Kapitel 20

Nesrin
Schon wieder wachte ich in einem Ort auf. Doch diesmal schien ich nicht weit entfernt von der Columbia zu sein. Komischerweise. Denn ich konnte mich nicht daran erinnern, hierhin zu wollen. „Setz dich doch..." bot mir plötzlich Aaron an. Er saß auf meiner Bank. Die Bank, auf der ich gestern noch gesessen hatte. Ich konnte schwören, dass jedes einzelne Blatt genauso lag, wie auf dem Foto, was ich gemacht hatte. Verwundert setzte ich mich. „Was hat es mit diesem Ort auf sich?" fragte ich. „Du hast ihn gewählt, erkläre es du mir doch." erwiderte Aaron allerdings. „Warte, was?" schoss die Frage aus meinem Mund raus. „Die Orte an die wir bisher immer gereist sind, waren dir aus irgendeinem unerfindlichem Grund wichtig. Du replizierst mit ihnen starke oder gute Erinnerungen. Also, wieso sind wir hier?" ergänzte Aaron sich selbst. „Ich... habe hier gestern ein Foto gemacht. Es war so schön ruhig. Nicht so ruhig wie als wir Porzellan für meine Mutter geholt hatten... eher so ein, ich möchte nie von hier weg ruhig. Es war einfach schön, mal nicht in irgendwas mit euch verwickelt zu sein. Abstand von all dem zu haben." erläuterte ich dann. Aaron nickte und ich merkte, wie Luzifer hinter uns erschien. „Du weißt, dass du dich bald entscheiden musst, oder?" fragte er. Ich nickte stumm.
„Wieso konntet ihr das Ganze eigentlich nicht unter euch ausmachen?"
„Keiner von uns hätte jemals einen Sieger gekrönt, der nicht wir selbst wären." erklärte Aaron. Stille brach ein. Dann, wurde ich von der Bildfläche gezogen und-

Wachte natürlich in meinem Bett auf. Mein Wecker klingelte. Anscheinend musste ich zur Uni. Die hatte ich schon vollkommen vergessen. Hastig stand ich auf, machte mir den Wasserkocher an, zog mich um und goss das heiße Wasser in meine Thermoskanne, in der bereits ein Teebeutel drin war. Dann räumte ich all meine Unisachen in meine Handtasche, richtete noch meine Frisur, putzte meine Zähne und verschwand schnell aus meiner Wohnung und rannte zum Künstlergebäude. Ich hatte Literatur... nach langer langer Zeit, endlich mal wieder Literatur. Ich freute mich schon fast darauf.
Beim Künstlergebäude angekommen blieb ich erst einmal stehen und atmete tief ein und aus. Dann motivierte ich mich noch dazu, die letzten Treppen hoch zu gehen und war schließlich beim Raum angekommen. Zum Glück war es der allererste und der Professor war noch nicht da. Da bemerkte ich auf einmal etwas mir viel zu bekanntes... ein Gefühl, was ich auch schon anfangs hatte. Kälte die auf Hitze traf. Hände die hinter mir auf einem der Tische Platz nahmen. Wissend drehte ich mich zu ihnen um. „Seit wann belegt ihr denn auch Literatur?" fragte ich und blickte auf zu Aaron und Luzifer, die hinter mir Platz genommen hatten. „Seit gestern." grummelte Luzifer. „Noch nicht richtig wach?" wendete ich mich zu ihm. Er nickte trüb. Ein kleines Grinsen stahl sich auf mein Gesicht und kurzzeitig vergaß ich, dass die zwei nicht menschlich waren. Ebenso schnell wie ich es bemerkt hatte, wich auch schon wieder das Grinsen von meinem Gesicht und ich drehte mich wieder nach vorne, weil der Professor zur selben Zeit in den Raum getreten ist und nun vorne sich ausbreitete. Dann begann auch schon die Sitzung und alle schrieben fleißig mit. Als Hausaufgabe bekamen wir dann auf, einen kleinen Aufsatz über das halten eines Hundes zu schreiben und was daran gut war. Schon lange nicht mehr hatte ich mich auf solch eine stinknormale Aufgabe gefreut. Fröhlich packte ich zusammen und wollte schon aufstehen... doch da waren ja noch Luzifer und Aaron auf ihren Plätzen. „Wir haben uns entschieden." sagte Aaron zu mir. Sofort wusste ich, wovon er redete. „Wir möchten nicht, dass du länger überlegen musst... und du von der Wahl frei bist." erklärte dann Luzifer. „Heißt