Kapitel 1
Medieval,
Hauptstadt vom Vereinigten Königreich Caelum
Freitag, 15 September 1334
Ein grausames Gefühl gepaart mit fürchterlichen Schmerzen lässt mich für einen Moment alles vergessen. Mein Denken setzt aus und alles das bleibt, ist ein unvergesslicher Schrecken. Leere und eine allumgebende Kälte übernimmt Besitzt von meinem Körper und für eine Sekunde, die sich anfühlt wie eine Ewigkeit, ist da nichts, kein Gefühl, kein Schmerz und kein Leben. Und dann? Dann war da dieses unglaublich starke Ziehen. Bis es alles wieder einsetzt und auf einmal ist da ein Herzschlag.
Neben der Erinnerung an meinen Tod, den schrecklichsten Schmerz meines Lebens und das Gefühl der Leere, die mich immer noch umgibt, ist da urplötzlich ein Herzschlag. Ich kann meinen Körper fühlen, meinen eigenen Körper und ich spüre die Wärme, die von ihn ausgeht. Da ist wie durch ein Wunder wieder Leben in mir und ich kann es nicht verstehen. Instinktiv weiß ich, dass ich gestorben, aber nicht tot bin. Wie kann das sein? Ich fühle das Zucken meiner Muskeln, die aufsteigende Unruhe in mir und versuche krampfhaft die Augen aufzuschlagen, um zu verstehen was grade mit mir passiert.
Meine Augenlieder fühlen sich schwer an, als ich es endlich schaffe sie ein bisschen zu öffnen. Noch ist meine Sicht verschwommen und ich erkenne nur Licht, das auf meine Netzhaut trifft. Stück für Stück erkenne ich leichte Umrisse bis diese sich zu einem Bild aus hellen Farben zusammenfügen. Das Bild das sich langsam bildet ist mir nur allzu vertraut, habe ich es doch jeden Abend und jedem Morgen über zwanzig Jahre erblickt. Es ist das Fresko, das die Decke meines Himmelbetts schmückt. Der zartrosa gefärbte Stoff, der wellenartig um das Bett gespannt ist, sperrt mich vom Rest des gelben Sonnenzimmers ab, meinen einzigen Rückzugsort im Herrenhaus der Mortain. Der mir bekannte holzige und nach Honig riechende Geruch lässt keine Zweifel darüber übrig, dass ich mich tatsächlich in meinem alten Kinderzimmer befinde. Wann war ich das letzte Mal hier, vor sechs Jahren? Oder doch schon Sieben?
Nach meiner Verlobung mit dem Earl von Walpen und den damit einhergehenden Auszug aus meinem Elternhaus, habe ich mein Zimmer nie wieder betreten. Es war kein besonders großer Verlust. Schöne Erinnerungen in diesem Zimmer habe ich nie gemacht, es diente mir nur als Zuflucht vor meiner Familie. Es ist merkwürdig wieder hier zu sein, irgendwie befremdend. Wie zu Untermalung meiner Gedanken, kommt es mir vor, dass die Götter von Dritan, auf dem Fresko meines Himmelbetts, mir spöttische Blicke entgegenwerfen. Ich mochte dieses Fresko noch nie. Ich mochte das ganze Zimmer noch nie mit den ganzen Pastell Rosa Tönen. Es heißt das gelbe Sonnenzimmer, aber nur die Bezüge der Sitzgarnitur kann man als gelb bezeichnen, ansonsten ist alles rosa oder beige. Ich verabscheue es.
Allerdings ist jetzt viel wichtiger, als meine Abscheu gegenüber diesem Zimmer, der Grund warum ich hier bin. In keiner der mir beiden bekannten Religion existiert der Glaube, an einem Leben nach dem Tod. Nach dem Magischen Glauben wird die Seele eines Lebewesen, nach dem Tod, zu einer ursprünglichen Form der Magie. Der Göttliche Glaube hingegen schreibt vor, dass nach dem Ableben die Seele zu Licht oder Schatten wird. Es gibt jedoch keine Informationen über ein physisches Leben nach dem Tod. Wollen die Götter mich verarschen?
Mühsam richte ich mich auf und bemerke, dass ich meinen Körper mittlerweile besser unter Kontrolle habe. Er fühlt sich gewohnt an, eben wie mein eigener Körper, aber irgendwie auch leichter. Meine Hände, die ich mir vor mein Gesicht halte, sehen irgendwie jünger aus, zudem sind sie frei von Narben, nicht so wie gewöhnlich, geprägt vom Leben. Was hat das zu bedeuten? Argwöhnisch stehe ich auf und begebe mich zu dem großen Spiegel, der neben dem Bett steht und zur anderen Zimmer Seite gerichtet ist. Während ich in den Spiegel gucke, setzt mein Atem für eine Sekunde aus. Ungläubig sieht mir mein eigenes Spiegelbild mit weit aufgerissenen Augen entgegen. Diese Person, die ich im Spiegel sehe, das bin definitiv ich. Nur ist sie aus wie eine jüngere Version von mir. Mit dem Hintergedanken, dass ich eigentlich 27 Jahre alt bin, sehe ich mich an und komme zu dem Entschluss, dass ich grade kein Jahr älter als zwanzig aussehe. Heilige Götter von Dritan, was stimmt nicht mit mir? Ich wurde enthauptet und stehe jetzt quick lebendig, in einer jüngeren Version von mir selbst, in einem Zimmer, das ich seit Jahren nicht mehr betreten habe.
