Kapitel 4: Alles nur ein Traum?

Nesrin
Ohne das ich mir noch einen Kopf darüber machte, stand ich auf, nahm meine Sachen und rannte aus dem Saal. Nie im Leben würde ich mit diesem Arschloch zusammen irgendwas machen! Wütend holte ich mein Handy heraus und wollte beinahe meinen Freund anrufen. Da bemerkte ich erst, dass er mich ja nie wirklich geliebt hatte. Es traf mich wie ein Schlag, als alle Gefühle von den letzten 72 Stunden auf mich zu rasten. Trauer, Wut, Verachtung... Neid. Hektisch rannte ich über das Campusgelände, merkte wie meine Luft immer weniger wurde, wie ich hechelte und mir Tränen aufstiegen, als wäre es ein Tränenwettbewerb. Ich rang damit, nicht meine Eltern anzurufen. Eigentlich sollte ich sie sofort anrufen, sobald es mir schlecht ging oder ich sonst was hatte. Doch diesmal war es anders. Nicht sie waren es, die mir daraus helfen könnten. Auch nicht Eva oder Ab oder irgendwer sonst... ich war selber in dieses Loch gefallen, jetzt müsste ich auch selber da hinaus kommen. Atemlos hielt ich bei einer Anlegestelle nahe der Universität an und setzte mich dort auf eine Bank. Unerwartet merkte ich, wie jemand mir hinterher gerannt war. Schnell wischte ich meine Tränen weg und atmete tief ein und aus. „Ist alles in Ordnung?", fragte mich eine sanfte honigsüße Stimme und ich konnte mich nicht davon abhalten, ihn anzusehen. Er hatte kurze blonde Haare, grüne hübsche Augen und ein wunderschönes Lächel auf den Lippen. Doch viel mehr interessierten mich seine Hände. Es waren die aus meinem Traum. Ich hörte gar nicht, wie ich aufschluchzte als er mich fragte. Ohne das ich es von ihm erwartet hätte oder ich mich dabei wohl fühlen sollte, dass ein Fremder das tat, legte er schützend einen Arm um mich. Sofort fing meine Haut an zu kribbeln, ein Gefühl wie gestern bei dem Vollidioten durchzog meinen ganzen Körper, doch etwas war anders. Statt Kälte und Überlegenheit, fühlte ich mich, als hätte er mich gerade vor dem Tod gerettet. Wärme ging von seinem Körper aus und ich dachte nicht weiter nach, als ich mich vorsichtig an ihn lehnte und die Augen schloss. Er ließ mich und gab mir seine Jacke damit ich nicht unterkühlte, weil ich eben gerannt bin und deswegen mein Körper nun auf Kälte schaltete. Das wir dabei auch noch an einer Anlegestelle waren, war nicht gerade viel hilfreicher. Ungewollt kuschelte ich mich in die Jacke und noch näher an ihn. Das Widerstreben von vorhin, war wieder da. Eigentlich wollte ich nur meine Ruhe vor allem haben... doch er war mehr Ruhe als alles andere. Plötzlich viel mir ein, dass wir ja in Psychologie eine Aufgabe bekommen hatten. Sofort durchwühlte ich meine Tasche und suchte nach dem Zettel, wo meine Aufgabe drauf stand.

Zwei aus ihrer Gruppe werden versuchen Sie zu manipulieren. Zwei Andere werden um Sie werben. Einer davon ist Böse, der Andere ist gut. Entscheiden Sie sich zwischen ihnen erst am Ende des Projekts und sehen Sie was passiert. Notieren Sie ihre Beobachtung über die Psyche der Beiden und erklären sie warum sie jene Person gewählt haben.

Geschockt starrte ich auf den verdammten Zettel. Sofort löste ich mich von dem neuen Gruppenmitglied und ging los zu meiner Wohnung. Ich merkte seinen verwirrten Blick im Nacken, ich hätte ihn nicht einfach so sitzen lassen sollen. Auf halbem Weg traf ich auf Eva und Ab. „Und was ist deine Rolle?", fragten sie mich gleichzeitig und wir fingen alle drei an zu lachen. So Synchron hab ich noch nie zwei Freunde mich was fragen hören. „Die Frage ist ja wohl eher, wen ihr gezogen habt.", sah ich sie skeptisch an. „Auf dem Aufgabenzettel stand extra, wir dürften es nicht sagen... aber ich glaube wir finden schon früh genug heraus, wer wen gezogen hat.", redete sich Eva heraus und wir nickten einstimmig. Als ich wieder nach vorne blickte und wir fast bei unseren Wohnungen waren, blieb ich stehen. Er stand jetzt nicht gerade wirklich vor meiner Tür, oder?! Regte ich mich innerlich auf und ging auf ihn zu. „Was willst du hier?", fragte ich jedoch sanfter als gewollt. Ich wollte ihn nicht sehen. Nicht hier, nicht heute, gar nicht. „Darf ich meine Freundin nicht besuchen?", fragte er mich unschuldig. „Wieee bitte?", fragte ich völlig perplex. Glücklicherweise waren wir noch draußen... sonst hätte ich ihm jetzt so was von eine verpasst. „Tut mir leid, dass ich mir Sorgen um dich gemacht habe?", entgegnete er nur. Und da war es. Das Gefühl von heute morgen und gestern. Er war hier. Was wollte er von mir? Schon schlimm genug das-

