XXVI. Geschlagene Hunde
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Krabat Czornack war ein dreckiger Verräter - diese Worte verbreiteten sich wie ein Lauffeuer durch Rostograd.
Sie hätten ein Todesurteil sein sollen, doch für Krabat waren sie ein Befreiungsschlag.
Sein erster Akt als freier Mann war das Verbrennen seiner Uniformjacke.
Im flackernden Schein der Flammen saß er in irgendeiner Parkanlage und beobachtete aus großen Augen, wie das Feuer über den blutroten Stoff leckte und all die Jahre zu Asche zerfielen. Sogar der doppelköpfige Feuervogel der Kaminkows zerbröselte einfach zwischen seinen Fingern.
Ein Teil von Krabat war mit im Feuer verbrannt, aber ohne Zerstörung entstand kein Leben. Kein neues Leben.
Der Gedanke wärmte ihn die ganze Nacht, während er in der Ruine eines ausgebrannten Hauses schlummerte, der pfeifende Wind sein Wiegenlied.
In den frühen Morgenstunden stieg er durch die eingeschlagene Scheibe eines Bekleidungsgeschäfts, an dessen Backsteinmauern Fahndungsplakate mit der Zeichnung seines Gesichts flatterten.
Er erkannte sich nicht darin wieder.
Das Geschäft war völlig verlassen. Ein weiteres Opfer der Barrikadenkämpfe.
Morokew führte Krieg, aber nicht einmal das hielt es davon ab, sich selbst zu zerfleischen?
Krabat schüttelte den Kopf.
Das konnte ihm egal sein. Dieses Land konnte ihm egal sein. Er hatte für seine Nation geblutet und gelitten, aber nicht einmal hatte Morokew die schützende Hand über ihn gehalten.
Morokew konnte ihm gestohlen bleiben.
Der ganze Krieg konnte ihm gestohlen bleiben. Die Kaminkows gleich mit.
Und selbst Vasily -sein Retter, sein Vertrauter, sein Kerkermeister- konnte das.
Aber was in dieser Welt blieb dann noch für ihn übrig? War alles nur wertlos, Schall und Rauch? Und wie konnte er etwas haben, wenn er nicht einmal wusste, was er wollte?
Sie nannten Krabat Czornack einen Verräter. Einen Nestbeschmutzer. Einen dreckigen Sremenikenmagier.
Sie hatten so viele Namen für ihn, dabei wusste er nicht einmal selbst, wer er war. Wer wollte er sein?
Seine Hände glitten über edle Kleider, ländliche Kossoworotka-Hemden und billige Anzugsjacken aus Tweed an den Stangen.
"Ich möchte ein Mensch sein", flüsterte er leise.
Er riss sich Kleidungsstücke aus den Regalen.
Hemd mit gestärktem Kragen. Knickerbockerhose. Stiefel. Mantel.
Als er vor den bleichen Spiegel trat, war ihm der Mann darin genauso unbekannt wie der auf dem Fahndungsplakat. Trotzdem... Das hier war er. Krabat.
Er streckte seine Hand nach dem Spiegel aus, bis sich seine Zeigefinger im Glas berührten.
Zurück bei Hofe würde man über seine Aufmachung lachen. Die Kleider waren keine Maßschneiderrungen, nur Fabrikware. Und doch fühlte er sich hierin menschlicher, mehr wie er selbst, als er es jemals in seinem Kurtka-Uniformrock mit den goldenen Beschlägen getan hatte.
Das hier hätte sein Leben sein können. Ein einfacher Angestellter, vielleicht ein Kontorist, der sein Leben in einer kleinen Souterrain-Wohnung oder Kommunalka verbrachte, mit Freunden ausging, verzweifelte, sich freute, heiratete und unbedeutend, aber zufrieden, starb.
Andererseits hätte er das nie sein können. Falsches Leben. Falscher Körper. Falsche Zeit. Viel eher wäre er wie der Rest der Magier in irgendeiner Fabrik oder Mine verreckt. Ein namenloses Grab.
Er schniefte und wischte sich eine verräterische Träne aus den Augen, als sich die Tür öffnete und ein leises Glöckchen bimmelte.
