Meine Familie
Spät am Abend ist es bereits dunkel und ich begebe mich zurück in mein Zimmer, doch ein Diener teilt mir mit, kurz bevor ich den Saal verlasse, dass Elrond morgen erneut mit mir sprechen möchte.
"Ich werde da sein. Vielen Dank", antworte ich mit einem freundlichen Lächeln.
"Eine erholsame Nacht, Frau Jedwiga."
Mit einem erleichterten Seufzen gehe ich hinaus aus dem warmen Raum an die frische Luft. Die Sterne leuchten am blau-schwarzen Himmel und senden ihr kaltes, silbernes Licht auf uns herab, allerdings schieben sich dann Wolken davor und verdecken die Aussicht.
Langsam schlendere ich über die Gänge zu meinem Raum, verträumt in die Nacht starrend. Obwohl ich weit weg von zu Hause bin bin ich glücklich und verbringe eine schöne Zeit unter neuen Leuten. Nur selten schweifen meine Gedanken zu meiner Familie, und wenn, dann erinnere ich mich an ähnlich fröhliche Momente. Zum Beispiel Bahels fünfter Geburtstag, das war ein Fest. Wir waren nur zu viert, aber trotzdem. Bis spät in die Nacht waren wir wach und Derian hat uns ganz viel über die Sterne erzählt, bis Bahel irgendwann einfach eingeschlafen ist.
Schmunzelnd öffne ich die Tür zu meinem Zimmer und trete ein. Dann mache ich mich bettfertig und schlafe schnell ein, in diesem wundervollem Haus mit vielen neuen Leuten, die ich alle kennenlernen kann.
Der nächste Morgen beginnt für mich wieder mit einer kurzen Morgenwäsche und der Auswahl eines Kleides. Dann verlasse ich zielstrebig mein Zimmer und suche den Speisesaal auf. Dieses Mal will ich etwas essen bevor ich Elrond treffe, das habe ich mir fest vorgenommen.
Gerade bin ich mit dem Essen fertig, da kommt Gerondiel herein und zu mir, sobald er mich entdeckt hat.
"Frau Jedwiga, soll ich euch zu Herrn Elrond bringen?", fragt er mich höflich.
"Oh ja, vielen Dank."
Ich erhebe mich und folge Gerondiel wie gestern durch die Gänge. An der Tür angekommen verlässt er mich mit einer leichten Verbeugung. Irgendwie ist mir Gerondiel unangenehm, seine Art mir gegenüber ist so... ablehnend fast schon. Mit einem leichten Kopfschütteln schaue ich ihm hinterher und klopfe dann an die Tür.
"Herein", kommt es dumpf durch das Holz und ich erkenne die Stimme Elronds. Ich drücke die Klinke herunter und trete ein.
Elrond steht mit dem Rücken zu mir am Fenster und starrt auf den Wald dahinter. Leise schließe ich die Tür und komme in den Raum. Da dreht sich Elrond so plötzlich herum, dass ich leicht zusammenzucke, und fixiert mich mit seinem stechenden Blick. Diesmal liegt nichts freundliches in ihm, sondern er mustert mich eingehend, so als suche er etwas in meinem Gesicht. Er tritt an mich heran und schaut aufmerksam in meine Augen, dabei kommt er mir immer näher, sodass ich mich unwillkürlich ein wenig zurücklehne. Ich räuspere mich.
"Ähm, ihr wolltet mich erneut sprechen?"
Er scheint aus einem tiefen Gedanken aufzuschrecken und zuckt zurück.
"Ja... genau", sagt er langsam und tritt einen Schritt zurück. Er dreht sich wieder weg und deutet auf zwei Stühle links von sich.
"Setz dich."
In seiner Stimme liegt etwas ernstes und er wirkt angespannt und unruhig.'Was ist los?' Ich lasse mich auf einem der Stühle nieder und blicke den älteren Elben erwartungsvoll an.
Er setzt sich mir gegenüber hin und schaut nachdenklich auf mein Gesicht.
"Ich weiß dass du eine Waise bist. Haben deine Eltern dir jemals erzählt wie sie dich gefunden haben?"
"Ja, das haben sie. Es war ein regnerischer Tag, und Derian war damals im Wald nicht weit vom Hof im Süden unterwegs, als er ein Schreien hörte. Er stieß auf die Spuren von einer Schar Orks, die wohl Stunden vorher vorbeigekommen waren, dicht am Wegesrand, in einem Gebüsch lag ein Neugeborenes. Gewickelt in feinen Stoff und weinend. Er nahm es mit zu seiner Frau und sie zogen mich auf wie ihr eigenes Kind. Derian erzählte mir die Geschichte an dem selben Tag, an dem er mir auch meine Andersartigkeit erklärte."
Elronds Gesichtsausdruck wird immer verkniffener und ich sehe sein Kinn zittern. Ich meine Tränen in seinen Augenwinkeln zu erblicken, doch dann steht er schwungvoll auf und ich kann sein Gesicht nicht mehr sehen.
