XXVII. Das Blut der Gerechten
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Das Fieber war noch in der selben Nacht gekommen.
Krabats Wangen brannten wie Feuer und sein Hemd war schweißgetränkt, trotdzem zitterte er.
Ihm war kalt. So schrecklich, schrecklich kalt, als hätte man ihn in das frische Schmelzwasser der Rostschora gestoßen. Dabei war es eigentlich sein Körper, der gerade schmolz.
Ein Hustenanfall erschütterte ihn, aber er richtete sich weiter in dem Sessel auf, den er wie in Trance an Vasilys Bett geschoben hatte.
So saß er hier und wachte Tag und Nacht, in Krankheit gleichsam Gesundheit über dem Bett des Zarewitsch.
Ich kann ihn nicht alleine lassen, schwor er sich, bevor ihm die bleiernen Lider zufallen konnten.
Instinktiv griff er nach Vasilys Hand, die blass auf dem Seidenlaken lag.
Die Finger waren kalt auf Krabats glühender Haut.
Du verdienst das nicht, zischte eine Stimme in seinem Kopf.
Du bist mir wichtig, raunte eine andere Stimme, Vasilys Stimme. Das hatte er ihm im St. Perun Prospekt gesagt.
Beide kämpften schrill in seinem Kopf.
So führte Krabats Körper einen unmbarmherzigen Krieg gegen sich selbst und wurde zwischen den beiden Fronten zerrieben.
Doch statt Sperrfeuer und Gewehrknallen hörte er nur das Knistern des Kamins, der neben dem Bett des Zarewitsch prasselte.
"Krabat", Vasilys leises Röcheln ließ ihn zusammenzucken. "Krabat - Wasser, bitte."
Krabat fuhr so schnell hoch, dass er fast den Sessel umgestoßen hätte.
"Natürlich."
Schon hatte er die Karaffe gegriffen, ein Glas gefüllt und es Vasily gereicht.
Gierig schluckte der Prinz den Inhalt in einem Zug, während Krabat wieder ächzend auf das Polster fiel.
"Du solltest nicht hier sein", hörte er Vasily wieder ansetzen. Seine Stimme war noch immer rau. Er hatte viel geschrien, bevor sie vor zwei Stunden den Koschtschei noch einmal gerufen hatten. "Krabat, du bist krank, du solltest- Solltest dich ausruhen. Meine Gesundheit ist nicht wichtiger als dei-"
"Mir geht es gut, Hoheit."
"Krabat-"
"Ich bin da, wo ich hingehöre."
Das war er wirklich. Außerdem gab es keinen Rückzugsort für ihn. Wenn Krabat nicht bei Vasily schlief, schlief er in seiner kleinen Kammer. Während dieser Palast für die hohen Herrschaften aus Marmor, Gold und Perlmutt erbaut war, bestand Krabats nur aus schlecht verputzten Wänden und einer tropfenden Decke. Da war noch ein Loch im Gemäuer, das man Fenster schimpfte, gerade groß genug, dass Kälte durch die Ritzen zwischen Mörtel und Glas dringen konnte.
Vasily stieß ein schwaches Seufzen aus, dann hob er eine Hand und strich Krabat die schweißverklebten Locken aus der Stirn.
Lange sagte er gar nichts und der Magier wäre fast wieder in seine Trance verfallen, als er ansetzte:
"Möchtest du mir etwas vorlesen?"
Krabat fühlte sich selbst erröten.
"Sie wissen, ich kann nicht gut-"
Doch Vasily sagte nur mit schimmernden Augen:
"Du hast immer so eine schöne Stimme, wenn du mir vorliest."
Zweifelnd blickte Krabat auf den kranken Prinzen herab, dann griff er zögernd nach dem Buch neben dem Bett.
Es war ein Märchenbuch, dessen Samteinband einen jungen Prinzen zeigte, der auf einem Wolf ritt. Über ihm flog der goldene Feuervogel, das Wahrzeichen der Kaminkows.
Er würgte, dann schlug er das Werk auf.
Vasily hatte ihm das Lesen beigebracht. Damals, als Krabat noch nicht einmal seinen eigenen Namen schreiben konnte. Es gab keinen Grund, sich vor Vasily zu schämen und doch...
Zögernd und stockend setzte er an:
"Wir hören die Trommeln in der Nacht, die Boten des Schreckens. Sie kündigen ihn an, den Magierfürsten ohne Namen, den Schöpfer des Terrors. Er, Koschtschei, er, das Gerippe Unsterblich. Er kommt und raubt die hübschen Maid-"
Krabat verschluckte sich an den klumpigen Worten in seinem Mund.