"Wer ist da?", sprach er in den Raum, aber allein der Wind bließ über die Fensterruinen und brachte die Modemagazine auf dem Tresen zum Flattern.
Misstrauisch drehte sich Krabat um die eigene Achse. Elektrizität kribbelte in seinen Fingern.
Etwas bewegte sich zu seiner Linken.
Krabats Magie überschlug sich und ein Windstoß schleuderte einen Stuhl gegen die Wand. Er zerfiel in Einzelteile.
Das Letzte, was Krabat sah, war das Spiegelbild einer menschlichen Silhouette, bevor ein Schlag seinen Hinterkopf traf und er zu Boden ging.
***
"Ist er wach?"
Die Stimme schepperte blechern in Krabats Ohren und träge blinzelte er gegen das trübe Licht an, das in seine Lider fiel.
Seine Finger waren taub und ein Pelz hatte sich auf seine Zunge gelegt. Er wusste nur, dass es abscheulich stank.
"Wo- Wo bin ich?", lallte er und versuchte, seine Finger zu bewegen.
Zwecklos. Sie waren hinter seinem Rücken an einer Stuhllehne zusammengebunden.
"Ahh, endlich", sprach eine Frau, vielleicht zwei Meter von ihm entfernt. "Der Verräter beglückt mit seiner Anwesenheit."
Endlich setzte sich das Bild vor seinen Augen zusammen und schaudernd musste er erkennen, dass er in der miesesten Stelle der Kanalisation gelandet war.
Keine drei Meter neben ihm strömten träge Massen aus brauner Flüssigkeit durch einen Kanal. Doch hier, auf dem Pflaster daneben, hatte man sich fast schon häuslich eingerichtet.
Tische, Stühle, Gaslampen. Schemenhaft erkannte Krabat sogar Karten und Plakate, die man an den dunklen Gemäuern angeheftet hatte. Darauf abgebildet war eine schwarze Katze, Schimmerschnecken und ein weißer Stern.
"Ihr seid die Swesda", krächzte Krabat und zerrte an den Seilen. "Was wollt ihr von mir?"
Die Frau, die erneut das Wort ergriff, hatte kurze platinweiße Haare, die unter einer Schiebermütze hervorlugten.
"Jetzt denk mal ganz scharf nach." Sie beugte sich über Krabat und bleckte die Zähne. "Die rechte Hand des Zarewitsch verschwindet von heute auf Morgen vom Hof. Sein engster Vertrauter! Der Magier, der für den eigenen Aufstieg sein ganzes Volk mit Füßen getreten hat. Auf einmal wird er im ganzen Land als Verräter gesucht und landet in unserem Stadtteil. Was bist du? Überläufer? Spitzel? Oder haben sie dich endlich fallengelassen, wie sie es mit jedem von uns tun?"
Krabat sah auf ihre platinfarbenen Haare und den Anstecker eines weißen Sterns an ihrer Brust, dann auf die schwarze Katze auf den Bannern an der Wand.
Er kannte sie. Sie war die Demagogin gewesen, die die Arbeiter damals beim ausgebrannten Waisenhaus aufgehetzt hatte.
"Du bist Antonina!" Seine Stimme überschlug sich. "Anahit, sie hat von dir gesprochen. Sie meinte, du würdest eine Barrikade mit der Flagge einer schwarzen Katze-"
Ihre Hand klatschte auf seine Wange und Krabats Sichtfeld wurde fleckig.
"Nimm ihren Namen nicht in den Mund", zischte Antonina. "Dreckiger Mistkerl! Anahit ist unsere Genossin. Meine Freundin. Wer weiß, was eure Bande von vom Staat subventionierter Verbrecher ihr alles antut!"
Er dachte an Anahit. Das Mädchen mit den Pausbacken, wie sie ihn mit Blumen im Haar anlachte. Aber gleichzeitig auch die Frau, die ihn aus einem ausgezehrten und blau geschwollenen Gesicht so voller triefender Verachtung angestarrt hatte.
"Sie ist tot", brachte er erstickt hervor und Tränen traten in seine Augen. "Ich- Wir haben gesprochen. Ich habe sie begraben. Richtig begraben, meine ich. Sie musste nicht in Ketten sterben."
