4. Das Ausmaß des Scheiterns
Soundtrack: Klaus Badelt - Fog Bound aus dem Fluch der Karibik OST. Abspielen, sobald sie über Sally plaudern.
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„Kommt zurück!" Luzi stapfte aus dem Wasser und zog das Rapier. „Kommt zurück und greift an, ihr verfluchten Feiglinge! Wir können sie kapern, solange die Crew beschäftigt ist!"
„Wenn du sterben willst, bitte." Der Halbork, den Belfiore zuvor als seinen mutigsten Mann bezeichnet hatte, spuckte vor ihm in den Sand. „Aber ziehe nicht uns mit in den Tod, Osfeira."
Luzi holte zu ihm auf und versperrte ihm mit der Klinge den Weg. „Belfiore wird nicht erfreut sein, wenn er hört, dass ihr beim ersten Anblick eines Gefechts den Schwanz einzieht", fauchte er. „Euer Captain hat mir den Befehl über diesen Angriff gegeben. Mein Wort ist genauso gut wie das seine. Zurück ins Wasser. Wir holen uns das Gold!"
Der Halbork erwiderte seinen zornsprühenden Blick gleichgültig und schob das Rapier von seiner Brust. „Dass er ihn dir, einem von Rache getriebenen kleinen Hurensohn, einem Fremden in unserer Stadt, übertragen hat, beweist nur, dass er seine Würde und seinen Verstand in dem Moment verloren hat, als er mit dir in seinem Gemach verschwunden ist."
„Vielleicht sollte ich mit dir das gleiche tun wie mit ihm, wenn du und deine Männer dafür die Mortis angreifen", parierte Luzi mit einem verruchten Unterton.
Die verächtliche Sicherheit des Halborks verrutschte für einen Augenblick. „Das mag ihn überzeugen, aber nicht mich."
„Du hast mich noch nie erlebt." Luzi stich ihm übers Kinn. „Es ist eine Erfahrung, die du nicht missen möchtest."
Er warf einen hektischen Blick an dem Mann vorbei zu der tobenden Seeschlacht. Die Aurelia und die Bautista hatten die Segel gesetzt, wie hungrige Wölfe schlossen sie zur Mortis auf, die Stückpforten geöffnet. Luzi meinte, die Befehle der Captains zu hören. Unbeirrt feuerte das Geisterschiff weiter, die Kanonen spien Glut und Eisen auf die Mortis, brennende Holzsplitter stoben von ihr auf und prasselten ins Wasser. Das Aufflammen der Geschütze erhellte versengte Planken und die fransigen Enden dunkler, wogender Segel. Zugleich zerfetzten die Kanonen des Linienschiffs die bereits mit Löchern übersäte Breitseite des Geisterschiffs zu Trümmern.
Grob schlug der Halbork Luzis Hand beiseite. „Du hast keine Ahnung", knurrte er. „Du weißt nicht, mit wem du es zu tun hast."
„Dann erleuchte mich", schnappte Luzi beleidigt. Er würde ihn noch in sein Bett bekommen, dessen war er sich sicher. Sobald er das Gold der Mortis hatte.
Doch dieser Tag war nicht mehr heute. Es war zu spät, begriff Luzi. Solange die Mortis sich allein gegen das Schiff gewehrt hatte, hatte Ranshaws Crew genug zu tun gehabt, um eine kleine Gruppe Angreifer erst zu bemerken, wenn es zu spät war. Doch nun waren die Begleitschiffe dort. Gemeinsam würden sie das Geisterschiff zurück auf den Meeresgrund schießen, und hätten sicherlich noch genug Hände frei, um ihn und seine unwilligen Kameraden zu töten.
Der Halbork verlagerte das Gewicht, als seien seine eigenen Worte ihm peinlich. „Die Geister des Caligár", sagte er unbehaglich.
Luzi lachte auf. „Ihr seid Belfiores beste Männer und fürchtet euch vor Seemannsgarn?" Mittlerweile bereute er seine Wahl der Verbündeten. Belfiore selbst war fabelhaft, doch seine Männer waren geradezu lächerlich. Seine eigene Crew hatte zumindest den Schneid gehabt, sich gegen Geisterschiffe zu stellen. Bei den Rakshasa, wie er sie vermisste.
