Warten

Ich weiß dass ich nicht besonders nett zu Eówyn war, aber momentan brauche ich ein wenig Zeit um meinen Geist neu zu fokussieren. Deshalb suche ich mir eine freie Fläche außerhalb des Holzzauns und beginne ein wenig Schwertkampf zu trainieren. Das hilft mir immer dabei, meine Gedanken zu ordnen und mich zu konzentrieren. Doch dieses Mal hilft es nicht, wahrscheinlich weil ich keinen Gegner habe mit dem ich trainieren kann. Gerade will ich mich frustriert auf den Rasen sinken lassen, als plötzlich Legolas mit seinen zwei Dolchen in der Hand vor mir steht.
"Wenn du trainieren willst, dann mach es mit mir", sagt er einfach und ich schaue ihn an.
"Demütigt es dich nicht, von einer Frau besiegt zu werden?"
"Nein, nicht im geringsten. Dafür musst du mich erstmal besiegen."
"Du weißt schon dass ich besser bin als du?"
"Mag sein, aber ich probiere es gerne nochmal aus."
Mit diesen Worten lässt er seine Dolche durch die Luft wirbeln und greift mich an, doch ich reiße das Schwert hoch und pariere mit Leichtigkeit.
"Mehr hast du nicht drauf?", frage ich ihn provozierend und er grinst, weil er weiß, dass er genau das getroffen hat was mich wieder aufmuntern kann. Anstatt zu antworten, startet er den nächsten Angriff, doch ich bin darauf vorbereitet und pariere erneut. Immer schneller prallen unsere Klingen aufeinander und ich fühle mich unwillkürlich an den Kampf mit meinem Vater erinnert. An den Tag, an dem ich ihn besiegt habe.
Legolas kann sehr gut mit seinen Dolchen umgehen, aber ich bin mit meinem Schwert doch einen Tick besser. Allerdings macht die Tatsache, dass Legolas zwei Klingen hat und ich nur eine, den Kampf doch interessanter als den normalen Kampf Schwert gegen Schwert.
Irgendwann jedoch entwinde ich meinem Verlobten den einen Dolch, ziehe ihm ein Bein unterm Körper weg und knie mich mit einem Bein auf seine Brust, während ich ihm seine eigene Klinge an den Hals halte. Für einen Moment genieße ich seinen verwirrten Blick, dann gehe ich von ihm herunter und lasse ihn aufstehen.
"Na, überzeugt?", frage ich ihn grinsend und er lächelt.
"Das war ich schon vorher", antwortet er und steckt seine Dolche wieder weg.
"Aber zu deinem Trost, ich hatte 200 Jahre lang intensives Training mit meinem Vater", erzähle ich ihm und er beginnt zu lachen.
"Ich finde das immernoch niedlich dass du glaubst 200 Jahre seien eine lange Zeit. Ich habe von klein auf den Umgang mit meinen Dolchen gelernt und bin der Beste im ganzen Düsterwald."
"Lass mich", gebe ich gespielt beleidigt zurück und drehe mich mit vor der Brust verschränkten Armen von ihm weg.
"Ich sage nur dass ich es süß finde", verteidigt Legolas sich und ich höre dass er zu mir kommt, da steht er auch schon vor mir und schaut mich an. Ich grinse und löse meine Arme um ihm einen schnellen Kuss auf den Mund zu geben.
"Ich finde aber dass du auch süß bist", flüstere ich an seinem Ohr und er lacht. Gemeinsam gehen wir zurück zum Tor und ich greife nach seiner Hand. Es tut gut sich so verhalten zu können als sei alles normal, auch wenn wir weit weg von Zuhause sind. Auch Legolas scheint sich wohlzufühlen und unwillkürlich erinnere ich mich daran, dass er mich erst nicht dabeihaben wollte. 'Ob er das jetzt noch immer will? Oder ist er froh dass ich bei ihm bin und nicht irgendwo alleine hocke und wer weiß was mir zustoßen könnte?' Doch ich wage nicht ihm diese Fragen jetzt zu stellen, denn ich will diesen schönen Augenblick nicht zerstören.

