Die Minen
Eine Weile lang ist nur das Keuchen der Leute um mich herum zu hören, dann entzündet Gandalf die Spitze seines Stabs und taucht die Eingangshalle in gelbes Licht.
"Nun müssen wir also die lange Dunkelheit von Moria auf uns nehmen", sagt er und wir gehen langsam los. Ich schaue zu Jedwiga, die ihr Schwert noch immer fest im Griff hat und gehe neben ihr her. Boromir bildet den Schluss der nun schweigenden Gemeinschaft. Jeder spürt die Bedrohung und die Gefahr in den Minen, deswegen reden wir kaum und hoffen dass man uns nicht bemerkt.
In der Dunkelheit von Moria verliert man jegliches Zeitgefühl, sogar ich. Man weiß nicht ob Nacht oder Tag ist, ob man schlafen oder essen soll oder ob es regnet oder sonnig ist. Wir machen Pausen wenn wir eine brauchen, essen wenn wir hungrig sind und schlafen wenn wir müde sind. Die Luft ist stickig und kalt, gefüllt mit Gerüchen nach kaltem Stein und Verwesung, wann immer wir auf tote Zwerge stoßen.
Stets geführt von Gandalf dringen wir weiter in die Minen vor, durch Stollen und weitläufige Höhlen, Treppen hoch und runter, Gänge entlang und durch Räume.
Wir gehen gerade einen Pfad entlang, als Gandalf beginnt zu sprechen. Die letzten Tage lang haben wir nichts verdächtiges gehört oder gesehen, deswegen werden wir immer lockerer.
"Der wahre Reichtum von Moria lag nicht in Gold oder Edelsteinen, sondern in Mithril."
Er lässt die Spitze seines Stabs heller leuchten und der breite Schacht neben dem Pfad beginnt plötzlich zu leuchten. Verwundert schauen wir alle nach unten und ich sehe silberne Adern, die sich durch den Stein ziehen. Jedwiga neben mir greift nach meiner Hand und drückt sie sanft, und als ich sie ansehe, kann ich das Leuchten in ihren Augen sehen. Zwar rührt es von den Licht aus dem Schacht her, aber dennoch sieht es wunderschön aus. Sie schenkt mir ein sanftes Lächeln, dann gehen wir weiter die Gänge entlang
Nach einiger Zeit, es müssen mehrere Stunden bis nicht gar ein Tag gewesen sein, machen wir an einer Gabelung in drei Tunnel Halt. Allerdings nicht weil wir erschöpft sind, denn die letzte Pause ist erst eine halbe Stunde her, sondern vielmehr weil Gandalf stehenbleibt. Sein Blick wandert von einem Tunneleingang zum nächsten, aber er wirkt unentschlossen.
"Ich glaube Gandalf hat den Weg vergessen", wispert Pippin zu Merry und ich werfe ihm einen mahnenden Blick zu. Der kleine Hobbit versteht manchmal echt gar nichts.
"Gandalf, ist alles in Ordnung?", fragt Jedwiga den Zauberer leise und tritt zu ihm. Er erwidert etwas und sie nickt.
"Wir bleiben bis Gandalf sich wieder erinnert", meint sie zu mir.
"Und wie lange wird das dauern?", frage ich und sie zuckt mit den Schultern.
"Keine Ahnung. Er meint an diese Stelle könnte er sich nicht erinnern."
Sie bedeutet mir mitzukommen und wir setzen uns auf einen Stein etwas abseits von den anderen. Mit einem leisen Seufzen lehnt Jedwiga sich gegen mich und ich lege einen Arm um sie.
"Wie geht es dir?", frage ich sie gedämpft und sie schließt die Augen.
"Ich bin müde. Diese Minen scheinen jegliche elbische Kraft aus meinem Körper zu saugen und meine Gedanken zu vernebeln. Aber sonst geht es mir gut."
Sie schweigt eine Weile lang und ich glaube fast schon, sie sei eingeschlafen, doch da spricht sie weiter.
"Hast du auch das Gefühl dass etwas böses uns beobachtet? Dass wir verfolgt werden?", fragt sie leise und ich höre die Angst in ihrer Stimme.
