Kapitel 2: Rivalen und Freundschaft

Nesrin
Als mein Wecker gegen sieben Uhr klingelte, schreckte ich auf. Irgendwas roch hier nämlich ganz außergewöhnlich nicht normal. Mein Blick schweifte durch die ganze Wohnung und erst auf dem zweiten Blick wusste ich, was an dem Ganzen falsch roch. Es war Evangeline die in einem T-Shirt und einer Shorts von mir Pancakes machte. Normalerweise wäre ich jetzt auf sie losgegangen. Das tat ich eigentlich bei jedem der meine Sachen einfach so stahl, selbst wenn es sich dabei um eine Freundin von mir handelte oder meiner Mutter, die dieselbe Schuhgröße hatte wie ich. Aber irgendwas in mir wollte sich lieber einen Pancake nehmen und das einfach beiseite schieben. Skeptisch stand ich auf und lief zu ihr. „Guten Morgen. Auch einen Pancake? Ich hoffe es war in Ordnung das ich mir Sachen von dir gestohlen habe...", fragte ihre engelsgleiche schöne Stimme mich und ich nickte knapp zu beidem. Dann nahm ich für uns beide zwei Teller raus und sie legte die Pancakes gleichmäßig verteilt auf die Teller. Mit einer Bewegung stellte sie die dreckige Pfanne in die Spülmaschine, öffnete den Kühlschrank und holte Sirup und Sahne heraus, welche sie dann auf den Tisch stellte.

Gerade als ich mich mit unseren Tellern hinsetzen wollte, klopfte es an meiner Tür. Genervt stellte ich die Teller ab und öffnete sie. „Wer sind Sie?", fragte ich verwirrt min Gegenüber, einen jungen Mann mit schwarzen längeren lockigen Haaren, der einen halben Kopf größer war als ich. Ich schätzte ihn so auf die 1,83 m. Irgendwas an ihm flößte mir unglaubliche Unsicherheit und Unwohlsein ein. Doch er lächelte mir nur freundlich entgegen und reichte mir seine Hand. „Ich bin Abbadon. Aber nenne mich ruhig Ab.", stellte er sich mir währenddessen vor. „Nesrin. Gerne Nessie. Was machst du hier?", fragte ich ihn. „Ich bin hier, weil ich eine Wohnung neben dieser und der von gegenüber habe.", erklärte er und trat einfach ein. Ruckartig blieb er stehen, als er Eva entdeckte, welche schon am Tisch saß. „Hallo Ab.", begrüßte sie ihn. Irgendwas sagte mir, dass sie sich bereits kannten.

Ein kühler Windhauch zog durch den Raum und ich bekam eine glatte Gänsehaut. Es war als würde ein Sturm aufziehen, der Himmel verdunkeln und ein Kampf beginnen. Doch eine Sekunde später stand Evangeline plötzlich auf und umarmte den Fremden. „Ähm... kennt ihr euch?", fragte ich die beiden nach einer Weile etwas irritiert. Hätte mir gestern jemand gesagt, dass so mein nächster Tag beginnen würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. „Wir haben uns bei einem alten Job kennengelernt, wir waren damals Rivalen, doch dann haben wir zusammen gearbeitet und bemerkt wie viel besser es ist. Wir wollten uns eigentlich nur einmal eine Auszeit nehmen vom Job, deswegen sind wir wohl beide hier gelandet.", erklärte mir Ab. „Das muss ja echt riesiger Zufall gewesen sein.", sagte ich dazu nur mit einem mächtigen Stirnrunzeln. Was hatten sie wohl vorher als Job, dass sie Rivalen waren? Ob sie Journalisten sind? Reporter? Psychologen? Therapeuten? Tausend Fragen überfluteten meinen Kopf und ließen mich innerlich durchdrehen. Was ist wenn sie hier waren um die Studenten zu analysieren, im schlimmsten Falle sogar mich? Ich wäre wohl das schlechteste Beispiel für eine Studentin. Jeden Tag Kaffee zum Wach bleiben, um drei Uhr morgens aufstehen damit ich nicht verschlafe und zwei Stunden vorher noch arbeiten gehen, um das Studium überhaupt finanzieren zu können... ist nicht gerade die beste Version eines Studentenlebens.

