XXIII. Richterin und Henkerin

▪︎ ▪︎ ▪︎

Als Zilli ein kleines Mädchen gewesen war, wäre sie fast an einem Fieber gestorben.
Viele Kinder ihrer Generation waren das, besonders aber in den überfüllten Gossen und Magierquartieren.
Niemand hatte sich jemals dazu herabgelassen, die Namen der Opfer dort zu zählen.

In Zillis Zuhause aber war damals fast die Welt zerbrochen.
Ihre Erinnerungen daran waren wirre, aufgelöste Schemen, aber da war ihr Vater gewesen.
Immer war er da gewesen.
Meist mit feuchten Tüchern, heißer Suppe oder widerwärtigen Tinkturen.

Und als diese nichts mehr gebracht hatten, hatte er ihre kleine Hand gehalten, bis zum bittere Ende hätte er das.
Vielleicht war es ihrem Fiebertraum geschuldet, vielleicht kindlicher Fantasie, aber es war das erste und einzige Mal gewesen, dass sie ihn hatte weinen sehen.

Von draußen aber waren Stimmen gepoltert.
Eine gehörte ihrer Mutter, die andere einer Fremden.
Hin und wieder hatte sie das weiß einer Priesterrobe durch den Türspalt blitzen sehen.

"Verstehen Sie denn nicht?", hatte sie unter der goldenen Hierophantenmaske gezischt. Jedes Wort hallte seltsam.
"Mein Wort ist ihr Wort. Das der Moiren. Und die heiligen Schwestern sprechen nicht den letzten Segen für... Für so jemanden. Ihre Geburt war ungesegnet, so ist es auch ihr Tod."

"Aber- Aber mein Kind-"

"Ihr Leben war bereits verwirkt, als Sie es in die Welt gesetzt haben. Das hier ist nur göttliches Nachspiel."
Die Priesterin schnaubte.
"Beten Sie also lieber für Ihre eigene Seele. Sie besitzen wenigstens noch eine. So veruneinigt sie auch sein mag."

Sie hatte die Bösartigkeit dahinter damals gar nicht wahrgenommen, auch nicht das wüste Geschimpfe ihrer Mutter, stattdessen hatte nur immer und immer wieder ein Gedanke in ihrem Kopf getost:
Ich werde sterben.

Schon damals hatte sie jedoch den Tod betrogen.

Sie erinnerte sich an die Hitze, die in ihrem Körper getobt hatte, aber das war kein Vergleich zu jetzt, als sie sich hilflos in ihren Laken wand.

Ihr ganzer Körper stand in Brand, als die Erinnerungen kamen, die sie so lange sorgfältig verschlossen hatte.
Aber die Geschehnisse hatten die Fesseln aufgerissen.

Es hatte nämlich nur einen Ort gegeben, an dem sie so verglüht war.

Und dieser Ort hieß Valon.

▪︎ ▪︎ ▪︎

Als ihrer zittrigen Hand die Pistole entglitt, senkte sich eine seltsame Stille über Valon.

Dabei war es nicht einmal Stille, keine richtige zumindest.
Es war mehr wie eine Glasglocke, die sich um Zilli legte, als das Wimmern der Sterbenden und Prasseln der Flammen die Welt erstickte.
Alles, während ihre Füße über Pflaster hallten und Blut über ihre zerfetzte Wange strömte.
Sie sprintete durch Nacht, Rauch und helle Ruinen, doch nur ein Gedanke dröhnte in ihrem Schädel, lauter als jedes Artilleriegeschoss.

Ich habe sie getötet.
Sie alle getötet.
Meine Schuld.
Meine Schuld.

Die Uniform klebte an ihrem Körper - ob wegen Blut oder Schweiß, wer konnte das schon sagen?- als sie um die nächste Häuserecke jagte und sich keuchend in den Rahmen einer verfallen Tür presste.

Sie zitterte am ganzen Körper.

