Kapitel 16

Nesrin
„Du hast viele Fragen... oder?"
„Du hast mir ja auch viel Stoff für Fragen gegeben."
Mit einem genervten Seufzer, wie so oft in den letzten paar 72 Stunden, stand ich auf. Jedenfalls versuchte ich es... doch sofort nachdem ich es versucht hatte, knickte meine Hand weg. Sie tat weh... mehr als mir lieb war. Ruckartig merkte ich, wie Luzifer sich hinter mir aufsetzte und dann aufstand, nur um dann zu mir zu gehen und sich meinen Arm anzusehen. Doch statt das mein Arm auf brannte wie erwartet bei der Berührung von Luzifer, wirkte es eher wie eine Salbe die vorsichtig aufgetragen wurde. Verwirrt sah ich ihn an, aber darum kümmerte er sich gerade wohl nicht. „Wie konnte die Wunde denn noch schlimmer werden?" redete er mit sich selbst als mit mir. „Ich weiß es nicht..." sagte ich trotzdem zu ihm. Das ließ ihn aufblicken. „Wir sollten wirklich zum Krankenhaus." sagte er, nicht als Tipp, sondern als ein Befehl. „Nein!" streikte ich. „Sie dir das doch an... dass muss ein Experte verbinden, nicht deine Mutter oder ich!" grummelte er zurück. „Aber... aber..." stammelte ich. „Ich bezahle auch." erwiderte Luzifer. Energisch schüttelte ich den Kopf. „Nein danke. Du und Aaron, ihr bezahlt mir gar nichts mehr." sagte ich ohne ein Widerwort zuzulassen. „Dann... dann..." stotterte er, ehe ihm anscheinend ein Licht aufgegangen war. „Ich hab es!" rief er. „Was?" fragte ich aber noch nicht ganz sicher, von was er redete. „Abbadon hat einen Abschluss in Medizin. Seinen Master hat er erst vor kurzem gemacht..." erläuterte er mir. „Das heißt wir gehen jetzt zu Abbadon?" erwiderte ich. „Nein... ich gehe und du wirst getragen." ergänzte er.
„Getragen von-? Oh nein... nein, nein, nein, nein! Du wirst mich nicht-!"
Doch ehe ich ihn davon abhalten konnte, hob er mich schon hoch und lief von meiner Wohnung aus zu Abbadons. Dort klopfte er an und sofort öffnete Ab die Tür und ließ uns rein. „Die Wunde ist von gestern... wie kann sie trotzdem schon so schlimm aussehen?" fragte mich Ab, doch erwartete keine Antwort. Stattdessen holte er etliche Sachen. Darunter auch Alkohol und ein Buch... welches allerdings kein Medizinbuch oder Zauberbuch war. Ich fragte mich, wo für es gedacht ist. „Mund auf." befahl sogleich Ab. Widerwillig tat ich wie mir geheißen. Tja. Jetzt wusste ich wenigstens wofür er das Buch brauchte... damit ich drauf biss. „Der Alkohol wird brennen... es wird sich kurzzeitig so anfühlen wie... wie wenn deine Haut durch Feuer sich von deinem Skelett trennt. Aber das wird sie nicht. Der Alkohol ist nur zum Desinfizieren da. Danach lege ich dir einen Verband um und du bekommst Tabletten als auch Bettruhe verschrieben... du hast ja welche, die für dich in der Uni mitschreiben." erläuterte Ab. So ungewohnt war das Gefühl, was ich direkt darauf spürte gar nicht. Ich kannte es bereits... von Luzifer. Jedes Mal wenn er in meiner Nähe gewesen war, hatte es sich genauso angefühlt. Wenn nicht sogar zehnmal so schlimm. Danach merkte ich, wie etwas um meinen Arm gelegt wurde... der genannte Verband. Erst danach nahm mir Ab das Buch aus dem Mund. „Und? War es sehr schlimm? Du musst wissen... ich mache das nicht so oft..." fragte er mich. „Alles gut..." nuschelte ich zu ihm. „Danke..." setzte ich noch dazu.

Dann sah ich zu Luzifer. „Kaffee?" fragte er mich. Ich nickte und wurde ungewollt wieder von ihm hochgehoben. „Ich kann gut selber laufen." beschwerte ich mich. „Wirklich?" zog er eine Augenbraue hoch. „Ja wir-" wollte ich sagen, doch im nächsten Moment setzte er mich ab und ich zischte sogleich auf. Direkt danach nahm er mich wieder hoch. „Ah ja... Miss Mir-geht-es-gut." rollte er mit den Augen und legte mich wieder in meinem Bett ab. „Ich hole dir heute nach der Uni die Schmerztabletten... so lange trink deinen Kaffee und ruhe dich aus." sagte er zu mir und ging zur Kaffeemaschine. „Und seit wann sorgst du dich um mich? Oder wurdest zu meinem Aufpasser ernannt?" fragte ich ihn ohne eine Antwort zu erwarten. Doch als er mit dem Kaffee wieder kam, fielen mir die Fragen von vorhin alle ein.