Es gab bestimmt auch welche, die erst spät aufstanden, keinen Kaffee brauchten und abends feiern gingen ohne sich um einen Job sorgen machen zu müssen. „Wir beide hatten eine Cafeteria.", erzählte plötzlich Eva und riss mich aus meinen Gedanken. Und ich dachte schon sonst irgendwas. Eine Cafeteria ist kein Verbrechen und auch kein Job wo recherchiert wird, es sei denn es geht um ein Rezept oder eine Zutat. Voller Erleichterung merkte ich wie meine Schultern sich lockerten. Sie mussten wohl automatisch zusammen gezuckt sein, als sie von ihren vorigen Jobs angefangen hatten. „Wir sollten übrigens langsam los... sofern ihr auch Psychologie habt?", fragte Ab uns Beide. „Du hast auch Psychologie gewählt? Zufall über Zufall wie es aussieht... dass ist ja ein super Start in den Tag. Zwei beste Freunde finden sich aus purem Glück durch ein Studium in Psychologie wieder und stürzen einfach Beide in meine Wohnung. Ich glaube, dass ist der beste Start für eine Freundschaft, den ich jemals gesehen habe.", lachte ich und sie stimmten mit ein. Apropro Freundschaft... mein Handy hat einen Ping Ton von sich gegeben, während ich leicht verzweifelt zwischen den Beiden hin und her gesehen hatte. Schnell lief ich zu meinem Schreibtisch und sah auf das Display. Es war die Freundschaftsgruppe. Sie haben wohl über irgendwen abgeläst- da steht mein Name. „Ist alles in Ordnung? Du bist auf einmal so blass... ist irgendwas passiert?", fragte Evangeline's wunderschöne Stimme besorgt, doch ich konnte jetzt nur noch an eines Denken; dass meine eigenen Freundinnen über mich lästerten, weil ich nie Zeit hatte und nervig wäre. Selbstverliebt. Egoistisch. Arrogant. All diese Wörter kamen wie ein Sturm auf mich zu. Dann löschte auf einmal jemand aus der Gruppe alle Nachrichten. Sie mussten bemerkt haben, dass ich auch in der Gruppe war. Gebannt sah ich auf den gelöschten Chat in meinem Handy. Wie konnten sie bloß so etwas schreiben und sich erst nachher darüber sorgen machen, dass ich auch in der Gruppe war?! Von der aufkommenden Wut übermannt schrieb ich : „Wenn ihr mich hasst, brauchtet ihr mich als nur damit ihr über jemandem hinter eurem Rücken lästern könnt? Gut. Wenn das so ist, war's das. Könnt ja trotzdem noch gerne weiter über mich lästern, aber ich bin raus."

Dann verließ ich einfach die Gruppe und schaltete mein Handy ganz aus. Da viel mir etwas auf. Nicht nur meine Freundinnen waren in dieser Gruppe, sondern auch mein Freund. Schnell nahm ich meinen Laptop, meine Stifte, meine Blöcke, das Pflichtbuch in Psychologie, packte es in meinen Rucksack, schwang ihn über meinen Rücken, nahm noch meinen Schlüssel und ging mit Ab an der einen Hand und Evangeline an der anderen Hand raus aus meinem Zimmer, was ich nach kürzester Zeit abgeschlossen hatte. Irgendwie schaffte ich es dabei, meine Tränen aufzuhalten meine Wange hinunter zu rollen. „Hey.", sagte auf einmal Abbadon und zog meine Aufmerksamkeit voll auf ihn. „Was?", zischte ich ihn ungewollt an und merkte, wie eine einzige Träne mein Auge verließ.

