ABSCHIED VON NINA, TINA UND SINA?
AUS EINEM TAG WURDEN drei. Es hat uns so gut an dem See gefallen, welchen wir bei der Flucht vor der Füchsin Lura gefunden haben, dass wir noch eine Weile dort rasteten. Papa hat sich erfolgreich gegen jede Kritik seitens unseres Großvaters durchgesetzt. Er scheint seine rebellische Ader entdeckt zu haben.
Auch unser neues Scharmitglied Pablo hat sich mittlerweile gut eingelebt. Das liegt zweifelsohne besonders an seiner kleinen Heldentat, die ihm jeder hoch anrechnet. Bis auf Kalle. Er hatte sich nach der Rettung durch den schwarzen Gänserich zwar mit diesem ausgesöhnt, dennoch beäugt er ihn weiterhin misstrauisch und schüttelt mit dem Kopf, sobald sich Pablo von den Damen bewundern lässt. Könnte er vielleicht eifersüchtig sein?
Auch ohne seine Zierfedern ist und bleibt der wohlbeleibte Spanier ein Hingucker. Kokett tänzelt er inmitten der staunenden Menge, als unser Papa endlich den Befehl zum Aufbruch gibt. Interessanterweise ist zu beobachten, dass die unbeholfenen Anflugversuche der Hausgans von keiner einzigen der eifrigen Verehrerinnen beigewohnt wird. Sie könnten ihm helfen, wenn ihnen so viel an Pablo liegt. Aber offenbar ist es einfacher für sie, die negativen Aspekte seiner Person auszublenden. Frei nach dem Motto: Was ich nicht sehe, existiert auch nicht. So halten sie für sich die Fassade des perfekten Schönlings aufrecht. Davon abgesehen ist dieser aber auch zu stolz, um sich seine Fehler einzugestehen. Stattdessen startet er hinter allen anderen und hält dabei den Kopf aufgerichtet. Jedenfalls so lange, bis er in der Luft ist.
»Pablo, du kannst schon ganz gut fliegen«, sage ich zu ihm, während ich mich im Flug zurückfallen lasse. »Jetzt musst du noch ausdauernder werden, damit du nicht so weit hinten dranhängst.«
»Ich spare lediglich meine Energie.« Mit dieser schnippischen Antwort lässt der eitle Gänserich den Abstand zu den anderen Gänsen noch größer werden. Da habe ich wohl einen wunden Punkt getroffen. Er macht es einem auch nicht immer einfach, ihn zu mögen.
»Bald haben wir den Vänersee erreicht. Das ist der größte See in Schweden!«, bleibe ich mit unserem Neuankömmling im Gespräch. »Ich will ja keinen zusätzlichen Druck aufbauen, aber unsere Landung dort muss perfekt gelingen. Am Vänersee rasten zahlreiche andere Wasservögel. Viele Gänse werden dort sein und du wirst ihnen sofort ins Auge fallen, Pablo.«
»Mach dir keine Sorgen, Lillesol«, höre ich Nina sagen. »Pablo schafft das schon. Er ist doch ein wahrer Held. Hab ich nicht recht, Schwestern?«
»Ja, Nina. Pablo ist der mutigste und gutaussehendste Hausgänserich, den wir kennen und er wird uns ganz sicher nicht blamieren.«
Nina, Tina und Sina sind Pablos größten Verehrerinnen. Sie stehen immer in der ersten Reihe und schmachten ihn an. Die Schwestern sind ein Jahr älter als Ilvie und ich und wollen in diesem Sommer damit anfangen, ein eigenes Nest in Lappland zu bauen. Ob sie wirklich mit dem Gedanken spielen, dass eine von ihnen dies mit Pablo tun wird, kann ich nicht sagen. Abgeneigt scheint er jedenfalls von keiner der drei zu sein. Jedoch sollten wir erst einmal abwarten, ob er es tatsächlich bis zu unsere Brutgebiete schafft. Im Moment kann ich nur sein Schnaufen hören, welches bei jedem Meter lauter wird. Wenn wir den Vänersee nicht bald erreichen, hat sich das Thema Pablo schneller erledigt, als gedacht.
