XXVIII. Prinz und General
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Der Mond stand als eitrige Sichel am Himmel, als Zilli an das Balkonfenster trat.
Sie fragte sich, ob sie morgen Abend auch die Sterne am Himmel schimmern sehen würde - oder nur den Schießpulvernebel der Front.
Klickend öffnete sie die beiden Fensterflügel und kalte Luft strömte in das Zimmer. Es brachte die Seide auf ihren Ärmeln zum Rascheln.
Der Morgenmantel hatte heute in einer Schachtel mit goldenem Schwanensiegel vor ihrem Zimmer gelegen. Direkt neben einer kleinen Notiz.
Eine letzte Aufmerksamkeit von meiner Seite.
Erinnern Sie sich noch an eine Madame Božena? Jetzt Soldatin, eine Schauspielerin vor dem Krieg. Sie werden sie brauchen. Sie wird am Bahnhof auf sie warten - und sie werden einen alten Freund wiedersehen.
Enttäuschen Sie mich nicht, immerhin mache ich nur lohnende Investitionen.
D. Schwolent
Zilli schauderte. Dort, wo es sie morgen hinzog, brauchte man keine Seidenmäntel.
Eine Weile betrachtete Zilli die Stadt zu ihren Füßen.
Gaslaternen brannten, Pferdehufe klapperten über Kopfstein und noch immer flutete reges Treiben die Gassen, obwohl Regentropfen gegen die Scheiben schlugen.
Die Stadt lebte.
Nur am Horizont glänzten kalt die blassen Schemen des Palastes und die weiße Figur der Bruktiana.
In diesem Herzschlag Neu Beruns hörte sie nur den leisesten Hauch eines Geräuschs, als sich die Zimmertür hinter ihr öffnete.
Hašek, dachte sie automatisch - nur damit sein Verlust schmerzlich in ihrer Brust brannte.
"Kerinsk?", fragte sie in die Stille, ohne ihren Blick von der Straße abzuwenden. Sie runzelte die Stirn. Warum so spät? Und seit wann war Kerinsk Getrampel so leise-
Die einzige Warnung, die sie bekam, war der Schatten eines erhobenen Armes hinter ihr.
Mehr aus Reflex als Kalkül zuckte sie zurück.
Sie wusste nicht, was es war - Bewegung oder ihre Magie, vielleicht beides - aber sie beförderte sich mehrere Meter zurück.
Gerade rechtzeitig um zu sehen, wie eine silberne Messerklinge die Luft zerriss
"Elende Verräterschlampe", spuckte der Schatten aus. Er klang mehr wie eine Schlange als ein Mensch.
"Was im Namen der Moiren-"
Zilli erhaschte nur einen einzigen Blick auf ihren Angreifer - stämmig, schwarzer Soldatenmantel, schwarze Maske -schon setzte die Gestalt sich wieder in Bewegung.
Ihre Hand schnellte zu ihrer Seite, suchte ihre Pistole, aber griff ins Leere.
Der Seidenmantel, dämmerte es ihr. Der verfluchte Seidenmantel! Wo war ihre Uniform, verflucht noch mal?
Sie stieß ein Zischen aus, da schoss ihre bloße Hand vor und Magie strömte hinaus.
Der Angreifer wich aus - zu schnell- Und die Gardinen gingen in hellen Flammen auf, die eigentlich keine waren.
Nur aus den Augenwinkeln sah sie noch wie der Schatten etwas aus seinem Mantel zog, etwas silbernes, etwas glänzendes. Schon schnitt eine Klinge durch die Luft. Direkt auf ihren Kopf zu.
Sie wich aus, aber nicht rechtzeitig.
Das Metall durchbohrte ihre Schulter und fraß sich tief in ihr totes Fleisch.
Zilli hatte bereits viele Schmerzen gespürt - zerschellt am Boden, erstickt auf ihrem eigenen Scheiterhaufen, durchbohrt von einer Kugel- aber dieser Schmerz war anders, er schnitt nicht nur in ihr Fleisch, er schnitt tiefer.
