2. Das Glasauge

Der Gegenstand, welcher vor Alaiy auf dem Tisch lag, war ziemlich schmutzig. Das Glas trübe und hier und da klebte regelrecht der Dreck dran. Vorsichtig drehte und wendete sie den Gegenstand, bevor sie sich sicher war, mit was sie es wohl am besten putzen konnte. Die Einzimmerwohnung erfüllte wenig später der Geruch von Putzmitteln. Dieser lag unangenehm in der Nase und kratzte im Hals. Auch wenn Alaiy nur einen winzigen Tropfen des Mittels verwendet hatte, so hatte sich der Geruch schon überall ausgebreitet. Sie hoffte, dass der Geruch sich nicht wieder in ihre Möbel fraß und erst in ein paar Tagen verschwunden war. Vorsorglich hatte sie jetzt schon die Lüftung angeschaltet, auch wenn das ohne Miller komplizierter war, als sie gedacht hatte. Miller war zwar veraltete Technologie, doch trotzdem war sie etwas an das man sich gewöhnte. Die Lüftung gab einen lauten und fast schon kreischenden Ton von sich, während die Blätter darin sich drehten und auf der anderen Seite des Raumes frische neue Luft mit einem etwas leiseren Surren in den Raum gepustet wurde.

Gerne vergaß die Schwarzhaarige wie laut diese Anlagen wirklich waren, auch wenn sie diese regelmäßig nutzte. Der Raum besaß nämlich keine Fenster. Fenster gehörten leider auch mit zu einem Luxusgut. Wenn Alaiy überlegen würde, könnte sie noch viel mehr Dinge auf Anhieb aufzählen was in ihrer Wohnung an niedrigem Luxusgut fehlte. Ein Teeva zum Beispiel. Ein Gerät welches an einer Wand ein Fenster simulierte. Wirklich über die neusten Modelle auf dem Markt wollte Alaiy gar nicht nachdenken. Ihr reichte es schon zu wissen, wie die ältesten Modelle hießen, welche die Unterschicht benutzen musste. Ganz vorsichtig rieb sie mit dem Tuch über den Gegenstand. Sie hatte nicht vor ihn zu zerstören und wusste das man mit dem Putzmittel sehr vorsichtig umgehen musste. Zuerst entfernte sie mit dem ätzenden Zeug den gröbsten Dreck, bevor sie das Tuch sofort in die Müllklappe warf. Eine Installation, welches tatsächlich, dass modernste in ihrer Wohnung war.

Dann verwendete sie das Poliermittel, welches zum Glück nicht ganz so extrem in der Nase biss. Allerdings löste es ein Kribbeln in der Nase aus, das einen vermuten ließ, gleich Nießen zu müssen. Alaiy wusste nicht, wie lange sie daran saß, doch sie vermutete sehr lange. Ihre Uhr hatte erst kürzlich beschlossen den Geist aufzugeben und Miller welche ihre die Uhrzeit hätte sagen können war ja nicht an. Alaiys Glieder schmerzten. Ein Ächzen unterdrückend erhob sie sich. Sie streckte und dehnte sich ausführlich, bevor sie sich wieder setzte und den nun sauberen Gegenstand musterte. Es war ein gläsernes Auge. Ob es jetzt eines war für die Roboter der Gesellschaft oder tatsächlich eines der moderneren elektronischen Augen war konnte sie jedoch nicht sagen. Leicht erschauerte sie bei dem Gedanken ihre echten Augen gegen mechanische, nur wegen einer besseren Sicht, einzutauschen. Manche Technologie war ihr nicht geheuer. Dies lag aber wahrscheinlich eher daran, dass sie wusste unter welchen schlechten Verhältnissen die Teile hergestellt wurden. Das Glasauge konnte aber auch nichts Weiteres sein,, als ein einfaches Glasauge, welches für Spielzeug für Aufseher und Soldaten Kindern vorenthalten war.

