[01] Ein unfairer Handel
»WAS SOLL DIESER Unsinn!?«, prustete Hatto empört los, als er registrierte, dass es kein zerlaufenes Lebensmittel war, das er in seinen Einkäufen gefunden hatte. »Wie kommt dieses Vieh in meinen Beutel?«
Das Ditto schaute den älteren Herren schüchtern und beschämt an.
»Das muss einer dieser nervigen Kinder im Markt vergessen haben. Wenn sie nicht imstande sind auf ihre Monster aufzupassen, dann sollen sie sich gefälligst keine anschaffen und damit rechtschaffenen Leuten auf die Nerven fallen.« Hatto nahm seinen mit Fettflecken versehenen Küchenhandschuh, zog ihn über seine rechte Hand und packte das zitternde Ditto unsanft am unteren Teil seines Hinterkopfes (wo er den Nacken des Pokémon vermutete), um es zurück in den Einkaufsbeutel zu stopfen. Anschließend knotete er diesen zu und machte sich mit wütend verzogenem Gesichtsausdruck auf den Weg zurück zum Markt.
Dort angekommen hing Urite gerade ein Hinweisschild an der Tür auf. ALLE TRÄNKE UND ERFRISCHUNGEN RESTLOS AUSVERKAUFT war darauf zu lesen und ein paar kleine Pokémon-Trainer, die das Geschäft gerade betreten wollten zogen mit gesenktem Kopf und enttäuschtem Gemurmel von dannen. Ein Schillock sprudelte mithilfe der Attacke Blubbstrahl eine abkühlende Fontäne hervor, um die sich sogleich einige Kinder mit ihren Pokémon versammelten. Auch Hatto bekam ein paar Spritzer ab, woraufhin er sich grummelnd die alte Nickelbrille putzen musste.
»Geht gefälligst aus dem Weg, ihr Blagen!«, knurrte er und betrat schweren Schrittes den Markt.
Urite schaute ihn verwundert an. »Da sind Sie ja wieder, Herr Mashita!«, rief er seinem Kunden entgegen. »Haben Sie es sich anders überlegt und wollen doch etwas Gesellschaft und ein biss-«
»Reden Sie keinen Müll, Urite«, schnaufte Hatto zurück, ehe Urite den letzten Satz ausgesprochen hatte. »Für einen Tag hatte ich heute schon genug ungefragte Gesellschaft. Hier haben Sie das Vieh wieder, das Sie mir untergejubelt haben.«
Urite zuckte kurz zusammen, als Hatto den Beutel auf den Verkaufstresen warf. Doch anders als erwartet ertönte dadurch kein lautes Knallgeräusch. Es schien vielmehr etwas Weiches in dem Beutel zu sein.
»Wa- was ist das, Mashita?«, stammelte Urite unsicher und streckte seine Hand vorsichtig zu dem Beutel aus. »War eine der Waren nicht in Ordnung?«
Plötzlich fing der Beutel an, sich zu bewegen. Ein leises Wimmern war zu hören.
»Stellen Sie nicht so viele Fragen. Nehmen Sie es einfach wieder zurück oder machen Sie damit, was immer Sie wollen. Ich will es nicht«, brummte Hatto und machte auf dem Absatz kehrt, ohne Anstalten zu machen, seinen uralten Beutel wieder an sich zu nehmen.
»Mo- Moment, Herr – ähm, was?« Urite traute seinen Augen kaum, als sich langsam und mühselig etwas Lilafarbenes, Glibberiges aus dem Beutel quälte. »Was? Wie? Ein Ditto! Wie kommst du denn da rein?« Urite fing bei dem hilflos-niedlichen Anblick des Pokémon sofort an es mit seinem Zeigefinger anzustupsen. »Wie sind Sie denn an dieses Ditto gekommen, Herr Mashita?«
»Das wissen Sie doch besser als ich. Also tun Sie nicht so unwissend und bringen Sie es dorthin, wo es hingehört«, murmelte Hatto beim Verlassen des Marktes.
»Ditto?«, sagte das Ditto und blickte dem Alten sehnsüchtig hinterher.
»HALT! Mashita! Warten Sie!« Urite klemmte sich das Ditto unter den Arm und rannte Hatto hinterher. »Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor«, begann der Verkäufer die Situation zu erklären.
»So? Das Ding sollte also gar nicht zu mir in den Beutel? Wer sagt's denn?!«, schlussfolgerte Hatto und klatschte kurz in die Hände. »Dann ist ja alles geklärt. Vergessen wir den unangenehmen Vorfall und kehren zu unserem verdienten Alltag zurück. Ich empfehle mich.« Hatto nickte Urite ein letztes Mal zu und machte erneut Anstalten nach Hause zurückzukehren.