Als sich die Sonne nach Westen geneigt hat, ertönen von der Spitze unserer Flugformation die ersten Jubelrufe. Hinter zahlreichen Bäumen, von denen die meisten Nadelbäume waren, ist endlich ein Glitzern zu erkennen. Vor uns tut sich ein endlos erscheinender See auf. Man könnte den Vänersee für ein kleines Meer halten. An seinen Ufern sind auch die rot-weißen Behausungen der Menschen zu sehen. Wir müssen vorsichtig sein. Immer wieder sind hier laute Knalle zu hören, als würde es gewittern. Dann fallen Vögel einfach so vom Himmel oder treiben leblos auf dem Wasser und werden von den Hunden der Menschen eingesammelt.
Im Gegensatz zu den anderen Raubtieren sind die Menschen besonders gefährlich, da sich aus dem Hinterhalt heraus angreifen. Sie machen sich nicht die Mühe, sich an uns anzuschleichen und uns in einem Kampf auf Leben und Tod zu überwältigen, wie es zum Beispiel Füchse tun. Sie haben dieses Knall erzeugende lange dunkle Rohr und überlassen den Rest ihren Vierbeinern. Wir können nie wissen, wann es wieder passiert und von wo sie uns auflauern. In der Nähe von Menschen gibt es für uns keine andere Sicherheit als die Macht der Gruppe. Je mehr wir sind, desto größer sind die Chancen, dass wir die Gefahr rechtzeitig erkennen und fliehen können. Eine Garantie gibt es für keinen von uns.
Jedoch haben wir heute zwei Vorteile. Zum einen kennt unsere Schar seit Langem Plätze am Ufer des Vänersees, die kaum von Menschen besucht werden und viel Deckung geben. Zum anderen bietet sich uns ein einzigartiger Anblick, der weiteren Grund zur Hoffnung gibt. Der gesamte See ist ein Tummelplatz für unzählige Wasservögel. Ich bin nicht das erste Mal hier, aber so etwas habe ich nie zuvor gesehen.
»Darum halten wir uns für gewöhnlich an den Zeitplan«, höre ich Kalle hinter mir knurren. »Jetzt sind Hildor und Göran mit ihren Truppen hier und machen sich auf unserem Rastplatz breit.«
»Wovon sprichst du, Kalle«, will ich wissen. »Wer sind Hildor und Göran? Und warum ist es schlecht, wenn sie auch hier sind. Je mehr, desto sicherer ist es doch für uns, oder nicht?«
»Ich sage nur so viel – sie sind klein, aber mit allen Wassern gewaschen. Unsere Hausgans sollte sich etwas zurückhalten, um keinen Ärger auszulösen.«
Was auch immer Kalle mir damit sagen will, es beunruhigt mich nicht. Pablo weiß sich durchaus zu benehmen und die Strecke, die er bereits mit uns Wildgänsen zurückgelegt hat, muss ihm erst mal eine andere Hausgans nachmachen. Er mag ein selbstgefälliger Schnösel sein, aber er hat Biss. Das muss man ihm hoch anrechnen. Und er hat es mit Lura aufgenommen. Falls sich jemand an ihm stören sollte, werde ich ihnen von Kalles Zwischenfall mit der schwarzen Füchsin erzählen.
Wir fliegen noch eine ganze Weile über den See hinweg. Immer wieder werden wir dabei von anderen Vögeln begleitet, die neugierige Blicke auf unser Anhängsel werfen. Pablo selbst scheint sich davon geschmeichelt zu fühlen, obwohl es ihm anzusehen ist, dass seine Kräfte ihn mehr und mehr verlassen.
Entlang der Ufer ragen Felsen in verschiedenen Größen hervor und das junge Gras leuchtet saftig Grün in der Nachmittagssonne. Papa gibt jetzt das Signal zum Landen. Unser Rastplatz ist geprägt von spärlich begrünten schlanken Bäumen. Dazwischen tummeln sich unzählige Gänse. Sie sind kleiner, als wir es sind. Ich kann zwei unterschiedlich gefärbte Gruppen erkennen. Die einen sehen mit ihren dunklen Hälsen und weißen Wangen besonders hübsch aus. Die anderen Gänse haben ein hellbraun-graues Gefieder. Auf einem großen Felsen zwischen mehreren Fichten kann ich ihre Anführer ausmachen.
»Das sind Hildor und Göran.« Kalle fliegt an mir vorbei und wirft dabei einen Blick zurück zu Pablo. »Unser guter Ruf ist ab heute Vergangenheit.«
Tatsächlich kann ich sehen, wie ein dickes schwarzes Knäuel mit lauten Flattergeräuschen Richtung Erdboden saust. Es ist Pablo, der ausgerechnet jetzt am Ende seiner Kräfte angekommen ist und es nicht einmal probieren kann, eine vernünftige Landung hinzulegen. Mit einem Rumpeln schlägt er inmitten der fremden Gänse auf dem Boden auf.
