Abschied
Die nächsten zwei Tage gehen genauso vorbei, oder ähnlich und meine Vorfreude steigt mit jeder Stunde, die vergeht.
Am Abend des dritten Tages seit dem Fest bereite ich alles sorgfältig für meine Abreise vor, immerhin werde ich eine Weile lang unterwegs sein. Elrond hat mir vor einiger Zeit schon neue Reit- und Reisekleidung machen lassen, die viel robuster aber bequem ist und dazu noch einen dunkelgrünen Umhang mit großer Kapuze hat. Vorne wird dieser mit einer Brosche zugemacht, die die Form eines Vogels hat. Dazu noch meinen Waffengürtel mit meinem Schwert, welches ich noch geschliffen und geputzt habe, einer Wasserflasche daran und einem kleinen, unscheinbaren Geldbeutel. Zum Reiten trage ich kniehohe Stiefeln und in zwei Satteltaschen packe ich Kleidung, Proviant und meine wenigen persönlichen Dinge. Das Holzpferdchen darf dabei nicht fehlen. Die Karte von Peliorian kommt in eine der Außentaschen, zusammen mit einem Brief meines Vaters, der meine Identität bestätigen soll.
"Waldelben sind etwas misstrauischer, vor allem in diesen Zeiten, in denen sich das Böse wieder ausbreitet", hatte Elrond zu mir gesagt, als er mir den Brief gegeben hatte.
Nach diesen letzten Maßnahmen gehe ich früh ins Bett, obwohl ich vor Aufregung gar nicht schlafen kann. Schließlich tue ich es doch und wache erst am nächsten Morgen wieder auf.
Es klopft an meiner Tür. Verschlafen drehe ich mich im Bett herum und stutze. 'Normalerweise kommt mich doch niemand morgens wecken.' Dann fällt mir wieder ein, dass heute ja der Tag meiner Abreise ist und ich beeile mich aufzustehen.
"Ja", rufe ich, die Tür öffnet sich und Arwen schlüpft hindurch.
"Guten Morgen. Ich wollte nur schauen, ob ich dir vielleicht helfen kann und wie ich sehe, komme ich genau richtig", sagt sie grinsend und kommt zu mir.
Ich lächle sie an.
"Danke, das ist lieb von dir. Ich gehe mich eben umziehen, vielleicht kannst du mir danach mit der Frisur helfen."
Sie nickt.
"Geh ruhig."
Also nehme ich meine Sachen, die ich sorgfältig gefaltet auf einen Stuhl gelegt habe, und gehe ins Bad. Nach einer kurzen Wäsche ziehe ich die Kleidung an und komme wieder heraus. Arwen steht schon bewaffnet mit einer Bürste vor einem Stuhl und ich lasse mich lachend bei ihrem Anblick darauf fallen.
Dann beginnt sie, meine Haare zu bürsten und flechtet mir eine hübsche, aber nicht zu aufwändige Frisur, die zum Reisen perfekt ist. Allerdings kann ich nicht ruhig sitzen bleiben und zappele die ganze Zeit herum.
"Jetzt halte doch mal still. So werde ich nie fertig", weist sie mich sanft zurecht und ich atme tief durch.
"Entschuldigung, aber ich bin furchtbar aufgeregt. Immerhin muss ich ganz alleine bis zum Düsterwald kommen."
Arwen nickt verständnisvoll.
"Das ist normal. So, fertig. Was sagst du?"
Ich stehe auf und betaste vorsichtig meine Haare, die hinter meine Ohren zurückgeflochten sind und dann in die restlichen Haare übergehen.
"Das ist super, vielen Dank Arwen."
Ich falle ihr um den Hals und sie erwidert diese Umarmung.
"Komm, wir gehen zum Frühstück. Du solltest auf jeden Fall etwas essen bevor du aufbrichst", schlägt sie vor und ich nicke. Ich schnalle mir nur noch den Gürtel mit meinem Schwert um und nehme den Umhang über den Arm. Bedienstete werden meine Satteltaschen zu meinem Pferd bringen.
"Wir können los!"
Wir verlassen mein Zimmer und gehen zum Speisesaal. Dort erwartet uns Elrond bereits und sein Blick glüht vor Stolz als er uns beide sieht. Wir setzen uns zu ihm und mir wird sogleich etwas Nahrung gegeben. Eigentlich bin ich viel zu aufgeregt um etwas zu mir zu nehmen, aber ich weiß, dass ich es brauchen werde. Also greife ich zu und zu meiner Überraschung bleibt nichts übrig.
Schließlich ist es soweit: Elrond, Arwen und ich erheben uns und gehen auf den Hof, von dem aus ich aufbrechen werde. Dort steht, bereits gesattelt und mit meinen Satteltaschen, mein Pferd. Natürlich ist es nicht Heras, mein alter Hengst, der starb vor mehr als 190 Jahren, sondern eine hellbraune Stute mit dunkler Mähne und klugen, braunen Augen. Ihr Name ist Sala.
