15. Die Flucht

Mitten im Chaos der um sich tretenden Pferde, aufgewühlten Soldaten und Aufseher, die ihre Tiere versuchten einzufangen, gelangen die beiden so gut wie unbemerkt zu den Tieren, die ihre Sachen trugen. Auch sie tänzelten unruhig, doch ließen es zu, dass Alaiy ihre Tasche auch noch an die Sattel band. Ohne war sie leichter und schneller. Zu reiten war riskant doch die beste Lösung, die sie gerade parat hatten. „Die Rundläufer sind unsere Chance.", erklärte Fyn, während Alaiy ihm half die Pferde loszubinden. „Was sind die?", fragte sie und Fyn verzog vor schmerz das Gesicht, als er sich seiner Jacke entledigte und aus der Satteltasche eines anderen Tieres einen Bund Ersatzkleidung fischte. Alaiy folgte seinem Beispiel und stopfte ihren Mantel dafür in die Tasche. Sie streiften sich die Jacken über und würden nun noch ein bisschen besser im Chaos unter gehen. „Rundläufer laufen außen die Mauer ab, sie wechseln zur Nachtwache.", keuchte Fyn. Schweiß stand auf seiner Stirn. Es strengte ihn mehr als an gerade zu stehen.

Verstehend nickte die Schwarzhaarige und bildete eine Räuberleiter, damit Fyn auf den Rappen klettern konnte, ohne sein Bein großartig noch belasten zu müssen. „Wir schaffen das!", stimmte Alaiy sie beide Positiv und wollte gerade ebenso auf ein Pferd klettern, welches ihre Sachen trug, als Fyn sie aufhielt. „Steig auf das Graue dort drüben. Es ist das Pferd meiner Mutter und ich glaube, dementsprechend auch die Leitstute. Dem folgen alle." Alaiy schluckte. Sie spürte die Verantwortung und die Hoffnung von Fyns Worten, aber das Wurde schon werden. Eilig rannte sie zu dem Pferd herüber, zurrte es los und schwang sich auf dessen Rücken. Überrascht wegen des plötzlichen Gewichts stob das Tier in die Höhe. Laut wieherte es und zog durchs Steigen sämtliche Aufmerksamkeit auf sich, dann preschte es los. Alaiys hatte nur Sekunden gehabt sich in die Mähne des Pferdes zu krallen, ihre Beine so fest wie möglich an es zu drücken und ihr Gewicht auf dem Rücken zu halten. Der Ruck durchzuckte sie, beinahe wäre sie heruntergefallen.

Sie hörte Befehle, verstand Wörter wie „Ratte", „haltet" und „schießt". Sie hielt den Atem an ihre Sicht verschwand, doch Fyn hatte scheinbar recht gehabt. Ihr wurde gefolgte. Die Pferde hielten sich an ihr, folgten ihr, bildeten eine Mauer, einen Wall, denen die Soldaten dazwischen nicht gewachsen waren. Sie hörte Schüsse und drückte sich an das Tier. Sie schaute an dessen Hals vorbei zog am Haar es herüber, sie mussten auf die Mauer zusteuern. Das Tier folgte. Es folgte ihrer Bewegungen ihrem Gewicht, das sie in die Richtung legte. Der Zügel schlackerte nutzlos in der Luft. Er schlug gegen Alaiys Wange, hinterließ dort sicherlich einen schönen roten Striemen. Sie griff den Zügel drückte ihn an das Tier und lehnte sich wieder mehr über den Hals. Nun steuerten sie genau auf das Tor zu, welches sich gerade in diesem Moment in Bewegung setzte. Perfektes Timing. Sie hatte keine Möglichkeit zurück zu blicken. Dafür blieb ihr keine Zeit. Sie konnte nicht schauen, wo Fyn mit den Pferden war, die ihre Sachen trugen. Sie konnte nicht schauen, von wo aus auf sie geschossen wurde.

Die Schüsse jagten ihr um die Ohren, sie hörte wie manche der Tiere neben ihr getroffen zu Boden sanken, noch mehr Chaos in dem ganzen Tumult verursachten. Schwer schluckte sie, das Tor kam näher. Sie hörte, wie jemand schrie das es wieder geschlossen werden sollte. Sie wusste die Aufseherin würde es bestimmt auch als Telepathie Befehl durchgeben, doch da war es zu spät. Alaiy durchbrach das Tor übersprang die Soldaten, die dort standen und dankte dem Pferd dafür das alles ganz allein zu tun. Sie spürte, wie sie einen weiteren Soldaten zur Seite riss. Der nächste erwischte sie am Bein und wurde kurz mitgeschliffen, bevor ein Baum ihn zusammen mit ihrer Hose hinter ihr verschwand. Sie ritt eine Anhöhe hinauf. Dann passierte es. Getroffen wieherte das Pferd unter ihr auf, sackte mit einem Mal zusammen. Der plötzliche Stopp, ließ Alaiy vom Sattel fallen. Sie flog über den Kopf des Tieres hinüber, die Mähne fraß sich dabei in ihre Finger und dann landete sie unsanft im Gebüsch. Für einen Moment blieb ihr der Atem weg.