Irgendwo neben ihr knallten Stiefelsohlen, aber niemand bemerkte ihren Schatten zwischen den Gemäuern.

Doch es stellte sich keine Erleichterung ein, stattdessen legte sich nur die sengende Hitze des Feuers auf ihr Gesicht.

Der Horizont erglühte rot.

Ihre Schuld.
Dabei hatte sie all das doch nie gewollt.
Sie- Sie waren in diesen Hinterhalt geraten und-

Sie schniefte.

Was war sie denn? Nichts als eine Kuratorin, die man in einen Krieg geworfen hatte, den sie nicht kannte. Ein Leutnant, ahnungslos und gleichzeitig ganz unten in der Hackordnung der Offiziere.
Und scheinbar auch eine Mörderin.

Zilli war es gewesen, die wie erstarrt dagestanden hatte, als der Mann neben ihr von Schrapnell zerfetzt wurde und die Frau daneben an ihrem eigenen Blut erstickte.
Zilli war es gewesen, die nur das Fass mit Speiseöl hatte anstarren können, das wohl aus einer Zeit stammte, wo Valon noch keine ausgestorbene Geisterstadt gewesen war.
Zilli war es gewesen, die das Öl mit einer magischen Stichflamme entzündet hatte - nicht wissend, dass die mitreanische Armee im Haus dahinter ihre ganzen Ölvorräte deponiert hatte.

Sie hatte die Welt in Brand gesteckt.

Die Detonation hatte Valon aus den Fugen gehoben. Es hatte ihr den Boden unter den Füßen weggerissen, hatte sie gegen die nächste Wand geschleudert und mit Splittern Gesicht, Arme und Schulter aufgeschlitzt.

Am Ende war es auch Zilli gewesen, die strauchelnd davongerannt war.
Weil sie Angst hatte. Weil sie feige gewesen war.

Und jetzt war sie hier gestrandet.

Doch sie konnte nicht bleiben.
Jederzeit könnte sie ein Feind finden. Sie konnte nirgendwohin fliehen, sich nicht verstecken...
Sie musste weg.
Sich bewegen.
Ein letztes Mal schnappte sie nach Luft, dann tastete sie nach dem Grabenmesser in ihrem Gürtel und huschte los.

Wohin sollte sie?
Zilli wusste es nicht.
Sie könnte genauso gut zurück zu den eigenen Stellungen sprinten, wie sie auf kürzestem Weg in die Arme der Feinde laufen könnte.
Jede Gasse glich der anderen.
Marmor. Rauch. Eingetrocknetes Blut.

Gerade wollte sie in die nächste Einmündung fliehen, da rammte sie ihre Stiefel in den Boden und kam schlitternd zum Stehen.
Lampenschein flackerte am Ende der Gasse und raue Wörter hallten an den hellen Fassaden wieder.
Und sie waren definitiv nicht bruktisch.

Ein Fluch entsprang ihren aufgeplatzten Lippen.
Sie wirbelte herum - da blitzte schon am anderen Ende der Straße Licht.
Schritte trommelten.

Die Magierin überlegte nicht lange, da nahm sie den einzigen Ausweg, der sich ihr bot:
Sie stürzte durch die nächste Tür.
Dielen knarzten unter ihren Sohlen, da blinzelte sie schon heftig gegen das einströmende Licht und riss einen Arm vor die Augen.

Erst langsam schärfte sich wieder ihr Blick.
Das Haus musste wohl einem reichen Kaufmann gehört haben.
Ein verstaubter Lüster, atamanische Teppiche, eine goldene Götterstatuette der Dutvari.... Und ein dutvarischer Soldat, der mit offenen Mund auf den Stufen der Treppe vor ihr stand.
Ihr Herz stockte.

Gerade formten seine Lippen einen Wanrschrei, da umschlossen ihre Finger das Messer fester.
Stich.
Blut.
Ihre Schultern bebten und der Körper war noch nicht einmal schlaff zu Boden geglitten, da hörte sie die Stimmen wieder.
Nur lauter.
Direkt vor der Tür.