»Was ist das denn für ein Hanswurst!«, höre ich den Anführer der Weißwangengänse rufen. »Eine schwarze Gans? Seid ihr unterwegs über eine der rauchenden Menschenbehausungen geflogen?«
»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich diesen dicken Narren für eine Hausgans halten«, mischt sich der Boss der Saatgänse mit näselnder Stimme in die Unterhaltung ein und wirft Pablo einen abwertenden Blick zu. »So etwas hat man ja noch nicht erlebt. Wo ist Magnus? Wie kann er es wagen, eine Hausgans an den Vänersee zu bringen. Hier versammeln sich nur die anerkanntesten Wildgänse.«
»Ich bin nicht mehr der Anführer der Graugänse aus Schonen«, sagt unser Großvater, als er aus der Menge hervortritt. »Mein Schwiegersohn Runar hat diesen Platz eingenommen und er hat seine eigenen Entscheidungen getroffen.«
»Und das werde ich nicht revidieren«, spricht jetzt unser Vater. »Pablo hat sich als ein außerordentlich tapferes Scharmitglied herausgestellt und wir schulden ihm einiges. Er hat diese Chance verdient, ebenso unseren Respekt.«
»Respekt? Gegenüber einer Hausgans? Ihr Graugänse müsst den Verstand verloren haben.« Ohne ein weiteres Wort wendet sich Hildor von uns ab.
»Ist diese Hausgans schuld daran, dass ihr in diesem Jahr später am Vänersee angekommen seid?«, erkundigt sich Göran deutlich höflicher nach Pablo.
»Nein. Daran trägt er keine Schuld«, verneint Papa die Frage des anderen Anführers. »Lura, die schwarze Füchsin hat einen unserer Gänseriche erwischt. Es ist Pablo zu verdanken, dass Kalle noch unter uns weilt.«
Kalle bestätigt Papas Aussage mit einem stummen Nicken.
»Ihr wollt mir weismachen, dass dieses ungeschickte Federknäuel es mit einem Fuchs aufgenommen hat?«
»Sehr wohl.« Opa Magnus stimmt unserem Papa ebenfalls zu. Auch alle anderen Gänse unserer Schar stimmen in das Nicken ein.
Pablo selbst hat sich gerade wieder aufgerappelt und bringt sein Gefieder in Ordnung. Nach und nach gesellen sich weitere Gänslein zu ihm. Weibliche Weißwangen- und Saatgänse.
»Hallo! Du bist ja was ganz besonderes«, sagt eine junge Weißwangengans zu ihm und tänzelt aufgeregt um den Spanier herum. »Mein Name ist Wölkchen«, stellt sie sich schließlich bei ihm vor, während sich Pablos Federn sträuben.
Eine weitere Weißwangengans namens Schneeflocke gesellt sich zu ihm und möchte mit ihm ins Gespräch kommen. Jedoch wird sie jäh von einer übereifrigen Saatgans abgedrängt.
»Ich heiße Linde. Sehr erfreut, dich kennenzulernen, ähm. Wie lautet dein Name?«
»Hola, mi nombre es Pablo, Señorita.« Pablos fremdsprachige Antwort sorgt für weiteres Entzücken bei den Gänsemädchen. Als Nächstes muss er alles über seine Herkunft erzählen, wie er uns kennengelernt hat und ob er wirklich davon ausgeht, es bis nach Lappland zu schaffen. Vor allem aber wollten sie alles über seinen Kampf mit Lura erfahren. Pablo fühlt sich dabei sichtlich wie der Hahn im Korb und prahlt aus voller Kehle über seine Heldentat. Dass Kalle dabei das eigentliche Opfer war, wird mit keinem Wort erwähnt. Er ist und bleibt ein Aufschneider. Auch Nina, Tina und Sina bleiben bei dieser Protzerei auf der Strecke, was sie missmutig kommentieren.
»Pablo ist doch kein Museumsstück, das die alle bei ihm Schlangestehen und ihn angaffen«, knurrt Sina vor sich hin. »Richtig. Er gehört zu uns und die sollen sich eine eigene Hausgans suchen. Hier gibt es noch mehr Bauernhöfe. Jawohl!«, pflichtet Nina ihrer Schwester bei.
