Bis zum Nebelgebirge

Bei dem Ritt auf verborgenen Pfaden durch den Wald schmiegt sich Jedwiga eng an mich und schlingt ihre Arme um meine Taille. Auch nach zehn Jahren beginnt mein Körper jedes Mal zu kribbeln wenn ich ihr so nahe bin und ein starkes Glücksgefühl ergreift mich.
"Wie heißt er eigentlich?", fragt Jedwiga mich und ich brauche einen kurzen Moment um zu verstehen, dass sie das Pferd damit meint. Es ist ein kräftiger junger Hengst, der noch nicht so oft geritten wurde aber dennoch zahm ist.
"Heras."
"Heras... so hieß mein erstes Pferd, mit dem bin ich nach Bruchtal geritten. Und auch zum Hof meiner alten Familie als das Unglück geschehen ist."
Sie schweigt, legt aber ihre Wange an meine Schulter.
"Ist alles in Ordnung?", frage ich sie besorgt.
"Ja, ich bin nur müde. Keine Ahnung wie es dir geht, aber ich habe letzte Nacht nicht so viel geschlafen."
Ein leises Lachen löst sich aus ihrer Brust und ich grinse.
"Nein, ich habe auch nicht besonders viel Schlaf bekommen, aber du musst zugeben, dass es sich gelohnt hat."
"Das will ich gar nicht bestreiten", erwidert sie lachend. Einträchtig schweigend reiten wir im schnellen Trab weiter gen Südwesten bis wir die südliche Grenze erreichen. Von da an reiten wir nach Westen bis wir aus dem Wald herauskommen werden.
Der Tag ist schön, es ist warm, ein leichter Wind weht durch die Baumwipfel und die Vögel zwitschern zwischen den Blättern.
"Lass uns früh unser Lager aufschlagen und etwas essen, damit wir nochmal richtig schlafen können", schlägt Jedwiga vor und ich stimme ihr zu.
Am Waldrand steigen wir ab und suchen uns einen geeigneten Baum, unter dem wir unsere Sachen ausbreiten. Ich hole etwas Proviant aus einer Tasche, lasse Heras aber gesattelt falls wir schnell entkommen müssen.
Die Sonne geht bereits unter und der Himmel färbt sich dunkler. Erste Sterne sind am Firmament zu sehen und die Vögel verstummen langsam.
"Wir werden kein Feuer anzünden und abwechselnd Wache halten. Wer weiß was für Kreaturen hier herumschleichen", bestimme ich und lehne mich im Sitzen mit dem Rücken gegen den Baumstamm. Jedwiga setzt sich neben mich und wir essen gemeinsam unser Abendbrot.
"Ich übernehme die erste Wache", meine ich, aber Jedwiga hat anscheinend etwas anderes vor. Sie legt ihre Hand an meine Wange, zieht meinen Kopf zu sich und küsst mich liebevoll auf den Mund. Sofort erwidere ich ihren Kuss und lege eine Hand an ihre Taille.
"Jetzt kannst du Wache halten."
Sie grinst, küsst mich nochmal kurz und legt sich dann auf ihren Umhang. Ihren Kopf bettet sie auf meinem Schoß und ich streiche ihr sanft über die Haare.
"Gute Nacht", flüstere ich ihr noch zu und sie lächelt, dann fallen ihr die Augen zu und ihr Atem wird ruhig und gleichmäßig.
Sanft, um sie nicht wieder zu wecken, lege ich ihren Umhang um ihren Körper und decke sie gut zu. Ihre Hände liegen neben ihrem Kopf auf meinem Bein und ich kann ihren Ring an ihrem Finger sehen. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus und ich nehme behutsam ihre Hand in meine.
"Träum von mir, Jedwiga", wispere ich leise, dann richte ich meinen Blick auf unsere Umgebung und lausche aufmerksam. Heras steht in ein paar Metern Entfernung auf einer Wiese und döst, ansonsten ist nichts zu sehen. Allerdings kann ich die Tiere in ihren Höhlen hören, wie sie sich einkuscheln oder auch wie sie gerade herauskommen um auf Nahrungssuche zu gehen.
Die Sonne ist nun komplett untergegangen, nur noch ein orangener Schimmer ist am Himmel zu sehen. Schnell wird es richtig dunkel und alles Licht verschwindet, doch ich kann trotzdem noch alles erkennen. Die Sterne blinken am Himmel und es ist eine mondlose Nacht. Schweigend halte ich Wache, meine Liebste an meiner Seite, und schaue in den nächtlichen Wald.

Nach mehreren Stunden wecke ich Jedwiga sanft. Es ist schon Mitternacht vorbei, und in ein paar Stunden wird die Sonne aufgehen.
"Jedwiga", flüstere ich an ihrem Ohr und sie bewegt sich ein wenig.
"Was ist?", fragt sie verschlafen und macht ihre Augen auf. Das ferne Sternenlicht spiegelt sich in ihnen.
"Du bist dran mit Wache halten."
"Oh."
Leise richtet sie sich auf und streckt sich, dann lehnt sie ihren Rücken an den Baumstamm.
"Willst du nicht schlafen?", fragt sie mich, als sie bemerkt, dass ich keine Anstalten mache mich hinzulegen. Stattdessen betrachte ich sie im schwachen Licht der Sterne, welches ihr eine überirdische Schönheit verleiht, mehr als sonst schon.
"Doch", antworte ich nur und lege mich neben ihr auf den Rücken. Sie winkelt die Beine ein wenig an und sitzt dann still.
Langsam fallen mir die Augen zu und das letzte, was ich spüre, sind ihre Finger an meiner Wange und dann an meiner Hand.