Es blieb keine Zeit für Kummer.
Ohne weiter nachzudenken jagte sie im nächsten Moment schon die Treppe hoch.
Immer höher.
Immer höher.
Immer hö-

Ein ohrenbetäubendes Krachen zerfetzte ihr Trommelfell.

Glas platzte und prasselte auf sie nieder.
Panisch klammerte sie sich an der Balustrade fest, als das gesamte Gebäude zu wanken schien.
Gemäuer knackte und Risse sprengten die Wand neben ihr.

Artillerie, realisierte sie da. Sie waren von Artillerie getroffen worden!
Und es war kein gewöhnlicher Schuss.
Sie spürte die Terramagie, die sogleich in der Luft pulsierte.
Das Haus! Wenn sie nicht umkehrte...

Ihr Blick wirbelte herum, aber da war es schon zu spät.
Die Stufen, die sie gerade eben erst genommen hatten, bröckelten weg und stürzten in die Schwärze darunter.
Zilli blieb keine Wahl.

Immer zwei Schritte auf einem nehmend schnellte sie weiter hoch, aber die Risse schossen ihr hinterher.
Immer mehr Schutt stürzte hinter ihr zu Boden, Steinchen bröckelten unter ihren Füßen-

Mit einem letzten, hoffnungslosen Sprung katapultierte sie sich von dem wegbrechenden Gestein und bekam gerade noch den Türrahmen des nächsten Raums zu fassen.
Die Stufe unter ihr verschwand in den Tiefen.

Ächzend und mit wummerndem Herzen zog sie sich herein.
Das Grabenmesser war bereits gehoben, da zuckte ihr Blick nach oben.
Und Zilli sah sie.

Shruti - wunderschön, rußverschmiert, ein Bild für die Götter - und für einen Augenblick hatte sich kein Erkennen in ihrem dunklen Blick gespiegelt.
Einen Augenblick musste sie nur die blutige, rußverschmierte Gestalt in bruktischer Uniform gesehen haben.
Einen Augenblick zu lang.

Der Schuss zerfetzte die Luft, bevor auch nur eine von ihnen die Situation hatte begreifen können. Direkt gefolgt von Zillis Schrei.
Sie war zu Boden gegangen. Schmerz brach in Wellen über ihr zusammen. Ihr Bein stand in Flammen.

"Cilia!" Shrutis Stimme schepperte einen Moment später in ihrem Ohr, weiße Flecken tanzten vor ihren Augen, die ganze Welt schien zu kippen, da beugte sich schon ein vertrautes Gesicht über sie.
Sie war seltsam schön mit offenen Haaren, sickerte es durch ihren Kopf. Die rabenschwarzen Locken wie ein Seidenschleier. Genau wie eine Heilige.

"Cilia- Ich-"
Shrutis Stimme erstickte, dann klammerten sich ihre Finger um Zillis Kragen.
Beinahe hätte sie ihr raues Flüstern überhört.
"Mutu yeh Rash."

Zilli kannte den Fluch.
Verschlinge mein Herz.

Und als sich zwei Arme um sie schlangen, als die ganze Welt zu Piepen und Flimmern begann, verzogen sich ihre blutigen Lippen zu einem schwachen Lächeln.
"Asin Mutu yeh hav", wisperte sie.
Mein Herz ist dein Eigentum.

Eine warme Hand presste sich gegen ihre Wange. Etwas feuchtes tropfte von oben auf ihr Gesicht. Jemand schluchzte.
Im nächsten Moment pressten sich fiebrige Lippen auf ihre.
"Und ich werde dieses Herz auch behalten."
Das Versprechen auf Shrutis Worten verkam zu einem rauen Flüstern.