»So lange etwas neu ist, ist es interessant«, versuche ich die drei zu beruhigen. »Sie haben nie zuvor eine schwarze Gans gesehen. Bald habt ihr Pablo wieder für euch allein.«
»Denen werden wir schon zeigen, wie sich das anfühlt!« Erhobenen Hauptes watscheln Nina, Tina und Sina davon.
»Die sind so was von eifersüchtig, dass es beinahe wehtut.« Meine Schwester Ilvie taucht hinter mir auf und schüttelt verständnislos den Kopf. Das wiederum konnte ich nicht unkommentiert stehen lassen.
»Vie-Vie, schau mal. Ganter scheint auch gerade ein angeregtes Gespräch mit einem der Saatgansmädchen zu führen.« Ich muss nicht lange warten, da mischt sich Ilvie bereits in diese Unterhaltung ein. Beim Thema Eifersucht ist sie noch immer an erster Stelle gewesen, wenn es um Ganter geht.
Was die Sache mit Pablo und den Drillingen betrifft, hoffe ich, dass es diesbezüglich keinen Ärger geben wird und wir unser Ansehen bei den anderen Gänsen nicht komplett verlieren werden.
»Der Schwarze erfreut sich außerordentlicher Beliebtheit bei den jungen Gänsen«, bemerkte Göran, der Anführer der Weißwangengänse.
Hildor stehen bei diesem Anblick die Federn kreuz und quer. »Ich werde meine Schar sofort zur Ordnung rufen. Das darf es ja nicht geben, sich bei einer Hausgans anzubiedern!« Stammen Schrittes watschelt er zu seinen Gänsen und positioniert sich vor ihnen, die Flügel in die Seiten gestemmt. »Ihr seid reinrassige Saatgänse mit einer einwandfreien Abstammung und einer tadellosen Erziehung. Ich verstehe, dass eine schwarze Gans inmitten von Wildgänsen einen neuen und interessanten Anblick für euch darstellt. Aber ich verbiete jegliches Schwärmen für diese Hausgans ausdrücklich. Habt ihr mich verstanden?«
Mit gesenkten Köpfen ziehen sich die jungen Saatgänse von Pablo zurück. Nina, Tina und Sina beobachten die Szenerie mit Entsetzen.
»So ein Spießer. Unser Anführer ist viel netter und hat nichts dagegen, dass wir für Pablo schwärmen. Es muss furchtbar sein, in seiner Schar mitfliegen zu müssen. Mir tun die Saatgänse unheimlich leid. Unsere Schar ist die Beste von allen, jawohl!«
Tinas Überzeugung sollte schneller vorbei sein, als gedacht, denn drei junge Saatgänse wollen die Kritik an ihrem Anführer nicht unkommentiert stehen lassen.
»Hildor hat vollkommen recht«, sagt einer von ihnen, als er aus dem Schatten eines Baumes hervortritt und sein eng anliegendes glänzendes Gefieder präsentiert. »Wir können alle keine Hausgänse leiden. Sie sind fett und dumm und dienen nur dazu, bei den Menschen auf den Tisch zu landen. Wir fühlen uns sehr wohl in unserer Schar.«
»Oh, oh, ja! Ja, wir mögen natürlich auch keine Hausgänse.« Nina nickt kräftig mit dem Kopf. »Außerdem sieht Pablo mit seinen schwarzen Federn mehr aus, wie ein Kormoran. Niemals würden meine Schwestern und ich für so jemanden schwärmen. Nein, nein!«
»Nina hat recht«, spricht Sina weiter und tänzelt den drei Burschen entgegen. »Wir meinten auch nicht uns, als wir die Konsequenz eures Anführers ansprachen. Für uns gibt es nichts Besseres, als ein strenger Flügel, der alles und jeden in geordnete Bahnen lenkt. Wir würden uns in eurer Schar ganz bestimmt sehr wohl fühlen.«
»Einen Versuch wäre es wert. Mein Name ist Herbert«, antwortet der für eine Saatgans besonders groß geratene Gänserich und deutet eine Verbeugung an. »Ich bin der älteste von uns drei Brüdern. Sehr erfreut, euch kennenzulernen.«
»Die Freude ist ganz unsererseits. Ich bin ebenfalls die älteste von uns Schwestern. Mein Name ist Nina. Das sind Sina und Tina. Sind sie nicht hinreißend? Und vor allem wohlerzogen und ausdauernde Fliegerinnen.«
Die drei senken schüchtern die Köpfe, können sich ein leises Kichern jedoch nicht verkneifen. Was haben sie nur vor? Zusammen mit Herbert und seinen Brüdern Heinz und Harald watscheln sie turtelnd und schnäbelnd davon.