»Heute Morgen war ein kleiner Junge in meinem Laden«, begann Urite dennoch seine Vermutung zu dem unbekannten Ditto zu äußern. »Ein verwöhntes kleines Balg. Unangemessen arrogant für sein Alter, mit gescheiteltem weißblondem Haar. Wie ein zu klein geratener Versicherungsvertreter.« Urite musste bei dem Gedanken an den Jungen schmunzeln. Als er jedoch merkte, dass er mit einem Mal die gerade erst gewonnene Aufmerksamkeit des alten Mannes wieder verlor, setzte er seine Erzählungen sogleich fort. »Dieser Junge hat mir ein unverschämtes Geschäft vorgeschlagen. Er wollte 1.500 PokéDollar für eine Dose Fertiggericht. Ist das nicht verrückt?«
»Er weiß eben, wie man Geld verdient. Aus dem Jungen wird bestimmt mal was«, spekulierte Hatto, ohne dabei jedoch seine grimmige Miene zu verziehen. »Sind Sie dann fertig mit Ihrer Geschichte? Darf ich endlich gehen?«
»Warten Sie! Jetzt wird's doch erst interessant.« Urite wedelte wild mit der Hand in der Luft herum und begann sofort weiterzuerzählen. »Nach ein paar Minuten, die ich in regen Diskussionen mit dem kleinen Besserwisser verbrachte, betrat der Vater des Jungen meinen Laden. Er sah im Prinzip wie sein Sohn aus, nur größer. Dasselbe selbstgefällige Grinsen und diese ganze schmierige und herablassende Art.« Urite schüttelte sich und auch das Ditto schien sein kleines knopfäugiges Gesicht zu verziehen. »Na, egal. Man soll ja nicht über seine Kunden lästern. Jedenfalls meinte der Vater dann, dass sein Sohn froh sein solle, dass er es los sei und nehmen sollte, was auch immer ich ihm für die Dosensuppe bereit war, zu zahlen. »Er kann dieses Fertigzeug nicht ausstehen, müssen Sie wissen«, sagte der ebenfalls weißblonde, hochgewachsene Kerl und zwinkerte mir dabei zu. Geld wollte ich dem Kleinen für eine olle Fertigsuppe nicht geben. Stattdessen konnte ich den Giftzwerg davon überzeugen, sich mit einem Trank und einem Eis zufriedenzugeben.«
»Schön, schön. Sehr klug von Ihnen. Und was hat das nun mit mir und dieser schleimigen Kreatur zu tun?«, grummelte Hatto.
»Hm, na ja«, begann Urite weiter zu reden und schaute dabei nachdenklich das Ditto unter seinem linken Arm an. »Ich hatte selbstverständlich nie vor, die Dose einem meiner Kunden zu verkaufen. Dennoch ist sie nun nicht mehr da, wo ich sie abgestellt hatte. Stattdessen hat der Bestand an Reis nicht abgenommen, obwohl ich Ihnen vorhin eine Tüte verkauft hatte.« Urite zog kurz die Schultern hoch und das Ditto schien verstohlen zum Boden zu blicken.
»Reis. Stimmt. Ich hatte Reis gekauft. Jetzt wo Sie es erwähnen, war kein Reis in dem Beutel, als ich ihn auspackte«, stimmte Hatto dem Bericht des Verkäufers zu.
»Weil es gar kein Reis war, sondern dieser kleine freche Kerl hier!« Mit einem breiten Lächeln nahm Urite das Ditto nun zwischen seine Hände und streckte es dem verdatterten älteren Herrn entgegen, direkt vors knorrige Gesicht.
»Ist ja gut. Ich habe es begriffen«, meckerte Hatto und hielt sich abwehrend eine Hand vors Gesicht. »Dann beglückwünsche ich Sie zu Ihrem neu erworbenen Ditto. Dürfte ich dann gehen?« Ein weiteres Mal drehte sich Hatto um und wollte so schnell wie möglich nach Hause.
»Ditto!«, rief ihm das kleine Wandler-Pokémon wehmütig hinterher.
»Herr Mashita, es stellt sich mir eher so dar, dass es Ihr Pokémon ist«, sagte Urite und nickte dabei heftig mit dem Kopf. »Sie haben es gekauft. Es gehört Ihnen. Außerdem passt es super zu Ihnen. Hatto und Ditto. Sogar Ihre Namen klingen -«
»Schluss jetzt mit diesem Unsinn, Urite. Ich habe Reis gekauft, keines dieser nervigen Viecher«, schimpfte Hatto und schien damit das Ditto zu verletzen.
»Jetzt ist es traurig«, stellte Urite enttäuscht fest und streichelte das niedergeschlagene Pokémon. »Es mag Sie und Sie trampeln auf seinen Gefühlen herum. Schämen Sie sich! So schnell wird es niemanden mehr geben, der Sie Sturkopf mag.« Urite konnte seine Wut nicht bei sich halten und ihm war es auch gar nicht unangenehm.
»Was erdreisten Sie sich, junger Mann!«, schrie Hatto und trat nun endgültig dem Heimweg an, ohne einen letzten Blick für das kleine Pokémon übrig zu haben.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top