Sie schrie und taumelte zurück. Im nächsten Moment war ihr Arm taub und unbeweglich.
Der direkt folgende Schlag des Angreifers traf sie mitten auf die Brust.
Es schleuderte Zilli herum wie ein Puppe.
Ihr wurde schwarz vor Augen. Im nächsten Moment krachte sie gegen ein Bücherregal. Holz und Zilli ächzten, doch sie zwang sich, die Augen aufzureißen und die Füße weiter in den Boden zu stemmen.
Sie stand gerade noch so, eine Hand in das Holz gekrallt.
Ihr verletztes Bein schmerzte - fast so, als hätte er die Klinge stattdessen darein gerammt.
Durch tränende Augen sah sie, wie ihr Widersacher sich für den finalen Schlag auf sie stürzen wollte. Sie meinte, auf der Klinge ihren Namen glitzern zu sehen.
Zilli zögerte nicht lange. Sie fühlte, wie sich die Magie in ihrer Magengrube zusammenzog, wie sie sich dematerialisierte, um woanders aufzutauchen-
Die Zwischenwelt stieß sie ab.
Taumelnd und bebend vor Schmerz spuckte sie die Magie wieder an der selben Stelle aus.
Adamium. Es durchfuhr sie wie ein Blitz. Das Messer in ihrem Fleisch war Adamium. Es blockte die Teleportation. Es gab kein Entrinnen.
Sie packte den Griff des Messers und wollte es aus ihrer Schultern ziehen, da schrie sie vor Schmerz und ließ es bei der ersten Berührung los.
Es war schlimmer als glühendes Metall.
Im nächsten Moment kollidierten Zilli und der Attentäter.
Ihre Glieder waren unter Fleisch begraben und der Angreifer ragte über ihr auf.
Zilli sah das Messer auf sich hinabsausen.
Sie drehte ihren Kopf weg und die Klinge grub sich eine Fingerbreit vor ihrer Nase in die Dielen.
Der Mann fluchte, dann riss er das Messer aus dem Boden und rammte es wieder hinab.
Bevor es in Zillis Kehle versinken konnte, packten ihre Hände die Knöchel der Gestalt.
Die Waffe stoppte und hing zwischen ihnen in der Luft.
"Was willst du?", presste sie unter zusammengebissenen Zähnen hervor und stemmte sich mit aller Kraft gegen den Widersacher.
Ihre verletzte Schulter brach fast weg. Sie fühlte nichts in ihren Fingern, sah nur ihren eigenen, schwachen Arm zittern.
"Wenn ich eine hätte, hätte ich dir mit einer Adamiumkugel das Hirn aus dem Schädel geblasen!", spie es auf sie herab. Speichelfäden tropften auf ihr Gesicht.
Das Messer bewegte sich Millimeter um Millimeter weiter hinab.
"Warum?", brachte sie hervor und blickte in die schwarzen Schlunde der Maske, wo normalerweise Augen hätten sein sollen. "Kriech zurück in dein Loch und lass mich in Frieden."
Zilli schaffte es, ihre Beine unter ihrem Körper zu bewegen. Nur ein wenig. Aber das musste reichen.
"Hrevisthe hat den Urverrat begangen.", röchelte er. "Saphir hat uns verraten und ist ins Feindesland übergelaufen. Jetzt hat man tausende Soldaten in deine nichtswürdigen Hände gelegt. Stirb, Hexe."
"Aber- Aber ich hab doch alles getan, was ihr wolltet", japste sie. "Ich diene dem Kaiser. Ich spiele nach seinen Regeln. Ich riskiere mein Leben für dieses verfluchte Land. Ich habe geblutet und gekämpft. Ich war bereit zu sterben. Was willst du von mir?"
Ein raues, kehliges Lachen kam auf sie herab.