Das Glasauge war, nun wo sie es geputzt hatte, wieder klar. Man erkannte, dass es in einen sanften Grünton gegossen wurde. Auch wenn etwas an dem grün seltsam war. Irgendwie schien etwas das grün zu durchziehen. Auf den zweiten Blick passte dies ganz und gar nicht zu dem Auge. Jedoch war es zu klein, als das Alaiy erkennen konnte um was es sich dabei handelte. Egal wie neugierig sie nun war, die Müdigkeit holte sie ein. Gähnend streckte sich die Schwarzhaarige, bevor sie das Glasauge wieder in ihre Jackentasche steckte. Dort war es auf einer bestimmten Art und Weise sicher und konnte von ihr nicht vergessen werden. Eigentlich hatte Alaiy einfach keinen Ablageplatz für das Glasauge. Generell hatte sie keinen Ablageplatz. Ihren Tisch und ihre zwei Stühle klappte sie nun zusammen, befestigte alles wieder an seinen Platz an der Wand, bevor sie ihr Bett aus dieser aufklappte. Der Tisch befand sich nun mitsamt den Stühlen auf der Unterseite des Bettes. Es war eben praktisch, platzsparend und vollkommen in die Wohnung intergiert. Und es war mitunter einer der wenigen Gründe, warum Alaiy sich diese Wohnung genommen hatte.

Auf der anderen Seite des Raumes befand sich ihre kleine Einbauküche. Altmodisch, wie eh und je stand sie dort und diente ihr hauptsächlich als Kleiderschrank. Alaiy besaß nicht viel. Dazu war sie einfach zu arm. Sie verdiente zu wenig Geld, um sich etwas leisten zu können, sowas wie Möbel zum Beispiel. Seufzend schmiss sie Miller wieder an, welche sofort aufgeregt die Wohnung wieder durchcheckte. „Sicherheit ist gewährleistet.", ertönte ihre Stimme und zeigte an, dass sie angeschaltet war und das Sicherheitssystem, zu dem sie gehörte, wieder keine Lücken aufwies. Die junge Dame hätte nichts dagegen gehabt auch ohne Miller zu schlafen, jedoch wusste sie, dass sie ohne externen Wecker nicht aufstehen könnte. „Miller, stell den Wecker auf fünf Uhr ein.", befahl sie und Miller gab ihren Erledigt-Ton von sich. Nachdem sie sich umgezogen hatte, legte Alaiy sich auf die Matratze. Irgendwie hatte sie das Gefühl, bald würde etwas Großes auf sie zukommen.

Miller weckte die junge Frau wie immer sehr unsanft in dem sie einen Ton in solch einer Lautstärke spielte, dass Alaiy aus dem Bett fiel. „Miller! Klappe!", knurrte sie und hatte in der Zeit, in der sie Tag und Nacht in dem Betrieb gearbeitet hatte, kein Stück diese Weckart vermisst. Schnell zog sie sich an und holte aus ihrem Kühler eine Tagesration. Das Röhrchen hatte sie schnell entfernt und drückte es an die entsprechende Stelle. Ein knirschendes Geräusch, bei dem die wiederverwertbare und wiederverwendete Plastikhülle nachgab, später, hatte sie ihr Essen im Mund. Der Geschmack des Breis erinnerte leicht an eine Tomatensuppe mit Hackbällchen, doch Alaiy wusste das dies künstlich hergestelltes Zeug war. Natürliches Essen, ja alles Pflanzliches war und blieb den reichen und hohen Menschen hier vorenthalten. In ihrem ganzen bisherigen Leben hatte Alaiy noch nie eine echte Tomate gesehen, geschweige denn sowas exotisches wie eine Orange, eine Kartoffel, Mehl oder ein echtes Tier. Als sie klein war hatte ihre Großmutter einmal davon vorgeschwärmt wie sich eine echte Karotte im Mund angefühlt hatte, denn diese hatte das Glück einmal eine Geschenkt bekommen zu haben. Nun aber war Alaiy allein. Von ihrer Familie war nur noch sie übrig.