"Jedwiga, ich wünsche dir viel Glück und Erfolg auf deiner Reise. Mögen die Valar dich beschützen und dir wohlgesonnen sein", sagt Elrond mit warmer Stimme und nimmt mich kurz in den Arm. Dann wird er von Arwen abgelöst.
"Versprich mir, dass du vorsichtig bist und sofort schreibst, wenn du angekommen bist."
"Versprochen. Wenn du mir versprichst nicht getötet zu werden", antworte ich mit einem schiefen Lächeln und sie lacht.
"Da kann ich dir getrost versichern, dass das nicht passieren wird."
Sie lässt mich los und ich ziehe mir meinen Umhang über. Dann stehe ich vor den einzigen beiden Elben, die ich auf der Welt liebe und nehme schweren Herzens Abschied.
In einer uralten Geste führe ich meine Hand zu meinem Herzen, neige den Kopf und bewege sie langsam wieder davon weg. Elrond und Arwen erwidern diesen Gruß und schauen mir zu, wie ich auf Sala steige und noch einmal zurückschaue. Arwen hebt die Hand und ich tue es ihr gleich, dann trete ich meiner Stute sanft in die Seiten und reite aus dem Tor hinaus auf den Weg von Bruchtal weg.
Ich wende mich gleich danach nach links, also nach Osten und reite im gemächlichen Galopp den Weg entlang. Der Kloß, der sich in meiner Kehle gebildet hat, verschwindet beim Anblick der Natur um mich herum.
Es ist ein wunderschöner, sonniger Tag und die Bäume bekommen wieder ihre ersten Blätter. Es ist noch kühl, aber im Laufe des Tages steigt die Sonne höher und wärmt die Luft mehr auf.
Rein theoretisch, wenn der Weg flach, ohne Hindernisse oder Hügel schnurgerade geradeaus führen würde, wäre ich im Galopp nur zwölf Stunden unterwegs. Doch der Weg führt durch die Nebelberge, wo ich absteigen und Sala führen muss, und dann durch den Düsterwald irgendwie zum Palast des Königs. Außerdem braucht Sala Pausen und muss fressen und trinken, deshalb werde ich vermutlich höchstens fünf Tage brauchen, wenn mir nichts dazwischenkommt.
Am Abend mache ich Halt an einer kleinen Baumgruppe am Fuße des Nebelgebirges und lasse Sala grasen. Die Satteltaschen nehme ich ihr ab und hänge sie an ein paar Äste oben in einen starken Baum, der schon viele neue Blätter hat, um es mir dann selbst dort bequem zu machen. Sala darf unten frei herumlaufen, ich weiß, dass sie niemals weit weg gehen würde.
Auf einem breiten Ast sitzend betrachte ich den Sonnenuntergang und esse dabei ein wenig Brot aus meinem Vorrat. 'Das war also der erste Tag alleine in der Wildnis, ohne Elrond, Arwen oder sonst irgendjemanden.' Dieser Gedanke macht mich stolz und glücklich, denn es beweist, dass ich selbstständig sein kann.
Nach einem Schluck aus meiner Wasserflasche setze ich mir die Kapuze auf, lehne mich gegen den Stamm des Baumes und schließe meine Augen. Ich vertraue darauf, dass ich nicht vom Baum fallen werde, denn Elben passiert so etwas nur sehr selten. Und ich habe keineswegs vor, eine der Ausnahmen zu werden.
Mit dem sanften Rauschen der Blätter in den Ohren dämmere ich langsam weg, ein glückliches Lächeln auf den Lippen.
Ich befinde mich wieder in diesem Wald aus meinem ersten Traum, und wieder ist jemand mit mir dort. Ich kann ihn immernoch nicht sehen, aber sehr wohl hören.
"Jedwiga", wispert es in den Bäumen rund um mich herum und ich drehe suchend den Kopf. Doch ich sehe niemanden. Langsam gehe ich ein Stück weiter in den Wald hinein, als mich plötzlich zwei Arme von hinten umschlingen und mich an einen warmen Körper hinter mir drücken. Erst will ich vor Schreck schreien, doch dann spüre ich, dass keine Bedrohung von ihm ausgeht.
"Ich warte schon auf dich", flüstert die Stimme, die ich schon im ersten Traum gehört habe, an meinem Ohr und ich fühle seinen warmen Atem. Dann berühren mich Lippen sanft an meinem Ohr und ich erschauere.
"Wer bist du?", flüstere ich zurück, doch als Antwort kommt nur ein leises Lachen, dann sind die Arme und auch die Person hinter mir verschwunden und der Traum verblasst.
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