2. Tote Männer

Soundtracks: Mikolai Stroinski - Northern Realms aus dem Gwent: The Witcher Card Game Soundtrack

Rupert Gregson-Williams - Streets of New York aus dem The Alienist OST. Auf Youtube nicht zu finden.

Und Brian Tyler - The Bucaneers aus dem Assassin's Creed IV: Black Flag OST

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Luzi war nicht auf seinem Schiff. Das erkannte er sofort, keine Sekunde, nachdem er die Augen aufgeschlagen hatte. Die blanken Balken über ihm waren umgeben von weißem Putz, anders als die lackierten Planken der Seekurtisane. Die Decken über seiner Brust waren aus Segeltuch und Wolle, rauer als die Seide und der Brokat, mit der er sich gewöhnlich bedeckte. Wenn überhaupt. Er konnte sich kaum erinnern, wann er das letzte Mal allein zu Bett gegangen war, und ein zweiter, zuweilen auch dritter oder vierter Körper heizten seine Kajüte so weit auf, dass er die Decken fast nie brauchte. Doch die Matratze neben ihm war leer, und es schien nicht, als hätte dort jemand gelegen.

Schwerfällig setzte er sich auf, die Stoffe rutschten von seinem Körper. Schwärze flackerte vor seinen Augen, seine Zunge fühlte sich an, als bestünde sie aus Sand und Salz. In seinem Kopf schienen Zwerge die Innenseite seines Schädels nach Juwelen zu durchsuchen. Missmutig kniff er die Augen zusammen, als könnte er das Pochen so zum Verstummen bringen, und tastete fahrig über die Leinenbinden an seinem nackten Oberkörper. Dunkle Flecken prangten auf dem hellen Stoff, doch nur wenige, als wären seine Verletzungen nur leicht – und es fühlte sich mitnichten danach an – oder man hatte seine Verbände öfter gewechselt.

Mühsam zwang er seine Erinnerungen an die Oberfläche. Der Heckspiegel einer noxischen Schatzgaleone, geschnitzte goldene Sonnen, Dämonen und Flaggen. Der Wind in den Segeln seines Schiffes, das Singen der Takelage, das aufgeregte Beben in seinen Gliedern, von Leichtsinn und gefährlichem Wagemut und der Vorfreude auf unendlichen Reichtum und die Macht, die darauf folgen würde. Das Donnern seiner Kanonen, der Geruch von Schießpulver, das Inferno, das er und seine Verbündeten unter den Noxischen anrichteten, das Hochgefühl von dräuendem Sieg.

Wie aufziehende Sturmwolken hatten sich die Schiffe neben das seine geschoben. Ranshaws Linienschiff, Feikinstres Galeone. Zuerst hatte er gedacht, sie würden mit ihm feiern wollen. Doch dann öffneten sich die Stückpforten der Herija, die zuerst nur steuerbords geschossen hatte. Ein kurzer Moment, in dem er begriffen hatte. Er hatte nicht einmal mehr die Zeit gehabt für einen letzten Fluch.

Dann hatten die Kanonen gesprochen, eine Sprache aus Feuer und Eisen und Blut. Das Brechen von Holz, das Donnern der Geschütze hallte schmerzhaft in seinen Ohren wider. Ranshaw war auf seinem Deck gestanden, während seine Crew die Planken der Seekurtisane mit dem Blut von Luzis Männern tränkte. Aus der Ferne, viel zu weit weg für einen gewöhnlichen Hieb, hatte Ranshaw ihm den Oberkörper aufgeschlitzt.

Eine Explosion hatte ihn von seinem Schiff geschleudert. Halb betäubt hatte er zugesehen, wie das Feuer nach den violetten Segeln griff, wie es das lackierte Holz fraß und wie das Wasser sein Zuhause schließlich verschlang. Er hatte sich auf eine Planke retten können und war schließlich vor Durst ins Delirium gefallen. Danach herrschte nichts als Schwärze. Und nun war er hier.

Erneut strich Luzi über die Tücher. Darunter pochte die Wunde zusammen mit dem Schmerz des Verrats.

Er schwang seine Beine vom Bett, seine Zehen ertasteten einen abgewetzten Teppich. Zumindest seine Hosen und seinen Schmuck hatte man ihm gelassen, fiel ihm auf. Von dem kleinen Fenster klangen ferne Rufe zu ihm, Möwenschreie, Schüsse. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo er war. Jede Stadt am Meer klang gleich.