„Wollt ihr euch etwa drücken, weil ihr Angst habt vor ein paar kleinen Gespenstern?", meldete sich eine raue Stimme zu Wort. Eine Goblinfrau trat an Luzi vorbei und funkelte verächtlich zu dem Halbork auf. Wasser tropfte von den Spitzen ihrer Ohren und ihres rötlich braunen Dreispitzes. „Ich habe mehr von dir gehalten, Gunrow. Und von euch auch." Sie spuckte vor ihnen in den Sand.
„Dieses Schiff", Gunrow wies auf das Geisterschiff, aus dessen Segeln nun Flammen schlugen, „ist schon oft hier aufgetaucht, und es hat nie jemanden angegriffen, wenn es nicht zuerst beschossen wurde. Nun kreuzt es hier auf und stürzt sich auf das Schiff von den elenden Toten Männern. Sag mir nicht, dass mit denen nicht irgendetwas faul ist!"
Jemand hinter ihm schnappte nach Luft. „Es ist das Gold! Es stammt aus dem Schatz des Caligár! Die Geister wollen es zurück!"
„Verfluchtes Gold!", rief ein anderer.
„Hundescheiße", knurrte der Goblin. „Das sind nicht die Geister des Caligár. Ich habe sie gesehen."
„Es ist von den Noxern", fügte Luzi hinzu. „Noxisches Gold hat euch noch nie eingeschüchtert, oder doch? Sonst wärt ihr keine Piraten." Doch was, wenn die Sturmkönigin es von Caligár gestohlen hatte? Er hatte vieles über den legendären Captain gehört, von seiner Schlacht gegen einen Meeresgott, von dem mächtigen Schwert, in das er ihn gebannt hatte, doch von einem Schatz noch nie. Jemand mochte dereinst irgendwo Gold finden und es das Gold des Caligár nennen, doch nach allem, was er wusste, war dieser nicht auf der Sturmkönigin gewesen.
„Auf diesem Schiff ist mehr Geld, als ihr euch vorstellen könnt. Euer Captain hat euch befohlen, es zu stehlen. Und ihr lasst die Aussicht auf endlosen Reichtum so einfach fallen?" Der Goblin verschränkte spöttisch die Arme. „Ich sollte mir eine bessere Crew suchen als euch. Nachher fangt ihr tatsächlich an, bei dem Anblick noxischer Kanonen das Weite zu suchen. Und die sind nicht so rostig wie die auf dem Geisterschiff."
„Das ist nicht das gleiche", hielt Gunrow dagegen. „Der Fluch, er könnte... er könnte auch uns befallen."
„Uns verdammen zu ewiger Wanderschaft, unter der Knute von dieser Fotze namens Marre!", mischte sich ein weiterer Mann ein. Ein paar murrten ihre Zustimmung.
„Abergläubische Narren", knurrte der Goblin.
„Warum zeigt ihr dieser Fotze namens Marre, wie ihr sie nennt, nicht, welch hervorragende und furchteinflößende Männer ihr seid, und greift die Mortis an?", fragte Luzi schnippisch. „Oh, ich vergaß. Ihr seid ein Haufen Feiglinge. Vielleicht hätte ich doch die Wyrdail um Unterstützung bitten sollen. Oder gar die Roten Kraken. Oder die Huren auf dem Hurenschiff, denn sogar sie haben mehr Mumm als ihr alle zusammen!"
Gunrow stieß ein wütendes Grunzen aus und riss seinen Säbel aus dem Gürtel. Klirrend stieß er auf Luzis Rapier. Erneut holte der Halbork aus, Luzi tänzelte an ihm vorbei und schlug ihm die Klinge aus der Hand. Die Spitze seiner Waffe kam an der Kehle des Knochensammlers zum Halt.
Luzi verzog das Gesicht. „Nun verstehe ich, warum ihr euch geweigert habt. Ihr seid auch noch miserabel im Kämpfen. Und ihr wollt Belfiores beste Männer sein."