Sie atmete heftig ein, ihr Rücken schmerzte, doch sie rappelte sich auf. Nun wagte sie einen Blick zurück. Hinter ihr erstreckten sich die rennenden Pferde, sie stoben in Herden auseinander, doch Fyn konnte sie nicht erblicken. War er schon weg? „Alaiy!", hörte sie seine Stimme. Ihr Kopf ruckte zur Seite. Fyn stand nicht unweit von ihr entfernt. Neben sich trieb er gerade die Pferde mit ihren Sachen an. Er trieb sie mit schnalzender Zunge und einer Peitsche an, von der Alaiy nicht wissen wollte, woher er die auf einmal hatte. Fyn schaute sich dabei nach ihr um, in seinem Gesicht stand Panik. Sie wusste ohne sie würde Fyn mit seinem Bein nicht sehr weit kommen. Nicht unweit von ihm schnellte der nächste Schuss ein. „Hier!", brüllte sie zurück und erhob sich, um zu ihm zu sprinten. Sie würde Fyn nicht verlieren. Sie würde mit ihm diese Grenze überqueren. Mit diesem Mann den sie Familie nannte.

Das kohlegefärbte Haar wehte im Wind, wurde ganz knapp vom nächsten Schuss geschnitten, als Fyn sich zu ihr umdrehte. Das Adrenalin gab ihm die Kraft, die er brauchte zu laufen, zu stolpern, zu humpeln. Alaiy schloss zu ihm auf, sie ergriff seine freie Hand, die er zu ihr ausstreckte und beide begannen sie Richtung Grenze zu laufen. Die letzte Passage die sie erwartete. Ein kleiner Stacheldrahtzaun. Nichts das sie jetzt noch aufhalten würde. Alaiy zog Fyn mit sich. Sie war schneller als er, auch wenn ihr Rücken gerade protestierte. Die Schwarzhaarige hatte so viele Worte auf der Zunge, doch keine verließ auf nur ansatzweise ihren Mund. Sie musste atmen, Luft in ihre Lungen pumpen und überleben. Die Bäume und Büsche wurden schnell Lichter, die Pferde waren größtenteils eingefangen oder beruhigten sich und der Abhang, den sie hinauf steuerten, machte sie noch besser zu einem Ziel.

Der Boden brach teilweise unter ihnen weg, wenn Kugeln darauf trafen. Sie waren Freiwild. Freiwild auf einem offenem Feld. Die Angst durchstob Alaiy. Sie wusste nicht, wie sie es schaffte weiter zu laufen. Fyn mit sich zu ziehen. Es war ein ungelöstes Rätsel. Der Wind sauste zusammen mit den Knall der Waffen durch ihre Ohren, machte sie taub. Und dann waren sie endlich da. Sie hatten keine Zeit den Abhang hinter dem Drahtzaun zu studieren. Keine Zeit zu wissen ob sie den Sprung überleben würden oder nicht, aber jetzt war es egal. Für einen ganz kurzen Moment schaute sie nochmal zu Fyn, sah dessen Entschlossenheit in seinem Blick und dann sprangen sie. Der Stacheldrahtzaun, gab augenblicklich ihrem Gewicht nach, spröde wie er war und sie fielen in die Tiefe. Nach wenigen Metern wurde Fyn Alaiy schon entrissen. Sie kugelte sich zusammen, schlug über Steine und erde hinweg. Sie rollte den Abhang hinab. Sie spürte wie ihre Kleidung an einigen Stellen aufgerissen wurde, ihre Haut darunter, doch dann blieb sie liegen. Staub hatte sich in ihrer Lunge gesammelt, sie hustete, verschlang die Luft, welche sich schneidend in ihre Lungenflügel fraß.