Noch weitere drei Tage lang bleiben wir hier in Edoras und nichts geschieht, weder dass Orks sich blicken lassen, noch dass der König seine Entscheidung ändert. Wenn ich nicht gerade schlafe, esse oder trainiere, bin ich entweder bei Legolas, oder bei einem der anderen beiden Gefährten, die übrig geblieben sind. Wir warten einfach nur darauf, dass irgendetwas die Geschehnisse in Gang bringt, sonst haben wir nicht viel zu tun. Merry ist jetzt ja alleine und ohne Pippin wirkt er ganz anders als sonst. Er bittet mich sogar ihn im Schwertkampf zu unterweisen, was ich dann auch tue, allerdings kann ich es ihm nicht so beibringen wie ich es selbst gelehrt bekommen habe. Er ist viel kleiner als ich, weniger kräftig und seine Arme sind kaum so lang wie das Schwert an sich. Wahrscheinlich wäre Aragorn besser geeignet ihm den Schwertkampf beizubringen, denn er ist mit beidschneidigen Klingen besser vertraut als ich. Aber der Mensch grinst mich immer nur an wenn ich es ihm vorschlage.
"Gewiss kannst du das besser als ich. Ich habe keine Geduld für sowas", sagt er schließlich und ich hebe eine Augenbraue. 'Er und keine Geduld? Der ist doch immer die Ruhe selbst, als ob ihn ein Hobbit aus der Fassung bringen könnte.' Aber ich protestiere nicht weiter und unterrichte Merry weiterhin. 
"Ich gebs auf, das schaffe ich nie", seufzt der Hobbit nach einer etwas schwierigeren Übung und setzt sich auf den Boden.
"Das ist doch gar nicht wahr, du machst das gut!", widerspreche ich, da schaut Merry mich skeptisch an.
"Ich weiß dass ich nicht gut bin."
"Ja schön, du bist jetzt nicht der Beste, aber ich war am Anfang genauso wie du."
"Das sagst du nur um mich aufzumuntern."
"Nein, wirklich! Ich war grottenschlecht, du kannst meinen Vater fragen wenn du ihm irgendwann einmal begegnest. Zumindest bis ich nicht mehr trainiert wurde als wäre ich eine normale Elbe, danach habe ich schnelle Fortschritte gemacht."
Nun wird Merrys Blick neugieriger und ich sehe Hoffnung in seinen Augen aufblitzen.
"Wie meinst du das, 'normale' Elbe?"
"Naja, ich habe die ersten zwanzig Jahre meines Lebens bei einer Menschenfamilie gelebt und hatte keinen Kontakt zu anderen Elben. Bis ich nach Bruchtal kam und dort meinen Vater Elrond und meine Schwester Arwen traf. Im Gegensatz zu Menschen war ich zwar intelligent, anmutig und leise, aber unter den Elben war ich eher... hilflos. Es hat viele Jahre gebraucht um so zu werden wie sie."
Merry hört mir aufmerksam zu und horcht auf als ich meinen Vater und Arwen erwähne. Dann stellt er mir weitere Fragen und wir reden ein wenig über meine Vergangenheit, bis es Zeit fürs Abendessen ist. Wie es sich für einen Hobbit gehört, flitzt Merry sofort los um sich seine Portion abzuholen und ich schüttele grinsend den Kopf. Während des Gesprächs mit dem jungen Hobbit habe ich mich zu ihm auf den Boden gesetzt und will gerade aufstehen, da streckt mir jemand seine Hand entgegen. Es ist Aragorn und ich lasse mich von ihm auf die Füße ziehen.
"Na, machst du Fortschritte?", fragt er und grinst mich an während wir ebenfalls zum Essen gehen.
"Ein wenig. Ich glaube dass er das kann wenn er will, aber momentan will er es nicht wirklich. Auch wenn er mich gebeten hat ihm kämpfen beizubringen", antworte ich und Aragorn schmunzelt.
"Er ist ein Hobbit, was hast du erwartet. Aber du hast ja noch viel Zeit um mit ihm zu trainieren."
"Nichts anderes. Meinst du wirklich dass Théoden Gondor nicht helfen wird?"
"Nicht wenn Gondor nicht um Hilfe ruft. Allerdings sind die Menschen heutzutage stur und stolz, nur wenige wissen wie wichtig Freundschaft und Hilfe in unseren Tagen sind."
'Théoden ist ein wunderbares Beispiel für Sturheit.'
"Ich verstehe. Hoffentlich können Gandalf und Pippin etwas tun", meine ich und Aragorn nickt.
"Das hoffe ich auch."
Den Rest des Weges reden wir über weniger bedrückende Dinge, bis sich Legolas und Gimli zu uns gesellen und wir gemeinsam in den Saal kommen, in dem wir essen werden. Ich spüre die Blicke einiger Wachen auf uns, aber ich ignoriere sie. Schon nach dem Training mit Legolas vor drei Tagen habe ich mir vorgenommen mich nicht mehr von den Aussagen, das Frauen nicht kämpfen sollten, beeindrucken zu lassen und so zu tun als ginge mich das nichts an. Von Aragorn, Gimli und Legolas werde ich als gleichwertiges Mitglied behandelt und respektiert, oftmals scheinen sie sogar zu vergessen dass ich eine Frau bin. Nur in diesen besonderen Momenten mit Legolas werde ich daran erinnert, aber dann will ich es auch nicht anders.
Beim Essen sitzen wir zusammen und reden, allerdings essen nur Aragorn, Gimli und ich etwas, Legolas hat keinen Hunger. In diesem Moment fühle ich mich wohl, ich bin mit meinen Freunden zusammen und man kann fast die Bedrohung im Osten vergessen. Jedoch nur fast.

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