Gunrow schlug das Rapier mit der flachen Hand zur Seite und wollte sich mit bloßen Fäusten auf Luzi stürzen, doch Luzi parierte jeden seiner Schläge mit dem Schwert. Jeder Streich öffnete neue rote Striemen auf den Armen des Halborks.
In perfekter Fechtpositur blieb er vor dem schwer atmenden Gunrow stehen. „Verschwindet einfach. Ich werde mit Belfiore über euer Versagen sprechen. Vielleicht gibt er mir dann jemanden, mit dem ich tatsächlich ein Schiff kapern kann."
Ein letztes Mal machte Gunrow einen Schritt nach vorn. Luzi hob warnend eine Augenbraue. Der Halbork spuckte vor ihm in den Dreck und schritt von dannen, dorthin, wo sich eine immer größer werdende Menge an Schaulustigen versammelte. Sie alle blickten aufgeregt zu den noch immer Breitseite um Breitseite abfeuernden Schiffen. Angst wallte mit dem Geruch von verbranntem Fleisch von den Scheiterhaufen über den Strand.
Mürrisch sah Luzi den davonziehenden Knochensammlern nach. Ob nun sie schuld daran waren, dass sein Versuch, die Mortis mitsamt ihres Goldes zu stehlen, schief gelaufen war, oder ob es das Geisterschiff war, dessen war er sich nicht sicher. Wenn der Plan, den er und Belfiore ausgehandelt hatten, zuerst im Beisein seiner untergebenen Captains, später allein, ineinander verschlungen, schweißnass und verstrickt in Decken aus Brokat und Seide, funktioniert hätte, wären Amos Ranshaw und sein Gefolge nun tot, und die Mortis stünde unter Luzis Kommando. Das wäre sein Lohn gewesen, dafür, dass er geholfen hatte, den neuen Anwärter auf den Thron von Hogarth zu beseitigen. Das Linienschiff, eine Crew, neue Segel in dunkelviolett und ein Platz in den Reihen der Knochensammler. Von dort aus wäre es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Luzi sich bis in die höchsten Riegen der Piraten von Hogarth geschlafen hätte, und schließlich hätte er Belfiores Platz eingenommen.
Doch nun war der Coup auf die Mortis gewaltig schiefgelaufen. Das Wrack des Geisterschiff wurde langsam von den schwarzen Fluten verschlungen, die Aurelia hatte das Feuer bereits eingestellt, und nur noch Mortis und Bautista schossen ihre Breitseiten auf das sinkende Schiff. Als wollten sie sicher gehen, dass sich das Geisterschiff nie wieder erhob. Hoffentlich war es Belfiore zumindest gelungen, Ranshaw umzubringen. Dann müssten sie sich nur noch mit den führungslosen Toten Männern auseinandersetzen, und Luzi ahnte, dass er sie mit Leichtigkeit auf seine Seite ziehen konnte. Zumindest diesen Lichtblick gab es.
Neben ihm zog der Goblin geräuschvoll die Nase hoch und spuckte aus. „Feiges Pack. Pissen sich ein, sobald sie ein paar Kanonen an einem morschen Schiff sehen. Und sie nennen sich Knochensammler. Dass ich nicht lache."
Luzi sah zu ihr hinab. „Waren die Knochensammler jemals besser?"
„Zu Myazis Zeiten schon. Niemand wusste genau, ob nun er oder Belfiore das Sagen hatte. Aber er hätte sich weder von dir einwickeln, noch von einem Geisterschiff einschüchtern lassen." Sie nickte anerkennend. „Er war ein verdammter machtgieriger Bastard, und das war sein Untergang. Konnte nicht die Finger von Dingen lassen, die zu groß für ihn waren. Aber nun ist er tot, und wir müssen uns mit diesem Narren von Belfiore herumschlagen." Sie blickte zu ihm auf. „Du kennst nicht zufällig einen Captain, der einen Halsabschneider gebrauchen könnte?"
„Wie bitte?"