"Du stirbst? Du stirbst? Kein General stirbt, die Soldaten sterben. All die Jahre- all die langen Jahre haben Männer wie ich für den Kaiser gekämpft, unsere Leben wurden verschwendet wie Ressourcen, nur damit er irgendeine moirenverdammte, feige Magierschlampe in die Sicherheit eines Generalposten hochbefördert? Du elende Drückebergerin! Du hast den Posten nicht verdient, du hast ihn mit unserem Blut gekauft! Es ist längst Zeit, Abelards Werk zu voll-"
Zillis Hände gaben nach und ihr Griff brach weg. Ungebremst schoss die Klinge herab.
Bevor das Messer ihr Fleisch finden konnte, riss sie ihr gesundes Bein hoch und rammte es in den Schritt des Attentäters.
Er keuchte überrascht auf, purzelte von ihr herab und lies klappernd die Waffe zu Boden fallen.
Alles in Zillis Kopf schwirrte, sie war betäubt von Erleichterung und Schmerz, doch sie wusste, wusste einfach, dass sie handeln musste.
Bebend richtete sie sich auf, während sich die ganze Welt drehte und der Angreifer am Boden zuckte, kurz davor wieder auf die Beine zu kommen.
Bevor er aber die Chance hatte, schloss sich ihre gesunde Hand um seine Kehle.
"Vielleicht wird Abelards Werk vollendet", sprach sie. "Aber nicht von dir."
Sie ließ Magie durch ihre Fingerspitzen fließen.
Sie hörte seine Schreie kaum, als Schwärze über seine Haut kroch. Er verfaulte lebendig.
Ihr Tod fraß sich durch ihn.
Irgendwann riss das Heulen ab und der Körper unter ihr erschlaffte.
Jede Beherrschung, die sie vielleicht gehabt hatte, floss aus ihr hinaus.
Zitternd kippte sie nach hinten zurück.
Teppich schmiegte sich in ihren Rücken, da erst spürte sie das warme Blut an ihren Fingern. Wo kam das denn jetzt her? Selbst der Saum des Seidenmantels hatten sich vollgesogen.
Sie hatte nicht genug Zeit um nachzudenken. Wieder hörte sie Schritte auf dem Gang vor ihrer Tür.
Nein, nicht noch einer, bitte nicht.
Schwankend richtete sich Zilli auf, biss die Zähne zusammen und wappnete sich-
"Brigadierin Palinquas, Sie-"
Eine Person tauchte in ihrem Türrahmen auf.
Doch es war kein Attentäter, auch kein Schatten. Ganz im Gegenteil, es war der schlaksige Körper des Prinzbaron. Der Blutmagier.
"Bei- Bei den Moiren!"
Er schlug die Hand vor den Mund, als er das Gemetzel vor seinen Füßen erblickte. Sein Gesicht verlor schlagartig Farbe und er schien zu wanken.
"Bei den Moiren, der arme Teppich! Echtes atamanisches Handwerk und jetzt voller Blut!"
Mit schnellen Schritten hatte er den Raum durchquert und die Leiche überschritten.
"Und erst Ihr Mantel", klagte er. "Ein echter Fontaine aus Calieux, im Krieg ja kaum noch zu haben... Und jetzt ist er ruiniert. Dabei ist jedes Werk Einzelanfertigung! Töten würde meine Schwester Effi dafür, töten!"
"Warum- Was tun Sie hier?", brachte sie nur perplex hervor und riss unter Kunos empörtem Blick einen Fetzen Stoff von ihrem Mantel ab und wickelte ihn um ihre Hand.
Noch immer tat es weh, doch diesmal konnte sie mit den umwickelten Fingern das Adamium aus ihrer Schulter ziehen.
Doch als die Klinge aus ihrem Fleisch wich, schwankte sie. Ihr wurde schwarz vor Augen.
Bevor sie stürzen konnte, hatte der Prinz sie gefangen. Im nächsten Wimpernschlag saßen sie auf ihrer Bettkante. Zillis Glieder bebten.
Zilli merkte, wie Kunos Blick an ihrer Schulter hängenblieb. Der Stich hatte einen Riss im Stoff hinterlassen, aber da war kein Blut- weder an der Klinge noch auf der Seide.
