Das letzte Training
•zweihundert Jahre später•
Mit den Jahren wurde ich immer reifer und freundete ich mich immer mehr mit Gandalf und Arwen an, und obwohl ich meine Familie immer mehr liebe, bleibt der Schmerz tief in mir.
Meine Augen sind immernoch kalt, allerdings strahle ich diese Kälte nicht mehr aus. Ich wurde wieder herzlicher, und circa ein Jahr nach dem Tod von Bahel, Angathel und Derian kamen ab und zu Elben nach Bruchtal mit dem Ziel, mich zu sehen. Einige hielt Elrond von mir fern, doch mit dem Rest kam ich selbst klar. Auf Gandalfs Rat hin nahm ich meinen Unterricht wieder auf und weiß nun sehr viel über Mittelerde, Mathematik, die Natur, die anderen Angehörigen meines Volkes und noch sehr viel mehr. Meine Lehrer sind begeistert von meinem Eifer und meinem Wissensdurst und bestärken mich in fast jedem meiner Vorhaben. Dank des intensiven Trainings mit meinem Vater beherrsche ich die Kunst des Schwertkampfes nun beinahe perfekt.
Und an diesem Tag - es ist der erste warme Frühlingstag nach einem kalten und langen Winter - habe ich meine Feuerprobe. Ich werde gegen meinen Vater kämpfen um zu sehen, ob ich gut genug bin. So zumindest hat Elrond es ausgedrückt, er hat aber vergessen zu sagen, wofür ich gut genug sein soll. Jedenfalls versammeln sich einige Elben am Trainingsplatz, darunter auch Arwen und meine Lehrer.
Elrond trägt seine leichte Kampfrüstung und auch ich bin dementsprechend gekleidet. Wir beide haben Übungsschwerter aus Stahl, aber sie sind nicht geschärft. Trotzdem tut ein Schlag damit weh und ein Stoß mit der Spitze kann schon verletzen, da diese spitz ist.
"Bist du bereit?", fragt mein Vater mich und ich nicke.
"Jederzeit."
Ein Funken Abenteuerlust blitzt in meinen Augen auf, und ich freue mich auf diesen Kampf. Ich will Elrond beweisen, dass sein Training erfolgreich gewesen ist. Meine Haare sind hinter meine Ohren zurückgeflochten, damit sie mich beim Kampf nicht behindern.
Plötzlich greift Elrond an, doch ich habe das voraus gesehen und weiche aus. Unsere Klingen prallen schnell aufeinander, während wir in blitzschnellen Angriffen und Paraden umeinander herumlaufen. Keiner von uns beiden ist wirklich überlegen, doch ich bemerke Elronds Kraft. Er ist älter und erfahrener als ich, aber ich lasse mich davon nicht verunsichern.
In einem geschmeidigen Sprung weiche ich seiner Klinge nach oben hin aus, schlage einen Salto und komme auf Elronds anderer Seite auf. Doch bevor ich ihn mit dem Schwert treffen kann, pariert er, dreht sich einmal herum, sodass meine Klinge von seiner abrutscht, und greift seinerseits an. Wieder liefern wir uns ein schnelles Schlagduell, doch ich merke, dass meine Kräfte ein wenig nachlassen.
Da bin ich für einen Moment unachtsam und Elrond gelingt es einen Streich gegen meinen Arm zu führen. Im allerletzten Moment weiche ich aus, doch die Spitze des Schwertes reißt meine Kleidung ein wenig auf und ritzt in die Haut darunter.
Ich ignoriere den Schmerz, auch wenn es mich überrascht. Verbissen mache ich weiter, pariere, greife an und versuche eine Lücke in seiner Verteidigung zu entdecken.
Eine Weile lang ist nur unser Atem zu hören, zusammen mit Schreien wenn wir einen Angriff starten und das Klirren der Schwerter. Mir ist heiß, Schweiß steht auf meiner Stirn und läuft mir in die Augen. Ich blinzele ihn weg und weiche Elronds nächstem Angriff aus. Auch er schwitzt und sieht angestrengt aus.'Vielleicht ist das meine Chance.' Mit einem gewagten Sprung nach vorne stoße ich nach ihm, drehe mich aber im selben Moment herum und greife von einer anderen Seite her an. Nur mit größter Mühe kann mein Vater abwehren, doch irgendwie gelingt es mir, seine Verteidigung zu durchbrechen. Mit einer kreisförmigen Bewegung der Schwertspitze winde ich ihm sein Schwert aus der Hand, er fällt auf die Knie und ich halte ihm mein Schwert an die Kehle. Mit ausgebreiteten Armen kniet er vor mir auf dem staubigen Boden, schwer atmend, aber leicht lächelnd. Ich keuche, aber Stolz durchströmt mich.
"Du hast es geschafft", bringt Elrond schließlich hervor und ich grinse. Ich lasse mein Schwert sinken, stecke es in den Boden und helfe meinem Vater auf. Stolz glüht in seinen Augen und er schließt mich in seine Arme. Wir beide sind schmutzig, verschwitzt und erschöpft, aber das ist uns gerade vollkommen egal. Applaus von den Zuschauern um uns herum brandet auf und ich lächle über das ganze Gesicht. Elrond lässt mich los, dann berührt er mit einer schmutzigen Hand meinen Arm.
"Tut es weh?"
Doch ich schüttele entschieden den Kopf, ziehe den Ärmel nach oben und zeige ihm meinen Arm: Es ist fast nichts mehr zu sehen. Da lacht Elrond auf und zieht mich wieder zu sich. Arwen kommt zu uns und Elrond legt auch einen Arm um sie.