Sie knurrte unwirsch. „Die Knochensammler werden mir zu weich. Ich suche mir wen anders, der nicht beim ersten Anblick von Gefahr die Flagge streicht."
Luzi lächelte gewinnend. „Mich."
Sie verzog das Gesicht. „Und nun einen richtigen Captain."
Luzi schnappte empört nach Luft. „Ich bitte dich! Ich habe die Alasdaire gekapert, die größte gauterlemische Schatzgaleone, die jemals gesegelt ist! Ich habe ein jadenisches Kriegsschiff im Hafen von Kalawin gestohlen, mit nur fünf Mann! Ich habe eine Flotte von fünf Schiffen!" Er unterbrach sich. „Vier. Doch das ändert nichts daran, dass ich sehr wohl ein erfolgreicher und fähiger Captain bin!"
„Wo ist dein Schiff, Captain?", knurrte sie, der Titel klang wie eine Beleidigung. „Ich sehe nichts, worauf ich anheuern könnte."
„Ich..." Luzi fischte aufgebracht nach Worten und verstummte schließlich. Sie hatte recht. Noch hatte er nichts. Drei Tage war er bereits hier, und sein Bündnis mit Belfiore hatte ihm nichts gebracht außer durchnässte Kleidung und einen zugegebenermaßen wunderbaren Nachmittag. Während Ranshaw drei Schiffe der Wyrdail und Dagons Erben unter sich hatte, zusätzlich zu seinen fünf Schiffen aus Letzthafen. Luzi war nicht einmal eine Gefahr für ihn. Schmerzhaft wurde ihm bewusst, wie viel nun von Belfiore abhing. Daran zu denken, was geschehen würde, wenn Ranshaw überlebt hatte, wagte er nicht.
Der Goblin lächelte schneidend. „Dachte ich mir. Einen schönen Abend, Captain." Sie zog ihren Dreispitz, verneigte sich und schritt von dannen.
Beleidigt schob Luzi das Rapier in die Scheide. Er hatte es sich einfacher vorgestellt, Ranshaw loszuwerden und die Herrschaft über Hogarth zu erlangen. Nun stand er wieder dort, wo er begonnen hatte. Ohne Schiff, ohne Crew, ohne Verbündete. Und nun noch dieses mysteriöse Geisterschiff, das es wohl auf irgendetwas abgesehen hatte. Vielleicht konnte er es nutzen.
Stolpernd holte er zu dem Goblin auf. „Warte!"
„Was willst du, Captain?"
„Verzeih meine Unhöflichkeit. Wie ist dein Name?"
„Rotchcaft."
„Sehr erfreut. Mein Name ist..."
„Ich weiß, wie du heißt, Captain."
Luzi ließ sich nicht aus der Fassung bringen. „Was weißt du über dieses Geisterschiff?"
Sie blickte ihm in die Augen. „Fast alles."
„Würdest du mir davon erzählen? Ich gebe dir einen aus." Luzi lächelte gewinnend.
Sie verengte die Augen. „Warum willst du etwas darüber wissen?"
„Reine Neugier."
„Dann nicht." Sie wandte sich zum Gehen.
„Warte." Er schnitt ihr den Weg ab und hob abwehrend die Hände. „Ich will dir nichts antun, versprochen. Du bist der einzige dieser", er wies unbestimmt in die Richtung, in der die Knochensammler verschwunden waren, „feigen Schweine, die keine Angst vor den Geistern hat. Du, die erste, die sich freiwillig gemeldet hat, sobald Belfiore nach Leuten gesucht hat, die mich auf meinem Raubzug begleiten sollen. Ich habe nicht viel von dir gehalten, nur ein weiterer Goblin, der vor nichts und niemandem Angst hat und nebenbei ein paar Münzen noxischen Goldes für sich abzweigen will, aber mir scheint, als wüsstest du genug, um wirklich keine Angst vor dem Geisterschiff zu haben." Er nickte zu der noch immer ängstlich wirkenden Menge an den Stegen. „Und als hättest du mehr Mut als diese gesamte Stadt."