„Morgens als du und ich bei der Kaffeemaschine waren..." fing ich an. „Genauer?" hakte er nach. Natürlich... es hat schon viel zu oft Kaffee gegeben. „Bei dir Zuhause oder eher... eher gesagt in einem deiner Anwesen." schluckte ich kurz. Ich wusste, dass der Teufel vor mir stand. Ein falscher Schritt und ich wäre tot. Jedenfalls glaubte ich das. „Du hast verletzt gewirkt... war es wegen... wegen..." zeigte ich nach oben. Ein stummes Nicken von Luzifer folgte. „Man sollte sich eben nicht mit ihm anlegen." warnte er mich und setzte sich auf mein Bett zu mir. „Ich..." murmelte ich vor mir her. „Du hast noch mehr fragen, richtig? Frag. Es schmerzt zwar... aber die Wunden sind alt." sagte er unterstützend zu mir. „Hast du... hast du wirklich die-?" fragte ich nach den zwei Narben am Rücken, die von seinen abgeschnittenen Flügeln kommen könnten. „Ja. Ich hatte mal genau solche Flügel wie... du weißt glaube ich, wen ich meine. Doch jetzt sind dort nur noch zwei große Narben. Ich kann allerdings noch sehr hoch springen... und mein Gleichgewicht hatte ich auch schnell wieder gefunden. Weißt du, Flügel sind ziemlich schwer." erzählte er mir. Diesmal nickte ich nur stumm.
Er redete eindeutig von Aaron... da fiel mir wieder die Frage ein, die ich gestern stellen wollte.
„Wieso gerade i-"
„Ich muss jetzt los. Heute Abend bin ich wieder mit den Medikamenten da." unterbrach er mich einfach. Oder... sorgte eher dafür, dass ich schon wieder nicht die wichtigste aller Fragen stellen konnte. Tja... er war eben geschickt. Und ein paar tausend Jahre alt... eine Tatsache, die es nicht gerade besser machte. Und was nun? Hmm... es wäre noch die Sache mit dem Schwert offen. Mit einem Schal in meinem Mund, damit ich nicht zu laut vor Schmerz aufschrie, stand ich auf und setzte mich auf meinen Stuhl um dort meinen Laptop zu öffnen. Dort tippte ich die Worte „Schwert" und „Luzifer" ein was, zu meinem bedauern, wirklich vom Internet falsch aufgenommen wurden ist. So falsch, dass ich mir selber an die Stirn klatschte und den Kopf schüttelte. Wieso war die Welt so... mehrdeutig geworden? Naja... folglich gab ich erst einmal nur Aaron und Engel ein... vielleicht hatte ich da mehr Erfolg. Dabei kam ein Film heraus... als ich noch „Kämpfer" hinzufügte, wurde klar, dass Aaron wirklich ein Engel war. Doch kein einziger Hinweis über ein Schwert stand dort geschrieben. Komisch. Und da dachte man, dass das Internet alles wusste.

Wer weiß, vielleicht gab es auch noch nie Aufzeichnungen oder Insignien über so ein Schwert... oder es wurde noch nichts gefunden. Mit einem Schluck von meinem Kaffee sah ich zu meiner Tür. Klar, sie war nur ein Ein- und Ausgang. Doch damit hatte alles angefangen... richtig? So war es doch... kurz dachte ich nach. Vielleicht... vielleicht hat nicht nur alles mit Eva angefangen. War da noch mehr? Immerhin träumte ich seit ein paar Tagen ständig von Luzifer und Aaron... wobei sich herausgestellt hatte, dass sie in meinen Träumen eingedrungen waren und sie manipulierten. Ich erinnerte mich, dass in der Nacht wo Eva einfach hier aufgetaucht war, eine Arbeit über Träume und ihre Wirkung für meinen Professor fertig werden musste. Damit hatte ich mich ziemlich abgequält... bis zu dem Moment, wo ich erstmals seit langem wieder einen richtigen Traum hatte. Doch als ich aufgewacht war, konnte ich mich überhaupt nicht mehr erinnern, was genau ich nun geträumt hatte. Bis... bis ich am Morgen in der Uni vor Luzifer und Aaron saß. Da bemerkte ich die Hände von Aaron... welche mir geholfen hatten, nicht im Sand zu-
Und plötzlich viel mir alles wieder ein. Wie auf einem Schlag... sie hatten darüber geredet. Über dieses scheiß verdammte Schwert! Und darüber das ich... das ich... ich schluckte schwerer als jemals zuvor. Ich sollte entscheiden, wem das Schwert gehörte und somit, ob das Gleichgewicht der Erde zerstört wird oder nicht. Vor meinem inneren Auge sah ich, wie es ausgehen würde, entschiede ich mich für Luzifer. Doch da fiel mir noch etwas ein; hatte überhaupt der Professor die Aufgabe gestellt? Oder war es eine weitere Manipulation von Aaron und Luzifer oder sogar von meinem zuvor gedachten neuen besten Freunden Abbadon und Evangeline, die mich doch irgendwie schon von Anfang an belogen hatten? Ich wurde wütend. Richtig wütend. Und gleichzeitig bildete sich in meinem Magen ein Knoten, der von Trauer, Enttäuschung und tatsächlicher Gleichgültigkeit gefüllt war. Trauer, da ich dachte, es wäre diesmal anders und aufrichtig gemeint, dass sie niemanden hinterrücks anlügen würden. Enttäuschung, da ich zum zweiten Mal auf all das hineingefallen war. Und Gleichgültigkeit...