Luzi erhob sich, lehnte sich schwer an die Wand, um seinen Schwindel niederzuringen, und wankte zu einem kleinen Tisch mit einer Karaffe und einer Schüssel. Sein Hemd lag ordentlich gefaltet daneben. Die Schüssel war leer, doch die Karaffe war gefüllt mit Wasser. Gierig trank er, die Flüssigkeit rann an seinen Lippen vorbei und tropfte auf seine Brust. Den Rest spritzte er sich ins Gesicht.

Seine Waffen hingen mit seinem Mantel an einem Haken an der Tür. Er zog seinen Dolch und musterte sein Spiegelbild in dem blank polierten Stahl. Oberflächliche Schnitte, bereits verkrustet, durchkreuzten seine violette Haut und betonten seine scharfen Wangenknochen. Schwärze und Goldflocken klebte verschmiert an seinen Augenlidern. Der Anblick erinnerte ihn an eine in die Jahre gekommene Hure.

Luzi schnaubte. „Etwas anderes bin ich kaum", murmelte er in die Stille. Seine Stimme klang fremd, rau, wie aufgerissen von Salz und See. Nun bereute er es, auch die letzten Tropfen nicht getrunken zu haben. Obwohl er etwas Besseres gebrauchen konnte als Wasser.

Er schlüpfte in sein bunt gestreiftes Hemd und trat zu dem Fenster, in der Hoffnung, einen Hinweis auf seinen Ort zu erhalten, doch die Aussicht war enttäuschend. Eine enge, matschige Gasse zwischen zwei Häuserwänden, ausgespült von Abwässern, Pisse, Regen und jeglichen anderen Flüssigkeiten. In einer Richtung endete sie an einer weiteren Wand, aus der anderen war ein schmaler Streifen Strand zu erkennen, eine Bucht, Palmen, Schiffe, umherlaufende Gestalten. Das Abendlicht ließ die Stadt golden glühen, Wind brachte einen Hauch von Seesalz und Rauch. Luzi verzog das Gesicht. Noch immer nichts, was diesen Ort von anderen unterschied.

Er wandte sich um, nahm seine Waffen von dem Haken an der Wand, und schnallte sie sich um. Es tat gut, das vertraute Gewicht wieder an seinen Hüften zu spüren. Rapier, Säbel, Dolch, selbst seine Donnerbüchse und das wenige Gold, das er am Körper führte, waren noch dort. Wer auch immer ihn hierher gebracht hatte, war kein Pirat gewesen.

Die Hand bereits auf der Türklinke, hielt er inne. Ob jene mysteriösen Retter, wer auch immer sie gewesen waren, wussten, wer er war? Ob noch andere in diesem Haus waren, die ihn erkennen könnten? Es wäre wohl kaum zuträglich für seinen Ruf, wenn man ihn in diesem Zustand, ohne Schminke, ohne Mantel, ohne Stiefel, ohne sein Schiff, hier antraf.

Doch er wischte die Zweifel beiseite. Er hatte sein Schwert. Jeder, der ihm in die Quere kam, würde wissen, dass er es noch immer mit einem Captain des Bündnisses zu tun hatte. Zur Not konnte er immer noch Seemannsgarn spinnen, etwas darüber, wie oft er bereits nackt an Orten aufgewacht war, ohne zu wissen, wie er dorthin gekommen war. So beschwingt, wie es ihm möglich war, verließ er das Zimmer, humpelte barfuß mit schmerzverzerrtem Gesicht den Gang entlang, vorbei an weiteren verschlossenen Türen, fiel beinahe eine steile Treppe hinunter, und folgte dem Geräusch von Schritten und klappernden Krügen.

Bereits von weitem roch er in die Planken gesickertes Bier und über Tischplatten geschütteten Rum, eine Note von verschwitzten Leibern und stinkenden Öllichtern. Er meinte, das Echo von schlechter Musik in den wetter- und alkoholgegerbten Holzbalken zu spüren, das Gröhlen von Männern, das Kichern von Frauen, das dumpfe Donnern von Humpen, die im Takt auf die Tische geschlagen wurden. Doch nun herrschte, bis auf das geschäftige Tappen von Stiefelabsätzen auf Holz, Stille.

Die Frau entdeckte ihn sofort, kaum, dass er einen Schritt in den Schankraum gesetzt hatte. „Ihr seid wach", sagte sie gedehnt, als hätte sie erwartet, dass er bis zum Ende aller Tage schlafen würde. „Setzt Euch."

