Ankunft
Die Reise über den Paß durchs Nebelgebirge dauert noch eineinhalb Tage, dann kommen wir endlich aus der Schlucht hinaus.
Legolas hat nur wenige Stunden gebraucht um sich von seinem beinahe-Sturz zu erholen und nun sitzen wir auf Heras' Rücken und reiten weiter. Ich sitze vor Legolas, aber er hält die Zügel, sodass er seine Arme um mich schlingen muss.
Während der Hengst sich seinen Weg nach unten sucht, halte ich mich mit einer Hand locker am Sattel fest und lasse meine Gedanken schweifen. Ich denke an den Schmerz, der plötzlich wieder da ist, wenn auch nicht so stark wie vorher. Es ist mehr eine Erinnerung an diesen Schmerz, ein Echo. 'Aber es zeigt, dass ich nicht so stark und standhaft bin wie ich mich gebe. Eigentlich bin ich so unsicher, so verletzbar. Viel zu leicht kann dieser Schmerz wieder geweckt werden.' Unwillkürlich frage ich mich, wie ich das verhindern kann, wie ich frei sein kann. Ich bin mir sicher, dass Legolas mir dabei hilft, aber gleichzeitig spüre ich auch, dass etwas neues auf mich wartet.
"Eine neue Prüfung", höre ich plötzlich die Stimme von Frau Galadriel in meinem Kopf, aber ich erschrecke mich nicht. Sie hat recht.
In mir regt sich etwas, Abenteuerlust und der Drang sich zu beweisen.
Schweigend reiten wir weiter, immer weiter nach unten und nach Westen. Die Landschaft ist recht karg und eintönig, aber vereinzelt stehen Bäume auf den Hügeln.
Am Abend halten wir unter genau dem Baum, auf dem ich bei meiner Reise zum Düsterwald geschlafen habe und bereiten uns auf die Nacht vor.
Legolas wirft mir immer wieder besorgte Blicke zu, sagt aber nichts bis wir fertig sind. Dann gehe ich zu ihm, lege meine Arme um seinen Hals und küsse ihn sanft auf den Mund. Er wirkt überrascht, lässt es sich aber gefallen.
"Es geht mir gut, ich musste nur über manche Dinge nachdenken", beruhige ich ihn und er legt seine Arme um mich.
"Und ich dachte schon du, würdest vielleicht wieder in deine Trauer zurückfallen. Dass du wieder so kalt und unnahbar werden würdest wie am Anfang. Und das lasse ich nicht zu."
Den letzten Satz flüstert er nur noch und lehnt seine Stirn gegen meine.
Wenig später lege ich mich hin um zu schlafen, während Legolas neben mir sitzt und Wache hält. Seine Hand streichelt mir sanft übers Haar, dann bin ich auch schon eingeschlafen.
Am nächsten Morgen beginnt der letzte Teil unserer Reise und ich spüre wie Vorfreude mich ergreift. Es ist schon etwas länger her dass ich bei meiner Familie gewesen bin, und ich freue mich schon darauf sie wiederzusehen.
"Bald sind wir da", meine ich zu Legolas, der wieder hinter mir sitzt und grinse.
Anders als gestern halte ich heute die Zügel und lenke Heras geradewegs in Richtung Bruchtal.
"Wusstest du, dass es eigentlich gar nicht Bruchtal heißt, sondern Imladris?"
Ich höre sein Grinsen heraus als er antwortet.
"Ja, aber Bruchtal ist der Name, der unter dem nicht-elbischen Volk bekannt ist."
"Korrekt. Warst du schonmal dort?"
Legolas hatte nie Zeit um mit mir nach Bruchtal zu reisen, was ich sowieso nicht oft gemacht habe.
"Nein", erwidert er schüchtern und ich drehe den Kopf.
"Na dann wird es ja mal Zeit. Gut festhalten."
Mit diesen Worten treibe ich Heras an und wir galoppieren auf den Wald zu, der bereits vor uns zu sehen ist. Unwillkürlich drückt sich Legolas enger an mich und ich muss mich bemühen, meinen Herzschlag ruhig zu halten.
Es ist bereits nach Mittag als wir in den Wald reiten und sich das dichte Blätterdach über uns schließt. Sofort umfängt die angenehme Kühle des Waldes uns und Legolas atmet auf. Auch ich merke, dass ich das Rauschen der Blätter im Wind vermisst habe, zwar nicht so sehr wie er, aber dennoch.
Mit leuchtenden Augen betrachte ich die Bäume um uns herum, die mir so vertraut sind, dass ich jederzeit sagen könnte wo ich bin. In mir stellt sich sofort das Gefühl von 'Zuhause' ein, ich schließe die Augen und lasse Heras auf dem Weg entlangtraben. Der Wind streichelt meine Haut und flüstert in meinen Haaren. Dann öffne ich die Augen wieder und halte aufmerksam nach etwas ganz bestimmten Ausschau.
"Suchst du etwas?", fragt Legolas mich an meinem Ohr und ich spüre seinen Atem.
"Ja, und zwar..."
Da taucht am Rande des Weges ein mit elbischen Runen verzierter Stein auf und ich deute darauf.
"das. Jetzt sind es nur noch circa zwei Meilen bis nach Bruchtal. Was meinst du, wollen wir noch einen kleinen Spurt wagen?"
"Aber immer", antwortet Legolas lachend, ich wickle die Zügel einmal um meine Hände und treibe Heras zum Galopp an. Dieser macht einen Satz nach vorne und stürmt den Weg entlang.