Der Griff um sie wurde fester, ächzend zog Shruti sie auf die Beine und sie strauchelten durch Rauch und Geschrei.
"Rot steht dir wirklich nicht", stieß Shruti aus und zerrte sie über den rutschigen Boden. Sie schlitterten. Schlitterten über Zillis Blut. "Halt durch und wir - Wir können einfach-"

Vielleicht hätte es gut ausgehen können. Vielleicht hätte Shruti sie zu einem Feldscher geschleppt. Vielleicht hätten sie beide eine Chance gehabt. Wären gemeinsam glücklich geworden.

Hätte - so ein starkes Wort.
Und es wäre eine noch stärkere Realität geworden, hätte der Scharfschütze auf dem nächsten Häuserdach nicht existiert.

Die Kugel bohrte sich in Zillis Schulter, bevor sie fünf Schritte hatten machen können.
Der Aufschlag riss sie aus Shrutis Armen, riss sie nach hinten.
Ihr verletztes Bein brach unter ihr weg, sie schlitterte weiter, bis sich das Treppengeländer in ihren Rücken bohrte.
Ihr Körper gab nach. Sie stürzte über den blutigen Marmor.

Aber die Schwerkraft konnte nicht ihre tödliche Wirkung entfalten.
Mit einem gewaltigen Satz katapultierte sich die Dutvari nach vorne.
Sogleich krallten sich Shrutis Finger um Zillis Handgelenk.
Die Magierin erstarrte mitten in der Luft.

"Vergiss es, Palinquas", würgte sie hervor, als Zilli in dieser Schwerelosigkeit des Schicksals über der bodenlosen Schwärze baumelte. "Du bist mir noch zu viel schuldig, als dass ich dich jetzt einfach so gehen lassen werde!"

Zillis Stimme brach.
"Und ich werde jede noch so kleine Schuld begleichen."

Ächzend zog Shruti an Zillis Gliedern, stemmte sich gegen das Gelände, doch nichts rührte sich.
Keinen Zentimeter.
Ihre Muskeln zitterten, ihr Atem ging stoßweise, aber Zilli war einfach zu schwer und die Gravitation zu unbarmherzig.

Ein weiterer Stoß erschütterte das Gebäude, Rauch quoll auf und Zillis rußigen, schweißigen Finger glitten einen Zentimeter weiter jerab.

"Deine Hand!", keuchte Shruti. "Die andere Hand! Gib mir die andere Hand!"

Zilli wollte das Gestein über ihr packen, Shrutis Arme - aber keine Bewegung.
"Ich versuch es ja!", schmetterte sie der Welt entgegen, doch der Arm ihrer getroffenen Schulter hing nur nutzlos herab.
Nichts rührte sich.
Da war nur Taubheit in ihren linken Fingern.

Sie rutschte ein weiteres Stück ab.
Lähmende Todesangst kroch in ihre Knochen.

"Nein, bleib bei mir", schrillte Shruti, nach ihr greifend, doch sie fand keinen Halt. "Ich gebe dir alles. Alles! Die Sterne. Den Mond. Ich lege dir mein ganzes Königreich zu Füßen, aber bleib einfach nur bei mir!"

Zilli Lippen zuckten.
Ihre schweißigen Finger verloren den Halt.

"Vergiss mich nicht", waren ihre letzten Worte. "Vergiss mich nicht und weiß, dass ich dich immer-"

Weiter kam sie nicht.
Ihre Hände entglitten einander.
Wie stark das Band zwischen ihnen auch war, es war nicht stark genug.
Als letztes sah sie Shrutis fahles Gesicht. Sah den Terror in ihren Augen, als sie erst Zilli und dann den Abgrund anstarrte.

Dann war sie gefallen.
Schneller und immer schneller.
Luft zerrte an ihren Gliedern.
Sie war schwerelos, gefangen in einem Vakuum aus Ungewissheit.
Tot und lebendig zugleich.

Im nächsten Moment zersplitterte ihr Körper.
Ein gewaltiges Krachen echote in ihren Ohren.
Für nur einen Augenblick war die Welt weiß geworden. Ihre Glieder wurden taub.
Kurz darauf verbrannte sie in greller Pein.
Sie schrie.
Schrie. Und schrie. Und schrie.
Aber keiner kam.
Fernes Donnern und das Prasseln der eigenen Flammen waren ihre einzigen Zeugen.