Luzi humpelte zu einem der Tische und ließ sich vorsichtig auf die Bank daneben sinken. Die Frau war hinter die Theke zurückgekehrt und leerte eine Flasche Rum in einen Krug. Immer wieder flackerte ihr Blick zu ihm und senkte sich schnell wieder auf den Alkohol, sobald sie bemerkte, dass er ihn mit einem charmanten Lächeln erwiderte. Luzi war sich bewusst, dass er verwegen wirken musste, ein abgerissener Tiefling mit zerzausten Haaren und Narben im Gesicht und an den Händen, das Hemd nur locker über die Verbände geworfen, die Hosen nachlässig zugeschnürt, und dennoch mit magischen Waffen an den Hüften. Es wäre nur zu einfach für sie, ihn wieder zu entkleiden, und ebenso würden weder das Mieder noch der Rock der Frau für ihn ein Hindernis darstellen.

Ihm war noch niemand begegnet, der seinem Anblick lange widerstehen konnte, und er ahnte, dass es bei dieser Frau nicht anders war. Sie war hübsch, auf eine ungewöhnliche, beinahe fremdartige Weise, mit ihren zu langen Schnüren verfilzten Haaren, die sie zu einem unordentlichen Knoten zusammengesteckt hatte, ihren Tätowierungen und dem Muschelschmuck. Zudem brachte sie ihm Rum, und somit wurde sie für einen Moment die schönste Frau der Welt.

Kurz überlegte er, ob er einen falschen Namen nennen sollte, falls sie jemanden kannte, der nach seinem Leben trachtete, doch er entschied sich dagegen. Zum einen, weil er wusste, dass sein Name Türen öffnen konnte, die der Salons, wo Wichtiges besprochen wurde, und der Schlafzimmer, wo unlängst Besseres getan wurde. Zum anderen, weil er sehen wollte, wie sie reagierte, wenn sie seinen Namen hörte.

„Vielen Dank", sagte er und hob seinen Krug. „Mein Name ist Captain Lucifuge Ricarro Osfeira val'Inharshana, Captain der Seekurtisane."

Sie hatte nur ein Auge, erkannte er, grün funkelnd wie die See an einem diesigen Morgen. Vages Erkennen blitzte darin auf. „Captain Osfeira." Sie stieß ihren Becher gegen den seinen. „Ich bin Sally Bondruart."

„Ein wunderschöner Name für eine ebensolche Frau." Er trank einen Schluck.

Bondruart verdrehte das Auge und schnaubte in ihren Rum. „Natsu hat Euch am Stand gefunden."

„Hat er neben mir noch jemanden gefunden?"

Sie verzog das Gesicht. „Leider nicht. Ich bin später noch einmal zurückgegangen, doch dann hatten die anderen ihn schon ihr Werk verrichtet. Es gab nur noch ein paar Leichen."

Luzi blickte in sein Getränk. Still hatte er gehofft, dass wenigstens einer seiner Männer überlebt hatte, jemand, dem er nun vertrauen konnte, den er sicher auf seiner Seite wusste, doch so war er auf sich gestellt. Jeden von ihnen hatte er gern gehabt, doch er würde sich nicht in Trauer vergraben. Er würde ihren Geistern zeigen, dass Ranshaw für ihre Tode bezahlen würde.

„Vermisst Ihr jemanden?", fragte Bondruart behutsam.

Er sah von seinem Becher auf und lächelte verrucht. „Ich vermisse eine ganze Menge."

Sie lachte leise. „Fast wünsche ich mir, jemand anders hätte Euch als erstes gefunden. Ihr könnt von Glück reden, dass Natsu keiner von ihnen ist."

Luzi hob eine Augenbraue. „Von ihnen?"

„Natsu ist die einzige ehrliche Seele in dieser verfluchten Stadt. Jeder andere hätte Euch ausgeraubt und umgebracht. "

„Ihr auch?" Luzi lächelte sie verschmitzt an.

„Natürlich. Ihr habt ein Vermögen an Schätzen an Euch, und Ihr stinkt mehr nach Ärger als jeder betrunkene Knochensammler in meiner Taverne."

Knochensammler. „Verzeiht die zugegebenermaßen törichte Frage, aber wo bin ich?"

„In meiner Taverne. Die Acht Haie. In der elenden Stadt des Ungemachs mit dem Namen Hogarth."