Kaum haben wir den Stein passiert spüre ich, wie der alte Zauber, der Bruchtal vor Feinden schützt, uns umgibt und ein unbeschwertes Gefühl breitet sich in mir aus. Legolas dreht den Kopf und schaut dem Stein hinterher, der rasch hinter uns immer kleiner wird, dann wendet er sich wieder nach vorne.
Nach ein paar Minuten lasse ich Heras in einen schnellen Trab fallen.
"Gleich sind wir da."
Da kommen wir an den Torbogen, durch den ich bereits vor 210 Jahren geritten bin, als ich das erste Mal nach Bruchtal gekommen bin. Ich lenke Heras hindurch und bringe ihn auf dem Hof zum stehen.
Vor uns breitet sich das, meiner Meinung nach, schönste Tal in ganz Mittelerde aus und ich verspüre Stolz bei diesem Anblick.
Schwungvoll lasse ich mich von Heras' Rücken gleiten, während Legolas benommen sitzen bleibt. Mit großen Augen schaut er sich um und seine Miene drückt pures Staunen aus. Liebevoll betrachte ich ihn, trete an Heras heran und berühre Legolas sanft am Bein. Beinahe erschrocken schaut er zu mir herunter und ich lächle.
"Komm schon, es gibt viel zu sehen. Ausserdem erwartet uns mein Vater doch bereits."
Als hätte ich damit ein Stichwort gegeben kommen einige Elben auf uns zu, darunter auch Gerondiel und mein Vater.
"Ada!"
Ich kann mich nicht zurückhalten und laufe auf Elrond zu, der mich lächelnd umarmt. Legolas steigt mittlerweile von Heras ab und kommt ebenfalls auf uns zu, immernoch benommen von all der Schönheit.
"Jedwiga, Legolas, willkommen in Bruchtal. Schön dass ihr endlich zu uns stoßt, wir haben euch bereits erwartet."
"Danke, Herr Elrond", antwortet Legolas und verneigt sich kurz, doch ich nehme ihn bei der Hand. Gerondiel beobachtet uns mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht deuten kann, sagt aber nichts. Mein Vater lächelt uns freundlich an und bedeutet uns, ihm zu folgen.
"Ein Diener wird sich um dein Pferd kümmern", sagt er zu meinem Verlobten und dieser nickt.
"Ich werde euch persönlich zu euren Gemächern bringen, Jedwiga, du bekommst dein altes Zimmer wieder."
Ich nicke strahlend und kann mich nur schwer davon abhalten, neben Legolas und meinem Vater herzuhüpfen, so glücklich bin ich gerade. Auf dem Weg zu meinem Raum reden Elrond und ich miteinander, während Legolas schweigend neben uns hergeht, immernoch meine Hand haltend.
"Ist alles in Ordnung?", frage ich ihn, als ich sein Schweigen bemerke doch er lächelt.
"Absolut. Ich bin nur überwältigt von all der Schönheit hier."
Dabei zwinkert er mir zu und ich knuffe ihm mit dem Ellenbogen leicht in die Seite. Legolas lacht und ich muss auch grinsen. Mein Vater tut so, als würde ihn das gar nichts angehen, aber ich kann sein Lächeln sehen. Schließlich gelangen wir vor die Tür zu meinem alten Zimmer und ich löse mich von Legolas, gebe ihm einen Kuss auf die Wange und wende mich dann an Elrond.
"Wo wolltest du ihn unterbringen?"
"Direkt neben deinem Gemach", erwidert er mit einem Schmunzeln und ich muss lachen.
"Nein, komm schon, wohin?"
"Das ist mein Ernst."
"Oh."
Ich erröte leicht und senke den Blick, doch Elrond und Legolas lachen nur. Da schleicht sich ein Grinsen auf meine Lippen und ich lache mit.
"Naja, dann bis gleich."
Ich werfe noch einen letzten Blick auf Legolas, dann öffne ich die Tür zu meinem Zimmer und trete ein.
Nachdem ich die Tür hinter mir wieder geschlossen habe, ziehe ich mir eins meiner Kleider, die immernoch in meinem Schrank hängen und mir noch passen, an und wasche mich kurz in meinem eigenen Badezimmer. Ein Blick in den Spiegel zeigt eine hübsche, junge Elbe mit braunen, glatten Haaren und leuchtenden blauen Augen. Wenn ich dieses Bild mit dem aus meiner Erinnerung vergleiche, und zwar mit dem Bild von dem Tag nachdem ich meine alte Familie verloren habe, so sehe ich jetzt viel besser aus. Tausend Mal besser.
Ich verlasse mein Zimmer und laufe nur wenige Meter weiter, bis ich zu einer anderen Tür komme. Nach einem zaghaften Klopfen wird diese geöffnet und Legolas steht mit einem Grinsen im Gesicht vor mir.
"Na, schon fertig?", fragt er und zieht mich an der Taille zu sich ins Zimmer. Bevor ich antworten kann, liegen seine Lippen schon auf meinen und ich lege nur noch meine Hände auf seine Schultern.
"Komm, dein Vater wartet auf uns in seinem Arbeitszimmer. Ich habe zwar keine Ahnung wo das ist, aber ich glaube du wirst uns schon hinbringen können", meint er während ich noch versuche, meinen Atem unter Kontrolle zu bekommen. Ich nicke und Legolas lächelt. Dann verlassen wir sein Zimmer und ich führe uns durch die Gänge von Bruchtal.
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