[02] Ein unerwartetes Paket

»DIESER IDIOT. WAS erlaubt er sich? Was denkt er eigentlich, wer er ist?«, schimpfte Hatto, während er die Tür zu seiner Dachgeschosswohnung aufschloss, in der die Luft vor Hitze stand. »Mich braucht niemand zu mögen. Ich mag schließlich auch niemanden.«

Hatto setzte sich für den Rest des Tages auf seinen Sessel und knipste zunächst seinen Röhrenfernseher an und schaute alte Dokumentationen über jene Zeiten, in denen Menschen noch keine Pokémon trainiert hatten. »Eine schöne Zeit muss das gewesen sein. So still und ohne die ganzen unnötigen Unannehmlichkeiten«, dachte er laut und fuhr sich mit der Hand übers Kinn.

Erschöpft von den hohen Temperaturen und der stickigen Luft schlief Hatto nach einer Weile ein und auch sein Fernsehgerät schien unter der Hitze zu leiden und sendete schon bald nur noch den legendären Kampf zwischen den winzigen weißen und den schwarzen Käfer-Pokémon, die nun zu Tausenden über den Bildschirm wuselten.

Erst am nächsten Morgen erwachte der alte Mann und stellte zu seinem Unmut fest, dass ihm durch die ungünstige Schlafposition in seinem Fernsehsessel nun Knochen und Muskeln wehtaten, von deren Existenz er zuvor nicht einmal wusste. Dann bemerkte der das Rauschen auf seinem Fernsehbildschirm, woraufhin er das alte Gerät mit ein paar beherzten Schlägen wieder in Gang zu bringen versuchte. Als ihm dies genauso wenig gelang, wie seine eigenen steifen Gliedmaßen wieder auf Trab zu bringen, zog er den Stecker und schaltete stattdessen das kleine Küchenradio an.

Die Temperaturen hatten sich in der Nacht etwas abgekühlt, sodass Hatto endlich wieder besser durchatmen konnte. Im Radio verkündeten Sie zudem die Aussicht auf Regenschauer und Gewitter am Nachmittag.

»Gott sei Dank! Dann verkriechen sich diese Wänste wenigstens in irgendwelchen Häusern, wo sie und ihre Biester hingehören. Dieses Gewusel und der Lärm auf den Straßen hat dann endlich ein Ende und man kann sich wieder frei bewegen, ohne belästigt zu werden«, murmelte Hatto auf dem Weg zum Badezimmer.

Dort krabbelte er etwas ungelenk in die enge Duschkabine und drehte in Erwartung seiner allmorgendlichen Erfrischung den Wasserhahn auf.

»IIIIIEEEH!«, schrie er plötzlich und sprang mit einem Satz wieder aus der Dusche heraus.

Das Leitungswasser hatte eine rötlich-braune Farbe angenommen und roch nach altem Eisen. Kurzerhand hüllte Hatto sich in seinen Morgenmantel und tippelte mit seinen ausgelatschten Filzpantoffeln aus seiner Wohnung heraus und ging hinunter ins Erdgeschoss, wo sein Vermieter, Kouki Yachin wohnte.

Aus dessen Wohnungstür drang bereits reger Baulärm und anstelle von Herrn Yachin wurde die Tür nach mehrmaligen klingeln und harschem Klopfen von einem Kampf-Pokémon namens Machollo geöffnet, welches eine blaugraue Handwerker-Schürze trug und sich die schweißnasse Stirn mit einem rost- und ölverschmierten Taschentuch abwischte.

»Herr Yachin! Kommen Sie gefälligst persönlich an die Tür und stellen Sie sich Ihrer Verantwortung!«, brüllte Hatto an dem Machollo vorbei in die Wohnung seines Vermieters.

Herr Yachin war ein kleiner, rundlicher Mann mittleren Alters mit einer Halbglatze und einem sympathischen vollen Lächeln, bei dem eine Lücke in der oberen Zahnreihe zum Vorschein kam.