Hogarth. Genau der Ort, den er hatte erreichen wollen. Mit einem Schiff, und in vollem Ornat, flankiert von seinen Gefolgsmännern, anstatt von einem Mann namens Natsu aus dem Sand geklaubt zu werden. „Wann hat man mich aus dem Meer gefischt?"

„Vor zwei Tagen." Bondruart schwenkte ihren Becher. „Nun, da ich weiß, wer Ihr seid, werde ich es wohl bitter bereuen, dass ich Natsu nicht doch dazu gebracht habe, Euch zurückzulassen für die Hunde und die Plünderer." Dennoch klang sie nicht missmutig. Eher fasziniert. Als meinte sie keines ihrer Worte ernst. Es ließ seinen Kopf mehr schwimmen als der Rum auf leeren Magen.

„Wer soll ich sein?", fragte er spielerisch, ließ es klingen, als hätte sie einen Wunsch frei. Zugleich versuchte er, sich mehr auf seine missliche Lage zu konzentrieren als auf ihren Duft nach Salz, sonnengebleichtem Holz und starkem Alkohol.

„Ihr seid Captain Lucifuge Osfeira, einer der drei Toten Männer." Bondruarts tätowierte Finger tanzten über den Rand ihres Bechers.

„Ihr könnt mich Luzi nennen, Miss Bondruart."

„Sally."

Er lächelte. „Sally." Seit zwei Tagen war er nun hier. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Amos Hogarth erreichte. Wenn er es nicht bereits hatte. Und wenn dem so war, durfte niemand erfahren, dass Luzi ebenfalls hier war, wenn er nicht innerhalb weniger Stunden tot sein wollte.

„Die Anwesenheit Eures Bündnisses bedeutet nichts als Ärger." Erneut klang Sally, als wäre sie ganz und gar erpicht auf den Ärger, den Luzi brachte. „Und davon haben wir beileibe genug."

Luzi blickte sie fragend und zugleich verführerisch an.

Sie ließ sich nicht beirren. „Vor einigen Monaten brach Captain Raguza Marre mit ihrem besten Gefolgsmann, Beánn Vailorne, und einem Mann namens Farraday auf, um das Schwert des Caligár zu finden. Doch sie kam nie wieder. Es wurde gemunkelt, dass sie ein Bündnis mit Erraxa, der Göttin des Hungrigen Meeres einging, und es nicht überlebte. Andere behaupten, die Schwestern der See haben sie auf den Meeresgrund gerissen. Seitdem sind die Wyrdail, die Piraten unter ihrem Kommando, ohne Anführer. Zuerst wollte Vailorne sie übernehmen, doch er war schwach, nachdem er von der Insel des Caligár gerettet wurde, und keine zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er auf dem Bastionsplatz aufgehängt. Jeder Captain möchte Fürst werden, und jeder Pirat möchte Captain werden. Die anderen Banden strecken ihre Klauen nach den Schiffen und Gebieten der Wyrdail aus. Manche haben Erfolg, andere weniger. Jetzt herrscht Krieg. Ich kann kaum zu den Schmugglern gehen, ohne in ein Gefecht zu geraten."

Keine Neuigkeiten. Luzi hatte einen Spion in Hogarth gehabt, doch dieser war wohl in einem jener Kämpfe gefallen. Nicht umsonst hatten sich nun die Toten Männer höchstselbst auf den Weg nach Hogarth gemacht. Für Frieden, hieß es mit einem spöttischen Lächeln. Für Macht und Einfluss und Gold, rief man bei erhobenen Krügen. „Scheint es schon Sieger zu geben?"

„Nein. Die Wyrdail haben ein paar Schiffe verloren, die kleineren Banden wie Dagons Erben und die Toten Flammen würden sich wohl gerne zusammenschließen, aber sie können sich nicht einigen. Die Knochensammler sind stark wie eh und je, selbst wenn Belfiore einen seiner besten Captains verloren hat. Noch ein Grund, weswegen es in Hogarth brodelt. Er kann sich nicht entscheiden, wen er als Myazis Nachfolger wählen soll. Und das Königsblut sitzt in seinem Fort, und die ganze Stadt hofft, dass es niemals einen Grund geben wird, dass sie sich in die Kämpfe einmischen."

„Warum nicht?"

„Wart Ihr jemals zuvor in Hogarth?"

„Aye."

„Habt Ihr die Zeichen auf den Mauern des Forts gesehen? Sie sind aus Blut."