das-?" hakte ich nach. „Wenn du bereit bist, sag für wenn du dich entscheiden wirst und die Sache ist erledigt." erwiderte daraufhin Aaron. Meine Augen wurden doppelt so groß als normalerweise. Ich konnte dem endlich ein Ende setzen, hier und jetzt. Aber... Wieder fing alles in mir an sich zu drehen. Ich konnte es einfach nicht... obwohl ich wusste, dass ich mich für die Engel entscheiden würde, war da doch diese eine Stimme, die mich hinderte das laut auszusprechen. Obwohl ich so gerne jetzt zu Aaron gesagt hätte, dass die Engel gewonnen hatten, dachte ich doch noch an Luzifer. Würde er es verkraften? Während die Engel nie Schmerz vernommen hatten, war Luzifer sogar schon vom Himmel gestürzt und musste sich nun wahrscheinlich jede Nacht um die Toten kümmern. Unentschieden stand ich einfach schnell auf und verschwand aus dem Raum. Bei meiner Wohnung wieder angekommen, schloss ich die Tür und setzte mich auf einen der Küchenstühle. Wieso konnte ich einfach nicht antworten? Es war doch so einfach! Ich wusste doch, was ich antworten wollte! Aber in dem Moment hatte ich es einfach nicht gekonnt... so sehr ich es auch wollte. Und Schuld daran war mein dämliches Mitgefühl für den Teufel! Wütend auf mich selbst, ließ ich meinen Kopf auf den Küchentisch fallen.
„Autsch!"
Wieso war der Tisch denn auch aus einem so harten Holz! Argh... Ein vibrieren meines Handys ließ mich aus meiner Wut herausfahren. Es war eine Nachricht von Eva. Sie war wieder in der Stadt, obwohl ich nicht einmal wusste, dass sie weg war und fragte, ob ich Lust hatte mit ihr shoppen zu gehen, denn sie war auf eine Hochzeit eingeladen wurden. Da ich sowieso nichts besseres vor hatte oder konnte (und ich war immer noch sauer auf mich selbst deswegen), stimmte ich also kurzerhand zu. Es dauerte auch nicht lange, da klopfte es an meiner Tür. „Ja?" fragte ich. Sofort öffnete sich die Tür und eine strahlende Eva kam herein. „Bereits für eine kleine Shoppingtour?" lächelte sie mich an. „Immer doch." antwortete ich direkt, stand auf und ging mit ihr raus. Wir brauchten kein Auto um zu den Geschäften zu kommen, denn es regnete nicht und wir hatten uns genügend zu erzählen, während wir in Richtung Stadtmitte liefen. „Also, eine Hochzeit? Mit wem denn?" fragte ich nach einer Weile. „Ach... niemand... erwähnenswertes." murmelte Eva verlegen vor sich hin und wurde ein wenig rot. Ich wusste ja nicht, wie es bei Engeln aussah, wenn sie verknallt waren. Aber rot werden war bei Menschen eindeutig ein Zeichen dafür, dass sie etwas verheimlichten, etwas peinlich war oder sie Verlegenheit verspürten. Das hatte mir der Einführungskurs in Psychologie gelehrt. „Ahja, sag das deinen roten Wangen." zog ich sie damit auf. „Ich weiß nicht ob... ob du das verstehst..." stotterte sie dann vor sich hin. Fragend legte ich den Kopf schief. „Zur Zeit verstehe ich vieles nicht, aber wenn jemand verknallt ist, merk ich das schon noch. Also, wer ist es?" fragte ich nach. „April Jones." wisperte Eva kaum hörbar. April Jones? Ich konnte mich nicht erinnern eine- oh... „Das freut mich für dich! Und, hey... es ist doch schön wenn es da draußen jemanden gibt, den du anhimmeln kannst, oder nicht?" fragte ich und ergatterte von ihr ein fröhliches und warmes Lächeln. „Du findest das nicht... komisch? Ich hörte das manche Menschen gegen so etwas was haben..." erwiderte Eva unsicher. „Ach die... Hauptsache man ist glücklich." nahm ich sie von der Seite in den Arm und drückte sie. Das schien das Eis zu brechen und sie fing an zu reden. Schon bald waren wir in der Innenstadt angekommen. Währenddessen hatte ich erfahren, dass es das Mädchen von dem Foto war und sie mit ihr bei der Hochzeit auftauchen würde. April hatte sich schon vor Jahren bei ihrer Familie geoutet und es wurde gut aufgenommen.