»Mashita, was machen Sie denn für einen Aufstand?«, rief Herr Yachin, als er ebenfalls zur Tür kam und seine schmutzigen Hände an einem alten löchrigen Küchentuch säuberte.

»Das könnte ich Sie fragen. Das Leitungswasser ist eiskalt, stinkt und sieht eklig aus. Lösen Sie das Problem. SCHNELL!«, wetterte Hatto und zog die Nase hoch.

»Aber, aber, mein Freund. Haben Sie denn den Brief nicht erhalten, den ich letzte Woche an alle Vermieter verteilt habe?«, fragte Yachin und hob entschuldigend die Hände.

»Brief? Ich lese keine Briefe. Wenn Sie mir etwas zu sagen haben, dann sagen Sie es mir persönlich. Sie wissen doch, wo ich wohne«, giftete Hatto zurück.

»Dann hören Sie gut zu«, begann Yachin erneut zu sprechen und sein Tonfall klang nun nicht mehr so freundlich, wie am Anfang. »Mein Machollo und ich arbeiten hart daran, die Wasserleitungen in diesem Gebäude in Stand zu setzten, damit Sie und die anderen Mieter auch weiterhin zufrieden mit ihrer Wohnsituation sein können. Dabei können zeitweise Verfärbungen des Wassers auftreten und das Warmwasser wurde ebenfalls vorläufig abgestellt. Das, mein lieber Mashita, stand in dem offiziellen Brief, den alle Mieter bekommen haben und alle, außer Ihnen haben sich anscheinend damit abgefunden.«

»Das wird ja immer bunter hier«, knurrte Hatto, ohne sich weiter zu dem Thema zu äußern und ging grummelnd wieder nach oben in seine Wohnung. »Nun gönnt man den Leuten nicht mal mehr ihre morgendliche Dusche. Soll er diesen Unfug doch nachts machen«, ergänzte er hörbar, als er seine Tür aufschloss.

»DAMIT SIE SICH ÜBER DEN NÄCHTLICHEN LÄRM BEKLAGEN KÖNNEN, DER SIE AN IHREM WOHLVERDIENTEN SCHLAF HINDERT?«, rief ihm Yachin hinterher, der auf dem Weg in den Keller den Kommentar seines verbitterten Mieters gehört hatte.

Mit einem letzten Knurren begab sich Hatto schließlich in seine Wohnung und begann missmutig sein Frühstück vorzubereiten. Er hatte noch nicht angefangen, den ersten Bissen zu sich zu nehmen, als es an der Tür klingelte.

»Ich hoffe, das ist Yachin, um mir zu sagen, dass das Wasser wieder funktioniert«, brummte er und ging zur Gegensprechanlage. »Ja, bitte?«, fauchte Hatto in den Hörer und bekam ein überdreht freundliches „PAKE-E-ET!" zur Antwort. »Ich habe nichts bestellt und die Nachbarn sollen gefälligst zu Hause bleiben, wenn sie eine Lieferung erwarten.«

Hatto wollte gerade auflegen, als der Paketbote noch etwas sagte, das wie »Ihr Name steht drauf, Herr Mashita« anhörte.

»Ich komm runter«, brummte Hatto und machte sich zum zweiten Mal an diesem vermaledeiten Morgen auf den Weg nach unten.

Dort angekommen keifte ihn ein raffzahniger, rotblonder Bursche an und hielt ihm sogleich eines dieser neumodischen Dinger unter die Nase, auf dem Hatto den Empfang des Paketes mit seiner Unterschrift bestätigen sollte. »Geben Sie schon her. Schönen Tag noch.« Mehr Höflichkeit konnte man von dem Alten anscheinend nicht verlangen.

Wieder in seiner Wohnung angekommen betrachtete Hatto das unerwartete Paket argwöhnisch, bevor er ein Messer aus der Küche holte und sogleich damit beginnen wollte, es vorsichtig zu öffnen. Doch dazu kam es nicht, denn plötzlich fing das Paket an, sich zu bewegen.

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