Kapitel 30: Blätter
Gedanklich dem Gespräch mit Ziaeän nachhängend wanderte Rose durch die Gänge der Burg. Sie nahm nicht den direkten Weg von ihrem Zimmer zum Thronsaal sondern ging durch verschiedenste Seitengänge, Geheimtüren und versuchte auch sonst alles, um den Weg zu verlängern. Zu einer Treppe ging sie in das nächste oder übernächste Stockwerk, zu einer anderen verließ sie diese wieder und gelangte in die Saalebene zurück.
Ziaeän hatte sich selbst als ihre Freundin bezeichnet, das bedeutete dem Leben viel. Doch hatte sie auch dafür gesorgt, dass Da... Oemor so viel über sie herausgefunden hatte. Wohl auch in Zukunft würde sie sich noch Vorwürfe machen.
Irgendwann wurde sie dann jedoch von vertrauten Stimmen aus ihren Überlegungen geholt. Sie erkannte die Dunkelheit. Diese Stimme hatte schon oft zu ihr gesprochen. Dazu erkannte sie die Nacht. Klar, doch dunkel und kalt wirkte sie gerade. Rose fröstelte, als sie den Ernst in den Worten des Elements erkannte.
Sie sprachen über den Verrat, den Mord. Ihr Urteil über den Mörder hatten sie bereits gefällt. Es gab keine andere Möglichkeit als seinen Tod. Es sollte keine andere geben.
Rose war wütend auf Oemor und doch empfand sie zugleich Mitleid mit ihm. Er hatte sich erklärt. Er hatte Angst um das Fortbestehen seiner Welt. Doch rechtfertigte dies den Tod von vier Elementen?
"Wieso nur hast du nicht mit mir geredet? Ich hätte dich doch überzeugt. Bestimmt.", flüsterte sie zu sich selbst. Sie schluckte, als das Gefühl der Enge sich bemerkbar machte, als hätte sie einen Kloß im Hals. Dazu kamen die erneuten Tränen. Schnell wischte sie diese weg, schüttelte dann den Kopf und flüsterte: "Nein, für dich werde ich keine Tränen mehr vergießen. Rechtfertige dich vor den Seelen, Verräter."
Damit war auch der Kloß verschwunden und Rose setzte eine normale Miene auf. Die Stimme der Nacht war inzwischen verklungen und eine Person entfernte sich. Die Dunkelheit sollte nun alleine sein, also ging Rose weiter. Sie bog um eine Ecke und näherte sich tatsächlich dem Element.
Sie beobachtete kurz, wie die Dunkelheit über einige Steine der Mauer strich, die darauf für die Dauer der Berührung eine schwarze Farbe annahmen. Doch kaum nahm sie die Hand weg verschwand das Schwarz wieder und nur grauer Stein blieb zurück.
"Hallo, Rose. Ich dachte nicht, dass du kommst.", sagte die Dunkelheit, ohne den Blick von den Steinen zu nehmen. "Ja, es fiel... fällt mir auch nicht leicht, hohe Dunkelheit.", antwortete sie und trat näher.
"Tust du mir einen Gefallen?", fragte die Dunkelheit und Rose nickte schweigend. Dann bat sie: "Nenn' mich bitte einfach Eta, ja. Mich als 'hohe Dunkelheit' zu bezeichnen fühlt sich falsch an."
"Ja sicher, ho... Eta.", bestätigte Rose lächelnd und zupfte sich verlegen einige rote Blütenblätter aus den Haaren. Sie schienen in letzter Zeit schneller und häufiger zu wachsen als davor.
Dann strich sie selbst, wie sie es zuvor bei Eta beobachtet hatte, über einige Steine. Sofort sprossen grüne Rankenzeichnungen aus der Stelle, wo ihre Finger den kalten Stein berührten und stoben in alle Richtungen. Doch wie bei der Dunkelheit hielt dies nur, solange die Berührung bestand.
"Ich würde mit Euch kurz über Oemor sprechen wollen, Eta.", begann Rose dann und sah zu der Dunklen.
"Natür... Oemor?", hakte Eta überrascht nach. Als Antwort zuckte Rose kurz mit den Schultern und murmelte: "Das erklärt Euch besser Ziaeän."
Eta nickte und akzeptierte es so. Dann erzählte Rose von ihrem Anliegen: "Oemor, beziehungsweise Daras, hat vier Elemente getötet. Mir ist klar, dass dafür nur der Tod als Strafe in Betracht kommt, aber..."
Sie stoppte. Sollte sie wirklich darum bitten? Sie hatte ihm immerhin einiges zu verdanken. Doch...
"Du willst es selbst tun." Etas Stimme holte sie zurück. Überrascht, dass die Dunkelheit es bereits wusste nickte Rose nur bestätigend. Erneut griff sie sich in die Haare. Eine ganze Handvoll Blätter hatte sie in der Hand. Was passierte nur mit ihr?
"Rose?" Eta hatte ihr die Hände auf die Schultern gelegt. Sie sah von den Blättern in ihrer Hand auf und in die tiefroten, zugleich ernsten und mitfühlenden Augen der Dunkelheit. Eine Weile standen sie so. Die Dunkelheit war nur wenig größer als Rose selbst. Dann durchbrach die Dunkle die Stille. "Du blätterst.", sagte sie und zupfte ihrerseits einige Blütenblätter aus den ebenso roten Haaren.
Ganz plötzlich begannen beide gleichzeitig zu lachen. Sie lachten laut und befreit. Rose fand den Satz lustig. Und auch, dass die Dunkelheit die Blätter zur Aufmunterung verwendet hatte... Das war ihr noch nie bei jemand anderem passiert.
So standen beide im Gang und lachten. Und beide wussten, dass die Verhandlung um Oemors Leben bald beginnen würde.
Doch im Augenblick kümmerte das keine, denn gerade Rose hatte eine Freundschaft zwischen Licht und Dunkelheit nie für machbar gehalten.
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