»A-aber Mädels?!« Pablo versteht die Welt ebenso wenig, wie ich. Haben sie noch vor wenigen Minuten keinen Blick von dem schwarzen Gänserich abwenden können, so weichen sie jetzt den drei Saatgänsen nicht mehr von der Seite.
»Mach dir nichts draus, Pablo. Die drei begeistern sich nie sehr lange für jemanden und meinen es auch nie ernst«, versucht meine Schwester Ilvie, ihn zu trösten. Mit hängenden Flügeln sucht er sich nun einen Schlafplatz.
Am nächsten Morgen steht Nina auf einmal vor mir und ist so nett wie niemals zuvor. Sie bringt mir sogar einige meiner Lieblingskräuter, welche sie in aller Früh im See gewaschen hat.
»Lillesol? Wir sind doch beste Freundinnen, nicht wahr? Ich muss unbedingt mal mit deinem Vater sprechen und du kannst gewiss ein gutes Wort bei ihm für mich einlegen. Das machst du bestimmt gerne, ja?«
»Worum geht es denn, Nina?« Ich lege die Stirn in Falten und höre mir an, was sie zu schnattern hat.
Lange musste ich ihr nicht zuhören – Nina und ihre Schwestern wollen die Schar verlassen und sich Herbert, Heinz und Harald anschließen, um mit den Saatgänsen weiterzufliegen.
»Das ist die Gelegenheit, diese drei Nervensägen loszuwerden«, kommentiert Ilvie den Sachverhalt. Ob Papa das auch so sieht, bezweifle ich.
»Das kommt überhaupt nicht infrage!«, flötet mir unser Anführer seine Antwort um den Schnabel, noch ehe ich ausreden konnte. »Diese Schwestern schwärmen doch jede Woche von jemand anderen. Irgendwann kommen sie reumütig wieder zurück, bis der nächste um die Ecke watschelt. Für derlei Sperenzchen habe ich weder die Zeit noch die Nerven.«
»Ich gebe Runar recht. Auch ich werde diese drei Graugänse nicht in unserer Schar dulden. Wo kommen wir denn da hin?«, beginnt Hildor zu toben. »Saatgans bleibt bei Saatgans und Graugans bei Graugans. Das war schon immer so und wird so bleiben.«
»Euer Anführer ist so was von eingebildet und konservativ. Ein bisschen Abwechslung täte eurer Schar mal ganz gut. Bei uns darf sogar eine Hausgans mitfliegen«, geifert Sina und plustert sich auf.
»Also feiert ihr diesen dicken Hausgänserich doch?«, wettert Harald zurück.
»Dann bleibt doch in eurer Schar, wenn es dort so viel besser ist. Dumme Gänse!«, gibt ihm Heinz recht. Alle drei Brüder wenden sich erhobenen Hauptes von Nina, Tina und Sina ab.
Das Problem scheint sich von selbst gelöst zu haben. Wütendes Schnattern ist noch lange zu hören, verstummt jedoch wie aus dem Nichts wieder. Wie erstarrt bleiben die Schwestern stehen und strecken ihre Hälse gen Himmel. Was sehen sie dort? Etwa einen Greifvogel? Nein! Ein paar junge Weißwangengänse präsentieren waghalsige Kunstflüge. Unter ihnen die Enkelsöhne von Göran, ihrem Anführer. Angezogen von Ninas, Tinas und Sinas Jubelschreie landen sie genau vor ihnen.
»Euch hat unsere Vorstellung gefallen?«, fragt einer von ihnen mit einem schiefen und selbstsicheren Grinsen. »Wir sind Klaus, Knut und Karl. Sollen wir euch ein paar unserer Tricks zeigen?«
Das lassen sich die Mädels nicht zweimal sagen. Schon waren Harald und seine Brüder vergessen. Ihr Großvater Gören hat das wilde Treiben im Blick.
»Keine Sorge, Göran«, sagt unser Papa und klopft ihm dabei mit dem Flügel auf die Schulter. »Nimm mich beim Wort, auch diese Schwärmerei findet ein baldiges Ende. Ein Glück, dass meine Töchter nicht so sind.« Kaum ausgesprochen entdeckt er Ilvie, die gerade mit Ganter auf Futtersuche geht. Jedenfalls bleiben die beiden innerhalb unserer Schar.