Die Umgebung drehte sich. Alles drehte sich. Alaiy war schlecht. Über ihr war derer Himmel. Sie sah wie die Soldaten vom Abhang zurückgerufen wurden. Sie hörte, wie jemand rief: „Dort draußen sind die Ratten auch tot!" Und hässlich lachte. Vielleicht. Vielleicht waren sie das. Aber jetzt gerade lebten sie. Alaiy spürte den Schmerz, das abflauende Adrenalin. Sie hatten es geschafft! „Fyn?", krächzte sie und begann hustend zu lachen. Erleichterung durchflutete sie. „Wir haben es geschafft!", jauchzte sie und spürte Tränen der Erleichterung. Sie wischte sie weg, erhob sich vorsichtig. Erst rollte sie sich auf den Bauch. Sie wollte ihrem Körper jetzt so wenig wie möglich schaden. Der Boden unter ihr war sandig. Sandstein. Rötlich und strahlend hell erstreckte er sich unter ihr. So besonders, so anders. Weiß. Die Farbe des Friedens. Langsam ließ sie sich auf ihre Knie nieder und erblickte vor sich einige Pferde. Zwei lagen regungslos auf den Boden, während die anderen drei schnaubend um sie herumstanden. Drei Pferde. Sie konnte die Satteltaschen erkennen, erkannte ihren Rucksack und nicht weit von den Pferden entfernt den von Fyn. Ihre Sachen hatten überlebt, waren zusammen mit ihnen über die Grenze gekommen. Sie konnte ihr Glück kaum glauben.

„Fyn!", rief sie aus und schaute sich suchend um. Der Blonde lag einige Meter von ihr entfernt. „Fyn!", wiederholte sie und drückte sich vom Boden ab, um zu ihm zu kommen. Ihre Beine gaben aber sofort wieder nach, sodass sie im Sand landete. Sie hustete den Staub erneut aus ihren Lungen und krabbelte zu ihm. Ihre Hände und Knie schmerzten. Der Sand drückte sich in die offenen Wunden hinein, doch es war ihr egal. „Fyn?", fragte sie, während sie näherkam. Doch wirklich weit kam sie nicht. Wenige Meter vor ihm gaben ihre Beine und Hände erneut nach. Die Tränen des Schmerzes jagten in ihre Augen. Sie schleppte sich das letzte Stück und setzte sich dann hin. „Nein..." Das Wort stolperte aus ihrem Mund, die vorherige Euphorie war wie verschwunden. Da bildete sich Leere in ihrem Körper, ihr Kopf war leergefegt. Da war nichts mehr, während sie auf Fyn blickte.

Seine Augen starrten ausdrucklos ins Nirgendswo. Blickten in ein Land, das Alaiy nicht sehen konnte. Ein Land dem Alaiy entkommen war. Der beginnende Sternenhimmel spiegelte sich glasig in seinen Augen. War das einzig lebendige darin. „Nein...", schluchzte sie und schüttelte Fyns Körper. Sie drückte ihr Ohr an dessen Brust, schrie ihn an aufzuwachen, doch es war sinnlos. Der blutige, klebrige Sand verriet die Schwere der Verletzung, den Schuss der Fynn getötet hatte. Alaiy war allein. Und so fühlte sie sich auch. „Elender Idiot...", heulte sie und ließ sich neben ihn nieder. Sie lag neben ihm, bis die Sonne wieder am Horizont aufging. Bis die ersten Sonnenstrahlen ihr in die rotgeweinten Augen stachen, ihren Kopf wieder klarer werden ließen. Was sollte sie nun tun? Ohne Fyn? Sie hatte es sich die ganze Nacht gefragt, hatte die Augen des anderen geschlossen, der nun aussah, als würde er nur schlafen.

Die Pferde waren nähergetreten, hatten bei der Dunkelheit Schutz bei ihr gesucht. Ihr Körper zitterte, der von Fyn war über die Nacht ausgekühlt. Alaiy zog die Nase hoch, setzte sich vorsichtig auf. Ihr Blick fiel auf den Kompass, der bei Fyns Fall wohl aus dessen Tasche gefallen war. Vorsichtig krabbelte sie zu ihm und hob ihn auf. Die Pupille war weiter geöffnet, Alaiy betrachtete das Glasauge darin. Damit hatte es begonnen. Dieses Ding hatte sie und Fyn zusammengeführt. Es wunderte sie, das erneut Tränen ihre Wange hinunterliefen. Heute Nacht hatte sie sich Gefühl, als sei sie nicht mehr im Stande zu weinen, weil sie alle Tränen verbraucht hatte. Doch nun liefen sie ihr erneut über die Wange. Starr blickte sie auf den Kompass. Auf das Ding das Fyn so wichtig war und ihre Neugier geweckt hatte. Sie starrte den Abhang hinauf. Die Grenze. Sie hatte sie passiert. Sie war über sie gegangen. Zusammen mit Fyn.

Vorsichtig strich sie dem Antiquitätenhändler über den Kopf. Sie wusste, sie würde seine Leiche mitnehmen. Sie würde ihn an dem Ort begraben, an dem sie sich niederlassen würde, oder an einem anderen schönen Ort, aber nicht hier. Fest umschloss sie den Kompass und stand dann auf. Das Leben ging weiter. Alaiy lächelte, während sie der Sonne beim Aufgehen zuschaute. Sie hatte eine Mission die es zu Ende zu führen galt. Für sich und vor allem für Fyn. Fyn Herolius, der Alaiys Herz erwärmt hat.

„Dann brechen wir mal auf..."


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