Rotchcaft musterte ihn skeptisch. „Warum hast du keine Angst vor dem Geisterschiff?"
Er breitete einladend die Arme aus. „Ich weiß, was ich will. Und ich werde mich nicht davon abhalten lassen, auch nicht von ein paar Geistern, die uns nicht einmal bemerkt hatten. Ich will mein Gold, und ich will Ranshaw ebenso tot sehen wie diese armen Hunde dort." Er wies auf die Leichen, die zwei Männer von einem Eselskarren auf den Scheiterhaufen warfen. „Außerdem weiß ich nicht, was es mit diesem Geisterschiff auf sich hat, und mir ist, als habe es einen doch bedeutenden Einfluss auf diesen Ort. Ich möchte es verstehen."
Rotchcaft sah zur Seite, dann zu ihm auf. „Wo können wir ungestört reden?"
Luzi verkniff sich einen anzüglichen Kommentar. Sie war eine der wenigen, die er nicht in sein Bett bringen wollte, um sie von sich zu überzeugen, und so blieb ihm nur noch, tatsächlich freundlich zu sein. „Eine Taverne. Die Acht Haie."
Sie nickte. „Sallys Taverne. Geradezu berüchtigt."
„Wofür?"
„Selbst gebrannten Rum, Heilung, und ein paar Leute, die nie wieder aufgetaucht sind, nachdem sie Sally verärgert hatten." Sie grinste von einem Ohr zum anderen und entblößte ein Gebiss voller spitzer gelber Zähne. „Und dennoch stets gut besucht. Ein hervorragender Laden. Lass uns gehen."
„Aye." Luzi blinzelte verwirrt und versuchte das, was er soeben gehört hatte, mit der wunderschönen, rätselhaften Sally Bondruart zu verbinden, die sich all seinen Avancen stets widersetzt hatte. Er hatte bemerkt, wie abschätzig Belfiore reagiert hatte, als er ihren Namen gehört hatte, doch seine Begeisterung über den Plan, Ranshaw zu beseitigen, hatte seine Missgunst übertroffen.
„Sie ist noch nicht lange hier in der Stadt. Viele finden sie seltsam. Einige sogar abstoßend. Fast alle misstrauen ihr. Manche sagen gar, sie sei eine Hexe. Aber ihre Taverne ist dennoch immer voll. Vor allem, weil die Huren vom Schiff ihr vertrauen. Sally hilft ihnen, keine Kinder von den Bastarden hier zu bekommen, und wo Huren sind, sind Freier nicht weit." Rotchcaft schritt voran und zog ein schartiges Messer, wohl, um sich einen Weg durch den Wald aus Beinen zu bahnen.
Luzi überholte sie und trieb mit freundlichen Worten die Gaffer zur Seite. Sie folgte ihm, ohne die Klinge wieder wegzustecken.
Raunen hing über der Menge wie das Rauschen des Meeres. Luzi konnte die Angst förmlich spüren. Wie Nebel hing sie über dem Strand, gemischt mit nach verbrennenden Toten riechenden Misstrauen. Luzi erhaschte ein paar Sätze der Umstehenden. Sie alle fragten sich das gleiche wie Gunrow zuvor, und einige kamen zu ähnlichen Schlüssen. Das Gold sei verflucht, das Schiff, der Captain, die Toten Männer.
Mit gesenkten Blick schob er sich an ihnen vorbei. Noch hatte er sich bedeckt halten können. Niemandem außer Sally und Natsu, und nun gestern auch den Knochensammlern, hatte er seinen Namen verraten. Doch nach heute würde das Gerede ausbrechen wie ein Buschfeuer, und jeder würde wissen, dass Lucifuge Osfeira den Angriff seiner ach so treuen Verbündeten überlebt hatte. Vorbei war die kurze Zeit, in der er sich in der Kleidung eines gewöhnlichen Piraten herumgetrieben, sich ein paar Gespielen für die nächsten Stunden gesucht und darauf gewartet hatte, dass Sally ihm Nachricht von Belfiore brachte. Beginnen würden die Zeiten, in dem man vor ihm und seinem Gefolge den Weg räumte und den Boden unter seinen Absätzen küsste. Bald wäre er wieder Lucifuge Ricarro Osfeira val'Inharshana, und sein Sieg würde mit Ranshaws Niedergang beginnen.