Verdammt. Ich wollte nicht weinen. Ruckartig wurde ich von Eva in eine Umarmung gezogen. Die Wärme von den Tränen und meinem wütenden roten Gesicht, wandelte sich binnen Millisekunden in Wärme von Schutz, Güte, Geborgenheit, Ruhe und ein bisschen Verständnis, obwohl sie noch nicht einmal wusste weshalb ich weinte. Abbadon hingegen erwartete immer noch eine Antwort. „Es... es ist nicht so wichtig.", beschwichtige ich gerade die Tatsache, dass meine eigenen früheren besten Freundinnen über mich lästerten und mein Freund wahrscheinlich sogar lachend und zustimmend daneben stand bei jedem Wort was sie über mich verloren. Klar, durch meinem Studium hab ich ihm oft abgesagt und meinen Freundinnen auch... aber war das gleich ein Grund zum Lästern direkt vor meiner Nase wo ich es auch sehen kann? Unbemerkt hatte ich die Umarmung erwidert und beide an die Hand genommen. „Lästert... lästert ihr gegenseitig über euch?", fragte ich sie. „Nein. Wieso sol- oh.", verstand es Abbadon sofort und ich merkte wie sein Blick ein wenig mitleidig wurde, als er mich ansah. Nun konnte ich mich wirklich nicht mehr zusammen reißen. Träne um Träne floss meine Wangen hinunter und tropften auf mein Oberteil. Das Gefühl was ich eben noch von Evangeline gespürt hatte, war weg und eine riesige Trauer überkam mich. „Bin ich... bin ich wirklich ein so schlechter Mensch?", stotterte ich hinaus. Sofort schüttelten die Beiden neuen den Kopf. Im nächsten Moment sank ich einfach zusammen auf meine Knie und lehnte mich danach an die Wand wo ich meinen Kopf in meinen verschränkten Armen vergrub, die wieder herum meine Knie an meinen Oberkörper zogen. Mit jeweils einer Hand auf meinen Rücken, setzten sie sich neben mich und streichelten tröstend meinen Rücken. Doch nicht einmal das konnte mich irgendwie aufheitern, geschweige denn einen Hauch beruhigen. „Das sind keine guten Menschen die einfach so über einen wunderbaren Menschen lästern.", versuchte Abbadon mich aufzuheitern.

Aber es half mir kein Stück. Jedenfalls nicht wenn er es probierte. Er war mir schon von Anfang an unangenehm rein geplatzt,... natürlich auch gestern Abend Evangeline, aber irgendwie hatte ich bei ihr so ein anderes Gefühl als das was Abbadon ausstrahlte. Wenn sie sprach bekam ich eine Gänsehaut, doch wenn er etwas sagte, war es als würde die Wand auf einmal anfangen mit mir zu sprechen. „Wir sollten... los.", sagte ich zu Beiden schließlich, wischte mir mit meinen Ärmeln die Tränen weg und stand auf. Das hatte ich früher schon oft getan. Einfach meine Tränen weggewischt und weiter gemacht... als ich in der siebten Klasse war. Damals wurde ich ausgelacht für mein grässliches Aussehen und dann hatten sie sich auch noch gewundert, wieso ich zu den Partys nie gekommen bin. Doch wieso sollte ich zu Partys gehen, wenn ich sowieso nur ausgelacht worden bin? Bis zur neunten Klasse blieb ich dieses Mädchen. Aber dann entschied ich mich dazu, mich zu verändern und trainierte Tag ein und Tag aus in den Sommerferien. Sie erkannten mich danach gar nicht wieder. Jetzt dachte ich endlich, ich hätte Freunde gefunden die wirklich ehrlich und aufrichtig sind und einen Freund der mich liebte... doch da hab ich mich anscheinend geirrt. Ich spürte wie weitere Tränen kommen wollten und versuchte sie weg zu blinzeln- was nicht ganz so einfach funktionierte, wie ich es mir vorgestellt hatte. „Willst du jetzt wirklich noch Psychologie machen?", fragte Eva besorgt. Eigentlich wollte ich nicken. Aber das Aufsteigen uralter Erinnerungen hielt mich davon ab. Stumpf schüttelte ich meinen Kopf. Ich konnte mir kein Psychologie Gefassel anhören, während ich gerade selber am Abgrund meiner Psyche stand. Mit einem Blick den Ab und Eva austauschten, nickten sie, Eva nahm meine Hand und Ab verschwand, wohin auch immer. „Was macht er?", fragte ich Eva verwirrt. „Er meldet uns für heute ab. Wir machen eine kleine Shoppingtour, dass wird dich sicherlich aufmuntern.", meinte sie mit einem leichten Lächeln und ging mit mir raus. Frische Luft, dass hatte ich jetzt gebraucht. Wie konnten die Beiden das nur wissen? „Danke.", wisperte ich ihr zu. „Dazu sind doch Freundinnen da, oder? Und jetzt komm, man findet nicht von selbst einen guten Italiener der Eis verkauft.", lockte sie mich vollständig von der Wohnung weg und wir verschwanden in den großen Menschenmassen von New York während wir der Columbia Universität immer mehr den Rücken zu kehrten und meine Gedanken über meine ach so tollen Freunde und meinen Freund verschwanden maßgeblich im Nichts. Mich interessierten nur noch die schicken Kleider in den Schaufenstern und das Eis in meiner einzigen freien Hand, welches mir Eva bezahlt hatte und gleichzeitig auch sie die meine Hand hielt.

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