Arwen, meine Schwester

Es ist kaum zu glauben was ich in diesen zwei Tagen in Bruchtal bereits erfahren habe. Und nicht einmal habe ich meine Familie wirklich vermisst, sondern ich habe eher meine neue Familie gefunden.
Irgendwann am Abend stürmt Arwen in mein Zimmer und ich lasse erschrocken fast das Buch über die Geschichte der Elben fallen. An ihrem aufgeregten Gesichtsausdruck erkenne ich, dass Elrond es ihr bereits erzählt hat.
"Ist es wahr? Bist du wirklich meine Schwester?", fragt sie, aber sie klingt erfreut und nicht, wie ich befürchtet habe, verärgert.
"Ja, ist es."
Ich stehe auf von meinem Bett und trete auf Arwen zu, ein glückliches Strahlen im Gesicht. Arwen nimmt mich in den Arm und ich erwidere die Umarmung überrascht.
"Meine kleine Schwester, ich habe eine kleine Schwester! Ich weiß noch wie ich dich im Arm hielt, das erste Mal und es kaum fassen konnte."
Sie hält mich von sich weg und betrachtet mein Gesicht.
"Aber natürlich! Jetzt sehe ich es auch, die unverwechselbare Ähnlichkeit mit deiner Mutter. Wie konnte ich das nur übersehen?"
Ich zucke die Schultern, wundere mich aber gleichzeitig.
"Es hat einfach niemand damit gerechnet. Was meinst du aber mit 'meiner' Mutter? Ist sie denn nicht auch deine gewesen?"
Daraufhin schüttelt sie den Kopf.
"Nein, meine Mutter starb vor langer Zeit. Deswegen ist es auch so grausam für Ada gewesen, beide Male seine Frau zu verlieren."
Dann schaut sie mich mit schiefgelegtem Kopf an.
"Ich glaube du hast recht, damit dass keiner damit gerechnet hast, dass du mit uns verwandt bist. Aber komm jetzt, ich finde wir sollten etwas zusammen unternehmen. Immerhin sind wir Schwestern!"
Sie lacht und zieht mich mit sich aus dem Zimmer.
"Aber Arwen, es ist doch schon bald dunkel und wir sollten schlafen gehen", protestiere ich nur halbherzig, denn eigentlich möchte ich gar nicht schlafen.
"Ach was, gerade im Sternenlicht ist es am schönsten draußen. Bitte."
Sie schaut mich mit großen Augen an und ich kann nicht anders als einzuwilligen. Gemeinsam laufen wir durch die Gänge und auf einen Hof, auf dem man ungehinderte Sicht auf den dunkelblauen bis schwarzen Himmel hat. Tausende Sterne glitzern am Himmel und es ist leise Musik aus einem der Säle zu hören. Staunend lege ich den Kopf in den Nacken und starre hinauf in den Sternenhimmel. "Wunderschön", flüstere ich und Arwen nickt. Dann dreht sie fragend den Kopf zu mir.
"Hast du die Sterne noch nie gesehen?"
"Doch, aber nur ganz selten", erwidere ich mit einem Kopfschütteln, ohne die Augen vom Himmel zu nehmen. Die gestrige Nacht war immerhin wolkenverhangen, und auch sonst gehe ich nicht oft nachts raus.
"Mein Vater, also ich meine meinen Adoptivvater, hat mir immer gesagt, dass es gefährlich draußen ist wenn es dunkel wird. Deswegen bin ich natürlich selten raus gegangen sobald die Sonne untergegangen ist."
Arwen nickt langsam und bedächtig.
"Da hast du aber echt was verpasst."
Dann beginnt sie, mir die verschiedenen Sternbilder zu zeigen und bringt mir die Namen bei. Zu manchen erzählt sie mir die Geschichte und die ich lausche aufmerksam und versuche mir alles zu behalten. Nach einer Stunde falle ich fast vor Müdigkeit um und mein Kopf schwirrt von den vielen Bezeichnungen, doch ich bin glücklich. Arwen schmunzelt als ich ein Gähnen nicht mehr zurückhalten kann und bringt mich zurück zu meinem Zimmer.
"Vielen Dank Arwen. Gute Nacht", murmele ich noch, dann fällt die Tür hinter mir zu und ich falle in mein Bett. Wenige Sekunden später bin ich eingeschlafen, mit meinem Kleid und den Schuhen, aber das ist mir in dem Moment vollkommen egal.