"Sie sind eine seltsame Frau, Palinquas", murmelte er leise. "Sie haben nicht einmal einen Herzschlag."
Sie machte sich nicht die Mühe, ihm zu widersprechen.
Kuno beugte sich leicht vor und ließ eine Hand über dem Stoff schweben. Das Blut löste sich unter seinen Fingern und floss rückstandslos zu Boden.
Die Magierin schauderte. Sie wollte gar nicht wissen, was er mit Blut in einem Körper machen konnte.
"Sie hatten Glück", meinte er und Zilli schmeckte seine Magie auf den Lippen. "Kein Adamium ist in der Wunde geblieben."
"Warum sind Sie hier, Hoheit?", wiederholte sie krächzend. "Oder wollen Sie, dass ich Sie lieber Baron nenne? So haben Sie sich doch bei unserem ersten Treffen genannt, nicht? Baron von Zyssen?"
Sie sah, wie er automatisch seine Lippen verzog und sich versteifte.
"So hat man mich wirklich eine Zeit lang genannt. Als sich meine Familie noch zu sehr für mich... Nun, geschämt hat." Er schluckte, aber sofort zupfte wieder ein nonchalantes Lächeln an seinem Gesicht.
"Sie dürfen mich natürlich liebend gerne immer noch Hoheit nennen. Aber nur, wenn Sie auch fein knicksen."
"Sie haben noch immer nicht auf meine Frage geantwortet.", erinnerte sie ihn nur. "Warum sind Sie hier?"
Für eine Sekunde haderte er mit sich selbst.
"Ich habe eine Bitte an Sie, eine ziemlich große sogar. Ich verstehe, wenn Sie verneinen", setzte er an.
"Ich glaube nicht, dass mich heute noch etwas schockiert, mein lieber Prinz."
Zweifelnd blickte er zu ihr, dann holte er noch einmal tief Luft.
"Ich möchte mich Ihrer Brigade anschließen."
"Was?" Zilli blinzelte, dann lachte sie auf.
"Was- Was ist denn falsch daran?"
"Sie- Sie sind ein Prinz. Sie haben einen sicheren Posten hinter der Front. Die Rattenbrigade, das ist... Es wäre ein Himmelfahrtskommando. Andere würden ihr Leben für einen Posten wie Ihren riskieren." Unweigerlich wanderte ihr Gedanke zu Ernst Guilelmus und seiner Magierpolitik. "Ihr Vater, Seine Majestät, er hat Ihnen doch nicht etwa..."
Schnell schüttelte er den Kopf.
"Nein, nicht Papa. Er würde nicht- Zumindest nicht bei mir-"
Er sprach nicht weiter.
Zilli blickte auf die Leiche, die noch immer ihren Teppich vollblutete, dann auf Kunos von Brandnarben überzogene Hände.
"Es wird nicht schön. Vor allem nicht in Marondais"
"Das weiß ich."
Er wich ihrem Blick aus, als er fortfuhr.
"Aber ich möchte kein Leben leben, das man einfach vertuschen kann. Keine Familienschande, die man einfach in den Untiefen der Geschichte versenkt. Ich möchte etwas tun. Ich möchte endlich sein."
Zilli seufzte und schwieg lange.
So hatte sie auch gedacht, auf dem Scheiterhaufen. Sie hatte nicht sterben wollen als reine Nummer auf einer Vermisstenliste, ein namenloses Opfer im Namen eines höheren Ziels, das sie nicht vertrat. Sie verstand.
Sie waren Ausgestoßene und Magier, verschmähter Prinz und Generalin. Passend für eine Rattenbrigade.
Endlich sagte sie:
"Ich bin die letzte, die Ihnen diesen Wunsch verwehren könnte."
Und hier Krabat, weil er beim letzten Mal nicht dabei war
(Vasily knöpf bitte das Hemd des armen Jungen zu, ihm wird kalt!)
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