Der Herr von Bruchtal

Mein Zimmer ist groß, luftig und hell, es gibt ein Bett, einen Schrank und eine Kommode. Noch stehen keine persönlichen Sachen herum, denn ich habe meine Taschen einfach nur ans Fußende des Bettes fallengelassen, mir den nassen Umhang abgestreift und mich schlafen gelegt, so erschöpft war ich.
Doch nun wache ich auf, warme, helle Sonnenstrahlen fallen zum Fenster herein und tauchen alles in goldenes Licht. Benommen setze ich mich auf, blinzelnd und verwirrt. Ich muss erst mal realisieren wo ich hier bin, doch dann fühle ich die weiche Matratze und die Decke unter mir und erinnere mich wieder. Voller Freude springe ich aus dem Bett und laufe zum Fenster, um die Aussicht zu bewundern. Ich habe einen genialen Blick auf den Fluss mit der Brücke und dem Weg in den Wald dahinter, außerdem kann ich auf einen Balkon hinaustreten und den Wind in den Haaren spüren. Da ich in meinen Reisesachen geschlafen habe, bin ich ein wenig steif und freue mich, mich endlich waschen zu können. Nachdem ich das erledigt habe, ziehe ich mir eins der Kleider an, welches ich mit hierher genommen habe. Es ist hellgrün mit weißen Stickmustern an den Ärmeln, die mir bis zu den Handgelenken gehen, aber dennoch ist es einfach und schlicht. Mit einigen kleinen Handbewegungen mache ich mir die Haare zurecht, trete auf die Tür zu und lege meine Hand auf die Klinke. Mit einem aufgeregten Kribbeln im Bauch schaue ich meine Hand an und Freude überkommt mich.
'Mein erster Tag in Bruchtal!' Ich hole tief Luft und öffne schwungvoll die Tür. Draußen glänzt alles noch feucht vom Regen des gestrigen Tages, doch unter den Dächern ist es trocken. Aufgeregt trete ich auf den Gang, schließe die Tür und eile zum Geländer. Mit strahlenden Augen schaue ich mir alles an, nehme jedes Detail gierig in mich auf und laufe los. Auf dem Weg begegnen mir andere Elben, die ruhigen und gemessenen Schrittes daherlaufen, und mir verwundert hinterher schauen, als ich fröhlich an ihnen vorbeilaufe. Ich begrüße jeden einzelnen von ihnen mit einem überschwänglichen: "Guten Morgen!" und erhalte ab und zu ebenfalls eins zurück.
Neugierig laufe ich herum, betrachte die Aussicht und erkunde ganz allmählich Bruchtal. Dabei hält mich keiner der Elben auf, auch wenn sie mich mit einem amüsierten Lächeln bedenken.
Als ich schließlich in einen Raum komme, der aussieht wie ein Speisesaal, steht einer der Elben überrascht auf und kommt auf mich zu.
"Frau Jedwiga, ich dachte ihr würdet noch schlafen", sagt er und versucht seine Verblüffung zu überspielen. Es ist einer der Elben, die mich gestern begrüßt haben. Seine Haare sind hellbraun und fallen glatt über seinen Rücken. Braune Augen mustern mich aufmerksam, aber zurückhaltend, und seine Haltung ist gerade und gefasst.
"Nun, wie ihr seht bin ich wach und hier", erwidere ich mit einem Lächeln. Der Elb deutet eine leichte Verbeugung an.
"Mein Name ist Gerondiel. Ich werde euch jetzt zu Herrn Elrond bringen, da dieser mit euch sprechen möchte."
'Na endlich erfahre ich mal den Grund weshalb ich hier bin!', denke ich und folge Gerondiel aus dem Speisesaal hinaus auf einen Gang, den ich noch nicht erkundet habe. Wir folgen diesem Gang und Gerondiel nickt den Elben höflich zu, die ebenfalls den Gang entlang gehen. Unsicher mache ich es ihm nach, auch wenn es bei mir ganz anders wirkt als bei ihm. Schließlich kommen wir nach einigen Minuten in einen großen Saal, indem sich drei Elben befinden und eine Elbin. Sie sitzt in einer Ecke und stickt konzentriert ein Muster auf ein Deckchen, während die drei Elben an einem Tisch stehen und miteinander reden. Einer von ihnen hat rotbraunes Haar und dunkelgrüne Augen, der zweite ist braunhaarig mit braunen Augen und der Dritte ist schwarzhaarig mit dunkelblauen Augen, steilen schwarzen Augenbrauen und einem ernsten Gesichtsausdruck.
Er ist der erste, der mich bemerkt und seinen stechenden Blick auf mich richtet. Unwillkürlich merke ich, dass er der Elb mit dem höchsten Rang in diesem Raum ist.
'Das ist bestimmt Elrond.'
Der schwarzhaarige tritt einige Schritte auf mich zu und mustert mich aufmerksam. Er trägt ein langes, helles Gewand und einen Stirnreifen, der anscheinend als Schmuck dient. Seine spitzen Ohren sind gut zu sehen und ich bemerke, wie ich ihn anstarre. Schüchtern schaue ich zu Boden und betrachte die Muster im Steinboden. Ich habe keine Ahnung, warum mich der Elb so sehr einschüchtert, aber ich fühle mich nicht unbehaglich, sondern eher so, als würde ich als kleines Kind vor einem viel älteren Erwachsenen stehen und einfach nur staunen.