Antonina öffnete den Mund, aber es war der Kerl neben ihr, der sich regte.
Er packte die Lehne von Krabats Stuhl, drehte ihn herum und bevor Krabat sich versah, hing er gefesselt über dem Kanal.
Allein der Griff des anderen hielt ihn vor dem Ertrinken in der Brühe ab.
Er schluckte, als ekelerregender Dampf seine Nase verätzte.
"Dreckiger Lügner, ihr habt sie ermordet!" Sein Speichel klatschte in Krabats Gesicht. "Ist das also, was dein großzügiger Zarewitsch uns bringt? Ermordete Freunde? Oh, was einem gnädigen Herren du doch dienst! Er sitzt in seinem hübschen Palast, während wir sterben. Egal wie viel er gegen den Zaren und die Zarin protestieren mag, am Ende des Tages sitzt er mit den Mördern unserer Leute an einem Tisch und fragt ganz höflich Reicht ihr mit bitte das Salz?, während er sich an mehr Speisen labt, als wir jemals haben werden."
Wut wallte in Krabat auf.
"Ihr habt doch gar keine Ahnung, wer der Zarewitsch eigentlich ist-"
Er biss sich auf die Zunge.
Warum sagte er das? Er musste sich nicht für Vasily verantworten. Er war nicht mehr sein Schoßhund. Mehr als bloß das Anhängsel des Prinzen.
Wenn sie ihn schon töten mussten, dann als Repräsentant seiner eigener Taten, nicht der eines anderen. Sein Leben war fremdbestimmt gewesen, sein Tod würde es nicht sein.
"Ich bin nicht er", sagte er nur erschreckend ruhig.
Elektrizität zuckte durch seine Finger und verbrannte das Seil um seine Hände. Krabat befreite sich selbst.
Die Fesseln um ihn waren gefallen.
Er verpasste dem Mann einen gezielten Tritt, katapultierte sich nach vorne und noch während der Stuhl in die Brühe fiel, stand Krabat auf seinen eigenen Füßen.
Antonina hatte eine Pistole aus ihrem braunen Mantel gezogen. Einer ihrer Begleiter hielt irgendein zweitklassiges Brotmesser in der Hand und Krabat hatte die Arme erhoben. Der dritte im Bunde lag noch immer sich windend auf dem Pflaster.
Wir sind wie die Schlange, die ihren eigenen Schwanz verspeist.
Langsam ließ der Magier seine Finger sinken und holte tief Luft. Er wurde nicht sofort von einer Kugel durchbohrt, was schon einmal ein überraschend gutes Zeichen war.
„Es tut mir Leid. Wirklich", kam es rau über seine Lippen. „Ich wünschte, ich hätte ihr helfen können. Irgendjemandem helfen können. "
Dabei hatte er sich nicht einmal selbst helfen können. „Aber ich konnte nicht. Ich war zu spät. Wir können uns hier gegenseitig abmeucheln. Gerne. Aber davon profitiere ich nicht. Davon profitiert ihr nicht. Wir sterben und die da oben freuen sich.Wahrscheinlicher sogar, dass es ihnen völlig egal ist. Aber ich... ich möchte so einfach nicht mehr leben. Kann so einfach nicht mehr leben. Ich bin nicht der Schoßhund. Von niemandem."
Kurz war jeder rasselnde Atemzug zu hören und Krabat meinte schon, sein Herz müsse platzen, als Antonina ein derbes Fluchen ausstieß und die Waffe zurück in ihren Mantel stopfte.
Klar und melodisch setzte sie an:
„Sie behandeln uns wie Tiere und sie haben es schon immer getan. Nutztiere, Schlachttiere, Ungeziefer, ja, selbst den Schoßhund darf der Geheimrat Saphir in Bruktien spielen. Doch egal, wer wir sind, welche Titel sie uns geben oder nehmen, welche Gesetze sie erlassen, in ihren Augen bleiben wir immer nur Tiere. Nicht-Menschen. Un-Gleiche. Es liegt allein in unseren Händen, das zu ändern. Auf das das Schwein das Schlachtmesser schwingt."