Hektisch gehe ich zu meinem alten Schreibtisch und reiße die erste Schubblade auf. Unter einen Stapel Papiere, die ich mir nicht näher angucke, reiße ich ein in Leder eingebundenes Buch hervor. Das kann nicht sein. Dieses Buch sollte nicht hier sein. Zuletzt lag es in meinen Studienzimmer auf dem Landgut meines Ehemanns. Dem Landgut, das vor drei Jahren in Flammen aufgegangen ist und in dem alles, einschließlich des Buches, vollständig verbrannt wurde. Bei diesem Buche handelt es sich um mein Tagebuch, dessen Leder vom vielen Gebrauch über die Zeit rissig und spröde wurde. Jetzt allerdings sieht es so aus, als hätte man es gestern erst gekauft.
Mit gefühlt tausend unbeantworteten Fragen, die mir im Kopf herumschwirren, schlage ich die erste Seite vom Buch auf. In feiner Handschrift steht säuberlich untereinander aufgeführt der erste Eintrag. Genauso wie ich ihn in Erinnerung habe. Genauso wie ich ihn, an meinen 15ten Geburtstag verfasst hatte. Glücklich dieses Buch von meinem Vater, zum Geburtstag, geschenkt bekommen zu haben, hatte ich am gleichen Tag noch den ersten Eintrag gemacht. Damals, als mein Vater nie zu meinem Geburtstag erschienen ist. Ich war nicht naiv genug, um zu glauben, dass mein Vater das Geschenk selber ausgesucht hatte. Mir war klar, dass für dieses Geschenk ein Diener verantwortlich war, der mir jedes Jahr ein Geschenk, im Namen meines Vaters, zugeschickt hat. Allerdings war mir nicht klar das es sich dabei um eine Art Dauerauftrag gehandelt hat. Einen Auftrag der jedes Jahr zu wiederholen gilt, sodass mein Vater sich noch nicht einmal mehr den Tag meines Geburtstags merken muss, geschweige den etwas davon mitbekommen würde. Nein, bemerkt habe ich das erst ein Jahr später, als kein Geschenk mehr kam. Nicht weil mein Vater den Auftrag zurückgezogen hatte, sondern schlicht und ergreifend der Diener in Pension gegangen ist und sich niemand anderes, daran erinnert hat, dass da dieser eine Auftrag existierte, der mir das Gefühl gab, dass ich Geburtstag habe.
Jetzt, wenn ich mir meinen ersten Eintrag angucke kommt mir eine gewisse Melancholie hoch. Ja, ich war in der Lage zu erkennen, dass mein Vater mich nie geliebt hat, aber in diesen Eintrag steckt noch diese versteckte Hoffnung, dass sich das irgendwann ändern wird und er mich irgendwann anguckt und ich Liebe in seinen Blick erkennen würde. Ja damals, war ich nach außen hin ruhig und kalt, um meine Hoffnungen und Ängste zu verstecken, aber insgeheim war ich nur das kleine Mädchen, das Anerkennung von ihrem Vater gesucht hatte. Etwas das nun anders ist. In der Sekunde in der ich gestorben bin, ist meine Liebe zu meinem Vater auch gestorben. Und eigentlich wäre diese Erkenntnis nach meinem Tod vollkommen nutzlos, jedoch kommt in mir der Verdacht hoch, dass ich vielleicht eine zweite Chance bekommen habe. Denn in diesem Buche befinden sich nur noch ein paar weitere Einträge. Laut diesem Buch müsste nach meinen 15ten Geburtstag fast ein ganzes Jahr vergangen sein. Einträge die über dieses Alter hinausgehen, sind nicht zu finden. Wenn mein Verdacht wirklich wahr ist, dann bin ich nach meinem Tod, in die Vergangenheit gereist, als mein jüngeres Ich. Elf Jahre vor meiner Hinrichtung und mit sämtlichen Erinnerungen, die ich in meinem vorherigen Leben gemacht habe.
Das alles hier ist viel zu realistisch. Diese ganze Situation fühlt sich Echt an. Real. Es bleibt eigentlich nur noch die Möglichkeit von einem Sprung in die Vergangenheit. Ich bin schließlich nicht tot, dafür fühle ich mich viel zu lebendig. Und wenn das hier die Vergangenheit ist und ich erst kurz vor meinen 16ten Geburtstag stehe, dann sind mir in Moment noch alle Türen offen. Ich habe die Möglichkeit ein neues Leben zu führen, losgelöst von all den Pflichten, die ich mir in meinen vergangenen Leben auferlegt habe. Zwar befinde ich mich wieder in meiner eigenen kleinen Hölle, in meinem Elternhaus, allerdings habe ich nach meiner Heirat schlimmeres erlebt, als ich es in meiner ganzen Kindheit erlebt hatte und meine Probleme, die ich damals mit meinem Vater, meinen Halbbrüdern und meiner Stiefmutter hatte, erscheinen mir jetzt wie Nichtigkeiten. Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen, das sich ihrer Stärke nicht bewusst war. Nein ich bin jetzt jemand den man nicht unterschätzen sollte. Bei den Drachen von Rayndra hiermit schwöre ich, sie alle zu übertrumpfen und ein Leben zu führen in dem ich nie wieder angekettet am Boden liegen muss. Diesmal werde ich überleben. Nein nicht nur Überleben, sondern auch in vollen Zügen Leben.
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