Der nächste Tag beginnt wieder mit hellem Sonnenschein. Ich wache auf, strecke mich, gähne und stehe langsam auf. Mein Kleid ist zerknittert und meine Haare in Unordnung, aber nach einer kurzen Wäsche und dem Angriff einer Bürste sehen sie wieder frisch und glatt aus wie sonst. Mit einer frischen Hose und bequemen Sachen mache ich mich auf zum Speisesaal.
Da heute meine erste Schwertkampfstunde sein wird, trage ich meine Reisesachen, bis ich richtige Kampfkleidung besitze. Im Speisesaal finde ich Arwen und setze mich sofort zu ihr. Sie trägt heute ein dunkelrotes Gewand mit tiefem Ausschnitt.
"Guten Morgen!", begrüße ich sie und sie lächelt.
"Hallo. Na, auch schon wach?"
Sie stupst mich freundlich an und zwinkert.
"So spät ist es doch gar nicht", protestiere ich, lache dann aber. Ich glaube, selbst wenn Arwen gemein zu mir wäre könnte ich ihr nicht böse sein.
"Was machst du heute so?", frage ich sie, während ich mir etwas zu essen nehme und sie seufzt.
"Ich muss lernen. Mein Geschichtslehrer will mich über die Geschichte Gondors abfragen und ich verwechsele immer wer wann König war und wessen Sohn danach König geworden ist."
Sie verzieht das Gesicht und ich lache.
"Und du?", fragt sie mich und ich erzähle ihr aufgeregt von meiner ersten Schwertkampfstunde mit Elrond, ich meine, meinem Vater. 'Das hört sich echt komisch an.'
"Das ist ja toll!", meint sie zu mir.
"Naja, aber danach habe ich meine erste Stunde in einem Unterrichtsfach und das könnte... nun ja, langweilig werden."
Doch sie schüttelt den Kopf.
"Das kommt ganz darauf an welchen Lehrer du bekommst."
'Oh, ach ja, Lehrer.'
"Kannst du mir denn ein paar empfehlen?", frage ich sie mit einem Grinsen. Da lacht sie auf.
"Aber klar, ich kenne alle Lehrer hier. Es gibt eigentlich nur nette, bis auf Gerondiel, der ist ein bisschen komisch zu manchen."
"Das habe ich schon bemerkt, zu mir war er am Anfang nett, doch dann..."
Ich lasse das Ende des Satzes unbestimmt in der Luft hängen und beiße in mein Brot, doch Arwen weiss was ich meine.
"Ja, er ist bei Zwergen aufgewachsen", informiert sie mich und ich verschlucke mich fast vor Schreck an einem Bissen Brot.
"Wie bitte? Bei Zwergen? Wie denn das?"
Arwen zuckt mit den Schultern.
"Keine Ahnung. Aber ich muss jetzt los, sonst schaffe ich heute gar nichts mehr. Wir sehen uns doch heute Abend noch, oder?"
"Ja, auf jeden Fall", antworte ich und sie erhebt sich.
"Na dann, bis später."
Sie wendet sich ab und schreitet durch die Tür aus dem Saal hinaus. Fasziniert schaue ich ihr hinterher. 'Ob ich auch irgendwann einmal so elegant und anmutig bin wie sie?'
Nachdem ich mein Frühstück beendet habe, gehe ich nach draußen zum Trainingsplatz, auf dem Elrond mir Schwertkampf beibringen wird. Er erwartet mich schon mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen und in Kampfkleidung.
"Jedwiga. Ich freue mich dich hier zu sehen."
"Ada."
Ich neige den Kopf. Elrond tritt zu mir und gibt mir einen Stock in die Hand. Ein wenig ratlos stehe ich da und halte den Stock, dann meint er zu mir:
"Bevor wir mit dem Training richtig beginnen können musst du Ausdauer und Geschick haben. Zum Glück kannst du dir beides durch intensives Training aneignen, es erfordert also keine besonderen Fähigkeiten."
'Aha, wie beruhigend.' Ich nicke und Elrond zeigt mir ein paar Übungen, die ich mit dem Stock ausführen kann. Ihn in meiner Hand drehen beispielsweise, oder ihn einmal um mich herum wirbeln. Das alles mutet ein wenig albern und verspielt an, und ich erkenne erst den Sinn hinter diesen Tätigkeiten nicht, bis Elrond mir zeigt, wie man sie im Schwertkampf einsetzen kann. Anfangs stelle ich mich noch relativ ungeschickt an, doch Elrond bleibt ruhig und geduldig. Immer wieder zeigt er es mir, führt meine Hand ohne den Stock in einer trockenen Übung und gibt mir Tipps.
Nach einer gefühlten Ewigkeit schaffe ich es, den Stock in einer annehmbaren Geschwindigkeit in meiner Hand zu drehen, ohne dass er ständig auf den Boden fällt oder ich mich selbst treffe. Stolz übe ich weiter und mein Vater lobt mich, obwohl ich vermute, dass ich dennoch ziemlich schlecht für eine Elbe bin. 'Ich bin einfach nicht daran gewohnt, das ist nicht so schlimm. Sicherlich geht das vorbei und dann habe ich keine Probleme mehr.' Aber ich beiße mir auf die Unterlippe, als der Stock doch zu Boden fällt. 'Super, jetzt hält er mich bestimmt für total tollpatschig und schlecht.' Bei einer kleinen Pause spreche ich ihn darauf an.
"Elrond, kann es sein dass ich viel zu schlecht bin für eine Elbe?"
Für einen Moment lang blitzt Überraschung in seinen Zügen auf, doch dann fasst er sich wieder.
"Es stimmt, dass du nicht die Fähigkeiten einer normalen Elbe an den Tag legst. Aber ich kann das ja auch nicht von dir erwarten, du bist unter Menschen aufgewachsen und deine Familie hat deine Begabungen unterdrückt."
Verärgert will ich etwas erwidern um meine Familie zu verteidigen, doch dann lasse ich es bleiben. Irgendwie hat er ja Recht. Derian hat mir immer eingeschärft, dass ich mich zurückhalten soll, niemand durfte wissen, was ich war.
"Komm, lass uns weiter machen. Du bist gut", meint Elrond und ich meine den Hauch einer Aufmunterung in seiner Stimme zu hören.

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