Die Schwarzhaarige zog sich nachdenklich Mantel und Schuhe an und verließ fast sofort danach die Wohnung. Sie wollte gerne mehr über das Auge wissen und hatte deswegen beschlossen in die Bibliothek zu gehen. Wenn es wertvoll war, konnte sie es für einen guten Preis verkaufen. Der Weg war zu Fuß ein gutes Stück, aber eine Droschke konnte sie dafür nicht nehmen. Diese waren einfach zu teuer. Trotz dessen das früher Morgen war, ein so früher, dass noch nicht mal die Sonne richtig schien, waren sehr viele Leute unterwegs. Droschken mit metallenen, moderneren und nicht so modernen Pferden fuhren auf den Straßen der ärmlicheren Mittelschicht. Viele waren auf den Weg zur Arbeit. Zu den Arbeiten, bei denen man noch Zeit hatte nach Hause zu gehen. Alaiys Jobs, die sie bisher gemacht hatte, gehörten nicht zu dieser Kategorie. Das waren dann vierzehn bis achtzehn Stunden Schichten, je nach Arbeitgeber. Bei solchen Schichten blieb keine Zeit nach Hause zu gehen, es war einfach verplemperte Schlafzeit, die man hatte. Aus diesen Gründen stellten solche Arbeitgeber ihren Arbeitern sogar kleine Schlafkojen zur Verfügung und energiezuführende Nahrung. Einmal hatte Alaiy eine achtundzwanzig Stunden Schicht geschoben, bei der man nach diesen achtundzwanzig Stunden eine halbe Stunde hatte, um etwas zu essen. Für sich selbst hatte die Schwarzhaarige beschlossen, nie wieder länger als drei Tage nur von Eneg zu leben, anstatt richtigen Schlaf. Auf Dauer tat es ihr einfach nicht gut, dass Schlafergänzungsmittel zu sich zu nehmen.

Je länger sie durch die Straßen lief, desto moderner wurden sie. Die Häuser bekamen größere Fenster und auch die Straßen wiesen nun hier und da Technologie auf. An sich gab es in der Stadt zwei öffentliche Bibliotheken, eine Schulbibliothek und eine Bevölkerungsbibliothek. Erstere jedoch durfte tatsächlich nur von Schülern genutzt werden, weswegen sie in Alaiys Fall nun ausschied. In der Bevölkerungsbibliothek war sie noch nie gewesen. Gerne hätte die junge Dame diese mal besucht, doch bisher nie die Zeit dafür gehabt. Die Arbeit hatte sie noch während ihrer Schulzeit zu sich gerufen und danach hatte sie auch keine freie Zeit gehabt. Dies war wohl ihr erster unfreiwilliger freie Tag seit bestimmt zwei Jahren. Seitdem hatte sie immer zwei Jobs gleichzeitig gehabt, um nicht plötzlich wieder ganz auf dem Trockenen zu sitzen. Dass ihr nun beide Jobs direkt nacheinander gekündigt wurden, hatte sie nicht erwartet. Nun war es auch egal, ob sie noch einen Tag wartete, bis sie sich bei weiteren Firmen bewarb oder nicht. Ein wenig aus ihrem Arbeitsalltag herauszukommen wird ihr bestimmt nicht schaden.

Die Bevölkerungsbibliothek verstreckte sich in einem hochmodernen Gebäude. Dieses stand am Rande der Viertel, am Beginn der niederen Oberschicht und am Ende der höheren Mittelschicht. Schon fast staunend stand Alaiy davor. Das Gebäude hatte ein gläsernes, gewölbtes Dach, welches das Sonnenlicht der aufgegangenen Sonne mitsamt den hängenden Wolken reflektierte. Moderne, mannshohe Fensterfronten in einem besonderen eigenartigen Stil, welchen man im Vergangenen als eine Anlehnung ans Gotische bezeichneten würde, gaben dem Gebäude einen einreißenden Wiedererkennungswert. Der Bau war einladend gestaltet, doch für Alaiys Geschmack schon fast zu pompös. Unterschichtler würden sich nie trauen dieses Gebäue zu betreten. Auch wenn alle in der Gesellschaft Schulpflicht hatten und dementsprechend jeder im Stande war Bücher zu lesen. Die Türen des Gebäudes erkannten sofort Alaiys Absicht einzutreten und zogen sich ohne jegliches Geräusch in die Wände ein, um der jungen Dame Eintritt zu gewähren.