„Oh, lass uns unbedingt in diesen neuen Laden... der hat gestern erst geöffnet, davon hatte mir April erzählt." schlug Eva dann vor und zeigte auf ein brandneues Geschäft mit wunderschönen Kleidern und Accessoires. Der Laden war modern, die meisten Sachen dort aktuelle Mode oder Vintage. Außerdem gab es dort eine Schminkabteilung und direkt nebenan ein vier-Sterne Café. „Wie findest du das hier?" fragte irgendwann Eva und kam mit einem lila Kleid mit Spitze wieder. „Perfekt!" antwortete ich sofort und meinte es auch so. Nachdem wir noch ein paar Sachen dazu rausgesucht hatten, wie Schuhe und den richtigen Lippenstift, bezahlten wir und gingen nebenan ins Café. Es erinnerte mich irgendwie an das in Paris aus meinen Träumen, auch wenn die Aussicht nicht mal ansatzweise so atemberaubend war. Wir bestellten uns Schokocroissants, Eva außerdem noch Kaffee und ich Tee. Gemütlich saßen wir dort und aßen. „Und wie ist sie so?" fragte ich nach einem fetten Bissen von meinem Schokocroissant. „Freundlich, nett, süß, witzig, schlau, warmherzig, zuvorkommend..." zählte Eva verträumt auf und ich glaube, sie konnte noch tausende weitere aufzählen. „Soso... ein wahrer Engel also?" machte ich sie bemerkbar auf das größte Problem. Sofort verfinsterte sich ihre Miene und sie nickte. „Ich wünschte, ich könnte hier noch länger bleiben..." sagte sie traurig zu mir.
„Ich weiß, du bist nur hier, weil du Aaron helfen sollst... dass ich mich für ihn entscheide. Aber kann man da denn gar nichts machen?" fragte ich mitfühlend. Sie schüttelte den Kopf.
„Ich glaube nicht, nein..."
