Der Pfad der Toten

Wir kommen gerade rechtzeitig bevor Aragorn mit seinem Pferd aus dem Lager geht und halten ihn auf. Gimli raucht Pfeife und steht auf als der Mensch an ihm vorbeigehen will.
"Gehen wir schon?", fragt er, scheinbar unwissend, doch Aragorn schüttelt den Kopf.
"Nicht dieses Mal Gimli. Dieses Mal müsst ihr bleiben."
Da führt Legolas sein Pferd heran und ich stelle mich neben ihn.
"Hast du nichts über die Sturheit der Zwerge gelernt?", fragt mein Verlobter.
"Du musst es akzeptieren. Uns wirst du nicht los", fügt Gimli hinzu und ich lege Aragorn die Hand auf den Arm.
"Diesen Weg wirst du nicht alleine gehen, wir kommen mit, egal was du sagst."
Ich schaue ihn ernst an und entdecke Trauer in seinem Blick. 'Er ist verzweifelt. Wahrscheinlich glaubt er dass Arwen wirklich sterben wird und hat nun keine Hoffnung mehr.'
Wir steigen auf unsere Pferde und reiten durch das nächtliche Lager an den Soldaten vorbei auf den Weg im Fels zu. Die Soldaten stehen auf und schauen uns nach, verblüfft über unser Fortgehen. In ihren Augen entdecke ich Angst und Zweifel, da werde ich durch mein Pferd abgelenkt. Es will nicht zu dem Spalt gehen und scheut ein wenig, doch durch gutes Zureden und beruhigende Worte lässt es sich weiter bewegen.
"Wohin geht er? Ich verstehe das nicht", höre ich die leise Frage von einem der Wachen, dann tauchen wir in die unnatürliche Dunkelheit des Wegs ein und augenblicklich ist es still um uns herum. Alle Geräusche von draußen werden geschluckt, nur das Klappern der Hufe ist zu hören, und leises Schnauben von den Tieren.
Stundenlang reiten wir weiter, bis zum Morgengrauen und noch länger ohne Rast zu machen. Die Pferde haben ihre anfängliche Angst nicht verloren und zucken von Zeit zu Zeit zurück, doch wir reiten nun durch karge, scharfkantige Felsschluchten. Nur wenige, dornige Büsche wachsen in Spalten, ansonsten ist es trocken und trostlos. Kein Tier ist zu sehen oder zu hören, nicht einmal ein Raubvogel am Himmel. 
"Welches Volk würde hier leben wollen?", fragt Gimli, zurecht, denn hier gibt es weder Nahrung noch Wasser, geschweige denn Anzeichen einer Siedlung.
"Eins das verflucht ist", weiß Legolas die Antwort und beginnt zu erzählen.
"Vor langer Zeit schwor das Volk in den Bergen dem damaligen König von Gondor einen Eid, ihm zu Hilfe zu eilen. Doch als die Zeit kam, als Gondor sie brauchte, flohen sie und wurden verbannt. Sie versteckten sich in der Dunkelheit der Berge und der König verfluchte sie. Nun sind sie rastlos, bis sie ihre Pflicht erfüllt haben."
Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken hinab.
"Also sind es Geister?"
Aragorn nickt geistesabwesend und Legolas redet weiter.
"Wer wird sie rufen, aus dem grauen Zwielicht, die vergessenen Menschen? Der Erbe von ihm, dem sie ihren Eid schworen. Vom Norden wird er kommen und Not wird ihn treiben: er wird die Tür durchschreiten zum Pfad der Toten."
Aus seinem Tonfall und der Art, wie er diese unheilvollen Worte spricht, höre ich heraus, dass dies eine Art Prophezeiung ist. Auch habe ich das ungute Gefühl, dass mit dieser Prophezeiung Aragorn gemeint ist.
Irgendwann geht es leicht, aber stetig bergauf und vorbei an kümmerlichen Bäumen und Büschen, bis zu einer engen Schlucht. Hier ist der Weg nun zu Ende, an einem rechteckigen, gähnend schwarzen Loch. Wir steigen ab und nähern uns vorsichtig diesem Eingang, wobei ich deutlich spüre, dass hier etwas böses lauert.
"Die Wärme meines Blutes scheint sich davon gemacht zu haben", sagt Gimli leise und ich stimme ihm innerlich zu. Hier ist es kälter.
Mein Blick fällt auf einige Runen und Zeichen über der Tür.
"Der Weg ist versperrt. Er wurde gemacht von jenen die tot sind, und die Toten halten ihn. Der Weg ist versperrt", liest Legolas und ich schlucke.
"Ich habe ein ungutes Gefühl", murmele ich, als plötzlich ein eiskalter Windhauch aus dem schwarzen Loch strömt.
Erschrocken weiche ich einen Schritt zurück, da scheuen die Pferde und reißen sich los. Sofort galoppieren sie den Weg zurück den wir gekommen sind, zusammen mit allem was wir mitgenommen haben und nicht bei uns tragen. Erst versuchen wir sie aufzuhalten, aber dann bleiben wir stehen.
"Brego", ruft Aragorn versuchsweise, doch die Pferde kehren nicht zurück. 'Jetzt sind wir auf uns alleine gestellt.'
Wir wenden uns wieder dem unheilvollen Eingang zu und Aragorn wirkt entschlossen.
"Ich fürchte den Tod nicht."