"Ja, eigentlich die ganze Zeit seit wir hier in diesen Minen sind. Irgendwas lauert hier", antworte ich und streiche ihr über den Rücken. Nachdenklich schaue ich in die Dunkelheit und spüre Jedwigas Wärme an meiner Seite.
"Ich vermisse dich", sage ich nach einer Weile leise auf Sindarin und Jedwiga hebt den Kopf. Sie schaut mir in die Augen und nickt.
"Ich vermisse dich auch. Diese Reise scheint uns auseinander zu treiben", antwortet sie und Traurigkeit liegt in ihrem Blick.
"So etwas hatte ich befürchtet, aber dass es wirklich passiert hätte ich nicht gedacht. Aber du weißt dass ich dich immer lieben werde, egal wie fern wir uns sind, oder?", erwidere ich und lege eine Hand an ihre Wange. Sanft streiche ich über ihre Haut und betrachte sie liebevoll.
"Ja", antwortet sie leise und küsst mich sanft auf den Mund. Dann sitzen wir weiterhin da, Jedwiga kuschelt sich an mich und ich schaue mich aufmerksam um.
Irgendwann macht Gandalf einen triumphierenden Laut, kurz nachdem er mit Frodo gesprochen hat und steht auf. Sofort stupse ich Jedwiga an und wir gehen zu den anderen zurück.
"Könnt ihr euch erinnern?", fragt Pippin aufgeregt nach und Gandalf nimmt seinen Hut und geht zu einem der Tunnel.
"Nein, Peregrin Tuk. Aber die Luft ist hier nicht ganz so drückend. Und im Zweifelsfall sollte man immer seiner Nase folgen."
Jedwiga schmunzelt und nimmt meine Hand, dann geht die Reise auch schon weiter. Abwärts geht es, immer tiefer ins Erdreich. 'Wieso müssen Zwerge eigentlich immer so tief graben?'
Mit jedem Schritt wächst das Gefühl in mir, dass wir einer Gefahr entgegen gehen, und auch Jedwiga wird unruhiger. Unwillkürlich muss ich daran denken dass sie ja noch jünger ist als ich und deswegen noch nicht so oft Gefahren ausgesetzt war. Bei den Orks weiß man genau woran man ist, aber hier ist alles ungewiss. Keiner kann ahnen was hinter der nächsten Ecke ist, was in den finsteren Gängen vor uns lauert oder was in den Schluchten neben dem Weg haust.
Sogar Gimli, der sich ja eigentlich unter der Erde wohlfühlen müsste, wirkt niedergeschlagen und hoffnungslos. Die Hobbits schauen ängstlich in die Dunkelheit und halten sich von den Abgründen fern.
Doch auf einmal treten wir aus einem Gang heraus in eine gigantische Halle. Riesige Säulen stützen die nicht sichtbare Decke in der Dunkelheit und bilden lange Reihen. Das Licht von Gandalfs Stab wird von den Verzierungen an den Sockeln matt gespiegelt und dringt weit in die Halle vor. So erkenne ich das gewaltige Ausmaß dieser Konstruktion, die an Größe und Tiefe sogar den Palast im Düsterwald übertrifft. Unwillkürlich verschlägt es mir den Atem, obwohl ich normalerweise lieber über der Erde bin.
"Das hier ist das Königreich und die Stadt Zwergenbinge", meint Gandalf mit feierlicher Stimme und wir gehen langsam tiefer in die Halle. Jedwiga drückt meine Hand und schaut sich staunend um. Nach einer Weile, in der wir schweigend und doch wachsam zwischen den Säulen entlanggegangen sind, entdeckt Gimli plötzlich etwas und stürmt mit einem Aufschrei los. Links von uns ist der Eingang in einen kleinen Raum, silbernes Licht fällt auf einen steinernen Sarg in der Mitte und die Tür hängt lose in den Angeln. Eilig folgen wir dem aufgelösten Zwerg hinein, der sich nun vor den Sarg kniet und klagt. Gandalf tritt näher heran und liest die Inschrift auf dem Deckel.
"Hier ruht Balin. Herr von Moria."
Gimli stößt einen gepeinigten Laut aus und lehnt den Kopf gegen den Stein. Betroffen schauen wir alle zu Boden und lassen den Zwerg in seiner Trauer in Ruhe. Es ist klar dass hier einst gekämpft wurde, tote Zwerge liegen am Boden und Waffen rosten vor sich hin.