da ich von Anfang an wusste oder eher und viel mehr gesagt wissen musste, dass das passieren würde. Wie kann man auch so dumm sein? So leichtgläubig, dass es anders verlaufen würde als sonst? So... so... kindisch gut denkend? Argh. Wie mich das auffraß... und doch nicht so sehr, dass ich noch weiter lebte. Alles schien auf einmal Sinn zu ergeben. Zum Beispiel, dass Aaron keine Macke hatte. Mich hatte es so sehr gewundert und jetzt, da ich weiß, dass er ein Engel war, ergab es so viel Sinn! Und die Tatsache, dass Luzifer so verletzt war, als es um kaputte Gegenstände ging... er war ein gefallener Engel, es musste ihn zerstört haben, dass er vom Himmel fiel und seine Flügel verloren hatte. Verstoßen wurden ist von seines gleichen... alles in mir drehte sich wie ein Karussell. Ich hatte Kreislauf... wahrscheinlich, weil ich nur Kaffee und auch davon sehr wenig getrunken hatte. Ohne das ich es überhaupt noch bemerkt hatte, waren schon Stunden vergangen. Und so klopfte es an meiner Tür... schon wieder, aber diesmal mit mitschwingender Allwissenheit, wer dort hinter auf mich wartete. Ich musste nicht aufstehen, die Tür war nicht abgeschlossen und er wusste nur zu gut, dass ich sie ihm nicht freiwillig öffnen würde. Deswegen trat er auch sofort nach dem Klopfen ein, ohne eine Antwort abzuwarten.
Er hatte eine Tüte bei sich... wahrscheinlich mit den Medikamenten drinnen und einen Block plus Stift. Die Aufzeichnung von der heutigen Sitzung. „Guten Abend." wünschte er mir. Doch ich konnte ihn nur ansehen. Es schmerzte, allein ihn anzusehen und zu wissen, dass er nie wirklich ein richtiger Mensch wie ich war. „Es... tut mir leid." sagte er nach einer Weile. Er hatte einfach nur da gestanden... im Mondlicht welches von meinem Fenster heraus hinein schien. Dagestanden und hatte mich dabei angesehen... angestarrt und somit mitbekommen, wie eine einzelne flüchtige Träne über meine Wange lief. „Wirklich?" wisperte ich fragend in die Stille hinein. „Ich weiß es nicht genau..." entgegnete er ebenso leise wie ich. Wie sollte er es auch wissen? Ein gemeiner Schleier schien sich vor meinen Augen zu bilden. Und genau das war der Moment wo ich realisierte. Nein, nicht wieder dasselbe... diesen Engel und Teufelsquatsch. Sondern realisierte ich, was diese Hitze bedeutete. Diese scheiß verdammte Hitze in Luzifers Nähe. Das Gefühl in seiner Nähe zu verbrennen und doch noch näher an das Feuer zu wollen. Verlangen, Sucht... wie ich es auch beschreiben mochte... all das, hatte ich bei Aaron nicht. Kein Ersehnen oder eine Macht zog mich zu ihm hin... er war einfach nur ein guter Freund. Nicht der Freund... nicht mein Freund. Sondern ein Freund. Und bei allem was ich in den letzten paar Tagen mit Luzifer und Aaron erlebt hatte... war eindeutig mehr Spannung im Raum, wenn der Teufel anwesend gewesen ist. Aber wie könnte ich es ihm jemals sagen? Wenn ich mich nicht für die Engel entscheiden würde, breche ein Chaos über der Welt aus. Klar, vielleicht war ich dann in Sicherheit... mit viel Glück aber, selbst dass bezweifelte ich. Denn was könnte man schon an mir so sehr lieben? Ich war tollpatschig, geizig mit Geld und hatte überhaupt keine Lust raus zu gehen... nie und nimmer. Dafür war mir die Uni und der Abstand zu sozialen Kontakten viel zu wichtig. Wenn man es so recht bedachte, wunderte ich mich, dass ich überhaupt mal einen Freund und Freunde hatte.

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