"- die hübschen Maiden, er kommt und bringt die Pestilenz. Ihm folgt der Tod, dem er entflohen. Denn das Gerippe Unsterblich trennte einst seine Seele aus seinem Körper, betrog den Tod und haust in einem Turm aus Knochen.
Der Himmel ist leer und unser Dorf still. Keine Eule schreit, kein Hund bellt.
Wir hören die Trommeln in der Nacht-"
Krabat kam nicht weit. Ein gewaltiges Dröhnen lies die Luft erzittern.
Sofort wirbelte sein fiebriger Blick zu dem Rundbogenfenster. Die Nacht lag schwer und schwarz hinter den Samtvorhängen.
"Krabat-", setzte Vasily an. Kurz darauf hörten sie es wieder.
Ein Stampfen aus der Dunkelheit. Laut und krachend, wie das Trommeln hunderter Füße.
Im nächsten Moment setzte der Chor aus Stimmen ein. Etwas flackerte unter dem Fenster, hell und glühend, dort, auf dem Platz des Regierungsviertels.
Bevor Vasily ihn hätte stoppen können, war Krabat aufgestanden und hatte sich zum Fenster geschleppt.
Sein Herz raste, doch er schob den Samtvorhang zur Seite und stieß ein Keuchen aus.
Im Flackern der Fackeln erkannte man nicht einmal mehr das helle Pflaster - so dicht standen die Menschen bei einander.
Der Platz, geschaffen für Paraden und Feste, umringt von dem Palast, der goldenen Kathedrale und dem Mausoleum der Kaminkows, quoll über vor der grölenden Masse in Lumpen und Kittelschürzen
Es waren Arbeiter, erkannte er mit Blick auf das Meer wogender Punkte. Direkt neben Deserteuren, unschwer erkennbar an den zerschlissenen Uniformen - den Gymnastjorkas- und Verbänden um ihre verwundeten Glieder.
Sie drückten gegen die hohen Tore und hielten helle Leinenbanner in das Licht.
Sie waren beschrieben mit blutroter Farbe.
Väterchen Zar, stoppe deine Soldaten, stoppe das Blutbad, schütze deiner Kinder. Daneben: Brot, Arbeit, Frieden.
Er hörte ein Ächzen neben sich, dann packte er gerade noch rechtzeitig den Zarewitsch, dessen Beine schon nach wenigen Schritten unter ihm nachgaben.
Doch sein karamellfarbener Blick richtete sich nur nach draußen.
"Sie schicken Soldaten. Die Garde."
Und da sah der Magier sie. Die Soldaten der Garde in ihrer scharlachroten Uniform und Dmitri Lissipow, ihr Kommandeur, dessen Worte vielleicht unverständlich, aber Stimme umso markanter über den Platz hallte.
Einer der Soldaten trat aus der sorgfältigen Linie, packte etwas und warf es der Meute.
Hunderte Kehlen schnappten entsetzt nach Luft. Vereinzelte Schreie fuhren durch die Nacht.
Ein Kopf, realisierte Krabat da, dieser blutige Klumpen war ein Kopf, gekrönt von einer weißen Schiebermütze. Sie hatten ihnen einen hingerichtet Swesda-Radikalinksi vor die entgegengeworfen.
Die Soldaten setzten die Bajonette auf.
Krabats Augen wurden groß. "Sie werden doch nicht... Werden doch nicht auf das eigene Volk schießen."
"Haben Sie das nicht schon einmal getan?", erwiderte Vasily bloß.
"Die Menschen sind wehrlos!", stieß Krabat aus, aber er sah nur, wie die Soldaten unter ihnen die Waffen auf die Menge richteten.
"Lissipow, du dummer Lüstling", zischte Vasily. "Bring mich nach oben, Krabat. Zu meiner Mutter. Sie muss diesen Wahnsinn beenden."
Seine Augen zuckten erneut zur Masse. "Nur haben wir keine Zeit-"
"Lassen Sie das mein Problem sein", murmelte Krabat, warf dem Prinzen einen Gehrock über, und hob ihn, gepackt an Rücken und Kniekehlen, auf seine Arme.
Sofort keuchte Krabat.
Er war klein, kleiner als ein Sremenik sein sollte, seine Knochen waren brüchig und seine Arme schwach.
In seiner Kindheit hatte es nicht genug essen zum Leben gegeben, aber zu viel, um zu verhungern.