Mit gezogenem Schwert geht er sicher durch die Tür und wird sofort von der Dunkelheit verschluckt. Legolas folgt ihm mit einem kurzen Blick zu mir und ist dann auch verschwunden. Zögernd stehen Gimli und ich draußen, bis ich mir ein Herz fasse und mit blankem Schwert meinem Verlobten folge. Hinter mir höre ich noch Gimli etwas sagen, doch dann umschließt mich die Dunkelheit wie ein nasskalter Mantel. Die Luft ist stickig und schwer, doch bereits nach wenigen Metern können meine Augen wieder etwas erkennen. Alles ist in einen merkwürdigen, grünen Schimmer getaucht, und die Fackel, die Aragorn an einer der Wände gefunden und entzündet hat, spendet nur teilweise Licht. Gemeinsam folgen wir dem Menschen, der unruhig mit der Fackel umher leuchtet. Er sieht nichts, aber ich sehe bleiche Gestalten mit Rüstungen, Pferde und anderes Kriegsgerät, durchscheinend und grünlich. Die eingefallenen Gesichter der Soldaten schauen uns an und ich greife sofort nach Legolas' Hand. Er hält meine fest und sicher, aber ich spüre seine Anspannung.
"Keine Angst, ich sehe sie auch", versucht Legolas mich zu beruhigen und weckt dadurch Gimlis Aufmerksamkeit.
"Was seht ihr denn?"
"Die Gestalten von Männern und Pferden, wie Nebelfetzen in der Dunkelheit", antwortet mein Verlobter und schaut sich unruhig um. Die Gestalten folgen uns, schließen uns ein, und ich wage es nicht mich durch einen von ihnen zu bewegen.
"Wo?", fragt Gimli nun mit Angst in der Stimme.
"Um uns herum. Sie folgen uns", sage ich leise und Legolas drückt meine Hand.
Wir kommen an Wegen vorbei, die von Totenschädeln verschüttet sind und Knochen liegen in Vertiefungen im Fels. 'Wie viele Menschen müssen das einst gewesen sein wenn so viele Knochen hier verteilt sind?'
"Sie wurden gerufen", wispert Legolas gut verständlich und ich höre Gimlis Stimme hinter uns.
"Die Toten? Gerufen? Das wusste ich."
Dann ruft er fast schon panisch nach Aragorn, Legolas und mir und kommt aus dem Gang zu uns gehastet. 
Wir gelangen in eine Halle, in der Nebel in Form von Händen und Körpern am Boden liegt. Augenblicklich packe ich mein Schwert fester und bahne mir mit den anderen einen Weg vorwärts. Der Boden ist seltsam uneben, aber ich kann ihn nicht sehen durch den Nebel, der nach mir zu greifen scheint. Ich spüre den Zug an meiner Kleidung und komme nur mühsam vorwärts, während die Hände sich emporstrecken und versuchen mich aufzuhalten. Plötzlich werde ich von einer Kraft zu Boden gerissen und der Nebel streicht über meine Haut wie Hände. Mit dem Schwert schlage ich um mich und stehe wieder auf, um dann schnell zu Legolas zu eilen. Dieser bleibt stehen und Aragorn schaut kurz zu Boden.
"Schaut nicht nach unten."
Gimli, der die geisterhaften Hände durch Pusten verscheucht hat, tritt auf irgendetwas, was mit einem lauten, unangenehmen Knacken zerbricht. Sofort habe ich ein ungutes Gefühl was dort unter mir liegt und schaue versuchsweise nach unten. Nun weiß ich auch, warum der Boden so uneben ist: wir stehen auf den Gebeinen von Menschen, und das Knacken war ein Schädel.
Gimli kommt schnell zu uns gelaufen und wir rennen aus dieser grausigen Halle hinaus. Unruhig schauen wir uns um, als wir auch schon in die nächste Halle kommen, doch diese ist größer als die andere. Auf unserer rechten Seite klafft eine tiefe Schlucht und links vor uns ist eine Art Haus in den Stein gemeißelt worden. Darüber strahlt trübes Licht in die Halle und taucht alles in ein dämmriges Licht. 'Wenigstens sind hier keine Knochen.'
In der Mitte der Halle bleiben wir stehen.
"Wer kommt in mein Reich?", fragt eine unheilvolle Stimme, die aus dem Nichts zu kommen scheint und vor dem Haus erscheint eine grünliche, durchsichtige Gestalt.
"Einem, dem ihr Treue schwort!", antwortet Aragorn.
"Die Toten folgen nicht dem Willen der Lebenden", sagt der Geist und ich sehe, dass sein Gesicht wie zerfressen scheint.
"Mir werdet ihr folgen!", erwidert Aragorn, da beginnt der Geist zu lachen, und dieses Lachen wird lauter und klingt wie herabfallende Felsbrocken.
Plötzlich erscheint über der Schlucht eine Geisterstadt und Legionen von Geistern strömen auf uns zu.
"Der Weg ist versperrt. Er wurde gemacht, von jenen die tot sind. Und die Toten halten ihn", wiederholt der Geist, der der König zu sein scheint, den Spruch von der Tür und um ihn herum erscheinen weitere Geister. In einem großen Kreis stehen sie nun um uns herum.
"Der Weg ist versperrt. Jetzt müsst ihr sterben."
Legolas schießt einen Pfeil nach dem König, doch der geht einfach durch ihn hindurch und landet klirrend irgendwo zwischen den Geistern. Angriffsbereit stelle ich mich hin und warte auf die Toten, die nun bedrohlich näherkommen. Sie werden uns töten wenn wir nichts unternehmen.

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