Krabat blinzelte. „Wie bitte?", fragte er mit großen Augen.
„Das ist ein Zitat von Max Karl", schnauzte die Revolutionärin. „Aus seinem Werk Mammon."
Mit ihren langgliedrigen Fingern löste sie den weißen Stern von ihrem Mantel und bevor er etwas sagen konnte, presste sie ihn Krabat an die Brust.
Ihre Augenbrauen hatten sich gesenkt.
„Bist du bereit für den Schritt, Czornack? Ja oder nein? Neutralität ist keine Option, wenn es um das Leid von Menschen geht."
Krabat schaffte es nicht, auch nur einen Laut hervorzubringen. Stattdessen rang er sich ein Nicken ab.
Antonina hatte die Nadel der Sternenbrosche gerade durch den Stoff seines Hemds gestochen, als das Scheppern von Stimmen und Schritten durch die Kanalisation hallte. Sofort erstarrten die vier Verschwörer.
Besonders aber Krabat. Sein Herz machte einen Sprung. Er würde diese Stimme unter tausend erkennen.
„Dmitri", flüsterte er mit blassem Gesicht. Der Schlächter mit dem blitzenden Lachen. Dann sagte er lauter für die anderen: „Soldaten."
Ihnen blieben vielleicht Sekunden.
„Kusmin!" Antoninas Befehl war kaum mehr als ein Zischen. „Verbrenn die Papiere. Taras, du weißt, was du zu tun-"
Krabat zupfte an Antoninas Ärmel, bevor die sich hatte umwenden können.
„Ihr habt einen Fluchtweg?"
Blinzelnd starrte sie ihn an. „Natürlich haben wir das. Wie hätten wir sonst so lange durchhalten sollen? Du kannst ihn natürlich benutzen-"
„Gut", antwortete Krabat nur. „Ihr verschwindet, ich lenke sie von eurer Fährte ab."
Er hatte Anahit nicht beschützen können. Selbst Vasily, sein Schutzbefohlener, war bei dem Attentat im Casino verletzt worden. Es war Zeit, seine Fehler zu beheben.
„Das-", setzte Antonina völlig entgeistert an. „Das ist absoluter Wahnsinn. Sie werden dich zerreißen!"
Er lachte nervös und wollte am liebsten anfangen zu weinen. „Immerhin bin ich ja jetzt ein landesweit gesuchter Hochverräter."
Die Stimmen waren lauter geworden. Mittlerweile sah man sogar die verzerrten Schatten der Soldaten an den Wänden.
Für einen Moment haderte die Rädelsführerin noch, dann klopfte sie Krabat auf die Schulter und wirbelte herum. Noch während sie ihre Mitverschwörer durch ein Gitter tiefer in die Kanalisation scheuchte, bezog Krabat Stellung und knackte mit den Knöcheln.
Man musste sich seinen Dämonen stellen, nicht wahr?
„Ah, der Welpe kuschelt also mit den Staatsverrätern. Du willst dem armen Prinz Vasja wirklich das Herz brechen, nicht?", schallte Lissipows Stimme durch die Kanalisation, als er begleitet von zwei dutzend Soldaten die Ecke umrundete. Mit seinem Schnurrbart und bunten Ringen an den Fingern vermochte er selbst in Uniform auszusehen wie ein unausstehlicher Dandy. Beinahe spielerisch ließ er seinen Revolver um einen Finger kreisen. „Ich muss sagen, Czornack, die rebellische Ader steht dir nicht sonderlich."
„Dmitri", versuchte es Krabat ein letztes Mal mit naiver Sanftheit. „Das muss nicht blutig enden. Wir waren mal fast sowas wie Freunde. Wir können-"
Natürlich ließ der Polkovnik ihn nicht einmal aussprechen.
„Mein Lieber", säuselte er. „Ich fand dich ja immer ganz niedlich, aber der Preis für deinen Kopf ist einfach zu hoch. Nimm es bitte nicht persönlich, ja?"
Ohne zu zögern richtete er die Waffe auf Krabat und drückte ab.