Gefangen in ihrem eigenen, unbeweglichen, zerstörten Körper konnte sie nur warten, als alles Blut aus ihren Wunden strömte und ihre Glieder hilflos zuckten.
Das Gefühl der Endgültigkeit erdrückte sie.
Vielleicht hätte sie hier sterben sollen.
Eine weitere geopferte Spielfigur in diesem viel zu großen Spiel.
Aber eine Kreatur konnte nur so viel Grausamkeit ertragen. Und Zillis Leiden hatten noch lange nicht seinen Zenit erreicht.

Denn man kam für sie. Aber es war keine Rettung. Es war erst Recht nicht Shruti.
Verschwommen und hell waren die Silhouetten der Soldaten gewesen, die zwischen den Flammen gewandelt waren, direkt auf sie zu.
Es waren Mitreaner, eine handvoll, wahrscheinlich noch ein paar Dutvari, so genau konnte sie sich nicht erinnern. Aber egal, was sie waren, für sie war es zu spät.
Mit zersplitterten Knochen hätte sie niemals in Deckung kriechen können.

"Das ist sie also, die Flammenhexe!", höhnten sie. "Scheinbar ist sie ausgebrannt."

Man hatte sie gepackt und vom Boden gerissen. Ihre Füße baumelten hilflos in der Luft und im nächsten Moment vergruben sich ihre Zähne in der Hand ihres Angreifers. Eine Faust schmetterte in ihr Gesicht. Schmerz grellte in ihrem Schädel.

Sogleich schossen Tränen in ihre Augen, da schlug ihr der Gestank verbrannter Haut entgegen. Langsam setzte ihr Hirn die Bruchstücke ihres Sichtfeldes zu den Konturen ihres Peinigers zusammen.

Am liebsten wäre sie zurückgewichen.

Eine Fratze halb verkohlt und entstellt von Brandwunden, unter deren geschwärzter Haut fahle Knochen blitzten, starrte ihr entgegen.
Sie schluckte.
Das ging wohl auf ihre Kosten.

Also zwang sich Zilli mit letzter, zusammengekratzter Kraft zu fauchen: "Genauso ausgebrannt wie deine Visage. Aber vertrau mir, ich habe die hässliche Seite genommen."

Schwielige Finger schossen vor, packten ihr Kinn und zerrten ihr Gesicht näher.
Zillis Knochen ächzten, aber sie spürte nur noch wie heißer Atem ihre augerissene Wange striff, als man ihr zuraunte:
"Nutz lieber deinen süßen Mund, um um dein Leben zu betteln, Hexe."

Zilli öffnete ihre Lippen - und spuckte dem Mitreaner Blut ins Gesicht.
Ihr Körper war gebrochen, nicht ihr Stolz.

Kein Schrei kam, auch kein weiterer Schlag, stattdessen wischte sich der Mann nur mit unterkühlter Gelassenheit den roten Schleim von der Wange, bevor er nüchtern meinte:
"Du, Hexe, hast meine Welt in Brand gesetzt. Es wird Zeit, die eigenen Flammen zu kosten."

Zilli hatte die Gerüchte gehört, jeder hatte das.
Es waren Schauergeschichten, die altgediente Soldaten den neuen Rekruten erzählten.
Von Magiern, die man in Valon auf Scheiterhaufen zerrte, deren Schreie man noch immer nachts hören und verzerrte Körper noch immer sehen musste.
Es gab dafür keine Befehle, von keiner Seite, nur den ungebändigten Zorn der Soldaten, der sich rächen wollte an den Flüchen der Magier und den Sünden ihrer Vorfahren.

Aber das konnte doch unmöglich wahr sein, nicht?
Sie waren zivilisiertes Volk. Sie hatten gelernt. Sich weiterentwickelt. Die Große Ausmerzung war in die Geschichtsbücher verbannt.
Und deren Tinte war immerhin längst getrocknet.

