Der graue Mann
•fünf Monate später•
Jeden Morgen, wenn ich aufwache, trifft mich der Schmerz, doch ich versuche Elronds und Arwens Rat zu befolgen und mit ihm zu leben. Es ist schwer und ich neige immer wieder dazu, mich abzulenken und Sachen alleine zu machen, da ich dann nicht mich bemühen muss, freundlich zu sein.
Doch eines Tages kommt Elrond zu mir, während ich im hellen Sonnenschein auf einer Bank auf einer Terrasse sitze und in einem kleinen Buch lese.
"Jedwiga, es ist Besuch da für dich. Ich möchte, dass du dich ein wenig mit ihm unterhältst."
Verwirrt schaue ich auf und sehe einen alten Mann hinter meinem Vater. Er ist in ein langes, graues Gewand gekleidet, mit einer silbernen Schärpe über seiner Brust und hält einen Stab in der rechten Hand. Sein grauer Bart geht ihm bis über die Brust und seine grauen Augen blitzen aufmerksam unter seinen buschigen Augenbrauen hervor. Viele Falten durchziehen sein Gesicht und er wirkt weise und erfahren. Er lächelt mich an, doch ich lächle nicht zurück, sondern mustere ihn neugierig.
"In Ordnung Vater."
Ich lege das Buch neben mich und Elrond nickt lächelnd. Dann dreht er sich um, tritt neben den alten Mann und sagt ihm leise etwas. Dieser nickt und Elrond verschwindet.
"Und wer seid ihr?", frage ich den Mann, der nun auf mich zu kommt.
"Ich bin Gandalf, Gandalf der Graue. Ich bin einer der fünf Zauberer von Mittelerde. Aber ihr Elben nennt mich Mithrandir."
Seine Stimme ist tief, aber angenehm und man hört, dass er laut sprechen kann, wenn er muss. Jetzt allerdings ist er sanft und freundlich. Ich mache große Augen bei seinen Worten und mein Interesse ist wesentlich gestiegen.
"Ihr seid ein Zauberer?"
"Ja, aber auch ein alter Mann. Darf ich mich vielleicht zu dir setzen?"
"Aber natürlich."
Nun lächle ich Gandalf das erste Mal an und er lässt sich neben mir auf die Bank sinken.
"Danke. Wie ich sehe liest du gerne."
Er deutet auf das Buch neben mich.
"Ja, ich möchte halt viel wissen. Ich habe noch nie einen Zauberer getroffen. Wie ist das so?"
Gandalf scheint ein wenig überrascht über meine Frage zu sein, denn er hebt beide Augenbrauen.
"Ähem, naja, es ist so, wie es ist ein Zauberer zu sein. Eine Menge Verantwortung, eine Menge Fragen und viele Aufgaben."
Ich nicke langsam.
"Und was für Zauber könnt ihr so?"
"Och, so dies und das."
Er zwinkert mir zu, dann erscheint plötzlich ein flammender Vogel vor mir in der Luft. Ich erschrecke, weiche zurück und starre ihn an.
Der Vogel fliegt in Kreisen vor mir her, dann löst er sich auf in Asche, Rauch und Glut.
Gandalf lacht angesichts meines Gesichtsausdruck und holt eine lange Pfeife aus einer Innentasche seines Gewandes. Während er sie stopft schaut er mich an und fragt mich dann auch etwas.
"Und wie ist dein Name?"
"Jedwiga", antworte ich ein wenig verwirrt.
"Hat euch mein Vater meinen Namen etwa nicht gesagt?"
"Hm, nein. Ich hörte allerdings, dass du die eine Elbe bist, die ihre ersten zwanzig Lebensjahre bei einer Menschenfamilie verbracht hat."
Augenblicklich richte ich mich auf und fixiere Gandalfs graue Augen, die nun nicht mehr fröhlich leuchten, sondern mich ernst mustern.
"Was tut das zur Sache?", frage ich leise und bedrohlich. Aber Gandalf lässt sich davon nicht beeindrucken.
"Ich habe auch gehört, dass du vor etwas mehr als fünf Monaten deine ganze Familie verloren hast", ignoriert er meine Frage. Ich balle meine Hände unwillkürlich zu Fäusten, presse die Kiefer aufeinander und starre wütend auf den Boden vor mir.
"Hat euch mein Vater deswegen geschickt? Damit ihr mit mir redet?"
Gandalf seufzt und zieht am seiner Pfeife, die er sich angezündet hat, ohne dass ich es bemerkt habe. Er bläst einen Rauchring bevor er antwortet.
"Das ist richtig. Aber er tat es, weil er sich Sorgen um dich macht. In der letzten Zeit warst du nicht du selbst, und das kann ich bestätigen. Es ist nicht natürlich für eine junge Elbe so ernst und kalt zu sein. Er meinte, vielleicht könnte ich dir helfen, damit du wieder ins Leben zurückfindest."