Das Symbol von König Schellen und Banshee, bräunlich gegen die hellen Steine der Festungsmauern. Luzi hatte es bei seinem letzten Besuch gesehen, und es nur für gewöhnliche Farbe gehalten.

„Jedes Mal, wenn jemand ihnen zu nahe tritt, wenn jemand ihre Pläne durchkreuzt, oder sie auf irgendeine Weise verärgert, werden sie nachgezeichnet." Sally leerte ihren Becher und stellte den Becher auf die Öffnung. „Ich habe noch nie erlebt, dass es verblasst ist."

Nun, das Königsblut schied als künftige Verbündete aus. Still hoffte Luzi, dass Ranshaw niemals etwas davon erfuhr, und sein Eroberungsfeldzug damit endete, dass man mit seinem Blut die heiligen Zeichen nachzog.

„Und wie kommt es, dass Ihr nun hier seid, Luzi?" Seinen Namen sprach Sally aus, als wollte sie ihn allein mit ihrer Stimme ausziehen.

Er zwang sein aufwallendes Verlangen nieder. Zwei Tage hatte er geschlafen. So lange Zeit ohne Vögeln hatte er zuletzt als Jungfrau verbracht. „Meine Verbündeten und ich waren auf der Jagd nach einer Schatzgaleone, der Sturmkönigin. Ein noxisches Schiff, das in Loci Harbor Schätze aus Zepra an Bord genommen hatte, und nun auf dem langen Weg zurück nach Noxus war. Wir waren der Meinung, dass die Noxischen nichts Gutes mit diesem Gold anfangen würden, und so kaperten wir die Galeone und schossen die Begleitschiffe auf den Meeresgrund. Doch die letzten Breitseiten feuerten Ranshaw und Feikinstre auf mich, während ihr Gefolge das meine abschlachtete." Er sah zu Sally auf. „Ranshaw möchte mit dem Gold die Insel übernehmen. Das Chaos durch eure Machtkriege kommt ihm dabei gerade recht. Er denkt wohl, er habe leichtes Spiel, und ich werde ihm beweisen, dass er falsch liegt."

Sally hob die Augenbrauen. „Und Ihr habt keinerlei Ambitionen, Euch auf den schmutzigen, blutigen und überaus instabilen Thron von Hogarth zu setzen."
„Natürlich nicht. Er klingt äußerst unbequem."

Sally bedachte ihn mit einem spöttischen Blick. Luzi war ein hervorragender Lügner, und diese war nur zur Hälfte eine gewesen, und dennoch glaubte sie ihm kein Wort. Vielleicht hätte er herausfinden sollen, wem sie die Treue geschworen hatte, um ihr eine passendere Flunkerei aufzutischen.

Es war seine Idee gewesen, die Sturmkönigin zu kapern und mit ihrem Gold Hogarth unter das Kommando der Toten Männer zu bringen. Selbstverständlich hatte er geahnt, dass weder Ranshaw noch Feikinstre gänzlich auf seiner Seite waren. Seit er Amos Ranshaw für seine Kämpfe gewonnen hatte, war ihm bewusst gewesen, dass er gefährlich selbstsüchtig war. Es musste stets einfacher sein, jemanden zu bezahlen, als ihn umzubringen, und in jenem Moment, als die Sturmkönigin bezwungen und er siegestrunken gewesen war, war es geradezu lächerlich einfach gewesen, Luzi verschwinden zu lassen. Ein weiteres Opfer, das die schwer bewaffnete noxische Schatzflotte gefordert hatte.

Sally verengte fasziniert ihr Auge. Das zugenähte Lid, dort, wo ihr linkes gewesen war, zuckte. Es schien, als wollte das tätowierte Auge es dem echten gleichtun. Schließlich lehnte sie sich zurück. „Noch werdet Ihr niemandem etwas beweisen können. Nicht mit einer frisch genähten Wunde am Bauch, und ich hatte nicht den Anschein, als könntet Ihr auf Euren hochhackigen Stiefeln auch nur einen Schritt gehen."

Luzi blinzelte ihr verführerisch zu. „Ich kann weit mehr, als Ihr mir zutraut."

Sally hob zu einer scharfzüngigen Antwort an, doch bevor ein Wort über ihre Lippen kam, flog die Tür auf. Krachend schlug sie gegen die Stühle dahinter. Sally und Luzi wirbelten herum. Ein Kitsune taumelte herein, die Hand auf Oberarm gepresst, das Fell blutverschmiert, und trat die Tür hinter sich zu.