So stehen wir drei da, auf dem Trainingsplatz und umarmen uns alle, als eine Familie. In diesem Moment geht es mir so gut, dass ich meinen Durst, meinen Hunger und meine Erschöpfung vergesse. Doch dann ist dieser Moment auch schon vorbei, Elrond lässt mich los und wendet sich an die umstehenden Elben.
"Jedwiga hat es geschafft! Sie hat mich besiegt und damit ihr Training abgeschlossen. Sie ist nun eine vollwertige Kriegerin!"
Er nimmt meine Hand und hält sie in die Höhe. Die Wachen jubeln, die Bediensteten klatschen und alle anderen Bewohner von Bruchtal laufen zu uns um mir zu gratulieren. Ich lache und nehme die Gratulationen mit leuchtenden Augen entgegen.
Nach einer Weile schickt Elrond mich mit einem Lächeln los, damit ich mich waschen und mir etwas anderes anziehen kann.
"Du hast heute noch etwas zu tun", meint er und zwinkert. Protestlos gehe ich zum Frauenbad, müde aber überglücklich, denn ich bin gespannt was es damit auf sich hat.
Arwen holt mich ein und klopft mir lachend auf die Schulter.
"Das war fantastisch! Wie ihr gekämpft habt, das war fast schon atemberaubend schön! Ich habe meinen Vater selten so glücklich und stolz gesehen."
Ihre Augen strahlen und ich nehme sie kurz und fest in den Arm.
"Danke, Arwen. Jetzt muss ich aber los, ich stinke bestimmt heftig."
Sie grinst und rümpft gespielt die Nase.
"Oh ja, fast so schlimm wie ein Ork."
Unwissentlich hat sie damit einen ganz empfindlichen Nerv von mir getroffen. Denn nachdem was mit meiner Familie passiert ist, hege ich einen glühenden Hass gegen Orks, Bilwisse und alle ihrer Art. Schweigend nicke ich, dann verschwinde ich im Frauenbad.
Arwen hat meinen plötzlichen Stimmungswechsel nicht bemerkt, und ich versuche wieder gut drauf zu kommen. Das Bad entspannt und beruhigt mich, sodass meine Euphorie wieder zurückkehrt und ich es kaum noch abwarten kann bis ich fertig bin.
Als ich zu dem Raum komme, wo meine neuen Kleider liegen sollen, finde ich dort ein mir unbekanntes Kleid vor. Es ist tiefblau, fast schwarz, mit langen, spitzen Ärmeln und geht bis zum Boden. Aber das schönste sind die Säume des Kleides: sie sind bestickt mit feuerroten Mustern und einige Muster winden sich die Ärmel hoch, vom Ausschnitt auf dem Bauch hinunter und vom Saum am Boden in Ranken nach oben. Staunend betrachte ich es und ziehe es ehrfürchtig an.
Meine Haare flechte ich mir zu einer einfachen, aber schönen Frisur und trete dann auf den Gang. Seltsamerweise kommen mir keine Elben entgegen und ich mache mich auf den Weg sie zu suchen.
Plötzlich dringen Lachen und Musik aus einem Saal zu meiner rechten heraus und ich luge hinein. Sofort applaudieren die Elben im Saal und ich stehe perplex in der Tür. Da kommt Arwen auf mich zu, lachend und mit leuchtenden Augen.
"Da bist du ja endlich! Wir haben alle auf dich gewartet, und Ada ist schon fast ungeduldig."
Sie grinst, nimmt meine Hand und zieht mich zu Elrond, der in ein Gespräch mit einem anderen Elben vertieft ist.
"Ada, sie ist hier", kündigt Arwen mich an, Elrond beendet das Gespräch und schaut mich warm und stolz an. Er hebt beide Arme ein wenig und spricht mit lauter Stimme, sodass alle im Saal ihn hören können.
"Jedwiga, du bist nun eine vollwertige Kriegerin. Und als Kriegerin braucht man natürlich auch seine eigene Waffe."
Er deutet auf einen Elben, der ein langes Kissen trägt, auf dem ein Schwert in seiner Scheide ruht. Der Griff ist mit Leder bezogen und wunderschöne Runen und Muster sind darin eingearbeitet. Auch die Scheide ist kunstvoll, aber nicht zu sehr, denn sie soll das Schwert ja nur schützen. Ehrfürchtig nehme ich es mit beiden Händen von dem Kissen heunter, packe mit einer Hand den Griff und schaue Elrond lächelnd an. Dann ziehe ich das Schwert in einer fließenden Bewegung hervor, lasse es einmal in meiner Hand drehen und halte es mir vor die Augen. Es ist eine einschneidige, glänzende Klinge, auf deren stumpfe Seite elbische Buchstaben eingraviert wurden. Staunend schwinge ich es ein paar Mal herum, es ist leicht, aber robust und perfekt ausbalanciert.
"Die Klinge ist aus Mithril gefertigt. Sie wird niemals stumpf werden oder brechen", sagt mein Vater mit feierlicher Stimme und ich lächele. Dann stecke ich das Schwert wieder zurück, nehme es in meine linke Hand und verneige mich vor Elrond.
"Ich danke dir, Ada."
Diese Worte kommen aus tiefstem Herzen, und Elrond spürt das. Für einen Moment schaut er mich liebevoll an, dann senkt er den Kopf vor mir und Arwen stürmt auf mich zu. Dieser Tag ist definitiv der schönste meines Lebens.
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