"Bist du die Elbe, die von den Menschen aufgezogen wurde?"
Erschrocken hebe ich den Kopf und schaue ihm in die Augen, so überrascht bin ich über die Frage. Doch er schaut nun freundlicher, das Stechende in seinem Blick ist verschwunden, stattdessen flackert etwas anderes darin auf.
"Ja, das bin ich. Mein Name ist Jedwiga, und wer seid Ihr?", erwidere ich etwas unbeholfen, aber es scheint ihn nicht zu stören.
"Lasst uns bitte einen Augenblick allein", bittet er die anderen zwei Elben.
"Du auch, Arwen", fügt er mit einem Blick auf die Elbin hinzu, als die anderen beiden bereits draußen sind.
"In Ordnung, Ada", erwidert sie, legt ihr Stickzeug nieder und schaut mich neugierig von der Seite her an, während sie an mir vorbeiläuft. Dann schließt sich die Tür hinter ihr und wir sind alleine im Raum.
"Willkommen in meinem Haus! Ich bin Elrond, Herr von Bruchtal. Aber das hast du dir sicher schon gedacht."
Er lächelt sanft und ich merke, dass er das nicht sehr oft tut. Ich mache einen ungelenken Knicks.
"Vielen Dank, Herr", gebe ich zurück in der Hoffnung, dass es sich nicht zu aufgesetzt anhört.
"Sicherlich fragst du dich bereits, warum ich dich habe herkommen lassen."
Ich nicke unsicher.
"Nun, alle Elben gehören zu ihrem Volk, und nur dort können sie alles lernen, was sie wissen und können müssen, um eine würdige Elbe zu sein. Auch du."
Also hatten meine Eltern recht.
"Erzähle mir doch ein bisschen von dir", schlägt er vor und deutet einladend auf zwei Stühle, die ich jetzt erst bemerke. Er setzt sich und ich beeile mich zu ihm zu kommen, und es ihm gleichzutun.
"Gerne", antworte ich und merke, wie ein kleiner Teil meiner Anspannung von mir abfällt. Dann erzähle ich ihm von meinen Eltern, wer sie sind, wo sie her kommen und einfach alles. Von Bahel erzähle ich und kann dabei den Stolz in meiner Stimme nicht unterdrücken. Der Tag, an dem meine Eltern mit mitteilten, dass ich kein Mensch sei, ist für Elrond anscheinend der interessanteste. Aufmerksam hört er mir zu, dabei lässt er mich nicht aus den Augen.
"Wie alt warst du damals, als du es erfahren hast?", unterbricht er mich.
"Fünfzehn", antworte ich ein wenig verunsichert.
"Und wie alt bist du jetzt?"
Ich höre die leise Anspannung in seiner Stimme und spüre, dass diese Information für ihn von größter Bedeutung ist.
"Zwanzig, seit zwei Monaten", antworte ich stolz und setze mich grade auf. Doch Elrond schmunzelt und senkt den Kopf.
"Zwanzig...", murmelt er kaum hörbar und in seinen Augen blitzt kurz Schmerz auf.
"Wie kann es sein, dass du erst zwanzig bist, aber schon so erfahren und reif aussiehst, für eine Elbe, die unter Menschen aufgewachsen ist?", fragt er mich, doch der Ton in seiner Stimme klingt so, als würde er nach einem Grund suchen, dass ich nicht zwanzig Jahre alt bin.
"Ich habe keine Ahnung, vielleicht hängt es ja damit zusammen, dass ich bei Menschen aufgewachsen bin", vermute ich mit einem Schulterzucken. 'Wieso ist das denn so wichtig?' Elrond nickt geistesabwesend, dann schaut er mich wieder an.
"Weisst du wie alt ich bin?"
Diese Frage überrascht mich zutiefst, denn so etwas fragt man nicht bei seiner ersten Unterhaltung.
"Ich würde euch auf Mitte 40 schätzen", erwidere ich vorsichtig. Da lacht er leise auf, erhebt sich und schaut gutmütig auf mich herunter.
"Ich lebe bereits seit über 3000 Jahren."
Mir bleibt vor Schreck der Mund offen stehen.'3000?!'
"Elben sind äußerst langlebig", erklärt er mir.
"Das sehe ich", murmele ich benommen und meide seinen Blick. Doch dann fühle ich seine Hand auf meiner Schulter und schaue ihn überrascht an. Ein freundliches Lächeln liegt auf seinen Lippen und sein Blick ist warm.
"Geh jetzt, du musst gewiss über einiges nachdenken."
Ich nicke, stehe auf und verneige mich leicht.
"Vielen Dank für eure Zeit", verabschiede ich mich und verlasse den Raum. 'Hilfe!'
Sofort suche ich mein Zimmer auf, das Nachdenken ist eine großartige Idee.

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