Sally sprang auf. „Natsu! Was ist mit dir passiert?"

Natsu schleppte sich zu einem Stuhl und ließ sich darauf fallen, ohne die Hand von seiner Verletzung zu nehmen. „Dagons Erben haben versucht, sich mit den Wyrdail von der Butcheress anzulegen. Ich bin dazwischen geraten."

Sally schnalzte mit der Zunge. „Verdammte Bastarde. Keine Rücksicht nehmen sie", murmelte sie und trat mit knallenden Absätzen hinter die Theke.

Ein wenig missmutig musterte Luzi den Kitsune. Nicht mehr lange, und er hätte Sally dort gehabt, wo und wie er sie sehen wollte – nackt und auf dem Tisch liegend. Und Natsu hatte ihn unterbrochen. Er war jung, mit großen, dunklen Augen, die ihn wohl auch ohne Schmerzen zu einem mitleiderregenden Anblick machten, das blutige Fell rot wie der Sonnenuntergang, der schmale Fuchskopf wirkte trotz seiner niedergeschlagenen Haltung edel. Seine Kleidung war einfach, und in seinem Gürtel klemmte ein Säbel. Allein am Zustand des Stahls erkannte er, dass der Kitsune keine Ahnung hatte, wie man ihn benutzte.

Natsus Blick irrte umher und fand schließlich Luzis. Der Tiefling lächelte ihm zu, und er erwiderte es zögerlich. „Ich bin Ichigo Natsumi." Er verzog das Gesicht. „Natsu. Ich habe Euch am Strand gefunden."

Luazi nickte. „Sally hat es mir erzählt. Ich bin Euch einen Dank schuldig." Er erhob sich und schlenderte auf den Kitsune zu, selbst, wenn bei jedem lässigen Schritt seine Wunden erneut zu pochen begannen. „Mein Name ist Captain Lucifuge Ricarro Osfeira val'Inharshana von der Seekurtisane. Luzi für meine Freunde und Retter."

Natsu nickte schüchtern. „Sehr erfreut."

Sally kehrte mit einer Schachtel in der Hand zu Natsu zurück und nahm sanft, doch bestimmt seine Hand von der Wunde. Ein tiefer, schmutziger Schnitt. Vorsichtig tupfte sie Alkohol darauf. Natsu wand sich unter dem Brennen. „Wer hat dich erwischt?"

Der Kitsune zuckte mit den Schultern. „Es war einer der Wyrdail, aber er ist tot."

Sally sah Natsu in die Augen, und der Kitsune senkte den Blick. Er war ein schlechter Lügner. „Wer war es?"

„Das ist nicht wichtig", wehrte Natsu ab. „Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort. Er hatte keine Schuld."

„Du bist in dieser Stadt am falschen Ort", seufzte Sally und knotete ein Leinentuch über dem Schnitt zu.

Natsu rückte es zurecht und sah nervös zu Boden. „Ich war am Strand. Fremde Schiffe sind in die Bucht gesegelt, und ein paar Leute wollten sehen, wer sie sind. Ich wollte weiter nach vorn, und einer von Dagons Erben hat mich auf einen Wyrdail gestoßen. Dann haben sie zu den Waffen gegriffen, und ich war ihnen im Weg."

Die Kälte des Ozeans floss in Luzis Glieder. „Hast du die Flagge gesehen?"
Natsu sah überrascht zu ihm auf. „Nur eine. Rote Sonne über gekreuzten Säbeln."

Luzis Herz wollte in die Tiefsee sinken. „Ranshaw."

„Ihr habt den Namen schon einmal gesagt. Ihn verflucht. Wer ist er?", fragte Natsu.

„Jemand, der mich tot sehen will. Wir waren einmal so etwas wie Freunde, doch das ist wohl vorüber." Hektisch sah Luzi sich um. Er musste zum Strand. Sehen, wen Ranshaw mitgebracht hatte, wer zurück nach Letzthafen gesegelt war. Herausfinden, mit wem er es zu tun hatte.

Neben der Tür hing ein fadenscheiniger Mantel, und er warf ihn sich über. Er stank nach Schweiß und totem Fisch, doch niemand würde unter dem alten Kleidungsstück einen mächtigen Piratencaptain erwarten, noch dazu einen, von dem Amos glaubte, er sei tot. Luzi schlug die Kapuze hoch und verließ die Taverne. Sally rief ihm etwas hinterher, doch er hörte es nicht mehr.