Schreie erhoben sich, dort, wo der Strand in die Stadt mündete. Das Raunen wurde lauter. Bewegung kam in die Menge, Köpfe wandten sich dorthin, wo die Rufe aufkamen. Luzi folgte ihren Blicken.
Beinahe hätte er Varuna Feikinstre nicht erkannt. Doch ihre Haltung verriet sie, das Kinn gereckt, die Hände um die Äxte geschlossen. Blut bedeckte ihre Haut und ihre Kleidung, verklebte ihre Haare, als hätte sie darin gebadet, ihre Augen schienen wie schwarze Löcher in all dem trocknenden Rot. Izaya Kane schritt neben ihr, das Fell dunkler als sonst, eine Hand an seinem Katana. Seine Augen funkelten in einem faszinierenden Seeblau. Schon immer hatte Luzi ihn anziehend gefunden. Doch Momente wie dieser waren es, in denen er sich vor ihm fürchtete, vor dem Tod, der ihm folgte wie eine Schleppe aus Schatten.
Hastig duckte Luzi sich hinter den Mann vor sich. „Rotchcaft, warte!", zischte er.
„Was ist da los?", wollte der Goblin wissen.
„Kane und Feikinstre."
„Sollten sie nicht tot sein?"
„Aye, das sollten sie." Vorsichtig lugte Luzi an dem Mann vorbei zu der Tarnaruc und dem Kitsune.
Seelenruhig schritten sie durch das Spalier der Piraten, Seite an Seite wie ein grausiges Hochzeitspaar. Einige tasteten nach ihren Waffen, manche wirkten, als wollten sie etwas sagen, doch sie alle schrumpften unter dem Blick der Toten Männer zusammen. Kane zog die Lefzen hoch, nur einen Fingerbreit, und der Mann, der sich ihm in den Weg stellen wollte, trat zurück. Feikinstre nahm ihre Axt fester.
Luzi spürte seinen Herzschlag in den Schläfen, am Hals, in den Händen. Beinahe meinte er, Kane müsste ihn hören, ihn finden und ihm die Kehle durchschneiden, doch Captain und Erster Offizier setzten ihren Weg fort, den Blick auf das Ende des Stegs gerichtet, wo eine Frau aus Ranshaws Gefolge bei einem Beiboot wartete. Seine Gedanken wirbelten wie die See bei Sturm, peitschten umeinander und fielen in die Täler zwischen den Wellen. Was war geschehen? Wo war Ranshaw? Was hatte es zu bedeuten, dass sie nun hier waren? Ein Teil in ihm wollte sich ihnen stellen und sie fragen, doch er wäre tot, noch bevor er sich gänzlich aus der Menge gelöst hätte.
Gunrows Absätze auf dem Holz des Stegs waren so laut, dass Luzi beinahe zusammenzuckte. Furchtlos versperrte er den Toten Männern den Weg, vier der Knochensammler hinter sich. „Was wollt ihr hier?", wollte er wissen.
Kane blickte zu dem Halbork auf. „Wir haben eine Nachricht zu verbreiten", sagte er ruhig, und das letzte Raunen verstummte. Angstvolle Stille hing über der Menge. Luzi spürte die Anspannung bis in die Knochen.
Feikinstre wandte sich zu den Schaulustigen um. „Akatash Belfiore, der Anführer der Knochensammler", rief sie, „ist tot! Alles, was ihm gehörte, seine Schiffe, seine Crews, und diese verdammte Stadt, gehören nun uns! Den Toten Männern von Letzthafen!"
Luzi atmete langsam aus, in seinen Handflächen kribbelte es. Er hatte nicht einmal wahrgenommen, dass er die Luft angehalten hatte, doch nun war ihm, als ertränke er. Um ihn herum wogte das nervöse Grollen und Tuscheln der Menge. Jemand applaudierte, doch es verebbte schnell.
