für die Adligen, als auch für das gemeine Volk. Der Glaube an die Sieben wird ein wichtiger Grundstein für meine Herrschaft sein. So werde ich veranlassen noch mehr Septen im ganzen Reich zu bauen, besonders in den entlegeneren Gegenden, damit jeder zu den Sieben finden kann. Während meiner Herrschaft wird Westeros erblühen und der Reichtum wachsen. Das verspreche ich euch!'' Und wieder einmal verfielen die Anwesenden in Jubel.
Nun wandte sich der neue König der sechs Königreiche an seine Familie. ,,Kommt. Die Zeremonie ist beendet. Ziehen wir uns in den roten Bergfried zurück.'' Er reichte seiner Frau, Marrybeth Baratheon, die Hand. Diese ergriff sie und er zog sie hoch. Jon und Ygritte erhoben sich gleichzeitig und gesellten sich hinter ihre Eltern.
Der König wandte sich ein letztes Mal an seine neuen Untertanen. ,,Die Zeremonie ist offiziell beendet. Ihr könnt gehen. Heute Abend werden wir alle gemeinsam feiern und auf die Zukunft von Westeros anstoßen!'' Unter jubelnden Applaus verließ die fast vollständige Familie Stark die Septe.
Draußen angekommen erwarteten sie noch mehr Menschen. Dutzende, wenn nicht sogar hunderte, Menschen standen unter den Treppen der großen Septe von Baelor und jubelten ihrem neuen König, seiner Familie und seine Vasallen zu. Überall hörte man Menschen jubeln und feiern. Ihr Vater winkte immer wieder und genoss die ganze Aufmerksamkeit sichtlich. Ygritte selbst ging das Alles zu weit. Hier waren für ihren Geschmack zu viele Menschen und zu viel Lärm. Doch als Mitglied der Königsfamilie hatte sie sich schon lange an große Veranstaltungen, viel Lärm und viele Menschen gewöhnt.
Am unteren Ende der Treppen der Septe standen mehrere Sänften, die dafür da waren, die Adligen zurück zum roten Bergfried zu bringen. Ygritte staunte darüber, wie gelassen die gewöhnlichen Menschen auf die offensichtliche Demonstration des Reichtums der Adligen reagierten. Gerade in den letzten Jahren unter der Herrschaft ihres Großvaters hatte das gemeine Volk schwer mit Armut zu kämpfen gehabt. Doch jetzt standen sie dort unten und jubelten ihnen zu.
Sie folgte ihrem Vater und ihrer Mutter und lief die Treppen hinunter. Der Jubel der Menge hielt an. Unten angekommen, half Brandon Marrybeth in die vorderste Sänfte und stieg dann selbst hinein. Die Sänfte bestand aus Holz und hatte seidene Vorhänge in den Farben der Starks. Jon bot ihr an, ihr in die zweite Sänfte zu helfen, doch sie lehnte ab und stieg selbst ein. Ihr großer Bruder folgte ihr. Gerade nach dem Vorfall in der Septe, war sie nicht gut auf Jon zu sprechen und fand die Aussicht, mit ihm nun in einer Sänfte zu sitzen, nicht gerade erfreulich.
Es dauerte einige Minuten, in denen eisige Stille zwischen ihrem Bruder und ihr herrschte, bis die Stimme ihres Vaters ertönte und befahl die Sänften zu bewegen. Daraufhin setzen sich die Sänften in Bewegung. Die ganze Zeit über wurden sie von dem Jubel begleitet. Das würde auch nicht besser werden, ziemlich befanden sich nicht alle Menschen der Stadt, die ihrem neuen König zujubeln wollten, vor der großen Septe von Baelor.
,,Ygritte.'', sagte ihr Bruder plötzlich.
,,Was möchtest du?'', fragte sie ihn abweisend.
,,Ich möchte, dass du mir verzeihst. Bitte. Was ich in der Septe gesagt habe, war doch nur als Scherz gedacht. Wenn es dich verletzt hat, dann entschuldige ich mich dafür.'', sagte ihr großer Bruder ernst. Ygritte wusste, dass er gerade meinte, was er sagte.
Sie blieb still und dachte über das nach, was ihr Bruder ihr gerade gesagt hatte. Sie wurde schnell wütend und verzieh nicht leicht. Das war eine ihrer Schwächen. Nachdem sie länger überlegt hatte, nuschelte sie schwer verständlich: ,,Entschuldigung angenommen.''
,,Das freut mich.'', sagte ihr Bruder und lächelte. Er wandte seinen Kopf zur Seite. ,,Dieser Lärm bringt mich noch um. Ich habe jetzt schon Kopfschmerzen.''
,,Geht mir ähnlich.'', sagte Ygritte und seufzte.
Die nächsten Minuten verbrachten sie in Schweigen. Von draußen hörte man ununterbrochen das Gejubel der Menge. Ygritte freute sich immer mehr auf ihr Zimmer. Wenn sie angekommen waren, würde sie sich dort hinbegeben, auf ihr Bett legen und in dem Buch lesen, das sie sich letztens ausgeliehen hatte. Das Buch war ein Bericht über den Krieg der fünf Könige. Der Bürgerkrieg der Westeros vor etwas mehr als hundert Jahren fast zerrissen hätte.
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ihr Bruder plötzlich anfing zu kichern. ,,Was ist denn so lustig?'', fragte sie ihn verwundert.
,,Ach, Ich musste gerade nur an Vaters Krönung denken. Findest du es nicht auch lächerlich, dass der hohe Septon ihn als den König der ersten Menschen betitelt hat?'', fragte er.
,,Was ist denn daran so lächerlich?'', fragte sie ihren Bruder verdutzt. Sie verstand nicht worauf er hinauswollte.
,,Na, denk doch mal nach. Maester Milandor hat doch immer damit geprahlt, wie schlau du bist. Kein Haus in den sechs Königreichen betet noch zu den alten Göttern und würde sich als Teil der ersten Menschen ansehen. Die einzige Ausnahme bildet Haus Schwarzhain. Und das gemeine Volk betet ausschließlich zu den Sieben. Die Meisten, die noch zu den alten Göttern beten, leben im Norden, der nicht mehr in den Herrschaftsbereich unseres hohen Vaters fällt. Verstehst du jetzt, was ich meine?'', erklärte er ihr, was er meinte.
,,Ja, jetzt habe ich es verstanden. Es ist wirklich unverschämt, wenn man genauer darüber nachdenkt. Würde ich im Norden leben, würde mich das sehr erzürnen.'', sagte sie.
,,Ich denke, die Nordmänner sehen das etwas entspannter als du.'', meinte ihr Bruder.
Die Sänfte kam plötzlich zum Stehen.
,,Was ist denn jetzt los?'', fragte Ygritte erschrocken.
,,Ich würde sagen, wir sind angekommen.'', antwortete ihr Bruder, sichtlich amüsiert über ihren Schreck. Damit zog er die Vorhänge zur Seite und stieg aus.
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