Bevor die Kugel Krabats Kopf zerschlagen konnte, fegte eine Sturmböhe durch den Kanal, stark genug, um Schiffe gegen Klippen zu schmettern und Bäume zu entwurzeln. Brackwasser und Holzspäne spritzten, während das Mobiliar in die Soldaten donnerte und das Projektil aus seiner Bahn gerissen wurde.
Aus dem Augenwinkel sah er noch, wie Dmitri in die Brühe plumpste, schon hatte sich Krabat umgedreht und rannte davon.
Er sah eine Leiter, die nach oben zurück auf die Straße führte. Der Magier bemühte sich nicht einmal, nach einer der Sprossen zu greifen, stattdessen katapultierte er sich mit einem Windstoß nach oben und sprengte den Kanalisationsdeckel auf.
Schreie von Passanten schrillten durch die Luft, als Krabats Füße auf dem Pflaster einer belebten Einkaufsstraße landeten und der Deckel scheppernd den Boden traf.
Eine Mutter im Pelzmantel hielt ihrer Tochter die Augen zu, nachdem ihr Einkaufsnetz auf die Straße gefallen war und ein Bauer in rot bestickter Kossoworotka taumelte zurück, aber Krabat warf nur einen nervösen Blick in das Loch hinter sich.
Einer der Soldaten kraxelte schon heraus und hob seinen Karabiner.
Statt einen Blitz in seine Visage zu schleudern - immerhin waren Kinder anwesend- nahm Krabat seine Beine in die Hand und riss die Tür zur nächsten Lokalität am Straßenrand auf. Er machte einen Satz über die Schwelle und sah nur die weit aufgerissenen Augen eines Angestellten, da schob er sich schon in den nächsten Raum.
Sofort schlug ihm heißer Dampf ins Gesicht und Krabats Welt wurde getaucht in einen feuchtwarmen Nebel. Orientierungslos stolperte er über grobe Holzdielen und blinzelte gegen schummrig-goldenes Licht.
Dann sah Krabat die Schemen von Körpern. Menschen im äußersten Stadium der Entkleidung hatten sich auf Bänken hingestreckt und seufzten, während sie Birkenäste auf ihre nackte Haut schlugen.
Am liebsten hätte er direkt die Augen zusammengekniffen.
Oh Morgenrot, Abendrot und Mitternacht, natürlich war er direkt in eine Banja gerannt! Lissipow würde sich freuen- und unter anderen Umständen sicherlich zeigen, dass hohe Temperaturen kein Argument gegen eine Orgie waren.
Er war gerade einem dicklichen Mann ausgewichen, der sich nur mit verwundertem Blick auf Krabats in Schweiß getränkte Aufmachung auf eine Holzbank hatte plumpsen lassen, als wüste Schreie und das Trampeln von Militärstiefeln vor dem Eingang klangen.
Krabat schlüpfte durch die nächste Tür, weiter in das Gebäude hinein, doch seine Füße versanken sofort in einem Becken.
Eiswasser schwappte um seine Knie und er schüttelte sich.
Der Raum war fast vollkommen dunkel und mit schwarzblauem Stein ausgekleidet. Allein ein paar schimmernde Kristalle waren wie ein Sternenhimmel in die Decke eingelassen. Sie spendeten gerade genug schummriges Licht, um ein Mosaik der drei Zori zu beleuchten, die mit ihren blassen Gesichtern und schwarzen Augen auf ihn hinabsahen.
Platsch. Platsch. Platsch.
Jeder Schritt jagte ein Echo durch den Raum.
Die Tür hinter ihm flog auf und ein Schuss schmetterte durch die Luft. Krabat konnte nicht mal rechtzeitig zusammenzucken, schon riss ihm das Projektil die Wange auf und heißer Schmerz schoss durch sein Fleisch.
Krabat dachte nicht, er reagierte. Er sah die Soldaten in der Tür. Sah ihre Stiefel, wie sie im Wasser versunken waren.
Er nahm einen tiefen Atemzug, dann sprang Spannung seine Arme hinab. Die Potentialdifferenz zwischen seinen Handflächen stieg und stieg. Stieg ins unermessliche und-
Der Blitz krachte in das Wasser und Krabat konnte nur hoffen, dass seine Magie mit genug Immunität für ihn selbst kam.