Am Nachmittag finde ich Tilde, eine Gans aus unserer Gruppe zitternd hinter einem Gebüsch vor. Sie erzählt mir, dass sie Knut, dem jungen Weißwangengänserich etwas fragen wollte, woraufhin Sina hysterisch angerannt kam und sie gehackt habe. Zusammen mit Ilvie und Ganter nehme ich mir die drei Schwestern einmal zur Brust.
»Sie wollte sich an meinen Knut ran machen!«, lautet Sinas schnippische Rechtfertigung.
»Das ist keine Entschuldigung für dein Benehmen«, knurrt Ganter sie an. Sein dominantes Auftreten hinterlässt bei meiner Schwester sichtbar Eindruck. Aber nicht nur bei ihr: schmollend schreiten Nina, Tina und Sina von dannen. »Wir verlassen eure Schar sowieso. Bei den Weißwangengänsen ist es viel besser«, ist das Letzte, was wir von ihnen hören.
»Alles Aufstellen, wir verlassen den Vänersee in wenigen Augenblicken!« Am nächsten Morgen, den letzten Tag unserer Rast an Schwedens größtem See, machen sich die Weißwangengänse als erste zum Abflug bereit. Mitten unter ihnen drei weibliche Graugänse.
»Was macht ihr denn hier?«, fragt Klaus Tina, die auffällig unauffällig neben ihm steht.
»Psst! Sei gefälligst leise, dann merkt das keiner«, zischt Nina. Die Rechnung hatte sie jedoch ohne Göran gemacht.
»Mögen die drei Graugänse bitte zu ihrer eigenen Schar zurückkehren? Alle anderen, fertig machen! Wir fliegen jetzt los!«
Auf das Kommando erheben sich die Weißwangengänse in die Luft. Mit ihnen auch Sina, Tina und Nina. Allerdings werden sie sogleich von Göran und seinen Enkelsöhnen buchstäblich auf den Boden der Tatsachen zurückbefördert. Missmutig landen die Schwestern etwas außerhalb unserer Schar und lassen Köpfe und Flügel hängen.
»Macht euch nichts draus, Mädels. Wir versuchen es einfach noch einmal bei Heinz, Harald und Herbert«, fasst Nina unverschämterweise neuen Mut, sich erneut bei den Saatgänsen anzubiedern.
»Bleibt uns ja vom Federkleid, ihr eingebildeten Gänse!«, lautet deren eindeutige Antwort auf das Vorhaben.
Reumütig kommen sie schließlich zu uns zurück. Es ist Ganter, der sich ihnen in den Weg stellt. »Solange ihr euch nicht ausdrücklich bei Tilde entschuldigt, braucht ihr nicht zu uns zurückzukehren. Sucht euch eine andere Schar, fliegt allein nach Lappland oder bleibt hier und werdet Hausgänse.«
Das wollen die Schwestern dann auch nicht und kriechen bei Tilde zu Kreuze. Diese nimmt die Entschuldigung mit der Bedingung an, dass Sina, Nina und Tina ihr für den Rest des Fluges nach Lappland das Frühstück sammeln.
»Ente gut, alles gut«, kommentiert eine Stockente das Geschehen, als sie völlig unbedarft an uns vorbeiwatschelt. Recht hat sie.
»Hey, schaut mal her!«, unterbricht Pablo die Szene und flattert aufgeregt mit den Flügeln. »Meine Zierfedern wachsen nach! Da sind zwei neue Federspelzen an meinem Kopf gewachsen. Bald bin ich wieder so schön und kostbar wie vorher!«
»Oh, Pablo! Wir waren immer davon überzeugt, dass wir in der besten Schar der Welt sind. Nur bei uns gibt es einen wertvollen Gänserich wie dich. Wir sind so stolz, dich kennen zu dürfen.« Nina, Tina und Sina haben offenbar in alten Mustern zurückgefunden.
»No, No, Chicas! Euch traue ich nicht mehr weiter, als ich euch sehe. Demnächst kommt ein anderer fescher Gänserich und dann bin ich wieder abgeschrieben. Darauf habe ich keine Lust«, ruft Pablo die Flucht vor den Schwestern ergreifend.
»Aber nein, Pablo! Für uns bist du der allerschönste Gänserich auf der ganzen Welt!«
Schneller als gedacht, hatte sich alles wieder normalisiert. Wenig später gab auch unser Papa das Zeichen zum Aufbruch. Diese Tage am Vänersee wird bestimmt niemand von uns so schnell vergessen.
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