"Ich kannte dieses Kind", sagt er leise. Meine Augen werden groß und ich spüre Aufregung in mir aufsteigen.
"Wirklich? Wisst ihr wer meine Eltern sind?", kann ich meine Frage nicht mehr zurückhalten. Elrond strafft seinen Rücken.
"Du bist die Tochter von Meriel, einer wunderschönen Elbin aus gutem Hause. Du hast ihre Augen", sagt er mit erstickter Stimme.'Habe ich richtig gehört? Weint er fast?'
"Und wer ist mein Vater?", frage ich vorsichtig. Elrond dreht sich zu mir herum und schaut mich nun warm an, aber die Tränen sehe ich nun deutlicher.
"Derselbe wie der von Arwen Abendstern."
Er wendet sich ab und will gehen, doch ich springe auf.
"Wie meint ihr das?"
Aber anstatt sich umzudrehen und mir zu antworten, tut er noch einen Schritt und bleibt dann stehen.
"Elrond!", rufe ich aufgebracht und komme von hinten auf ihn zu. Er dreht sich um und ich sehe unendliche Trauer und Schmerz auf seinem Gesicht.
"Wollt ihr damit sagen, ihr seid mein Vater?", flüstere ich einen Meter von ihm entfernt. Seine Augen huschen zwischen meinen hin und her und er nickt.
"Ja."
Die Erkenntnis haut mich fast um und ich schwanke. 'Deshalb holte er mich zu sich!'
"Wieso? Ich meine, was ist passiert, dass ich..."
Meine Stimme versagt und ich blicke nur stumm zu ihm auf. In seinen Augen spiegelt sich nun Liebe und er lächelt schwach, dennoch ist seine Miene traurig.
"Es war drei Tage nach deiner Geburt", beginnt er zu erzählen.
"Orks griffen Bruchtal an während ich mit Arwen im Wald war. Als ich die Schreie hörte, versteckte ich sie in einer Höhle im Fels und rannte zurück zum Haus, doch die Orks waren bereits angekommen. Ich schickte alle ebenfalls zu den Höhlen, in denen Arwen sich versteckte und rannte dann in den Raum deiner Mutter. Schon von weitem sah ich die zerrissenen Vorhänge und zerschmetterten Möbel. Die Tür war aus den Angeln gerissen und es brannte an einigen Stellen. Ich bahnte mir einen Weg hindurch, immer wieder ihren Namen rufend, als ich sie sah. Sie lag in ihrem eigenen Blut, die Augen geöffnet aber leblos. Die Orks hatten Meriel getötet. Verzweifelt suchte ich nach dir, doch deine Wiege war zerquetscht worden und ein riesiges Loch klaffte in einer Wand. Ich wusste nicht, dass die Orks dich erst mitgenommen, aber dann verloren hatten, aber ich folgte ihnen mit einigen Kriegern um meine Frau zu rächen. Wir töteten sie drei Tagesritte von hier auf einem Feld, aber von dir fehlte jede Spur."
Seine Stimme zittert leicht, doch dann fasst er sich wieder und er schaut mich an. Ich merke, dass Tränen über mein Gesicht laufen.
"Ada", hauche ich und Elrond nimmt mich in den Arm. Ich habe noch nie in meinem Leben Elbisch gehört, aber dennoch weiß ich, dass Ada Vater bedeutet. Es ist, als würde dieses Wissen um die Sprache der Elben tief in mir schlummern, obwohl man sie mir nie beigebracht hat. Elrond bettet meinen Kopf auf seiner Brust und streicht mir übers Haar. Ich schluchze leise und klammere mich an ihn. Auch Elrond ist den Tränen nahe, doch er nimmt sich zusammen und löst mich von sich.
"Meine Tochter."
Er streicht mit einem Finger über meine Wange.
"Nie wieder werde ich dich verlieren."
Ich kann es kaum glauben, erst zwei Tage bin ich hier, und schon habe ich meinen Vater gefunden. Und er ist dazu noch ein sehr berühmter, ehrwürdiger und weiser Elb. 'Das heißt ja, ich habe auch eine Schwester!' Arwen Abendstern ist meine Schwester, und ich bin ihre.
"Weiß Arwen schon davon?"
Elrond schüttelt den Kopf.
"Ich werde es ihr heute Abend sagen. Aber jetzt sollten wir uns erstmal um deine Ausbildung kümmern. Immerhin bist du die Tochter von Elrond, Herr von Bruchtal."
'Sein Ernst? Wir haben uns gerade gefunden und dann fängt er an mit Pflichten und meiner Ausbildung?' Aber ich füge mich und verabrede, dass ich jeden Morgen zu Elrond komme und er mir Schwertkampf beibringt, und ich anschließend von einem Elbenlehrer unterrichtet werde. Mit gemischten Gefühlen verlasse ich den Raum nach mehr als zwei Stunden und begebe mich in mein Zimmer um in Ruhe nachzudenken.
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