Der Eingang scannte Alaiy automatisch und begrüßte sie mit einem Willkommenston freundlich, als sie das Gebäude betrat. „Herzlich willkommen, neuer Leser! Bitte registrieren Sie sich zur Nutzung unserer Bibliothek bei einen unserer Mitarbeiter. Folgen Sie dazu bitte der gelben Ausschilderung.", nahm ein kleiner Bot die Schwarzhaarige in Empfang. Der Vorraum der Bibliothek war verhältnismäßig klein und drei ausgeschilderte Gänge führten in unterschiedliche Richtungen. Die Schwarzhaarige seufzte innerlich. Manchmal ging ihr das Registrieren doch ein wenig auf den Senkel. Zu gerne wäre sie irgendeiner anderen Schilderung gefolgt, doch sie wusste die Sicherheitsbots hätten sie sofort zurückgebracht und eine Strafe hätte sie auch noch obendrauf zahlen müssen. Also folgte sie den gelben Schildern und landete schließlich in einem kleinen länglichen Warteraum. Um die acht Stühle fanden darin Platz und ein kleiner Anmeldeautomat, jedoch definitiv nicht mehr. Drei Türen gingen am Ende des Raumes ab, waren aber alle fest verschlossen und besaßen wie eigentlich alle hochmodernen Türen keinen Knauf. Gerade so konnte man sich darin bewegen, ohne irgendwo anzustoßen. Sie drückte den Knopf zur Anmeldung.

„Kommen Sie herein, ich habe momentan keine weiteren Kunden.", ertönte fast augenblicklich eine zierliche Stimme durch eine Sprechanlage und die Tür gegenüber der Eingangstür öffnete sich, indem sie wie von Geisterhand sich in Luft auflöste. Der Raum, der nun folgte, hatte ebenso keinen wirklichen Charm. Hinter einem Tresen stand eine Frau mittleren Alters und wie ihre Stimme schon vermuten schien war sie sehr zierlich gebaut. Ihre Haut war blass. Hinter ihr und dem Tresen gingen rechts und links zwei Gänge entlang. Sie waren rund, sodass man keinen Einblick auf das hatte was dahinter lag. Allerdings hatte man direkt hinter der Frau ein Fenster, durch das man den gigantischen Ausmaß der Bibliothek erahnen konnte. Elko-Bücher, Bücher welche ursprünglich mal aus Papier waren, dann aber zu elektronischen umfunktioniert wurden, stapelten sich in meterhohen Regalen. Tausende ja Milliarden dieser Bücher konnte man erahnen. „Was kann ich für Sie tun?", fragte die Dame vom Empfangstresen und lächelte gemusst freundlich. „Ich habe heute frei und würde gerne deswegen die Bibliothek besuchen.", erklärte Alaiy und hoffte das dies schnell von statten ging.