Gleißendes Licht flutete den Raum. Er hörte keine Schreie. Spürte keinen Schmerz. Stattdessen wurde die Welt für einen Moment weiß. Klang weiß. Schmeckte weiß. War weiß.
Als er die Augen wieder öffnen konnte, lag ein halbes dutzend Körper bewegungslos im Becken.
Tot oder nur bewusstlos? So genau wollte er das gar nicht herausfinden.
Müde sackten seine Schultern herab. Er schleppte sich durch das Wasser und brauchte länger als er sollte, um den Ausgang zu finden.
Das magische Feuer in seiner Brust war zu einem Haufen schwelender Glut zusammengebrochen.
Kraftlos stolperte er in einen Ruheraum, der tatsächlich sogar Fenster besaß und lehnte sich an die Wand. Für einen Moment schloss Krabat die Augen. Einen Moment zu lange.
Etwas schweres knallte gegen seinen Schädel und mit verschwimmender Sicht stolperte er zur Seite, bis seine Knie unter ihm nachgaben. Bevor Krabat zu Boden gehen konnte, packte man ihn am Kragen und Dmitri Lissipows schmieriges Grinsen schien von oben auf ihn herab.
„Ich hatte immer gedacht, dich auf eine andere Weise zum Stöhnen zu bringen, aber sei's drum."
Krabat bleckte die Zähne und schmetterte seinen Fuß gegen Lissipows Schienbein. Ein Zischen entsprang Dmitris Lippen. Bevor Krabat auch nur reagieren konnte, traf ein Schlag seine Magengrube, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Reflexartig schleuderte er seine Faust gegen Dmirtis Kinn, bloß damit dieser sich in Krabats braunen Locken vergriff und seinen Kopf ruckartig nach hinten riss.
Es geschah, was zwangsläufig hatte passieren müssen. Der nächste Schlag riss Krabat von den Füßen und noch während sein Sichtfeld in tausend bunte Scherben zersprang, schmetterte ihn Dmitri gegen die Wand und klemmte ihn mit seinem Oberarm fest wie ein Insekt. Eine Trophäe, die sich der stolze Jäger an die Wand nagelte.
„Du stinkst nach Brackwasser", schleuderte Krabat ihm ins Gesicht.
Blut tropfte aus seiner Nase und er schmeckte Metall im Mund.
„Dein kleiner Zarewitsch wird so traurig sein, wenn ich ihm deinen Kopf gebe. Armer Vasja", sprach Lissipow nur, als er die kalte Mündung des Revolvers gegen den Kiefer des Magiers drückte. Sein Finger zuckte am Abzug.
Krabat stieß mit seiner Hand gegen Dmitris Arm und der Schuss krachte in die Decke statt in sein Fleisch. Der Offizier knurrte, packte Krabat am Kragen und wollte die Waffe gegen seine Schläfe donnern, aber Krabat biss ihm in die Hand und begleitet von einem Kreischen klapperte der Revolver auf den Boden.
Der Triumph währte nicht lange.
„Bissiger Köter", knurrte Lissipow, schon wirbelte er Krabat herum und schmetterte seinen Kopf gegen die nächste Wand.
Dunkle Flecken tanzten vor seinen Augen und Putz bröckelte unter seinem Schädel. Für einen Moment meinte er, sein Bewusstsein zu verlieren, als die nächste Schmerzenswelle über ihn hineinschlug. Beringte Finger gruben sich in seinen Hals und quetschten seine Luftröhre ab.
Krabat bekam außer einem Röcheln keinen Ton heraus, stattdessen spuckte er Dima blutigen Speichel ins Gesicht.
Betont langsam wischte sich Lissipow die roten Fäden von der Wange, dann legte er mit einem genüsslichen Lächeln seinen Kopf schief.
Krabat war hilflos in der Falle gefangen.
"Weißt du, was man mit unartigen Hunden macht?" Lissipow beugte sich vor und seine Stimme wurde ein Wispern in Krabats Ohr.
"Man sperrt sie weg und kastriert sie."
Seine Hände schlossen sich noch fester um Krabats Kehle.
Krabat entwich nur ein elendes Quietschen.