"Was tust du da?", fragte der Zarewitsch irritiert, aber nicht einmal halb so besorgt, wie er vielleicht hätte sein müssen, als der Sturmbote mit ihm auf den Balkon trat.
Da stieg Krabat auf die marmorne Brüstung, sah in die schwindelerregende Tiefe herab und hörte das Johlen der Menge. Er ließ sich nach vorne kippen.
Bevor die zwei am Boden zerschellen konnte, packte sie ein Luftstrom und katapultierte sie in die Höhe.
Sie trieben höher, an Vasilys Zimmer vorbei, vorbei an der darüber gelegenen Spiegelgalerie bis hoch zum Thronsaal, der hinter der gewaltigen Fensterfront perlmutten schimmerte.
Sie Krabats Sohlen setzten leichtfüßig auf dem Balkon auf.
Er ließ Vasily herab, der sich aber sogleich mit zitternden Beinen an seiner Schulter festkrallte.
Bevor Krabat hätte protestieren können, drückte Vasily einen Kuss auf seine Wange.
Sofort glühte sein Kopf rot.
"Wir haben keine Zeit zu verlieren", presste Vasily unter Schmerzen hervor. Zusammen schleppten sie sich durch die gläserne Tür in den Thronsaal.
Krabat zuckte zusammen, als seine Sohlen durch den gewaltigen Raum hallten.
In keinem anderen Ort des Palastes fühlte er sich so unbedeutend und schmutzig, gerade im Angesicht der zwei Gestalten, die mit der Miene von Richtern nach dem Urteilsspruch auf das Spektakel blickten, das Werk ihres Henkers prüfend.
Der Koschtschei in seiner schwarzen Robe direkt neben der Zarin, während der Zar das Kommando an der Front übernahm.
Dort stand sie, Zarin Jekaterina, die geborene Prinzessin Katharina von Cotha-Lauenbach, eine entfernte Cousine des Kaisers, gekrönt von einer mit Perlen besetzten Kokoschnik und gehüllt in cremefarbene Gewänder.
"Mama", schnitt Vasilys Stimme überraschend scharf. "Du musst sofort diesen Wahnsinn beenden und-"
Die Zarin wandte sich zu ihnen um. Mit einem Mal weiteten sich ihre blassen Augen in Überraschung.
Mit sich bauschenden Röcken eilte die Zarin zu ihnen- und schlug Krabat ins Gesicht.
Die Schelle kam vollkommen unerwartet. Für einige Momente blickte er nur mit klingelnden Schädel ins Nichts, dann realisierte er die Tat mit ihren gezischten Worten: "Nutzloses Ding. Wofür bezahlen wir dich eigentlich?"
"Ich- Majestät-" Seine Stimme brach ab.
Vasily schob einen schwachen Arm zwischen die zwei.
"Lass ihn in Frieden", zischte der Prinz. "Er ist wegen mir hier."
"Vasya, nimm deinen Köter besser an die Leine und spiel mit ihm woanders."
Sie wischte sich die Hand, mit der sie ihn berührt hatte, an ihrem Kleid ab.
"Wie kannst du ihn nur-"
Der Zarewitsch kam nicht weit, denn die Meute stieß bei Anblick der Waffen einen Schrei der Entrüstung und des Entsetzens aus.
Es waren keine Fackeln, die sie trugen, erkannte Krabat, eine Hand an die schmerzende Wange gelegt. Sie trugen Kerzen in den Händen wie bei einer Totenwache.
Die Zarin schnaubte bei diesem Anblick und fasste den Anhänger um ihren Hals.
"Es sieht aus wie die pervertierte Form einer Prozession."
"Nein, keine Prozession", summte der Koschtschei, seine Stimme war fast schon vergnügt. "Es ist das Nachspiel."
"Das Nachspiel?", wagte Krabat zu echoen.
"Es hätte ein Trauerzug für die Toten im Krieg sein sollen", sprach der Heilige. "Geführt von Hierophanten der Schicksalsschwestern. So schlossen sich ihnen streikende Arbeiter an und sie kamen dahin, wo alle Fäden in dieser Stadt zusammenlaufen - Egal ob die des Schicksals oder der Politik. Nur wer sich zuerst darin verheddert, das ist die Frage."
"Woher wissen Sie-", setzte Vasily an, aber seine Mutter fiel ihm ins Wort.
"Er ist ein Heiliger, Vasya, er sieht die Schicksalsfäden!"
Ihre Augen sprühten Funken bei den Worten.
Die Zarin huldigt ihrem Heiligen im Bett, hatten die anderen Wachen und Gardisten immer gespottet. Krabat hatte sie immer verteidigt. Vielleicht hätte er das nicht tun sollen.