Die Dame schaute auf ihren Bildschirm, der für Alaiy nicht sichtbar war, und nickte dann geschäftig. „Sie sind Gräfin, Alaiy, 427?", fragte sie und schaute nun die junge Frau an. Die Schwarzhaarige nickte: „Ja, das bin ich." „Wie ich sehe haben Sie noch keine Zugangsberechtigung zur Bibliothek. Sie müssen sich vorher registrieren und den Beitrag für ihre erhobene Nutzungszeit bezahlen. Ansonsten darf ich Sie nicht die Bibliothek betreten lassen.", erklärte die Dame und klang dabei schon fast mechanisch. Allerdings verrieten die Augenringe und das Arbeiterarmband, dass diese Frau ein echter Mensch war. Alaiy achtete nicht darauf, ob die Frau nun echt war oder nicht. Ihr weitaus größeres Problem war gerade, dass sie einen Beitrag zahlen sollte. „Wie hoch ist der Beitrag für einen Tag?", fragte Sie und überlegte fieberhaft wie viel Geld sie entbehren konnte. Wenn das Auge wertvoll war, hatte sie es ja im nun wieder drin. Wenn es kein hoher Betrag war, hatte sie ein Problem. „Es tut mir sehr leid, aber für einen Tag ist es nicht möglich. Das Minimum, das sie abschließen können, ist ein Jahresvertrag.", meinte die Dame und fuhr fort ohne das Alaiy fragen musste: „Der Beitrag wäre dann 365."

Das war verdammt viel Geld, zumindest für Alaiy. „Kann ich das in Raten zahlen?", fragte sie und nahm sich vor wirklich bald wieder eine Arbeit zu holen und dann, wenn sie den Jahresvertrag hatte, so oft wie möglich die Bibliothek zu besuchen. „Natürlich. Ihnen steht dabei jeder Betrag frei zur Verfügung. Ich empfehle aber 10er oder 25er Beträge.", erwiderte die Dame und Alaiy fragte sofort, ob man auch mit einem pro Tag zahlen könnte. Einen mehr oder weniger würde sie pro Tag nicht merken. Ein Name für die Währung des Geldes war nicht nötig. Denn man hatte das Geld nicht mehr in der Hand. Jede DNA hatte ein Konto und schlicht und ergreifend wurde mit diesem auch gezahlt. Zahlungsmethode lag ganz daran, was die Geschäfte zur Verfügung hatten. Dadurch, einfach weil man das Geld nicht mehr sah, hatte die Gesellschaft schon längst vergessen wie die Münzen oder Scheine hießen, mit denen sie elektronisch bezahlten. Nun war es nur noch Geld oder einfache Zahlen, die den Lebensunterhalt darstellten. „Arbeiten Sie denn?", fragte die Dame, nachdem sie bestätigte, dass Alaiys Betragswunsch möglich war. „Im Moment bin ich keinem Unterstellt.", antwortete Alaiy und ihr gefiel ganz und gar nicht, dass diese Frage gestellt wurde. „Dann müssen Sie leider den Vollpreis auf einmal Zahlen. Nur mit einer sicheren Arbeitsstelle darf ich Ihnen eine Ratenzahlung anbieten."

Äußerliche war Alaiy gefasst innerlich jedoch stöhnte sie Laut auf und warf ihren Kopf frustriert in ein Kissen. Nun konnte sie die Bevölkerungsbibliothek ganz vergessen. Konnte vergessen herauszufinden, ob das Auge nun wertvoll war oder nicht. „Wenn Sie nicht zahlen können würde ich Sie bitten zu gehen.", riss die Dame Alaiy aus ihren Gedanken. Die junge Frau nickte langsam und folgte steif dem gezeigten Weg, links an der Theke vorbei, nach draußen. Erst als sie unter dem mittlerweile weinenden Himmel stand konnte sie richtig durchatmen und schnappte nach Luft. Wo sollte sie nun Informationen über Glasaugen herholen? Der Regen prasselte fast schon wie eine schützende Umarmung, so als wolle er Alaiy trösten. Ihr machte es nichts aus, dass ihr Haar immer nasser wurde und ihr die Nässe bald in den Nacken kroch. Sie hatte sich vor der Tür auf die Bordsteinkante gesetzt und überlegte. Das Geprassel hatte ihr schon immer geholfen sich zu konzentrieren.