Ich sterbe, schoss es ihm durch den Kopf, während seine tauben Finger an Dmitris Griff zerrten und die Welt zwischen ihnen wie Sand zerronn.
Ich werde nicht sterben. Er klammerte sich fest an diesen Gedanken. Ich werde nicht sterben.
Lissipow wähnte sich schon als König- es war Zeit, ihm das Zepter zu entreißen. Er hatte sich mit einem Hund angelegt und Tollwut tropfte von Krabats Fängen.
Aus irgendeinem niederen Impuls sammelte er seine verbliebene Kraft und rammte sein Bein in Dmitris Schritt.
Dmirti ließ ihn los und taumelte zurück. Er gab Krabat die eine Sekunde, die er brauchte.
Krabat holte aus und seine Faust kollidierte ,begleitet von einem befriedigenden Knirschen, mit Lissipows hübscher Nase. Der Schlag reichte aus, um den Offizier vollends zu Boden zu schicken.
Bevor er sich aufraffen konnte, setzte Krabat seinen Stiefel auf Dmitris Brust und presste ihn nieder.
"Und man sagt, so ein dummer Welpe wäre treu", bellte Dmirtri und schlug auf Krabats Unterschenkel ein.
Der blieb aber vollkommen bewegungslos.
Seltsame, unbekannte Kälte fraß sich durch Krabats Adern und eisern schweigend blickte er auf Lissipow hinab. Mit jeder weiteren dahinkriechenden Sekunde wurden dessen Züge fahler. Todesangst glühte in seinen dunklen Augen.
War dies das erste Mal, dass Dmitri Lissipow einem anderen Menschen vollkommen hilflos ausgeliefert war? Das Spielzeug mächtigerer Männer?
Oh, was konnte er glücklich sein, dass er nicht sich selbst, sondern nur Krabat gegenüberstand.
„Du nennst mich einen Hund. Einen Köter", setzte Krabat an. „Aber weißt du was, Lissipow? Du bist der größte Hund von allen."
Ein Beben schlich sich in seine Stimme.
„Für dich bin ich genau das, nicht? Ein Tier? Ein Spielzeug? Etwas, das man aufbrauchen und dann wieder wegwerfen kann? Aber blick doch einmal in den Spiegel! Sieh dich an! Du sehnst dich nach Liebe aber kannst sie nicht geben. Du sehnst dich so sehr nach ihr, aber alles, was dieses Wort für dich bedeutet, ist Aufmerksamkeit. Körperliche Nähe. Das Gefühl, besonders zu sein. Besser als wir. Aber es lässt dich leer zurück- also willst du mehr. Frauen. Männer. Alkohol. Glücksspiel. Macht. Ruhm. Du schlägst auf mich ein, weil es dir Macht gibt. Du tötest die Aufständischen, weil warum nicht? Was sind andere Menschen für einen Dmitri Lissipow, der Rang, Name und Titel hat?"
Krabat schluckte den Kloß in seinem Hals herunter.
„Du bist abgrundtief erbärmlich - und ich Narr habe mich dir und deinesgleichen vor die Füße geworfen."
Dmitri war weiß geworden wie eine Kalkwand. Doch als langsam die Realisation in seine Knochen kroch, dass keine Gewalt auf die Worte folgen würde , wanderte ein heftiges Zucken durch Lissipows Gesicht.
„Hübsche Worte, ist das alles was du kannst?" Es sollte Spott sein, aber er spuckte die Silben mehr aus. „Du solltest es lieber wieder mit Stiefellecken probieren, das kann dein hübscher kleiner Mund viel besser als diese Farce!" Noch einmal versuchte Lissipow sich aufzubäumen, aber zwecklos.
„Stell dich mir, verdammt noch mal!", schäumte der Offizier. „Du und ich, Mann gegen Mann, Duell bis zum Tod. Hab noch einen Funken Ehre in dir und sei kein Feigling!"
Noch einmal blickte Krabat auf Dimas Dandygesicht und den immer mehr anschwellenden Klotz, der mal seine Nase gewesen war.
„Lass es endlich gut sein, Lissipow. Es ist vorbei", meinte Krabat, drehte sich um und ließ Dmitri samt allem, was an ihm hing, zurück.
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