Oh, sie dummes armes Mädchen.

So hatte sie erst viel zu spät gemerkt, dass man sie auf ihren eigenen Scheiterhaufen schleppte.
Erst, als sie den bereits geschwärzten Pfahl aus der geschundenen Erde ragen sah, um den Reisig, Holz und Trümmerteile aufgeschichtet waren, realisierte sie ihr Schicksal. Genau wie die zwei daran gefesselten Gestalten.
Sie waren zusammengesackt, dürr, bleich.
Zilli wusste nicht einmal, ob sie noch lebten. Sie wollte es gar nicht wissen.
Sie wollte einfach nur weg von hier.
Mehr als alles andere.
Aber der Gestank nach Tod und Ruß verklebte ihre Nase.
Ihr wurde speiübel.

Das hier war ein Massengrab.
Hier hatte sie keinen Namen - ihre Existenz wurde einfach ausgelöscht. Verschollen, vergessen, ihre Überbleibsel verstreut im Wind.

Es würde nichts mehr von ihr übrigbleiben als der Dreck, für den diese Menschen sie hielten.

Zilli hatte den Gedanken nicht mal beendet, da fing sie an zu schreien.
Sie schrie, bis ihre Stimme heiser wurde und versagte. Ziellos trat sie um sich. Wandte sich. Steckte den Ärmel des Soldaten in Brand. Kreischte. Biss.

Sie wehrte sich mit Haut und Haaren, bis die ersten Tränen fielen und die Farce der Stärke vollkommen von ihrem Gesicht glitt.
Ein Schluchzen erschütterte sie.

Als die Seile dann in ihre Brust schnitten und die gebrochenen Glieder an den Pfahl fesselten, hatte sie angefangen, um ihr Leben zu flehen.
Hatte gebettelt.
Um Gnade gewinselt.
Aber es hatte keine gegeben.

So ging ihr Wimmern in dem Prasseln und Knistern des Feuers unter, das man unter ihren Füßen entzündete.

Hungrig schnappten die Flammen nach ihrer Gestalt. Sie sprühten freudig, als sie an Zillis Sohlen leckten.
Immer höher.
Immer höher.
Die Magie des Feuers schmiegte sich um sie, sehnte sich nach ihr.
Ihr eigenes Element kam, um sie zu zerstören.
Hinter ihr fing das Geschrei an.

Zilli zerrte an den Seilen, als ihre Stiefel schmolzen und die Kleidung wie heißes Wachs an ihren Gliedern herabrann, aber die Fesseln gaben nicht nach.
Panisch, hysterisch und mit einer Brust zerspringend in Hilflosigkeit japste sie nach Luft- aber allein eine schwarze Rauchsäule strömte in ihre Lungen.

Sie hustete, ihre Kehle war roh, ihre Augen brannten, aber keine kühle Erlösung durch Sauerstoff kam.
Sie fühlte die Hitze nicht. Das Feuer verbrannte nicht ihre Haut.
Es war der Rauch, der sie erstickte.
Ganz langsam.

Papa, ich habe Angst!, wollte sie weinen, aber nicht einmal diese Worte entflohen ihren rauen Lippen.

Und aus ihren tränenden Augen und dem Schleier aus Qualm sah sie die Soldaten Arm in Arm, wie sie Alkohol in die Flammen schüttenden, um das lodernde Biest anzufachen.
"Seht her, seht her", trällerten sie. "Sollen Saphir und der Empereur ihre Hexen sehen, wie Fackeln, die ihnen aus der Dunkelheit entgegenleuchten!"

Zum ersten Mal traf es sie da.
Das hier waren ihre Sterbebegleiter.
Ich sterbe.
Ich sterbe hier gerade.

Doch alles, was sie in diesem Moment wollte, war dass ihr Vater wieder ihre Hand hielt.
Ein letztes Mal, wie damals.
Diese warme Hand, die sich so tröstend um ihre schloss.
Aber es war niemand mehr da, der sie beschützte.