Auf einmal brannte meine ganze Haut nieder. Er hatte sich neben mich gestellt und einfach einen Arm um mich gelegt. Wie konnte er nur?!? „Zisch ab!", sagte er zu meinem Ex mit einer so ruhigen und tiefen Stimme, dass ich ängstlich wie ein Reh weglaufen wollte. „Lass meine Freundin los!" ging Daniel auf ihn los. Eingeschüchtert zuckte ich zusammen. Nicht nur, dass meine Haut weg brannte, nein, jetzt mussten die Beiden auch noch aufeinander losgehen? Doch statt das sich dieser Typ bewegte, drückte er mich nur noch näher an sich. Unfähig mich zu wehren, sah ich in Richtung von Eva und Ab. Diese jedoch waren selber zurück geschreckt, sie hatten genauso viel Angst wie ich gerade. „Ich sagte; Zisch ab.", grollte seine Stimme in Daniels Richtung. Irgendwie ließ mich das vermuten, dass es Daniels letzte Chance war, zu verschwinden. Dennoch bewegte er sich kein Stück weg von uns... wie dumm kann man sein, um sich mit dem Typen anzulegen? Klar, ich war heute morgen auch nicht gerade besser... trotzdem hatte ich es nicht darauf angelegt zu sterben! „Bitte Daniel.. verschwinde einfach!", bettelte ich leise. „Du brauchst ihn um gar nichts zu bitten.", hörte ich ihn auf einmal zu mir sprechen und ich blickte direkt auf in seine dunklen braunen Augen, welche fast endlos zu seien schienen. Dann drehte er sich wieder zu Daniel um und gab ihm diesen einen Blick. Diese eine Blick, der einen töten könnte. Nein, er könnte nicht töten... er würde töten. Er war wie ein Eiskristall, der sich in dein Herz bohrte. Aber nur langsam, damit es noch viel schmerzvoller wurde und ich glaubte, dass das sogar nur ein Teil von der Angst war, die er auslösen könnte. „Viel Glück.", sagte Daniel noch zu mir, dann verschwand er und ich hörte wie sein Auto wegfuhr. Das war es also mit uns. Es hatte nur einen einzigen Typen dazu gebraucht, um ihn zu verscheuchen. Wie konnte ich nur denken, dass er vielleicht um mich kämpfen würde? Sich entschuldigen und mir seine immer noch bestehende Liebe gestehen würde? Dieser Vollidiot. „Lass mich los.", erkannte ich meine eigene Stimme nicht wieder, die klang als würde sie vom anderen Ende des Campus schreien.