"Aber ich lebe doch", schnaube ich, doch meine Aggression verraucht wie der Feuervogel, den Gandalf heraufbeschworen hat. Meine Schultern sacken nach unten und ich lasse den Kopf hängen. 'Wenn mein Vater sich solche Sorgen um mich macht, dass er einen Zauberer holt um mir zu helfen, wie schlimm muss es dann erst wirklich sein?' Ich weiß, dass ich in den letzten Monaten nicht besonders freundlich zu allen gewesen bin, aber dass es so heftig ist, hätte ich nie gedacht. Gandalf spürt meine Trauer und Nachdenklichkeit und legt mir eine Hand auf die Schulter.
"Du schaffst das schon. Sieh mal, du hast deine Familie ja nicht wirklich verloren, dein Vater und deine Schwester sind immernoch da, und obwohl sie dich erst so kurze Zeit kennen, haben sie dich bereits liebgewonnen. Sie werden dich nicht im Stich lassen, darauf kannst du vertrauen. Wenn du endlich mal ihre Hilfe annehmen würdest, würde es dir ganz schnell besser gehen."
Unsicher schaue ich ihn an, zum Ende hin ist er lauter und heftiger geworden, aber ich kann ihn verstehen.
"Und ich weiß, dass du jemanden kennenlernen wirst, der dir auch dabei helfen wird. Ich glaube, ich weiß sogar schon wer es ist", meint er dann ruhiger zu mir und lächelt. Schüchtern erwidere ich sein Lächeln.
"Das haben Frau Galadriel und mein Vater mir auch schon so in etwa gesagt."
'Und geträumt habe ich auch schon von so jemandem.'
"Na dann, dann wird es wohl stimmen."
Das erste Mal seit langem liegt ein echtes Lächeln auf meinen Lippen, jedoch nur kurz. Gandalfs Art kann mich nicht kalt lassen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er bei kleinen Kindern sehr beliebt ist.
Da schickt Gandalf plötzlich ein Rauchschiffchen in die Luft und ich verfolge es mit vor Staunen großen Augen, bis ich peinlich berührt zusammenzucke. 'Naja, eigentlich bin ich auch noch ein Kind in den Augen der Elben...'
"Und wie mache ich das, ins Leben zurückfinden?", frage ich ihn und er wirkt erfreut.
"Geh unter die Leute. Umgib dich mit Gleichaltrigen und nimm deinen Unterricht in jeder Hinsicht wieder auf. Reise. Denn das hätten deine Eltern gewollt."
Ich nicke, als plötzlich Elrond hinter mir auftaucht. Erst erschrecke ich, doch dann springe ich auf, laufe zu ihm und nehme ihn in den Arm.
"Es tut mir leid, Ada."
Ich habe ihn lange nicht mehr so genannt, lange für mich, und es fühlt sich gut an. Elrond legt behutsam seine Arme um mich und zieht mich an seine Brust.
"Alles vergessen, meine Tochter. Du hattest genügend Gründe für dein Verhalten, weder Arwen noch ich sind dir böse."
Ich schaue ihn an und er streicht mir fürsorglich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Da steht Gandalf auf, ich lasse meinen Vater los und Elrond nickt ihm dankbar zu.
"Vielen Dank, alter Freund."
Doch Gandalf winkt ab.
"Das habe ich doch gerne gemacht, Herr Elrond."
"Wollt ihr meinen Töchtern und mir heute Abend zum Essen Gesellschaft leisten?", fragt mein Vater schließlich und ich schaue Gandalf aufmerksam an.
"Aber natürlich, nur bin ich nicht angemessen gekleidet für ein Abendessen."
Ein Schmunzeln schleicht sich auf Elronds Gesicht, so als wolle er erst etwas darauf erwidern, aber er hält sich zurück.
"Ihr seid uns immer Willkommen, Mithrandir."
Er neigt den Kopf, dann schaut er mich fragend an.
"Und was möchtest du bis heute Abend machen?"
Unschlüssig überlege ich.
"Ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt würde ich am liebsten erstmal bei dir bleiben, wenn das für dich in Ordnung ist."
Unsicher schaue ich ihm in die Augen, aber sie sind warm und er lächelt.
"Ich würde mich freuen. Aber erstmal möchte ich mit Mithrandir alleine sprechen. Würdest du kurz gehen und auf mich warten? Ich komme gleich nach."
Ich nicke und verlasse die Terrasse durch die Tür. Ich kann nicht wirklich behaupten, dass es mir besser geht, aber ich bin gewillt alles zu tun um wieder ich selbst zu werden. Und so warte ich, bis Elrond nach einiger Zeit zu mir stößt und wir gemeinsam irgendwohin gehen.
Hallo nochmal! ^^
Ich wollte euch noch sagen, dass ich noch einen letzten Zeitsprung unternehmen werde, ich hoffe es stört euch nicht. Aber ihr sagt ja eh nichts :D
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