Der Tag danach
Als ich aufwache, drängen mir sofort die Geschehnisse entgegen und meine Trauer frisst sich noch tiefer in mich hinein. Für einen Moment fällt es mir schwer zu atmen und ich schnappe nach Luft, bis das Gewicht auf meiner Brust nachlässt und ich wieder ruhig atmen kann. Zu meiner Überraschung kommen keine Tränen, zumindest nicht viele. Langsam setze ich mich auf und schaue mich um.
Ich befinde mich in meinem Zimmer, heller Sonnenschein scheint warm zum Fenster herein und der Duft von Wald und Blumen liegt in der Luft. 'Wie kann das Wetter nur schön sein, wenn doch so etwas schreckliches passiert ist?' Doch es schieben sich keine dunklen Wolken vor die Sonne, noch fängt ein kalter Wind an zu wehen.
Mit einem leisen Seufzen rutsche ich an die Wand zurück und lehne mich mit dem Rücken dagegen. Als ich die Augen schließe, sehe ich sofort die verkohlten Skelette von Bahel und Angathel und reiße sie wieder auf. Ich springe aus dem Bett und laufe im Zimmer auf und ab. Jetzt kommen die Tränen doch, leise fließen sie über meine Wangen und hinterlassen nasse Flecken auf meinem Kleid.
Es ist ein anderes als vorher, weiß und leicht, doch ich bemerke es nicht wirklich. 'Warum sie? Warum meine Familie?' Ich schließe die Augen, senke den Kopf und balle die Hände vor meinem Bauch zu Fäusten. Meine Schultern beben und ich schluchze nun leise.
Da höre ich das Geräusch der Tür hinter mir, dann Schritte, die sich mir nähern. Ich öffne meine Augen, richte mich ein wenig auf und drehe den Kopf leicht zur Seite.
Elrond tritt um mich herum und stellt sich vor mich. Stumm folgt mein Blick seinen Bewegungen und ich schaue ihm in die Augen. Sie sind ernst und traurig, doch als er meinen Blick sieht, zuckt er fast schon zusammen. Er streckt eine Hand nach mir aus und legt sie an meine Wange. Seine Hand ist warm und ich erschauere unter dieser Berührung, lasse sie jedoch zu.
Elrond zieht sorgenvoll die Augenbrauen zusammen, dann zieht er mich in einer plötzlichen Bewegung in seine Arme und drückt mich fest an sich. Ich halte erschrocken den Atem an, doch danach lehne ich mich gegen ihn und atme geräuschvoll aus. Meine Hände klammern sich an den Stoff seines Gewandes und ich vergrabe mein Gesicht an seiner Schulter. Seine Hand streicht mir beruhigend über den Rücken, aber ich spüre seine innere Unruhe und Besorgnis. Nach einer Zeit schiebt er mich sanft von sich, hält mich aber an den Schultern fest, und schaut mich gequält an.
"Geht es dir besser?"
Ich schüttele den Kopf.
"Nein."
Meine Stimme ist nur ein heiseres Krächzen und ich räuspere mich, bevor ich weiterspreche.
"Es ist, als würde ich von innen heraus verbrennen. Als würde mein Herz in Stücke gerissen. Jedes Mal wenn ich die Augen schließe, sehe ich sie vor mir. Es tut so weh."
Ich schaue ihn an und er mustert mich aufmerksam.
"Tut es so weh, dass du das Gefühl hast, sterben zu wollen?", fragt er mich mit unüberhörbarer Sorge in der Stimme. Ich horche für einen Moment in mich hinein.
"Nein, das nicht. Aber ich habe das Gefühl, nie wieder froh sein zu können. Etwas ist in mir zerbrochen, ein Stück meiner Seele wurde herausgerissen und ich spüre diesen Verlust am ganzen Körper. Ich fühle mich schwach."
Obwohl Elrond mich traurig ansieht, sehe ich Erleichterung in seinen Augen aufblitzen.
"Danke, dass du mich geholt hast."
Ich schaue ihn an, aber es gelingt mir nicht irgendeine Emotion in meinen Blick zu legen. Es ist, als wären meine Augen eingefroren, eingefroren in meiner Trauer. Auch Elrond bemerkt das und seine Augen werden dunkel.
"Das hätte dir nicht passieren dürfen. Du bist noch viel zu jung für solche Augen", sagt er leise, doch plötzlich flammt Wut in mir auf.