Blutflecken verunzierten den breiten Weg, an dem die Taverne lag. Leichen lagen in den Ecken, ein Mann mit einem Eselskarren lud die Toten ein und durchsuchte ihre Taschen. Der Wind ließ die Palmen rauschen und brachte den Geruch von Meer und Rauch mit sich. Dunkle Schwaden trieben über den Häuserdächern, irgendwo in der Stadt und vom Ufer. Männer und Frauen, manche bewaffnet, allesamt neugierig, hasteten zum Strand, wohl, um auch einen Blick auf die Fremden zu erhaschen, und Luzi folgte ihnen.

Luzi hatte bereits viele Piratenstädte gesehen, und auch Hogarth war ihm stets wie ein Ort voller fröhlicher Gesetzlosigkeit erschienen, doch nun hing eine Bedrohung über ihr wie giftiger Qualm. Kaum jemand trug keine Klinge bei sich, jeder Blick, selbst der der Huren, trug einen Funken Misstrauen und Angst. Es war, als wäre er in einer Stadt voller hungriger Bestien, angespannt, einander umschleichend, bereit, aufeinander loszugehen. Beinahe tat es ihm leid, Hogarth so zu sehen, wie eine schöne, lebenslustige Frau, die nun verbittert geworden war.

Ihm war, als wäre die halbe Stadt an den Strand geströmt, um die Ankunft der Fremden zu beobachten. Masten ragten wie kahle Bäume in den Himmel, ein Wald über den Galeonen, Sloops, Briggs und Fregatten an den Kais. Dahinter erhob sich ein Hügel, bedeckt von Regenwald, auf dessen Spitze eine Bastion thronte. Ein Feuer brannte irgendwo am anderen Ende des Strandes, dort, wo sich die hellen Mauern des Forts erhoben, Zelte drängten sich auf dem Sand, in dem Versuch, sich zugleich von den Docks und der Festung fernzuhalten. Bronzefarben hoben sich die heiligen Zeichen von dem Gestein ab, und Luzi unterdrückte ein Schaudern ob deren grausiger Herkunft. Es roch nach verbranntem Fleisch und Rum, nach Pisse und ungewaschenen Kreaturen, nach Argwohn und Blutdurst. Rufe hallten über das Wasser.

Luzi erkannte, wie die Leute sich zu Gruppen zusammengefunden hatten, die grünen Schärpen der Wyrdail, die Gesichtstätowierungen, für die Dagons Erben bekannt waren, die mit Knochen und Zähnen bestickten Mäntel der Knochensammler. Die Banden hielten misstrauischen Abstand zueinander, stets mit einem scheelen Blick zu ihren Feinden, doch ihre Aufmerksamkeit lag auf den Booten, die nun das Ufer erreichten.

Fünf Schiffe aus Letzthafen lagen in der Bucht. Ranshaws' Linienschiff, die Mortis, und Feikinstres Galeone Herija, dahinter die Fregatten und Briggs seiner untergebenen Captains. Nur ein weiteres stand unter Varunas Befehl. Das Gold lag sicherlich auf der Mortis, so tief, wie sie im Wasser lag. Luzi meinte, Ranshaws beste Männer und Magier an Bord zu sehen, flirrende Barrieren, aus der Entfernung kaum zu erkennen, lagen über dem Holz des mächtigen Schiffes. Es würde nicht leicht werden, sie zu stehlen.

Amos Ranshaw betrat die Insel, als gehörte sie bereits ihm. Gemächlich schlenderte er den Strand hinauf, ein Fleck aus Schwärze. Luzi hatte noch nie gesehen, dass das Katzenblut sich in einer anderen Farbe gekleidet hatte als in der seines eigenen struppigen Fells, von den Stiefeln über Hosen, Hemd, dem schweren Mantel mit den Nieten in der Form von goldenen Sonnen, bis hin zu dem albernen, längs getragenen Zweispitz zwischen seinen Katzenohren. Nachlässig schnippte er dem Hafenmeister ein Goldstück zu. Voller Verwunderung sah der Mann abwechselnd von der wohl viel zu wertvollen Münze zu dem Captain, der ihn keines weiteren Blickes würdigte.

Ein Stoß an seiner Schulter ließ ihn herumfahren. Natsu hatte zu ihm aufgeholt.

„Was tut Ihr hier? Ihr seid verletzt!", protestierte Luzi.

„Ihr auch." Natsus Blick flackerte zu ihm auf. „Sally hat gesagt, dass ich Euch folgen soll. Und Euch davon abhalten, etwas Dummes zu tun."