Die Passanten, höherer und mittlerer Schicht liefen kopfschüttelnd, ja, schon teilweise angewidert an ihr vorbei oder ignorierten sie. Keiner der Fußgänger wurde wie sie nass. Teilweise weil sie altmodische Regenschirme bei sich trugen, teilweise weil sie hochmoderne Regenschutzblasen um sich aktiviert hatten. Keines vom beiden besaß Alaiy, aber warum sollte sie auch? Weder ihre Kleidung noch sie selbst waren aus Zucker. Die Zeit hatte sie längst vergessen. Die Droschken und Ki-Käfer, wie die hochmodernen Fortbewegungskapseln hießen, hatte sie wie die Passanten ausgeblendet. Irgendwo brauchte sie einen neuen Anhaltspunkt. Seufzend erhob sie sich nach einer Weile, strich sich den Regen aus dem Gesicht und setzte sich erst stockend in Bewegung. Wenn sie hier keine Idee bekam, musste sie eben woanders suchen. Ihre Füße führten sie auf den Aufseher-Platz.

Zu dieser Tageszeit und vor allem beim Regen, möge dieser noch so sanft sein, war er nicht wirklich besucht. Vielleicht lag das aber auch noch an der Leiche des Mannes. Alaiy vermied es in die Richtung zu schauen, ja sogar zu gehen, denn ihr eigentliches Ziel war der Stadtplan. Der Stadtplan war eines der Dinge, die in jeder Stadt woanders zu finden war, denn der Aufseher entschied, wo er den Stadtplan den Bürgern bereitstellte. Viele hattes ihren am Haupttor stationiert, andere platzierten ihn in einem bestimmten höherschichtigen Viertel und wieder andere stellten ihn an den Ort, der am meisten besucht war. Hier hatte der Aufseher beschlossen ihn an den für ihn wichtigsten Ort zu montierten: Der Aufseher-Platz.

Die kleine metallene Kugel war gerade mal eine Kinderhand groß und stand unschuldig am vorderen Rande des Platzes, gegenüber des Plateaus. Alaiy hatte in ihrem Leben schon öfters ihre Hand über diese Kugel gehalten, als ihr lieb war. Der Stadtplan zeigte nicht nur die Stadt in ihrer ganzen Pracht an, sondern auch wenn man es wollte freie, mögliche Arbeitsstellen oder Wohnungen. Alle Funktionen der Kugel wussten die wenigstens. Wahrscheinlich nur die, welche sich das dicke Elko-Handbuch im Podest durchgelesen hatten, jedoch machte sich kaum einer diese Mühe. „Gräfin, Alaiy, 427.", sagte sie und spürte das sanfte Kribbeln, welches die Kugel verursachte, wenn sie die DNA scannte und untersuchte, ob gesagtes dazu gehörte. „Bestätigt. Willkommen zurück!", surrte die elektronische Stimme und die Kugel klappte sich auf. Das Hologramm der Stadt breitete sich im Miniformat vor Alaiy aus.

„Blende die Wohnungen aus.", befahl sie und augenblicklich verschwand jedes Wohnhaus von der Karte. Übrig blieben Geschäfte und öffentliche Gebäude. Das Hologramm war ein wenig verschwommen durch den Regen, jedoch konnte Alaiy genug sehen. Das Museum, dort war sie einmal mit ihrer Schule gewesen, würde ihr nichts bringen und die Bücherei konnte sie vergessen. Mit ihrer Hand verschob sie das Hologramm, drehte es, um die Stadt aus anderen Blickwinkeln sehen zu können. Plötzlich stach ihr ein kleiner Laden in die Augen. „Antiquitäten allerlei?", fragte sich Alaiy und war erstaunt darüber das in ihrer Stadt es überhaupt solch einen Laden gab, der sich halten konnte. Antiquitätenläden waren zumeist nur von reicheren Personen besucht. Personen, die sich gut erhaltene Dinge aus der damaligen Zeit leisten konnten. Jedoch hieß Antiquität auch, dass dort jemand arbeitete, der sich mit älteren Dingen auskannte und vor allem sowas wie ein Vergrößerungsglas besaß. Jemand den sie für die Wertschätzung bezahlen musste. Allerdings konnte sie das Auge dort vielleicht auch gleich verkaufen. Langsam nickte Alaiy.

„Ich denke, dort kann ich es versuchen."

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