"Es ist aber passiert!", stoße ich hervor, heftiger als beabsichtigt. Elrond lässt mich los, so als hätte er sich verbrannt. Die Trauer in seinem Blick verwandelt sich in Sorge und auch irgendwie Entsetzen.
Die Wut in mir wird zu Hass, Hass auf die Orks, die meiner Familie das angetan haben, Hass auf Elrond, dass er mich zu sich geholt hat, und auch Hass auf mich selbst, dass ich nichts tun konnte.
"Es ist passiert! Und weder du noch ich können irgendetwas daran ändern!", rufe ich aus und drehe mich weg. Doch da verpufft meine Wut genauso schnell wie sie gekommen ist und ich werde von Trauer überrollt. Meine Haltung, die sich während meines Ausbruchs aufgerichtet hat, fällt in sich zusammen und ich muss mich am Bettpfosten abstützen. Sofort ist Elrond an meiner Seite und stützt mich.
"Warum sind sie überhaupt gestorben? Wieso haben sie das getan?", flüstere ich und krampfe mich vor Schmerz zusammen.
"WARUM!", schreie ich verzweifelt. Die Tränen strömen wieder über mein Gesicht, ich zittere am ganzen Körper und Schluchzer entweichen aus meinem Mund.
Elrond hält mich fest, doch dann legt er mich auf mein Bett zurück, setzt sich daneben und streicht mir übers Haar. Er sagt leise Worte auf Sindarin, welche ich überraschenderweise verstehen kann, obwohl ich noch nie die Sprache der Elben gehört habe.
Ich lege mich auf die Seite und krümme mich zusammen, doch die Worte meines Vaters zeigen Wirkung. Langsam beruhige ich mich wieder, mein Atem wird ruhiger, mein Zittern hört auf und ich schluchze nicht mehr. Schließlich mache ich die Augen wieder auf und schaue zu Elrond hoch.
"Weine nicht mehr, meine Tochter. Ich weiß, der Schmerz sitzt tief, aber du darfst nicht vergessen was du noch hast. Ich bin dein Vater, und ich werde immer für dich da sein. Und du hast eine Schwester, die dich liebt. Du bist nicht allein. Irgendwann wird sich das Loch in deiner Seele schließen, da bin ich mir sicher. Und es wird auf eine Weise geschehen, mit der du am wenigsten gerechnet hättest. Weine nicht mehr", sagt er mit ruhiger Stimme und streichelt mir über die Wange.
Ich werde immer schläfriger, meine Lider werden schwer und auch mein Denken verlangsamt sich. Doch als Elrond aufstehen will, schnellt meine Hand nach vorne und ich halte ihn am Handgelenk fest.
"Bitte, bleib", nuschele ich in mein Kissen und er setzt sich wieder.
"Wenn du das willst werde ich bleiben."
Ich lasse seine Hand nicht los und er legt sie neben mich auf die Matratze. Mit einem letzten Seufzer schließe ich endgültig die Augen und falle in einen ruhigen, erholsamen Schlaf.
Was auch immer Elrond gesagt hat, es muss dies bei mir bewirkt haben.
Ich bin irgendwo im Wald. Vögel singen, ein lauer Wind streicht durch die Baumwipfel und die Sonne scheint warm auf mich herab.
Mit großen Augen schaue ich mich um, doch außer mir ist niemand da. Plötzlich spüre ich eine Berührung an meinem Rücken und wirbele herum. Doch da ist niemand.
"Hallo? Ist da jemand?", rufe ich in den hellen, grünen Wald hinein, doch es kommt keine Antwort. Da legt sich eine Hand auf meine Schulter, doch als ich mich herumdrehe ist dort wieder niemand. Nur ein wundervolles, helles Lachen ist zu hören. Das Lachen eines Elben. Und doch kann ich niemanden entdecken. Das Lachen scheint einmal um mich herum zu laufen und ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen.
"Hey, komm raus. Ich weiß, dass du da bist."
Immernoch niemand.
"Ich schließe meine Augen, aber dann kommst du, in Ordnung?"
Ich warte auf keine Antwort sondern schließe meine Augen. Da spüre ich eine Präsenz vor mir, lasse die Augen jedoch geschlossen. Doch dann berührt mich plötzlich eine warme Hand sanft an der Wange und ich ziehe überrascht die Luft ein.
"Jedwiga", wispert eine männliche Stimme an meinem Ohr, aber als ich die Augen öffne, ist die Person verschwunden und ich bin wieder alleine im Wald. Die Stelle an meiner Wange, an der er mich berührt hat, kribbelt angenehm. 'Wer war das?' Da wache ich auf.
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