Sofort hörte das Brennen meiner Haut auf und meine Schultern entspannten sich. „Kein Dankeschön?", fragte er mich. „Ich kenne nicht mal deinen Namen. Außerdem hätte ich das auch ohne dich geschafft...", meckerte ich. Ich wusste nicht, woher ich abrupt diesen Mut her hatte. Aber es gefiel mir, ihm nicht mehr unterlegen zu sein. Ich war ihm wichtig, sonst hätte er das bestimmt nicht gemacht. Oder er war einfach ein Irrer. Vielleicht auch beides... „Luzifer. Mein Name ist Luzifer. Aber du kannst mich auch gerne auch Darling nennen Prinzessin.", schnalzte er mit seiner Zunge und ich sah in empört an. „Nur in deinen Träumen, Luzifer!", zischte ich ihn an und ging ins Haus wo ich wütend meine Wohnung betrat und auf mein Bett fiel. Dabei dachte ich an den Namen Luzifer. Wer würde sein Kind bitteschön nach einem gefallenen Engel benennen? Ich fragte mich, ob er genau deswegen so geworden ist. Doch alleine wegen eines Namens so werden? Nie im Leben. Ich war immerhin auch niemand, der viele Rosen besaß oder dergleichen, nur weil mein Name in persischer Form Wildrose bedeutete. Meine Mutter allerdings liebte Rosen. Sie hatte schon immer von einem Garten geträumt, der voll mit Rosen war. Deswegen hatte sie mich auch Nesrin genannt. Doch viel mehr liebte ich meinen Spitznamen Nessie, weil er mich an Loch Ness erinnerte. Bücher waren damals immerhin das einzige, was mich aufmuntern konnte, denn Freunde hatte ich kaum. Meistens waren sie auch zu beschäftigt als sich mit mir zu treffen. Oder ich war zu beschäftigt... was eigentlich nie vor kam. Deswegen hatte ich auch angefangen Bücher zu schreiben. Ich liebte es neue Geschichten aufleben zu lassen und neue Welten zu kreieren und da ich zum Zeichnen zu dumm war, schrieb ich eben. Heimlich blickte ich zu meinem Laptop. Seit ich mit dem Studium angefangen hatte, hatte ich kaum noch Zeit zum Schreiben gehabt. Doch jetzt hatten wir ein großes Projekt in Psychologie aufbekommen und das würde mir sicherlich ein wenig Zeit geben. Langsam stand ich auf und nahm meinen Laptop, um mich damit ins Bett zu legen. Ich öffnete ihn und nachdem ich mich eingeloggt hatte, ging ich auf „Word". Doch was sollte ich schreiben? Irgendeine Fantasy Geschichte? Nein. Was reelles. Sagte mir mein Gehirn. Na gut, also was reelles... wie wäre es mit den letzten drei Tagen? Die wären Drama genug. So fing ich an über meine letzten Erlebnisse innerhalb der vergangenen 72 Stunden zu schreiben. Als ich noch einmal um drei Uhr morgens drüber sah, erinnerte es mich ein wenig an einen Blog... vielleicht sollte ich daraus einen machen. Das machten Leute doch sowieso ständig. Im nächsten Moment schon war ich auf einer Blog Seite und kopierte den Text hinein. Ich wusste, dass das völlig bescheuert war und es sowieso keiner lesen würde. Demnach klappte ich müde einfach meinen Laptop zu und legte mich stumpf schlafen.

Sonnenstrahlen ließen meine Haut wärmer werden. Leichtigkeit erfüllte die Luft, aber gleichzeitig auch eine bedeutungsvolle Stille. Ich saß an einem Tisch mit Schokoeis vor meiner Nase. Am liebsten hätte ich es sofort aufgegessen, stattdessen schaute ich lieber in der Gegend umher und das zurecht. Ich war in Paris, in einem kleinem Eiscafe vor dem Eiffelturm um noch genauer zu sein. Diejenigen die mit mir am Tisch saßen, waren nichts geringeres als meine „Beschützer" vom Tag. Feuer und Eis beschrieben die Wirkung der Beiden auf mich wohl am besten. „Iss. Es schmilzt sonst noch weg.", schnurrte die Stimme von Luzifer mich an. „Da hast du wohl recht.", seufzte ich und merkte, wie sich meine Schultern anspannten als er mich ansah. Erforschen traf es eher. „Sie fühlt sich unwohl, merkst du es nicht?", sprach plötzlich die honigsüße Stimme von dem Anderen und ließ mich zu ihm aufblicken. Das Beide einen Kopf größer als ich waren, war ja wohl nicht erwähnenswert. „Ich kenne überhaupt noch nicht deinen Namen.", lächelte ich ihn an. Bei seinem Anblick wurde mir sofort warm ums Herz. „Alles zu seiner Zeit. Aber du solltest jetzt wirklich dein Eis essen.", bat er mich und ich tat wie mir befohlen. Es schmeckte himmlisch gut. Paris war wohl der beste Ort für ein Eis. Doch mit ihnen? Als ich am Grund von meinem Eisbecher angekommen war, sah ich sie kritisch an. Ich hatte schon viel über Paris gelesen... die schöne Aussicht vom Eiffelturm nachts, den Louvre mit all seinen Schätzen... musste es aber ausgerechnet alles mit ihnen sein? „Was ist los?", fragte Luzifer und ich glaubte mich verhört zu haben, als es wirklich besorgt klang. Die Seite von ihm hatte ich noch gar nicht kennengelernt. „Es ist nichts...", stammelte ich ihm entgegen. Wir alle drei wussten, dass das gelogen war. „Ich glaube es ist Zeit aufzuwachen.", meinte er nun und sofort-

Schreckte ich aus dem komischsten Traum meines Lebens auf, weil mein Wecker klingelte. Doch viel faszinierender war; Sekunden später konnte ich mich wieder nicht an meinen verdammten Traum erinnern. Als hätte jemand einen Radierer genommen und meine Erinnerungen gelöscht. Seufzend legte ich mich noch einmal anders hin und döste. Es war einfach zu schön, um richtig aufzustehen.

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