„Oh bitte. Ich würde niemals etwas Dummes tun."

„Das habt Ihr ihr wohl nicht erzählt." Natsu reckte sich und versuchte, über die breiten Schultern des Orks vor ihm zu blicken. „Wer ist dieser Ranshaw?"

Luzi unterdrückte ein Seufzen. Wenn einer seiner Angreifer Natsu wiedererkannte, würde er den Jungen verteidigen müssen, dessen war er sich sicher. Dann wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis Amos erfuhr, dass er noch am Leben war. Dennoch war er nicht unglücklich darüber, dass Natsu hier war. Wenn er schon Sally nicht in sein Bett kriegen konnte, so war Natsu ein würdiger Trost. Das Fell seines Schweifs streifte seine nackten Unterschenkel und jagte ihm einen Schauder über die Haut. „Das Katzenblut in Schwarz."

„Und der Kitsune hinter ihm?"

Luzi blickte an dem Ork vorbei, im gleichen Moment, in dem der Mann hinter Ranshaw zu ihm sah. Hastig duckte er sich wieder hinter in seine Deckung. „Izaya Kane."

Natsus Augen wurden riesig. „Ich habe von ihm gehört. Er ist ein abtrünniger Shinaru!", flüsterte er aufgeregt. „Angeblich folgt die Banshee höchstselbst ihm!"

„Ich habe mit euren Göttern nie viel zu tun gehabt, aber nach allem, was ich von ihm kenne, tut sie das."

Allein bei der Erinnerung an die Blutbäder, das Kane unter Ranshaws Feinden angerichtet hatte, drehte sich ihm der Magen um. Kanes rostfarbenes Fell war dunkelrot gewesen, ein Kitsune mit sechs Schweifen, das Katana locker in der Hand, die wie von Bestien zerrissenen Leichen wie ein Meer aus Tod um ihn herum. Nie hatte Luzi danach eine offene Auseinandersetzung mit Ranshaw oder seinem treuen Hund gewagt. Einmal hatte er versucht, Kane auf seine Seite zu ziehen. Der vernichtende Klang seiner Stimme, als er das Angebot ablehnte, ließ seine Knochen erzittern.

„Ist der dritte Eures Bündnisses auch hier?", fragte Natsu zögerlich.

Luzi wies auf eine Tarnaruc, die sich ein wenig entfernt von Amos und seiner Crew hielt. Dunkle Linien zogen sich durch ihr Gesicht, beinahe wie bei Dagons Erben, doch Luzi wusste, dass sie tiefer gingen. Er hatte gesehen, wie der Dämon, den die Noxischen unter ihre Haut gebannt hatten, mit ihrem Zorn an die Oberfläche brechen konnte, welche Kraft sie besaß, wenn sie zu den Waffen griff. „Varuna Feikinstre. Captain der Herija."

Er hätte nie gedacht, dass sie sich Ranshaw bereitwillig anschließen würde. Doch er erinnerte sich nur zu gut an die aufflammenden Mündungen ihrer Kanonen, eine Breitseite nach der anderen, an ihre Stimme, beinahe unhörbar durch das Inferno von bellenden Geschützen und brechendem Holz, die ein ums andere Mal den Befehl zum Feuern gab. Die Seekurtisane war ein starkes Schiff gewesen, doch in die Zange genommen von Mortis und Herija waren von ihr nur eine sinkende Leiche aus Holz und Stahl und Segeltuch geblieben, die Luftblasen aus den Lungen seiner Crew, die an die Oberfläche stiegen, und er, als einziger Überlebender. Luzi hatte alles gehabt, was er je gewollt hatte, ein mächtiges Schiff, eine ergebene Mannschaft, die Macht eines Captains, und all das hatte er geliebt.

Grimmig biss er die Zähne zusammen. Dieser elende katzenblütige Bastard. Ein wenig bewunderte er ihn für seinen vollendet tadellosen Betrug, doch Ranshaw hatte einen Fehler gemacht. Er hatte Luzi am Leben gelassen. Wenn auch nur versehentlich. Und für dieses Versehen, für seinen Verrat und dafür, dass er Luzi alles genommen hatte, was er je wahrlich geliebt hatte, würde er bezahlen. Mit Blut und Gold und seinem eigenen verdammten Leben.

Luzi wandte sich zu Natsu um. „Wo finde ich den Anführer der Knochensammler?"

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