„Das ist doch unfair. Wieso darf sich ein Mensch verlieben, aber kein Engel? Gut, sie werden gebraucht um die Welt in Stand zu halten, aber... aber..." setzte ich mich für sie ein, doch endete im Stottern. „Es ist schon gut Nessie. Ich wusste, dass ich irgendwann gehen muss... es ist nicht deine Schuld. Es ist meine." erwiderte Eva und drückte aufmunternd meine Hand. „Aber das ist nicht fair!" wehrte ich mich, wie ein kleines Kind. Man konnte doch nicht einfach die Liebe verbieten, weil der eine ein Mensch und der andere ein Engel war, oder? Immerhin wurden von Anfang an auch mit meinen Gefühlen gespielt und da war es egal. Jedenfalls kam es mir so vor. Verbittert aß ich das letzte Stück von meinem Croissant und trank von meinem noch warmen Tee. Ein Seufzen kam von mir... schon wieder. Ich fragte mich, wie oft ich schon diese Woche geseufzt hatte. Waren es zehnmal? Oder doch eher fünfzigmal? Oft genug auf jeden Fall. Und oft genug war ich diese Woche auch schon wütend gewesen, genervt, überfordert, unbeeindruckt und dann doch wieder beeindruckt und ich war einfach nur noch fertig mit allem was gerade passierte und Sache war. Engel die einen verführen, aber nicht lieben durften, ein Teufel der einen den Verstand mit seiner bloßen Anwesenheit verdrehen konnte, aber selber gemischte Signale ausstrahlte, Dämonen die Partys machten und auf denen Leute starben, die auf unerfindlicher Weise in den Nachrichten landen, aber keiner von der Party einen Schimmer davon hatte.... Es war einfach zu viel. Zu viel für einen einzelnen Menschen wie mich... aber woher sollten die das schon wissen? „Wir sollten langsam zurück." meinte dann irgendwann Eva und riss mich aus meinen Gedanken, die sich gerade so sehr überschlagen hatten, dass ich kaum noch ein klares Fazit zu Eva's Problem ziehen konnte. Also nickte ich einfach, wir bezahlten und ich dackelte ihr hinterher. Was sollte ich auch anderes tun? Das schlimmere war; nicht einmal shoppen mit Eva konnte mich von all meinen Problemen ablenken und es sind dadurch sogar noch weitere dazu gekommen. Weil ich einfach nicht meine Klappe halten konnte... Und obwohl sie gesagt hatte, dass es nicht meine Schuld war, gab ich mir doch einen kleinen Teil davon ab. Bei meiner Wohnung wieder angekommen, machte Eva mir noch einen Tee und wir setzten uns wortlos an den Küchentisch. Was gesagt werden musste, war gesagt, es gab also keinen Grund mehr dazu zu reden. „Damals als du mit Daniel diesen Streit vor der Haustür hattest und Luzifer dazu gekommen ist..." sprach allerdings Eva nun ein neues Thema an, was ich irgendwie verdrängt hatte. „Ja?" fragte ich vorsichtig nach. „Wie hast du dich dabei gefühlt? War es in Ordnung, dass er Daniel verscheucht hat? Ich meine... würdest du das auch tun?" hakte sie nach. Verwirrt sah ich sie an. „Nun, wenn ich die Person länger kennen würde und nicht mit ihr auf Kriegsfuß wäre, dann vielleicht, ja. Wieso? Was hab ich wichtiges verpasst?" fragte ich nach. „Ach, gar nichts..." nuschelte sie jedoch nur und goss das heiße Wasser in die zwei raus geholten Tassen um.
„Was hast du getan?"
„April hatte eine Ex die ihr nachgelaufen ist und ich hatte mich kurzerhand neben sie gestellt und genau das getan, was Luzifer auch getan hatte." beichtete sie mir dann endlich. Ich zog nur überrascht die Augenbrauen hoch und lehnte mich zurück.
„Was?"
„Ich glaube April ist in ziemlich guten Händen" grinste ich nur und ging zu den eben noch heißen Tassen um die Beutel raus zu nehmen. „Wirklich? Du glaubst nicht, dass das ein bisschen zu.. übertrieben war?" fragte Eva nochmal vorsichtshalber nach, aber ich schüttelte nur den Kopf. „Ein bisschen Beschützer spielen, darf jeder mal." sagte ich zu ihr und ich merkte, wie sie kaum merkbar erleichtert ausatmete. Dann stellte ich die eine Tasse vor ihre Nase und die andere nahm ich mit in mein Zimmer. „Na, hast du Lust auf einen Film?" fragte ich und Eva nickte, nahm ebenfalls ihre Tasse und folgte mir. „Ich hab auch ganz viele Weihnachtsfilme... du kannst dir gerne einen aussuchen. Die sind alle gut." sagte ich zu ihr und zeigte auf die Filme. „Hmmm... dann der hier." erwiderte sie schon nach kurzer Zeit. Die Eisprinzessin... solide Wahl für einen Engel. Sofort machte ich den Fernseher an, schob die Disc in den DVD-Player und der Filmnachmittag konnte beginnen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top