Am nächsten Morgen halten wir uns nicht lange auf, sondern essen eine Kleinigkeit und steigen wieder auf Heras' Rücken.
Ich habe ganz gut geschlafen, und Jedwiga sieht auch ausgeschlafen aus. Dieses Mal sitzt sie vorne und ich habe meine Arme um ihre Taille geschlungen.
Sie lenkt Heras aus dem Wald heraus nach Westen. Ich weiß, dass dort der Anduin entlangfließt, aber ich war bisher noch nicht oft dort.
Schon bald lassen wir den Wald hinter uns und reiten über offene, grasbewachsene Ebenen mit sanften Hügeln. Vereinzelt stehen Bäume einsam auf einem Hügel, aber ansonsten ist nichts zu sehen.
"Ist irgendetwas?", holt mich Jedwigas Stimme aus meinen Gedanken und ich höre ihre Sorge.
"Nein, es ist nur..."
Ich verstumme und ringe aus irgendeinem Grund mit mir es ihr zu sagen. 'Reiß dich zusammen, sie kennt dich besser als irgendjemand sonst. Sie ist deine zukünftige Frau!'
"Ich vermisse das Rauschen der Blätter, die Schatten des Waldes und die Geborgenheit unter den Ästen der Bäume", gestehe ich ihr und warte ab. Sie lacht nicht, sondern legt mir mitfühlend eine Hand auf den Arm.
"Das kann ich gut verstehen. In Bruchtal gibt es wieder Bäume, keine Sorge. Und gegen die Stille hier, soll ich etwas singen?"
Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Immer wenn sie singt geht es mir besser, egal was los ist. Ich höre ihre Stimme so gerne, vorallem wenn sie Lieder singt die ich noch nie gehört habe.
"Gerne", antworte ich und Jedwiga beginnt zu singen. Ihre Stimme bahnt sich einen Weg direkt in mein Herz und lässt mich mein Heimweh vergessen. Glücklich schmiege ich mich an sie und atme ihren vertrauten Geruch ein. In ihrer Gegenwart kann ich nicht lange traurig sein.

Nach mehreren Stunden sind wir bereits am Anduin angelangt und reiten am Ufer entlang nach Süden zur Brücke. Links von uns kann ich den Düsterwald sehen und ich verabschiede mich in Gedanken von meiner Heimat. Dann drehe ich den Kopf und vergrabe meine Nase in Jedwigas Haaren. Sie sagt nichts, aber sie spürt was mich bewegt.
Schließlich kommen wir zu der Brücke und überqueren sie ohne Schwierigkeiten. Ich hebe den Kopf und schaue auf das Nebelgebirge, was sich vor uns erhebt.
Die schneebedeckten Gipfel scheinen den Himmel zu berühren und auf den schroffen Steinhängen wächst nichts. Nur am Fuß der Berge wachsen einige lichte Nadelwälder, mit vereinzelten Laubbäumen darin.
Das Kreischen eines Greifvogels über uns lässt mich aufblicken, doch dann senke ich den Blick wieder auf den Weg vor uns. Sanft lenkt Jedwiga Heras auf die Berge zu, über die trockene Ebene.
Es ist nichts zu sehen, kein Tier, kein Baum, einfach gar nichts. Unbehagen macht sich in mir breit und ich lasse den Blick über die Landschaft schweifen, auf der Suche nach irgendetwas, was meine Unruhe bestätigen könnte. Auch Heras wird nervös und spätestens jetzt merkt auch Jedwiga, dass etwas nicht stimmt. Sie bringt Heras zum stehen und legt die Hand an ihren Schwertgriff. Ich selbst nehme meinen Bogen von meinem Rücken und lege einen Pfeil in die Sehne. Angestrengt lauschen wir beide in die drückende Stille hinein, da weht uns plötzlich ein Windstoß einen übelriechenden Geruch ins Gesicht.
"Orks!", stellt Jedwiga fest und treibt Heras daraufhin wieder an.
"Dem Gestank nach zu urteilen viele. Zu viele für uns", erklärt sie und lässt den Hengst im schnellsten Galopp auf die Berge zustürmen. Sie drückt sich tiefer in den Sattel und lehnt sich nach vorne um dem Wind wenig Widerstand zu bieten und ich tue es ihr gleich. Mit elbischen Worten treibt Jedwiga Heras zu noch schnellerem Galopp an und der Hengst fliegt förmlich über den trockenen Boden.
Lautes Kreischen, diesmal nicht von einem Raubvogel, schallt über die Ebene. Die Orks haben uns entdeckt, sind aber zu langsam um uns zu folgen. Ich drehe den Kopf in die Richtung aus der das Kreischen kam und sehe gerade noch, wie eine Horde von vielleicht 100 Orks hinter einem fernen Hügel verschwindet. Dagegen hätten wir beim besten Willen keine Chance gehabt.
Erst nach einer Stunde drosselt Jedwiga die Geschwindigkeit soweit, dass Heras wieder ein wenig zu Kräften kommen kann. Durch dieses zeitweilige Tempo sind wir mittlerweile in dem Nadelwald am Fuße der Berge.
"Wir müssen bald Rast machen, ihm zuliebe", meine ich zu ihr und sie nickt. An einem Bach halten wir an und steigen von Heras' Rücken, damit er trinken und sich ausruhen kann.

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