Als sie jedoch in die Fratzen ihrer Henker sah, da... Da fühlte sie gar nichts.
Sie brachte es nicht einmal über sich, sie zu hassen.

Den Gefallen würde sie den Kriegstreibern nicht tun.
Zilli würde nicht sterben mit der Verfluchung des Feindes auf ihren Lippen.
Ihr letzter Atemzug wäre nicht einer sinnlosen Feindschaft gewidmet, nicht um ein Verbrechen zu verurteilen, vor dem die wenigsten der Soldaten auf ihrer eigenen Seite zurückgeschreckt wären.
Saint-Mitre brachte sie hier gerade nicht um.
Der Krieg brachte sie um.

Und die banalste Realisation von allen, die sich wie eine Klaue um ihr Herz legte:
Sie wollte nicht sterben.

Da waren keine glücklichen Erinnerungen vor ihren Augen, kein zufriedener Blick auf ihr Leben, keine Nostalgie, da war nur Angst.
Glühende, rasende Angst, die sie zerquetschen wollte.
Und dieses Gefühl der Ungerechtigkeit.
Dieser Wunsch nach mehr.
Das konnte es doch nicht sein mit dem Leben. Das konnte nicht - durfte nicht- alles sein.
Sie brauchte mehr. Verdiente mehr.

Sie verlangte nach mehr.

Und in diesem Moment hatte sie sich entschlossen, nicht so widerstandslos zu sterben, wie sie gelebt hatte.

Alte, lang vergessene Worte legten sich auf ihre Lippen und das Blut sang in ihr.
Worte zum ersten Mal gesprochen seit Jahrhunderten.

"Ich rufe die Dunkelheit auf mich herab!", krächzte sie schrill in den Rauch. "Aus den Untiefen der See und den Schlünden der Erde."
Ein Husten erschütterte sie, aber sie ächzte weiter: "Euch zerschmettere ich mein Leben. In Leib und Seele, Tod und Untod. Ich biete euch das eine, erlöst mir das andere!"

Vielleicht hatte ein zynischer Gott ihrem Gebet gelauscht, vielleicht hatte sie auch endlich hier an der Schwelle zum Tode wirklich verstanden. Sich verstanden, ihre Magie verstanden, ihr Wesen verstanden, denn mit einem Mal lag alles klar vor ihr, während die Welt vor ihren Augen zerfiel.

So streckte sie ihre Hand aus, umfasste ihr Innerstes - die Magie in ihren Knochen, die Seele, die damit verwoben war - und riss es aus ihrem eigenen Körper heraus.
Wie der Rauch entfloh sie in den Himmel- und ihr formloser Blick glitt herab.

Da sah sie, wie ihr Körper von Flammen verzehrt wurde und Cäcilie Palinquas starb.
Oder zumindest einen halben Tod starb.

Denn ihre Seele wurde in ein neues Gefäß gegossen.
So war sie wiedergeboren aus Asche und Rauch.
Aufgestiegen aus dem Scheiterhaufen ihres Versagens.

Schrecklich und schön hatte sie dagestanden, Richterin und Henkerin zugleich, als ihre nackten Füße den Boden berührten

Das letzte, an das sie sich erinnerte, waren die entgeisterten Fratzen der Soldaten - und das Schnippen ihrer eigenen Finger.
Es entzog sich nicht einer gewissen Ironie, dass von denen, die eine Hexe hatten verbrennen wollen, nichts mehr als Asche zurückblieb.

Somit wurde es Zeit, ihren Faden selbst zu spinnen.

Tatsächlich habe ich nicht viel zu sagen, außer vielleicht, dass Zilli schon mehrere Tode gestorben ist, betrachtet man, wie oft ich dieses Kapitel schon neu geschrieben und verworfen wurde.

Ihr wollt ihr Leid beim Absturz visuell sehen? Nein? Mir egal :)
CN. Blut ... I guess

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