Jedwiga löst sich von mir und geht auf ein Skelett eines Zwerges zu, der an dem Steinsarg lehnt. In der knochigen Hand hält er ein dickes, altes, staubiges Buch, das er anscheinend mal als Schutzschild benutzt hat, denn ein tiefer Schnitt zieht sich hindurch. Vorsichtig nimmt sie dem Zwerg das Buch ab und schlägt es auf.
"Gandalf, was steht hier? Das ist Khuz-dûl, das kann ich nicht lesen."
Der Zauberer gibt Pippin seinen Stab und Hut und geht zu Jedwiga hinüber um ihr zu helfen.
"'Sie haben die Brücke und die untere Halle genommen. Wir verteidigen das Tor, können es aber nicht mehr lange halten. Trommeln, trommeln, unten in der Tiefe. Sie kommen.'"
Der letzte Satz ist hektisch und schräg über die halbe Seite geschrieben worden und sofort erschauert jeder im Raum.
Plötzlich gibt es ein lautes Scheppern und Rasseln und wir alle drehen uns zu Pippin um, der am Brunnen steht. Anscheinend ist der Eimer hinabgefallen und schlägt polternd auf. Doch als wäre das noch nicht schlimm genug, reißt die Kette das Skelett, das mit einem Pfeil in der Brust auf dem Brunnenrand sitzt, auch noch mit sich und der Lärm hallt durch die Mine. Pippin hat zuvor noch daran herumgespielt, nur deswegen ist es heruntergefallen. Ich zucke zusammen und wir alle warten ob etwas sich rührt. Ich habe meinen Bogen in der Hand und Jedwigas Hand liegt auf dem Griff ihres Schwertes. Ihre Miene ist wachsam und sie lauscht angestrengt, aber ich sehe die Angst in ihrem Blick.
Schreckliche Sekunden warten wir, doch nichts geschieht. Da atmen alle hörbar auf. Ärgerlich schlägt Gandalf das Buch zu und nimmt Pippin seine Sachen wieder ab.
"Närrischer Tuk! Das nächste Mal wirf dich gleich mit hinab!", braust er auf und der Hobbit schluckt. Gandalf dreht sich schon zum Gehen, als plötzlich ein Geräusch ertönt. Ein einzelnes Trommeln.
Augenblicklich erstarren alle und lauschen. Wieder ein Trommeln, diesmal lauter.
Jedwiga zieht in einer Bewegung ihr Schwert und auch Aragorn und Boromir haben ihre Waffen in der Hand. Das Trommeln kommt nun öfter, es hallt in der ganzen Mine und schon höre ich die Schreie der Wesen, die hier unten leben.
"Orks."
Das Wort, von Jedwiga ausgesprochen, lässt uns alle unsere Waffen greifen. Gandalf lässt seinen Hut fallen und zieht sein Schwert, Glamdring. Schon damals am Erebor besaß er dieses alte, aber berühmte Schwert.
Gimli packt seine beiden Äxte und stellt sich auf den Sarg. Aragorn, Boromir und ich eilen zur Tür, als ein Pfeil nur knapp neben mir ins Holz einschlägt. Draußen sehe ich bereits die Orkmassen auf uns zustürmen. Wir schließen die Tür und verbarrikadieren sie mit Äxten. Nun ist das Geschrei der Orks deutlicher zu hören.
"Sie haben einen Höhlentroll!", rufe ich und trete von der Tür zurück.
Aragorn scheucht die vier Hobbits in den hinteren Teil des Raumes.
"Los, hinter Gandalf!"
Gimli klettert auf den Sarg und wettert los.
"Ja, kommt nur her. Gleich zeige ich euch, dass noch nicht jeder Zwerg von Moria zu Staub zerfallen ist!"
Ich lege einen Pfeil ein und Jedwiga stellt sich neben mich.
"Wieviele?", fragt sie.
"Mehr als wir jemals gemeinsam bekämpft haben", antworte ich und wir bilden mit Gandalf, Aragorn und Boromir einen schützenden Kreis um die vier Hobbits. Aragorn hat ebenfalls seinen Bogen in der Hand und Boromir hält seinen Schild vor sich.
Da beginnen die Orks an der Tür zu rütteln.
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