Alles, was Luzi versucht hatte, war schief gelaufen. Belfiore war tot. Die Mortis war noch immer in den Händen ihrer rechtmäßigen Besitzer. Ranshaw lebte, und so, wie Luzi ihn kannte, würde er zumindest ein paar Knochensammler auf seine Seite bringen können. Er hatte seinem Erzfeind ein Geschenk gemacht, begriff Luzi. Er hatte Ranshaw Hogarth auf dem Silbertablett serviert, unter vergifteten Speisen zwar, doch das Gegengift stand nun blutüberströmt neben Feikinstre auf dem Steg, das Katana eine Handbreit aus der Scheide gezogen. Luzi hatte Belfiore gewarnt, dass mit Amos und seinem Gefolge nicht zu spaßen war, und dennoch hatte er ihn unterschätzt. So, wie Luzi Belfiore überschätzt hatte.
„Noch gehört euch gar nichts", knurrte Gunrow. „Nicht, solange ich vor euch stehe." Hinter ihm wurden Waffen gezogen, jemand drückte ihm einen Säbel in die Hand.
Metall sang gegen Holz, Silber flammte im Licht der Fackeln auf. Gunrow tastete fahrig nach seiner Kehle. Blut rann unter seinen Fingern hervor. Er fiel auf die Knie, und Feikinstre trat ihn verächtlich zur Seite.
Rotchcaft lachte leise. „Dieser vollendete Idiot. Hat verdient, so zu sterben."
Feikinstre fletschte die Zähne zu einem schrecklichen Lächeln. „Schließt euch uns an, oder endet wie er." Sie wandte sich um und schritt von dannen.
Kane ließ das Katana in der Hand wirbeln, wischte es am Hemd eines Knochensammlers ab und blickte ein letztes Mal über die angespannten Piraten. Sein Blick traf Luzis, eisiges Blau auf Bernstein, und Luzi war, als sähe der Kitsune in seine Seele, die wenigen Reste davon, die noch übrig waren. Hastig sah der Tiefling zu Boden, doch er spürte ihn noch immer, wie Speere, und es ließ sein Herz stolpern. Vor Angst. Und, weil er erschreckend schmutzige Gedanken auslöste.
Vorsichtig schielte er über die Schulter seines Vordermannes zu Kane. Ranshaws Erster Offizier schob das Katana in die Scheide, ohne den Blick von dem Fleck zu wenden, wo Luzi stand. Seine Lefzen zuckten, dann trat er an Gunrows Leiche vorbei und folgte Feikinstre, ohne zurück zu sehen.
Luzi schnappte nach Luft, doch erleichternd war der Atemzug kaum. Noch immer war ihm, als reiße ihn sein Versagen tiefer in die Dunkelheit der See. „Wir sollten zusehen, dass wir hier verschwinden", sagte er nervös. „Irgendwohin, wo ein unaufhaltsamer Schlächter mich nicht sofort umbringen kann."
„Kann Sally dich leiden?"
Luzi sah überrascht zu Rotchcaft hinab. „Aye. Ich denke schon."
„Dann solltest du sicher sein bei ihr."
„Ich habe meine Zweifel, ob eine Tavernenwirtin einen ehemaligen Shinaru, besessen von einer Göttin, aufhalten kann."
Rotchcaft blickte milde entsetzt zu ihm auf. „Wird eine Herausforderung für sie, aber sonst nicht mehr. Einmal haben sich fünf Männer zusammengetan und wollten ihr ihren Willen aufzwingen. Man hat sie nie wieder gesehen. Von einem hat man ein Auge gefunden. Sonst nichts."
„Ich habe gesehen, wie Izaya Kane vierzig Männer in einer halben Minute umgebracht hat, ohne auch nur ins Schwitzen zu geraten."
„Wir können nun weiter die Schwänze von Kane und Sally vergleichen, aber wir werden nur darauf kommen, dass du bei Sally sicherer vor ihm sein wirst als irgendwo sonst. Niemand hier tut Sally und denen, die sie mag, etwas. Und wer es tut, der wird es verdammt bereuen."
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