Im Märchen brachte der Koschtschei die Prinzessinnen um den Verstand. In der Realität die Zarinnen.
"Ich-" Vasily schüttelte den Kopf. "Du musst die Soldaten zurückziehen! Sofort! Wir ersaufen im Blut unser eigenen Bürger."
"Unsere Bürger?", spie sie aus. "Hast du nur die leiseste Ahnung, was sie mit uns machen werden, wenn sie erst einmal den Palast stürmen? Mit deinen süßen Schwestern? Ich schütze nur meine Familie, indem ich diese... Diese Verräter loswerde. Ich schütze hiermit mein Volk, indem ich die Schurken erledige."
Ihr Sohn schnaubte. Bitterste Ironie schwang in seiner Stimme, als er erwiderte: "Wie willst du das denn schaffen? Indem du sie einfach niederschießt?"
Ihr Blick verfinsterte sich.
"Genau so."
Sie rümpfte nur ihre Nase, während sich die Worte wie ein Leichentuch über sie legten.
Krabats Knie zitterten.
Er dachte an Zuhause - seine Eltern, seine Schwestern, all die anderen verbannten Magier im Exil.
Eine kleine Stimme in seinem Kopf flüsterte.
Ach, ist das diese viel besungene Gerechtigkeit der Zaren, Krabat?
Krabat warf sich der Zarin vor die Füße.
"Aber- Aber sie wollen doch nichts Böses", brachte Krabat bebend hervor. Er schämte sich vor dem Klang seiner eigenen Stimme, der harten sremenischen Mundart. Es klang schmutzig. Du hast eine schöne Stimme, hatte Vasily trotzdem gesagt.
"Majestät, ich- ich flehe Sie an, tun Sie das nicht."
Sie blickte nicht mal zu ihm hinab.
"Ich bringe Gerechtigkeit, Vasya", meinte Jekaterina und senkte ihren Blick auf die Menschenmasse.
Wie auf Kommando rückte eine Kompanie der Gardisten an. Eine strammen Linie, wie die eines Erschießungskommandos. Nur lagen diesmal keine Schuldigen vor den Gewehrläufen, sondern verzweifelte Bürger.
Die Soldaten legten an. Ihr Kommandeur brüllte Befehle.
Krabat schlug eine Hand vor den Mund, um den Schrei zu unterdrücken, dann knallten die Schüsse wie Fanfaren des Untergangs über Rostograd.
Und Krabat könnte nur erstarrt zusehen, wie die Garde dutzende Familien ins Unglück verdammte, um die des Zaren zu schützen.
Die Ersten, die unter dem Kugelhagel fielen, waren die Arbeiter und Jugendlichen, die die Banner gehalten hatten.
Dann löste sich alles in blanker Panik auf.
Menschen stießen auseinander, trampelten die Getroffenen in den Dreck und zerdrückten ihre eigenen Leiber in ihrer schieren Hilflosigkeit.
Knochen barsten und Blut spritzte an die marmornen Häuserfronten.
Er sah ein Mädchen, jung und ihren Bruder ihm Arm, wie sie so schnell über das Pflaster rannte wie ihre Beine sie tragen konnten. Das rettete sie aber nicht vor der Kugel, die sie von hinten traf und zum Fall brachte.
Eine kleine Stoffpuppe fiel aus der Hand ihres Bruders und wurde von einem fliehenden Stiefel zerquetscht.
Der Magier presste die Hände auf das Glas. Als könnte er eingreifen. Den Urzorn des Himmels auf sie entladen, aber er konnte es nicht. Er konnte gar nichts. Er stand einfach nur da.
Krabat schien, als könnte Lissipow von unten Lachen hören. Als wäre das alles nur ein weiteres, dummes Spiel.
Vereinzelt zuckten Flammen und Blitze von Magiern auf, hier und da löste sich ein Steinbrocken aus dem Pflaster und schoss auf die Soldaten zu, doch der Widerstand wurde schnell und hart gebrochen.
Und während die Welt unten in Blut und Furcht unterging, blickten aus dem warmen Palast nur eiskalte Masken herab.
So färbte sich der goldene Platz tiefrot.
Es fühlte sich an wie ein Fiebertraum, doch Krabat konnte nicht daraus erwachen.
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Lange hat es auf sich warten lassen, aber jetzt ist es hier:
Shrutis Apology Video
Ich habe auch angfangen, sowas ein bisschen die POV-Charaktere zu porträtieren... Also joah
(Ja, es wird Shruti POV geben ;3)
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